Urteil des VG Darmstadt vom 30.12.2010

VG Darmstadt: unbeschränkte vollmacht, verwaltungsgerichtsbarkeit, vergütung, verwaltungsverfahren, form, zivilprozessrecht, quelle, prozesspartei, widerspruchsverfahren, dokumentation

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Gericht:
VG Darmstadt 9.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 O 720/10.DA.A
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 15a RVG
Anrechnung der Geschäftsgebühr des vorausgegangenen
Verwaltungsverfahrens auf die Verfahrensgebühr des
gerichtlichen Verfahrens
Leitsatz
1. Wenn der Prozessbevollmächtigte im Verwaltungsverfahren eine unbeschränkte
Vollmacht vorlegt, kann ohne weitere Anhaltspunkte nicht davon ausgegangen werden,
dass der Auftrag auf die Tätigkeit nach Nr. 2302 VV-RVG beschränkt war.
2. Fehlen Angaben zu der wegen desselben Streitgegenstandes vorgerichtlich
entstandenen Vergütung, darf der Urkundsbeamte bei der hälftigen Anrechnung der
Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV-RVG von einem 1,3 - fachen Gebührensatz
ausgehen, sofern dadurch der höchstens anzurechnende Gebührensatz von 0,75 nicht
überschritten wird.
Tenor
Die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 25.05.2010 im
Verwaltungsstreitverfahren 9 K 1667/07.DA.A wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Erinnerungsverfahrens haben die Erinnerungsführer zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der
Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 25.05.2010 ist zulässig,
insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§§ 165, 151 VwGO). Nachdem der
Kostenbeamte der Erinnerung nicht abgeholfen hat, entscheidet die für die
zugrundeliegende Kostenentscheidung zuständige Einzelrichterin.
Die Erinnerung ist jedoch unbegründet. In dem angegriffenen
Kostenfestsetzungsbeschluss vom 25.05.2010 hat der Urkundsbeamte der
Geschäftsstelle unter Hinweis auf den Beschluss des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofs vom 08.12.2009 (1 E 2812/09) eine Geschäftsgebühr
nach VV 2300 nach Maßgabe der Vorbemerkung 3 Abs. 4 zu Teil 3 des
Vergütungsverzeichnisses hälftig auf die gerichtliche Verfahrensgebühr
angerechnet. Diese Vorgehensweise ist nicht zu beanstanden.
Das Bundesverwaltungsgerichts hat mit Beschluss vom 22.07.2009 (9 KST 4/08;
juris) für die Rechtslage vor Einführung des § 15 a RVG durch Art. 7 Abs. 4 des
Gesetzes vom 30.07.2009 (BGBl. I S. 2449) zum 05.08.2009 für den Bereich der
Verwaltungsgerichtsbarkeit entschieden, dass im gerichtlichen
Kostenfestsetzungsverfahren gemäß § 164 VwGO die für das vorangegangene
Verwaltungsverfahren entstandene Geschäftsgebühr nach Maßgabe der
Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG anteilig auf die Verfahrensgebühr des
gerichtlichen Verfahrens anzurechnen ist, und zwar auch im Rahmen einer
Kostenfestsetzung gegen die unterlegene Prozesspartei. Dies ergebe sich aus §
162 Abs. 2 Satz 1 VwGO, der die gesetzlichen Gebühren eines Rechtsanwalts für
erstattungsfähig erkläre und damit für das Kostenfestsetzungsverfahren
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erstattungsfähig erkläre und damit für das Kostenfestsetzungsverfahren
unmittelbar an die gebührenrechtlichen Bestimmungen des
Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes und damit auch an dessen
Anrechnungsregelung anknüpfe. Die obergerichtliche Rechtsprechung innerhalb
der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts
gefolgt (so unter anderem HessVGH, Beschluss vom 08.12.2010,- 1 E 2812/09 -;
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.02.2010, - 12 E 1740/09 -; beide zit.
nach juris). Auch die beschließende Einzelrichterin sieht keine Veranlassung, von
diesen für die Verwaltungsgerichtsbarkeit entwickelten Grundsätzen abzuweichen.
Danach steht jedoch für den Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit fest, dass es
sich bei der Einführung des § 15 a RVG um eine Neuregelung und nicht etwa um
eine Klarstellung einer schon immer bestehenden Rechtslage handelt. Gemäß § 60
Abs. 1 Satz 1 RVG ist die Vergütung nach bisherigem Recht zu berechnen, wenn
der unbedingte Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit im Sinne des § 15
RVG vor dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung erteilt worden ist. Daraus folgt,
dass § 15 a RVG auf sog. „Altfälle“ nicht anwendbar ist und bei ihnen wie bisher
eine Anrechnung der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV-RVG nach Maßgabe der
Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG auf die Verfahrensgebühr erfolgt. Die
beschließende Einzelrichterin folgt damit auch nach der divergierenden
Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 09.12.2009 – XII ZB 175/07
-, juris) der Rechtsauffassung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (Hess VGH,
Beschluss vom 08.12.2009 – 1 E 2812/09 -, juris) und der weiteren hierzu
ergangenen obergerichtlichen Rechtsprechung innerhalb der
Verwaltungsgerichtsbarkeit (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom
22.02.2010, - 12 E 1740/09 - und vom 10.06.2010 - 18 E 1722/09 -; Bayer. VGH,
Beschl. v. 16.08.2010, - 19 C 10.1667 -; OVG Lüneburg, Beschl. v. 19.10.2010,- 13
OA 130/10-; jeweils zit. nach juris).
Im vorliegenden Fall war der Auftrag zu der am 10.10.2007 erhobenen Klage vor
der Einführung des § 15 a RVG durch Art. 7 Abs. 4 des Gesetzes vom 30.07.2009
(BGBl. I S. 2449) und dessen Inkrafttreten zum 05.08.2009 erteilt worden. Damit
ist eine Geschäftsgebühr für das vorangegangene Asyl-Verwaltungsverfahren
grundsätzlich nach Maßgabe der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG auf die
gerichtliche Verfahrensgebühr anzurechnen.
Dabei ist der Urkundsbeamte zutreffend von einer angefallenen Geschäftsgebühr
nach VV 2300 ausgegangen. Die Gebühr nach VV 2302 entsteht nur, wenn der
Auftrag auf die Tätigkeit gemäß VV 2302, mithin auf ein Schreiben einfacher Art,
beschränkt war. Hat der Rechtsanwalt einen darüber hinausgehenden Auftrag, wird
seine Tätigkeit nach VV 2300 vergütet. Auf den Umfang der Tätigkeit kommt es
nicht an (vgl. Gerold/Schmidt, RVG, 18. Aufl. 2008, VV 2302 RdNr. 2). Vorliegen
kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Auftrag auf die Erstellung des
Schriftsatzes vom 16.07.2007 beschränkt war. Der Prozessbevollmächtigte hat der
Erinnerungsgegnerin nämlich unter Vorlage einer unbeschränkten Vollmacht
angezeigt, dass er die Erinnerungsführer im gesamten Widerspruchsverfahren
vertritt.
Es ist infolge fehlender Angaben zu der wegen desselben Streitgegenstandes
vorgerichtlich entstandenen Vergütung auch nicht zu beanstanden, dass der
Urkundsbeamte bei der hälftigen Anrechnung der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300
VV-RVG von einem 1,3-fachen Gebührensatz ausgegangen ist. Hierbei handelt es
sich um den Gebührensatz, der für eine Tätigkeit mittleren Umfangs und
Schwierigkeitsgrads zugrunde gelegt werden darf und noch unterhalb der
Mittelgebühr liegt. Der höchstens anzurechnende Gebührensatz von 0,75 wird
damit nicht überschritten. Die hälftige Anrechnung einer Geschäftsgebühr nach Nr.
2300 VV-RVG in Höhe von 177,45 Euro auf die Verfahrensgebühr ist daher weder
rechtlich noch rechnerisch zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit
ergibt sich aus § 83 b AsylVfG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.