Urteil des VG Darmstadt vom 04.01.2007

VG Darmstadt: amnesty international, eritrea, grundversorgung, bevölkerung, auskunft, abschiebung, aufschiebende wirkung, sexueller missbrauch, ausländer, gefahr

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Gericht:
VG Darmstadt 4.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 E 2469/03.B
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Tenor
Ziffern 3 und 4, diese Ziffer nur insoweit als die Abschiebung nach Eritrea
angedroht wurde, des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge vom 05.09.2003 werden aufgehoben. Die Beklagte wird
verpflichtet, das Bestehen eines Abschiebungsverbots im Sinne des § 60 Abs. 7
Satz 1 AufenthG hinsichtlich Eritreas festzustellen. Im Übrigen wird die Klage
abgewiesen.
Von den Kosten des Verfahrens haben die Klägerin 2/3 und die Beklagte 1/3 zu
tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige
Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der
festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der
Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Die am 14.02.1988 in Asmara geborene Klägerin ist eritreische Staatsangehörige
tigrinischer Volkszugehörigkeit. Sie reiste nach eigenen Angaben am 04.06.2003
mit dem Flugzeug aus Addis Abeba über den Flughafen B-Stadt in die
Bundesrepublik Deutschland ein und stellte - vertreten durch ihre damalige
Pflegerin - einen Asylantrag. Bei ihrer Anhörung beim damaligen Bundesamt für
die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) gab die Klägerin an, in
Addis Abeba bis zum Abschluss der sechsten Klasse die Schule besucht zu haben.
Ihre Mutter habe sie nie gekannt. Ihre Eltern hätten sich schon sehr früh getrennt.
Sie sei von ihrer Großmutter aufgezogen worden. Ihr Vater sei Besitzer einer
kleinen Schuhfabrik gewesen. Er sei sowohl Schuster als auch Schuhhersteller
gewesen und habe sieben Mitarbeiter gehabt. Ihre Großmutter sei als Eritreerin
schon 1998 nach Eritrea abgeschoben worden. Sie selbst habe als Eritreerin ab
1998 die Schule nicht mehr besuchen dürfen. Ihr Vater sei 1998 inhaftiert worden.
Nach der Inhaftierung ihres Vaters sei die Schuhfabrik von einem Freund ihres
Vaters und der Nachbarin aufgelöst worden. Sie selbst sei erst von der Nachbarin
unterhalten worden und dann von dem Freund ihres Vaters. Sie sei dann mit Hilfe
einer Begleitperson mit dem Flugzeug am 04.06.2003 in die Bundesrepublik
Deutschland eingereist. Bei ihren Fluchtgründen gäbe es auch Sachen, zu denen
sie sich nicht äußern wolle. Die bei der Anhörung anwesende damalige Pflegerin
der Klägerin gab dazu an, dass sie Klägerin wohl magersüchtig sei und die
Hintergründe dafür nicht geklärt werden könnten. Möglicherweise läge ein sexueller
Missbrauch vor. Die Klägerin gab in ihrer Anhörung weiter an, dass sie nicht wisse,
wann ihre Familie von Asmara nach Addis Abeba gegangen sei. Sie müsse damals
noch ein Säugling gewesen sein. Sie kenne Eritrea nicht, wisse aber, dass ihre
Großmutter und ihr Vater eritreische Staatsangehörige seien. Ihre Großmutter sei
schon über siebzig Jahre alt; über ihr Schicksal in Eritrea wisse sie nichts. Auch
über das Schicksal ihres Vaters wisse sie nichts. Sie habe keine Geschwister oder
Halbgeschwister. Auch ihr Vater habe keine Geschwister gehabt; sie kenne
lediglich das Foto eines gefallenen Bruders ihres Vaters.
Mit Bescheid vom 05.09.2003 lehnte das Bundesamt den Asylantrag der Klägerin
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Mit Bescheid vom 05.09.2003 lehnte das Bundesamt den Asylantrag der Klägerin
als offensichtlich unbegründet ab, und stellte fest, dass die Voraussetzungen des §
51 Abs. 1 AuslG offensichtlich nicht vorliegen sowie dass Abschiebungshindernisse
nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Der Klägerin wurde die Abschiebung nach Eritrea
angedroht. Der Bescheid wurde der damaligen Pflegerin der Klägerin mit Schreiben
vom 09.09.2003 übersandt.
Die Klägerin hat am 16.09.2003 Klage beim Verwaltungsgericht B-Stadt erhoben
und einen Eilantrag gestellt. Mit Beschluss vom 23.09.2003 hat das
Verwaltungsgericht B-Stadt die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet. Mit
Beschluss vom 09.10.2003 hat das Verwaltungsgericht B-Stadt den Rechtsstreit
an das Verwaltungsgericht Darmstadt verwiesen.
Zur weiteren Begründung ihrer Klage verweist die Klägerin darauf, dass eine
Nachforschung des Suchdienstes des Deutschen Roten Kreuzes nach ihrem Vater
keinen Erfolg gebracht habe sowie darauf, dass sie am 05.08.2006 ein Kind zur
Welt gebracht habe. Aufgrund ihrer gesamten Lebensumstände seien die
Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG gegeben,
zumal sie nunmehr mit einem Baby in das Herkunftsland zurückkehren müsse,
ohne auf einen Familienbeistand zurückgreifen zu können.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 05.09.2003 zu
verpflichten, die Klägerin gemäß Art. 16 a GG als Asylberechtigte anzuerkennen
und festzustellen, dass Abschiebungsverbote im Sinne des § 60 AufenthG
vorliegen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags bezieht sich die Beklagte auf den
angefochtenen Bescheid.
Die Beteiligten haben auf eine mündliche Verhandlung verzichtet. Gegenstand der
Entscheidungsfindung sind auch ein Heft Verwaltungsvorgänge der Beklagten
sowie den Beteiligten durch Übersendung einer Aufstellung bekanntgegebene
Erkenntnisquellen, betreffend die Situation in Eritrea, gewesen.
Entscheidungsgründe
Über die Klage konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, weil die
Beteiligten auf eine mündliche Verhandlung verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Die Ziffern 3 und 4, diese Ziffer nur
insoweit als die Abschiebung nach Eritrea angedroht wurde, des Bescheides vom
05.09.2003 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113
Abs. 1, 5 VwGO). Die Klägerin hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen
Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) einen Anspruch auf die Verpflichtung der
Beklagten, das Bestehen eines Abschiebungsverbots im Sinne des § 60 Abs. 7
hinsichtlich Eritreas festzustellen. Im Übrigen ist der Bescheid aber nicht
rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht ihren Rechten.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Verpflichtung der Beklagten, sie als
Asylberechtigte anzuerkennen. Die Beklagte hat in dem angefochtenen Bescheid
zutreffend dargelegt, dass sich die Klägerin gemäß Art. 16 a Abs. 2 GG, § 26 a
AsylVfG auf das Asylrecht nicht berufen kann, da sie keine substantiierten
Angaben über ihre Einreise mit dem Flugzeug gemacht hat. Das Gericht folgt
insoweit der Begründung des Bescheides und sieht von einer weiteren Darstellung
der Gründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylVfG).
Die Klägerin hat auch keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte verpflichtet wird,
zu ihren Gunsten das Bestehen eines Abschiebungsverbots im Sinne des § 60
Abs. 1 AufenthG festzustellen. Es ist nämlich weder ersichtlich, dass die Klägerin
bei einer Abschiebung nach Eritrea aus den in § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG
genannten Gründen verfolgt würde noch ist eine solche Verfolgung bei einer
Rückkehr nach Äthiopien ersichtlich.
Die Klägerin hat aber einen Anspruch auf die Feststellung, dass zu ihren Gunsten
ein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG besteht. Nach § 60
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ein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG besteht. Nach § 60
Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen
anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete
Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die genannten Gefahren brauchen
dabei nicht vom Staat oder einer staatsähnlichen Gewalt auszugehen. Gemäß §
60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG werden von der Vorschrift aber grundsätzlich keine
allgemeinen Gefahren wie Bürgerkrieg oder Hungersnot erfasst, die der ganzen
Bevölkerung oder der Bevölkerungsgruppe, welcher der betroffene Ausländer
angehört, drohen. Insoweit wird Abschiebungsschutz ausschließlich durch eine
generelle Regelung der obersten Ausländerbehörden nach § 60a AufenthG
gewährt. Eine entsprechende Regelung besteht für Eritrea derzeit nicht.
Allerdings ist § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG verfassungskonform dahin auszulegen
und anzuwenden, dass von der Abschiebung eines unter diese Bestimmung
fallenden Ausländers nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG abzusehen ist, wenn das
Verfassungsrecht dies gebietet (BVerwG, Urteil vom 18. April 1996, Az.: 9 C 77.95,
InfAuslR 1996, 289; Urteil vom 12. Juli 2001, Az.: 1 C 2.01, DVBl. 2001, 1531 jeweils
zur früheren Rechtslage des § 53 Abs. 6 AuslG). Ein solcher Fall ist nach der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gegeben, wenn die oberste
Landesbehörde trotz einer extremen allgemeinen Gefahrenlage, die jeden
einzelnen Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem
sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausliefern würde, von ihrer
Ermessensermächtigung nach § 60a AufenthG keinen Gebrauch gemacht hat,
einen generellen Abschiebestopp zu verfügen. Zu diesen extremen, akuten
Gefahren für Leib und Leben gehören auch Gefahren, die infolge völliger
Unterversorgung der Bevölkerung mit dem elementaren Bedarf des täglichen
Lebens entstehen, denn auch ein solcher extremer Mangel kann die Existenz der
davon Betroffenen in lebensbedrohlicher Weise gefährden (so auch VGH Baden-
Württemberg, Urteil vom 25. September 1996, Az.: A 16 S 2211/ 95, VBlBW 1997,
Teil 1 B6 zu § 53 Abs. 6 AuslG).
Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist
gegenüber dem im Asylrecht entwickelten Prognosemaßstab der beachtlichen
Wahrscheinlichkeit im Rahmen der verfassungskonformen Auslegung von einem
erhöhten Maßstab auszugehen. Dies folgt aus dem Ausnahmecharakter der
Suspendierung der gesetzlichen Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG
kraft Verfassungsrechts (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. November 1996 , Az: 1 C
6/95, BVerwGE 102, 249 [259] zur früheren Rechtslage). Der Maßstab einer
verfassungsrechtlich beachtlichen Gefährdung eines grundrechtlich geschützten
Rechtsguts fordert indes nicht, dass sich die Gefahr gleichsam sofort im Falle der
Rückkehr realisieren müsste; sie besteht beispielsweise auch dann, wenn der
Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod
ausgeliefert werden würde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 1999 , Az: 9 B
617/98, NVwZ 1999, 668). Liegen die genannten Voraussetzungen vor, gebieten
es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, dem einzelnen
Ausländer unabhängig von einer Ermessensentscheidung nach §§ 60 Abs. 7 Satz
2, 60a AufenthG Abschiebungsschutz zu gewähren (vgl. auch Hess. VGH, Urteil
vom 26. April 2002, Az.: 9 UE 1508/99). Dabei kommt es nicht darauf an, von wem
die Gefahr ausgeht oder wodurch sie hervorgerufen wird.
Entgegen der Auffassung der Beklagten, wie sie in dem angefochtenen Bescheid
zum Ausdruck kommt, ist der Klägerin im Hinblick auf die aktuelle Situation in
ihrem Heimatland und der ihm dort drohenden akuten Gefahr für Leib und Leben
die Rückkehr derzeit nicht zuzumuten.
Die gegenwärtige Lage in Eritrea ist noch immer durch die Folgen des Krieges mit
Äthiopien und die Folgen von Dürreperioden geprägt. Das Land hat unter den
hohen Kosten des Krieges mit Äthiopien erheblich gelitten. Die heftigen Kämpfe
mit Äthiopien und die Besetzung großer Teile Westeritreas durch äthiopische
Truppen hatten eine Verschärfung der Versorgungssituation, insbesondere der ca.
3,5 Millionen Flüchtlinge, zur Folge. Zur weiteren Verschlechterung der
wirtschaftlichen Lage trug der Ausfall des Hafens Assab sowie der kriegsbedingte
Wegfall des Handels mit Eritreas bedeutendstem Handelspartner Äthiopien bei
(amnesty international, Auskunft vom 28. Februar 2000 an VG Köln). Hinzu kamen
Dürreperioden in den Jahren 1999 und 2000, die das Land zusätzlich geschwächt
haben. Aus diesem Grunde hat das Auswärtige Amt bereits unter dem 3. April
2000 darauf hingewiesen, dass die Grundversorgung der Bevölkerung mit
Lebensmitteln nicht gewährleistet sei. Nach damaligen Schätzungen der Vereinten
Nationen waren ca. 600.000 Eritreer auf internationale Hilfsleistungen angewiesen,
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Nationen waren ca. 600.000 Eritreer auf internationale Hilfsleistungen angewiesen,
nach Schätzungen der eritreischen Regierung sollen es sogar 900.000 Personen
gewesen sein (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 3. April 2000). Diese Situation
hat sich im Jahre 2000 noch weiter verschärft. Das Auswärtige Amt spricht in
seinem ad hoc-Bericht vom 18. Mai 2000 von einer aktuellen Hungerkatastrophe.
Im Lagebericht vom 24. Oktober 2001 teilt das Auswärtige Amt mit, dass wegen
der Kriegssituation sowie einer Dürreperiode in den vergangenen zwei Jahren eine
Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln aus eigener Kraft nach wie vor
nicht möglich sei. Hieran hat sich bis heute nichts geändert. Ausweislich des
Lageberichts des Auswärtigen Amtes vom 11. April 2005 werden 2005 geschätzt
rund 2,2 von 3,5 Millionen Eritreern Nahrungsmittelhilfe von der internationalen
Gebergemeinschaft zum Überleben benötigen. Im Lagebericht des Auswärtigen
Amtes vom 24. Mai 2006 heißt es, dass der auch durch den Grenzkonflikt mit
Äthiopien bestehende Engpass in der Nahrungsmittelproduktion durch anhaltende
Dürreperioden verschärft worden sei. Auch wenn die Regenfälle im Jahr 2005
besser als die der vorangegangenen ausgefallen seien, so bleibe doch immer noch
ein erheblicher Teil der Bevölkerung von Nahrungsmittelhilfe abhängig. Die
Regierung Isaias vertrete dagegen öffentlich den Standpunkt, dass sie ihre
Bevölkerung selbst zu 100 % ernähren könne. Nach Auskunft von internationalen
und Nichtregierungsorganisationen deuteten in den beiden am Roten Meer
gelegenen Provinzen bereits erste Anzeichen für die Entstehung einer regional
begrenzten Hungerkatastrophe hin. Nach Auskunft von amnesty international an
das erkennende Gericht vom 20. März 2002 mussten Mitte des Jahres 2001 noch
60.000 Menschen in Lagern leben, weil ihre Heimatorte von Minen verseucht oder
die Infrastruktur der Dörfer wie Wasserversorgung, Gesundheitsdienst und Schulen
zerstört sind. Eritrea sei weiterhin auf internationale Nahrungsmittelhilfe
angewiesen, weil auch die fruchtbarsten Regionen zu den minenverseuchten
Gebieten zählten. Personen mit geringem Bildungsstand und ohne
Berufsausbildung haben Probleme einen Arbeitsplatz zu finden (Auskunft des
UNHCR an das erkennende Gericht vom 18. Juli 2002).
Soweit in den Lageberichten vom 29. Oktober 2002, vom 18. Juli 2003 und vom 11.
April 2005 sowie in der Auskunft an das erkennende Gericht vom 21. November
2001 seitens des Auswärtigen Amtes davon ausgegangen wird, dass die
Grundversorgung durch die internationale Gebergemeinschaft bzw. durch ein weit
verzweigtes Netz der Großfamilien gewährleistet sei, kann sich das Gericht dieser
Bewertung in ihrer Pauschalität nicht anschließen. Zum einen spiegelten die
Auskünfte des Auswärtigen Amtes eine wechselhafte Versorgungslage wider. So
wurde am 26. Juli 2000 mitgeteilt, die Grundversorgung der Bevölkerung mit
Lebensmitteln sei gesichert, in den Städten bestehe die Möglichkeit, Lebensmittel
- wenn auch zu gestiegenen Preisen - zu kaufen; hierzu seien monatlich ca. 120
DM aufzuwenden. Die Versorgung der Bevölkerung in den ländlichen Gebieten
werde durch Hilfsorganisationen sichergestellt (Auswärtiges Amt, Auskunft vom
26. Juli 2000 an VG München). Im nachfolgenden Lagebericht wurde jedoch
ausgeführt, die Grundversorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln sei nicht
gewährleistet. Die eritreischen Behörden seien angesichts der wirtschaftlichen
Lage und der hohen Anzahl von Flüchtlingen mit der Aufgabe der Versorgung der
Bevölkerung völlig überfordert, die daher aus dem Ausland erfolgen müsse
(Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 10. November 2000). Weiter geht das
Auswärtige Amt in diesem Lagebericht davon aus, dass in ländlichen Gebieten die
Grundversorgung mit Nahrungsmitteln im wesentlichen durch Hilfsorganisationen
wie die eritreische Hilfsorganisation ERREC sichergestellt sei, die nicht nur in
Camps untergebrachte Inlandsflüchtlinge, sondern auch in Dörfern lebende
Dürreopfer versorge. Dabei hängt aber nach der Auskunft der Umfang der
Versorgung sowohl vom Umfang der vorhandenen Hilfsgüter bzw. deren
Lieferungen als auch von den Transportkapazitäten ab und der Transport von
Hilfsgütern in entlegenere Landesteile finde zum Teil nur unregelmäßig statt.
Diesen Darlegungen kann insgesamt entnommen werden, dass auch die
Grundversorgung durch Hilfsorganisationen von den tatsächlichen Möglichkeiten
abhängig und damit nicht gesichert ist. Auch die Tatsachenangaben in den
Lageberichten lassen keinen Rückschluss auf eine vollumfängliche Sicherstellung
der Grundversorgung zu: So wird darauf hingewiesen, dass aus eigener Kraft eine
Grundversorgung nicht möglich ist und 60 Prozent der Bevölkerung von der
internationalen Gebergemeinschaft versorgt werden. Der Lagebericht vom 11.
April 2005 äußert sich lediglich allgemein dahingehend, dass die bisher prompte
und effiziente Hilfe der Hilfsorganisationen Krisensituationen verhindern konnte.
Nach anderen Quellen sind hingegen die Leistungen der internationalen
Gebergemeinschaft nicht ausreichend (dazu unten), die Frage der
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Gebergemeinschaft nicht ausreichend (dazu unten), die Frage der
Grundversorgung mit Lebensmitteln ist vielmehr differenziert zu bewerten. Nach
o.g. Auskunft von amnesty international vom 20. März 2002 dürfte die
Gewährleistung wesentlich davon abhängen, wo sich die Heimatgebiete der
Rückkehrer befinden und ob sie dorthin ungefährdet von Minen zurückkehren
können. Gegenwärtig kann mithin nicht von einer flächendeckenden
Grundversorgung aller bedürftigen Bevölkerungskreise ausgegangen werden.
Zum anderen ist nicht sichergestellt, dass auch Rückkehrer von der
internationalen oder der durch nationale Organisationen gewährten Hilfe
profitieren. So gibt das Institut für Afrika-Kunde an, die eritreische Regierung
verteile Nahrungsmittel an Flüchtlinge und sonstige Bedürftige, weist aber zugleich
darauf hin, eine Rückkehrerin aus Deutschland würde wohl nicht den notleidenden
Gruppen zugerechnet (Institut für Afrika-Kunde, Auskunft vom 9. Januar 2001 an
VG Regensburg). Diese Einschätzung deckt sich mit der des UNHCR (Auskunft an
das erkennende Gericht vom 18. Juli 2002), wonach aufgrund von
Finanzierungsengpässen zur Zeit nur bestimmte, besonders auf Unterstützung
angewiesene Personengruppen in die Lebensmittelverteilung einbezogen werden.
Nach alledem geht das Gericht in ständiger Rechtssprechung (vgl. Urt. v. 17.
November 2004, - 4 E 1362/04.A [3] -) davon aus, dass die
Lebensmittelversorgung der Menschen in Eritrea lediglich aufgrund des Einsatzes
von Hilfsorganisationen möglich ist und auch insoweit nicht sichergestellt ist, dass
Rückkehrer auf diese Weise eine Grundversorgung erfahren. Vielmehr wird es
zumindest mittellosen Rückkehrern unter den gegenwärtigen Umständen kaum
möglich sein, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten.
Angesichts dieser Situation in Eritrea erscheint dem Gericht eine Rückkehr der
Klägerin nach Eritrea zum gegenwärtigen Zeitpunkt unmöglich zu sein. Die
Klägerin ist gerade volljährig geworden. Zwar kann deshalb nicht mehr darauf
abgestellt werden, dass es in Eritrea keine staatlichen oder sonstigen
Aufnahmeeinrichtungen für unbegleitete Minderjährige gibt (vgl. Auswärtiges Amt,
Lagebericht vom 24. Mai 2006). Dennoch erscheint es dem Gericht nicht möglich
zu sein, dass sich die seit etwa dreieinhalb Jahren in der Bundesrepublik
Deutschland aufhaltende Klägerin in Eritrea allein über Wasser halten könnte. Die
Klägerin, die wohl nur in ihren ersten Lebensmonaten in Eritrea gelebt hat, könnte
bei einer Rückkehr nach Eritrea nicht auf die Hilfe ihrer Familie oder von
Verwandten hoffen. Die Klägerin hat ihre Mutter nie kennengelernt und weiß nichts
über deren Aufenthalt. Der Klägerin sind auch der Aufenthaltsort und das Schicksal
ihres in Äthiopien verhafteten Vaters nicht bekannt. Auch über das Schicksal der
schon über siebzigjährigen Großmutter ist nichts bekannt. Die Klägerin verfügt
auch nicht über eine Ausbildung, die es ihr ermöglichen würde, in Eritrea ohne
fremde Hilfe zu arbeiten und damit zu überleben. Hinzu kommt, dass eine
Abschiebung der Klägerin nur zusammen mit ihrem 05.08.2006 geborenen Kind
möglich erscheint. Wie die Klägerin auch noch einen Säugling in Eritrea ernähren
sollte, ist nicht zu erkennen. Nach alledem steht der Klägerin die Feststellung des
Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich
Eritreas zu.
Aufgrund des vorliegenden Abschiebungsverbots hinsichtlich Eritreas für die
Klägerin ist die in Ziffer 4. des angefochtenen Bescheides enthaltene
Abschiebungsandrohung insoweit rechtswidrig, als darin die Abschiebung nach
Eritrea angedroht wird.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen, weil sie unterlegen ist (§
154 Abs. 1 VwGO). Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylVfG. Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 167 VwGO,
708 Nr. 11, 711 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.