Urteil des VG Darmstadt vom 01.01.2005

VG Darmstadt: kosovo, serbien und montenegro, eltern, unechte rückwirkung, politische verfolgung, aufschiebende wirkung, bundesamt, geburt, asylverfahren, staat

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Gericht:
VG Darmstadt 1.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 G 1282/05.A
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 14a Abs 2 AsylVfG 1992, §
30 Abs 3 Nr 7 AsylVfG 1992
(Fiktion eines Asylantrages für im Bundesgebiet vor dem
01.01.2005 geborene Kinder)
Leitsatz
1. Zur Frage des Rechtsschutzinteresses für ein Verfahren, das die Beendigung des
durch Mitteilung der Ausländerbehörde nach § 14 a Abs. 2 AsylVfG eingeleiteten
Asylverfahrens zum Ziel hat.
2. § 14 a Abs. 2 AsylVfG ist auf vor dem 01.01.2005 im Bundesgebiet geborene oder in
das Bundesgebiet eingereiste Kinder einwendbar.
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens haben die Antragsteller zu tragen. Gerichtskosten
werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Die am Z. in Y. geborene Antragstellerin zu 1. sowie deren Schwester, die am X.
ebenfalls in Y. geborene Antragstellerin zu 2., sind Staatsangehörige von Serbien
und Montenegro. Ihre aus dem Kosovo stammenden Eltern waren 1998 nach Y.
eingereist und hatten Asylanträge gestellt, die mit Bescheid des Bundesamtes für
die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (nachfolgend: Bundesamt) vom
10.11.1999 abgelehnt worden waren. Das hiergegen erhobene Klageverfahren
wurde durch Beschluss des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 06.06.2000
wegen Klagerücknahme aufgrund Nichtbetreibens eingestellt (1E 2411/99.A). Ein
von den Eltern im Mai 2001 hinsichtlich des Vorliegens von
Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 6 AuslG gestellter Abänderungsantrag
wurde vom Bundesamt mit Bescheid vom 23.08.2001 abgelehnt. Die hiergegen
erhobene Klage ( 1 E 2077/01.A ) wurde mit rechtskräftigen Gerichtsbescheid des
Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 22.01.2004 abgewiesen.
Nachdem die Ausländerbehörde des Landkreises W. mit Schreiben vom
13.04.2005 dem Bundesamt die Geburt der Antragstellerinnen im Bundesgebiet
nach Asylantragstellung ihrer Eltern aufgrund des mit Wirkung vom 01.01.2005
durch Art. 3 Nr. 10 und Art. 15 Abs. 1 des Zuwanderungsgesetzes vom 30.07.2004
neu eingeführten § 14 a Abs. 2 AsylVfG angezeigt hatte, wurden Asylanträge als
gestellt erachtet. Mit Schreiben vom 04.05.2005 wurden die Eltern der
Antragstellerinnen zur Begründung des Asylantrages aufgefordert und auf die
Möglichkeit eines Verzichts auf die Durchführung eines Asylverfahrens
hingewiesen. Eine schriftliche Stellungnahme der gesetzlichen Vertreter hierzu
erfolgte nicht. Im Rahmen einer persönlichen Anhörung des Vaters der
Antragstellerinnen verwies dieser auf seine Ausreisegründe, die bereits
Gegenstand seiner eigenen Asylverfahren gewesen waren, und erklärte weiter,
dass eine Aufnahme seiner in Y. geborenen Töchter bei den Großeltern im Kosovo
auf Grund deren Erkrankung nicht möglich sei.
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Mit Bescheid vom 12.07.2005 lehnte das Bundesamt die Asylanträge als
offensichtlich unbegründet ab und stellte gleichzeitig fest, dass die
Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG offensichtlich nicht vorliegen und
Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 AufenthG nicht bestehen. Die
Antragstellerinnen wurden zur Ausreise binnen einer Woche aufgefordert; für den
Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde ihnen die Abschiebung nach Serbien
und Montene- gro angedroht. Wegen weiterer Einzelheiten dieser Entscheidung
wird auf Bl. 44 - 49 der Behördenakte verwiesen. Der Bescheid wurde als
Einschreiben am 18.07.2005 zur Post gegeben.
Am 22.07.2005 haben die anwaltlich vertretenen Antragstellerinnen Klage vor dem
erkennenden Gericht ( 1 E 1283/05.A ) erhoben und zugleich um die Gewährung
vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Zur Begründung führen sie aus, dass die
Anwendung des mit Wirkung vom 01.01.2005 neu eingeführten § 14 a Abs. 1
AsylVfG vorliegend in rechtswidriger Weise erfolgte. Die Anwendung des § 14 a
Abs. 1 AsylVfG scheide bereits aus, weil ein Asylverfahren der Eltern nicht mehr
anhängig gewesen sei. Aber auch § 14 Abs. 2 AsylVfG sei hier schon nach dem
Wortlaut nicht einschlägig, da die Antragstellerinnen weder am 01.01.2005 noch
danach in das Bundesgebiet eingereist oder hier geboren worden seien. Für die
Anwendung der Norm auf sogenannte "Altfälle" hätte es einer Übergangsregelung
bedurft (so VG Göttingen, Beschl. vom 17.03.2005 - 3 B 272/05 -). Eine solche
Übergangsregelung sei vom Gesetzgeber bewusst nicht getroffen worden, da
hierauf trotz entsprechender Hinweise im Gesetzgebungsverfahren verzichtet
worden sei. Die Norm gelte daher nur für minderjährige Kinder von Asylbewerbern
oder ehemaligen Asylbewerbern, die nach dem 01.01.2005 ins Bundesgebiet
eingereist oder nach diesem Datum hier geboren worden seien.
Die Antragstellerinnen beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin
vom 12.07.2005 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung verweist sie auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides und
führt weiter aus, § 14 a AsylVfG erfasse seit dem 01.01.2005 alle ledigen unter 16
Jahre alten Kinder mit Einreise bzw. Geburt in Y., wenn ein Elternteil nach Stellung
eines Asylantrages eine Aufenthaltsgestattung besitze oder sich nach Abschluss
des Verfahrens ohne Aufenthaltstitel oder mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25
Abs. 2 S. 1 AufenthG in Y. aufhalte. Eine gegenteilige Auffassung lasse sich dem
Gesetzeswortlaut nicht entnehmen. Vielmehr zeige das Fehlen einer
Übergangsregelung, dass auch Altfälle davon erfasst werden sollten. Dies ergebe
sich auch aus der Begründung des Gesetzesentwurfs (BT-Drs 15/420 - S. 108 - zu
Nr. 10), wonach durch die Fiktion der Antragstellung verhindert werden solle, dass
durch sukzessive Asylantragstellung überlange Aufenthaltszeiten ohne
aufenthaltsrechtliche Perspektive für die Betroffenen entstünden Damit würde
auch die Notwendigkeit für Altfall- oder Härtefallregelungen weitgehend entfallen.
Es handele sich auch nicht um eine Norm mit unzulässiger Rückwirkung von
Rechtsfolgen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn eine Norm für einen bestimmten
vor ihrer Verkündung liegenden Zeitraum Rechtsfolgen auslösen solle.
Rechtsfolgen für die Zeit vor dem 01.01.2005 würden jedoch nicht erzeugt, es
liege lediglich eine tatbestandliche Rückanknüpfung vor, die nicht zu beanstanden
sei. Im Übrigen bestehe auch kein schutzwürdiges Vertrauen in den Fortbestand
der vor dem 01.01.2005 bestehenden Rechtslage. Es sei nicht Sinn der vormaligen
Rechtslage gewesen, Ausländern ohne Aufenthaltsstatus faktisch einen längeren
Aufenthalt zu ermöglichen, indem sie über den Beginn des Asylverfahrens ihrer
Kinder selbst disponieren konnten. Dies sei vielmehr eine unberechtigte
Ausnutzung des Asylverfahrens gewesen, die durch die Neuregelung behoben
werden sollte. Diese Auffassung werde bestätigt durch die Beschlüsse des VG
Minden vom 14.06.2005 - 11 l 359/05.A - sowie des VG Gera vom 16.06.2005 - 1 E
20074/05 Ge, des VG Lüneburg vom 21.06.2005 - 2 B 24/05 und des VG Karlsruhe
vom 27.06.05 - A 4 K 10611/05)
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte dieses Verfahrens, des Klageverfahrens 1 E 1283/05.A sowie der
die Eltern betreffenden Klageverfahren 1 E 2411/99.A und 1 E 2077/01.A verwiesen
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die Eltern betreffenden Klageverfahren 1 E 2411/99.A und 1 E 2077/01.A verwiesen
nebst einem Hefter Behördenvorgänge, das Asylverfahren der Antragstellerinnen
betreffend, der zum Gegenstand der Entscheidungsfindung gemacht worden ist.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Bedenken bestehen bereits hinsichtlich der Zulässigkeit, da das Rechtsschutzziel,
die Beendigung des durch die Mitteilung der Ausländerbehörde des Landkreises W.
vom 13.04.2005 eingeleiteten Asylverfahrens, auf einfachere Weise durch eine
Verzichtserklärung gegenüber der Antragsgegnerin erreicht werden kann ( so auch
VG Lüneburg Beschl. v. 21.06.2005 - 2 B 24/05 . Hierauf waren die
Antragstellerinnen bereits im Rahmen der Aufforderung, die Asylanträge zu
begründen, mit Schreiben vom 04.05.2005 hingewiesen worden. Eine
beabsichtigte Vorgehensweise etwa derart, zunächst den ergangenen Bescheid
anzugreifen, um dann zu einem späteren Zeitpunkt einen Asylantrag stellen zu
können, erschiene rechtsmissbräuchlich und vermag jedenfalls kein rechtlich
schützenswertes Interesse an der Durchführung dieses Verfahrens zu begründen.
Am Fortbestand der bisherigen Praxis, wonach über den Zeitpunkt der
Asylantragstellung für ein minderjähriges Kind der erziehungsberechtigte
Asylbewerber bzw. abgelehnte Asylbewerber ohne eigenen Aufenthaltsstatus
tatsächlich selbst disponieren konnte, kann kein rechtlich schützenswertes
Interesse bestehen, da diese lediglich unter Ausnutzung der bisherigen
Unzulänglichkeiten des Asylverfahrensrechts erfolgte, die der Gesetzgeber mit der
Gesetzesnovellierung gerade beseitigen wollte.
Auch der Umstand, sich einerseits auf politische Verfolgung zu berufen, sich aber
andererseits gegen die Durchführung eines Asylverfahrens zu wenden, lassen den
vorliegenden Antrag als rechtsmissbräuchlich erscheinen.
Der Antrag ist aber jedenfalls unbegründet.
Vorläufigen Rechtsschutz gewährt das Gericht in Fällen der vorliegenden Art dann,
wenn Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Bundesamtes, den
Asylantrag als "offensichtlich unbegründet" abzulehnen, bestehen. Ohne Erfolg
bleibt ein solcher Antrag dann, wenn die gerichtliche Überprüfung der
Behördenentscheidung zu der Erkenntnis führt, dass an deren Richtigkeit
vernünftigerweise keinerlei Zweifel bestehen können und sich die Ablehnung des
Asylantrages geradezu aufdrängt, wobei diese gerichtliche Prüfung erschöpfend -
wenn auch nur mit Verbindlichkeit für das Eilverfahren - zu sein hat, denn im
Hinblick auf die sich aus einer ablehnenden, nicht mehr anfechtbaren gerichtlichen
Entscheidung ergebenden Konsequenzen für die Antragsteller - Pflicht zur
umgehenden Ausreise - darf das Maß an Richtigkeitsgewähr nicht hinter den
Anforderungen zurückbleiben, die an die Abweisung einer Klage als "offensichtlich
unbegründet" zu stellen sind (st. Rspr. BVerfG, vgl. Beschl. v. 16.06.1993 - 2 BvR
231/93 -, abgedruckt in DVBl. 1993, 1003 sowie grundlegend BVerfG, Beschl. v.
11.12.1985 - 2 BvR 361, 449/83 -, abgedruckt in BVerfGE 71, 276; Beschl. v.
02.05.1984 - 2 BvR 1413/83 -, abgedruckt in BVerfGE 76, 43; Beschl. v. 12.07.1983
- 1 BvR 1479/82 -, abgedruckt in BVerfGE 65, 76).
Vorliegend bleibt der Eilantrag deshalb ohne Erfolg, weil nach der Auffassung des
Gerichts keinerlei vernünftige Zweifel an der Richtigkeit des
"Offensichtlichkeitsurteils" des Bundesamtes bestehen können.
Insbesondere bestehen nicht deshalb Zweifel an der Richtigkeit des
"Offensichtlichkeitsurteils", weil dies in einem Asylverfahren erging, dem keine
Asylantragstellung der Antragstellerinnen zugrunde lag und deshalb ein
Asylverfahren überhaupt nicht hätte durchgeführt werden dürfen. Denn der
Asylantrag gilt gemäß § 14 a Abs. 2 S. 3 AsylVfG mit Zugang der Anzeige der
Ausländerbehörde vom 13.04.2005 beim Bundesamt am 02.05.2005 als gestellt.
Nach § 14 a Abs. 2 S. 1 AsylVfG ist dem Bundesamt unverzüglich anzuzeigen,
wenn ein lediges, unter 16 Jahre altes Kind eines Ausländers nach dessen
Asylantragstellung ins Bundesgebiet einreist oder hier geboren wird und ein
Elternteil eine Aufenthaltsgestattung besitzt oder sich nach Abschluss seines
Asylverfahrens ohne Aufenthaltstitel oder mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25
Abs. 5 S. 1 AufenthG im Bundesgebiet aufhält. Diese Voraussetzungen liegen hier
vor. Die im November 1998 und April 2002 geborenen Antragstellerinnen wurden
nach der Asylantragstellung ihrer Eltern am 11.08.1998 geboren und ihre Eltern
halten sich nach rechtskräftigem Abschluss ihrer Asylverfahren durch Beschluss
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halten sich nach rechtskräftigem Abschluss ihrer Asylverfahren durch Beschluss
der erkennenden Kammer vom 06.06.2000 bzw. Gerichtsbescheid vom
22.01.2004 ohne Aufenthaltstitel im Bundesgebiet auf. Ein Asylantrag galt damit
mit dem Zugang der Anzeige der Geburt der Kinder bei dem Bundesamt am
02.05.2000 als gestellt.
Unerheblich ist, dass § 14 a Abs. 2 AsylVfG erst am 01.01.2005 und damit nach
der Geburt der Antragstellerinnen in Kraft getreten ist. Für eine Anwendung der
Regelung auch auf solche sogenannten "Altfälle" spricht maßgeblich der
gesetzgeberische Wille, wonach durch die Fiktion der Asylantragstellung für ledige
Kinder bis zum vollendeten 16. Lebensjahr verhindert werden soll, dass durch eine
sukzessive Asylantragstellung überlange Aufenthaltszeiten in Y. ohne
aufenthaltsrechtliche Perspektiven für die Betroffenen entstehen (Begründung des
Zuwanderungsgesetzes BT-Drs. 15/420, S.108). Maßgeblicher Zeitpunkt dieser
Fiktion der Antragstellung ist der Zugang der Anzeige der Geburt (bzw. Einreise)
der Kinder beim Bundesamt. Diese Anzeigepflicht des Vertreters des Kindes sowie
der Ausländerbehörde besteht durch die gesetzliche Neuregelung seit dem
01.01.2005. Nicht entscheidend ist dagegen, wann die Geburt des Kindes erfolgte
(so auch VG Giessen, B.v. 17.08.2005,- 8 G 1802/05.A).
Die Anwendung der Norm auf vor Inkrafttreten der Neuregelung geborene Kinder
ist auch nicht deshalb zu beanstanden, weil dies eine unzulässige Rückwirkung von
belastendenden Rechtsfolgen für Sachverhalte bedeuten würde, in denen die
Gesetzesvorschrift mangels Verkündung noch nicht rechtlich existent gewesen sei
( so VG Göttingen, B. v. 17.03.2005 - 3 B 272/05), denn die Regelung ordnet keine
Rechtsfolgen für die Vergangenheit an, sondern knüpft lediglich tatbestandlich an
frühere Zeiträume, hier die Geburt der Kinder, an (sog. unechte Rückwirkung). Dies
ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Es werden hierdurch keine
Grundrechte der Betroffenen - auch nicht in Verbindung mit allgemeinen
rechtsstaatlichen Grundsätzen - verletzt, zumal ohnehin kein schützenswertes
Vertrauen in den Fortbestand der vorherigen Regelung über den Beginn eines
durchzuführenden Asylverfahrens besteht (vgl. VG Minden B. v. 14.06.2005, 11 L
359/05.A), wie bereits im Rahmen der Erörterung der Zulässigkeit des Antrages
ausgeführt wurde. Dies hat zur Konsequenz, dass die Vorschrift auch auf sog.
"Altfälle" anzuwenden ist. Asylanträge gelten hier danach als gestellt.
Die Asylanträge sind auch unbegründet, weil weder ein Anspruch auf Asyl noch auf
Feststellung eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG besteht,
denn sowohl nach der gefestigten Kammerrechtsprechung (siehe nur Urteil vom
06.11.2003 - 1 E 2232/00.A -) als auch derjenigen des Hess. VGH (Beschluss vom
26.03.2003 - 7 UE 847/01.A -, Beschluss vom 05.05.2003 - 7 UE 375/01.A -;
Beschluss vom 02.10.2003 - 7 UZ 765/01.A) albanische Volkszugehörige aus dem
Kosovo und auch Angehörige anderer ethnischer Minderheiten gegenwärtig und
auf absehbare Zeit in der serbischen Provinz Kosovo mangels effektiver
Gebietsgewalt des Staates hinreichend sicher vor politischer Verfolgung sind, denn
die Gebietsgewalt im Kosovo wird alleine von der UNMIK und den KFOR-Truppen
ausgeübt (siehe in diesem Zusammenhang auch VGH Baden-Württemberg,
Beschluss vom 16.03.2004 - A 6 S 219/04 -).
Diese Bewertung gilt auch in Ansehung der Regelung des § 60 Abs. 1 Satz 2 c)
AufenthG, wonach eine Verfolgung auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen
kann, sofern weder der Staat noch Parteien oder Organisationen, die den Staat
oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen, und auch internationale
Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz
vor Verfolgung zu bieten, denn zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind konkrete
Anhaltspunkte für die Annahme, den Antragstellerinnen würden durch
internationale Organisationen nicht der erforderliche Schutz vor Verfolgung zuteil
werden, nicht ersichtlich.
Allerdings ist nicht zu verkennen, dass es im März 2004 im Kosovo zu
gewalttätigen Auseinandersetzungen kam, die sich insbesondere gegen
Angehörige ethnischer Minderheiten richteten.
Soweit die Antragstellerinnen diesbezüglich geltend machen, sie gehörten der
Minderheit der Ashkali an, ist dieser Vortrag der Eltern der Antragstellerinnen in
deren Asylfolgeverfahren seitens der erkennenden Kammer allerdings als
unglaubhaft gewürdigt worden (Gerichtsbescheid v. 22.01.2004, 1 E 2077/01.A).
Letztlich kann die Richtigkeit dieser Behauptung aber dahinstehen, denn selbst
wenn man davon ausgehen wollte, die Antragstellerinnen gehörten der
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wenn man davon ausgehen wollte, die Antragstellerinnen gehörten der
Volksgruppe der Ashkali an, ergibt sich daraus nichts anderes.
Zur Lage der Minderheiten ergibt sich folgendes Bild:
UNHCR berichtete in seinem Positionspapier "Zur Schutzbedürftigkeit von
Personen aus dem Kosovo im Lichte der jüngsten ethnisch motivierten
Auseinandersetzungen" vom 30. März 2004 davon, dass sich die Lage der
Minderheiten aufgrund der gewalttätigen Auseinandersetzungen im März 2004
erneut erheblich verschlechtert habe. Unter dem Eindruck der Gewalteskalation
der letzten Wochen seien die Beziehungen zwischen den verschiedenen
ethnischen Gruppen im Kosovo extrem angespannt. Die momentane
Aufrechterhaltung der fragilen Sicherheitssituation basiere in erster Linie auf der
Anwesenheit der KFOR - Truppen. Das Vertrauen der Minderheitenangehörigen in
die Fähigkeit der KFOR - Truppen, sie und ihr Eigentum beschützen zu können, sei
tief erschüttert. Nach der allgemein vorherrschenden Auffassung werde die KFOR
im Falle eines erneuten Ausbruchs der Gewalt nicht mehr tun können, als
wiederum die Angehörigen der Minderheitengruppen zu evakuieren. Der Grad der
Zerstörung von privatem Wohnraum und zentralen Einrichtungen des öffentlichen
Lebens in Gegenden, in denen hauptsächlich Angehörige von Minderheiten lebten,
halte viele Binnenvertriebene davon ab, in ihre Heimatorte zurückzukehren. Diese
Faktoren würden auch auf lange Sicht ernsthafte Hindernisse für die Möglichkeit
einer Rückkehr darstellen.
In der Kurzinformation des Bundesamtes vom 05.04.2004 ("Schwere Unruhen im
Kosovo - Verlauf, Ursachen und aktuelle Situation") heißt es, im Zentrum der
Märzunruhen hätten vor allem die Serben und ihre Enklaven im Kosovo gestanden.
In Mitleidenschaft gezogen worden seien aber auch die meist in der Nähe von
serbischen Enklaven lebenden serbischsprachigen Roma. Auch gegenüber den
albanischsprachigen Roma, den Ashkali und den Ägyptern solle es zu Drohungen
und Einschüchterungen gekommen sein, es sei bekannt, dass es in der Stadt
Vucitrn Vertreibungen und gewalttätige Ausschreitungen gegen die Ashkali-
Bevölkerung gegeben habe, 67 Ashkali-Häuser seien verbrannt worden. Zu
Übergriffen auf Ashkali und Roma sei es auch in Obiliq, Fushe Kosove und Lipljan
gekommen. Nach Angaben von UNMIK und ORC seien etwa 390 Roma / Ashkali
vertrieben worden. Als Reaktion auf diese Ausschreitungen habe die NATO eine
Verstärkung ihrer Truppenpräsenz um 2.000 Mann angeordnet. Die KFOR-Truppen
hätten das Mandat erhalten, bei weiteren Ausschreitungen hart durchzugreifen.
Polizei und KFOR-Patrouillen und Check-Points seien wieder überall aktiviert.
Derzeit scheine die Situation unter Kontrolle, die Lage sei ruhig, werde aber als
sehr instabil bezeichnet. Neue Unruhen seien jederzeit denkbar.
Nicolaus von Holtey führt in seinem Bericht vom 06.04.2004 aus, am 18.03.2004
sei es zu einer massenhaften Vertreibung der Ashkali aus Vucitrn durch
gewalttätige albanische Volkszugehörige gekommen (vgl. in diesem
Zusammenhang auch Schweizerische Flüchtlingshilfe vom 24.05.2004: "Kosovo -
Update zur Situation der ethnischen Minderheiten nach den Ereignissen vom März
2004").
Ob die vorstehend wiedergegebenen Ereignisse die Annahme rechtfertigen, jeder
zur damaligen Zeit in den Kosovo zurückkehrende Angehörige einer ethnischen
Minderheit hätte wegen mangelnden Schutzes der internationalen Organisationen
Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG befürchten müssen, kann
hier mangels Entscheidungserheblichkeit dahingestellt bleiben. Gemäß § 77 Abs. 1
AsylVfG ist auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung
abzustellen. Nach Auswertung sämtlicher vorliegender Dokumente ist zur
Überzeugung des Gerichts nicht mit der erforderlichen Beachtlichkeit
wahrscheinlich, dass Volkszugehörige der Ashkali gegenwärtig und auf absehbare
Zeit im Falle einer Rückkehr in den Kosovo einer asylrechtlich relevanten
Verfolgung ausgesetzt sind, denn konkrete Anhaltspunkte für eine dahingehende
Annahme sind den vorliegenden Auskünften nicht zu entnehmen; vielmehr ist
davon auszugehen, dass die zwischenzeitlich personell weiter verstärkten und zu
deutlich konsequenterem Einschreiten angehaltenen internationalen
Organisationen ähnliche Ausschreitungen wie im März 2004 zu verhindern Willens
und auch in der Lage sind (siehe in diesem Zusammenhang auch Lagebericht des
AA vom 30.08.2005).
Die danach unbegründeten Asylanträge rechtfertigen schließlich auch das
"Offensichtlichkeitsurteil" des Bundesamtes, weil es unbegründete Asylanträge
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"Offensichtlichkeitsurteil" des Bundesamtes, weil es unbegründete Asylanträge
betrifft, die für die nach dem AsylVfG handlungsunfähigen Antragstellerinnen als
gestellt gelten, nachdem zuvor bereits die Asylanträge deren Eltern unanfechtbar
abgelehnt worden sind (§ 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylVfG).
Die Abschiebungsandrohung ist ebenfalls nicht zu beanstanden, denn sie
entspricht den gesetzlichen Vorgaben (vgl. § 34 AsylVfG, § 59 AufenthG).
Sie erweist sich auch nicht deshalb als fehlerhaft, weil darin kein Staat aufgeführt
ist, in den die Antragstellerinnen nicht abgeschoben werden dürfen ( § 59 Abs. 3 S.
2 AufenthG). Denn diese haben keinen Anspruch auf Feststellung, dass die
Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegen.
Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen
Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete
Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
Soweit sich die Antragstellerinnen in diesem Zusammenhang darauf berufen, als
Angehörige der Minderheit der Ashkali müssten sie Bedrohungen von extremen,
nationalistisch gesinnten Albanern befürchten, vermag dies einen Anspruch auf
Feststellung eines Abschiebungshindernisses nicht zu begründen. Insoweit nämlich
handelt es sich um Folgen der kriegerischen Auseinandersetzungen, die generell
jeden dort lebenden bzw. dorthin zurückkehrenden Angehörigen der genannten
Minderheit treffen können, also um Gefahren, denen diese Volksgruppe in ihrer
Gesamtheit ausgesetzt ist. In Ansehung der Regelung des § 60 Abs. 7 Satz 2
AufenthG sind dies jedoch Umstände, die regelmäßig von den obersten
Landesbehörden bei den nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu treffenden
Entscheidungen zu berücksichtigen sind, was im Umkehrschluss bedeutet, dass
solche Umstände grundsätzlich nicht geeignet sein können, einen individuellen
Abschiebungsschutz zu entfalten.
Allerdings ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass trotz der vorstehend
beschriebenen Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG (vormals: § 53 Abs.
6 Satz 2 AuslG) ein Rückgriff auf die Regelung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG
dann geboten ist, wenn der Ausländer bei einer Rückkehr wegen einer extremen
Gefahrenlage hinsichtlich seines Lebens und seiner körperlichen Unversehrtheit
aus verfassungsrechtlichen Gründen entsprechenden Schutzes bedarf (vgl. hierzu
BVerfG, Beschluss vom 21.12.1994 – 2 BvL 81,82 /92 – abgedruckt in NVwZ 1995,
S. 781).
Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist zunächst der Erlass des
Bundesministeriums des Innern vom 15.06.2004 zu sehen, demzufolge nach den
Expertengesprächen einer Bund-Länder-Delegation mit UNMIK im Juni 2004 eine
Rückführung der Ägypter bzw. Ashkali wegen der Ereignisse im März 2004 bis auf
weiteres nicht in Betracht kam. Zwischenzeitlich allerdings werden Angehörige
dieser Volksgruppen grundsätzlich nicht mehr als international schutzbedürftig
angesehen, so dass deren Rückführung wieder als möglich angesehen wird, wenn
auch zahlenmäßig begrenzt und nach Durchführung eines individuellen
Prüfverfahrens, das UNMIK sich vorbehalten hat (vgl. hierzu im Einzelnen Erlass
des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 23.05.2005 - II 41 23 d
05 05 05 02 - 3/04 -05/001). Die Modalitäten dieses Prüfverfahrens sind in dem
zwischen dem deutschen Bundesinnenminister und dem UNMIK-
Sonderbeauftragten am 31.03.2003 unterzeichneten "Memorandum of
Understanding" niedergelegt (siehe hierzu Rundverfügung des
Regierungspräsidiums Darmstadt vom 13.05.2003). Grundlage des Prüfverfahrens
ist danach eine von UNMIK übermittelte Liste von Gebieten bzw. Orten, deren
gegenwärtige Sicherheitssituation eine Rückkehr von Angehörigen der genannten
Minderheiten grundsätzlich zulässt. Seitens der deutschen Behörden sind die
Zurückzuführenden vorab unter Mitteilung näherer Angaben zu den Personen zu
melden; nach Prüfung bleibt es UNMIK vorbehalten, Einwendungen geltend zu
machen mit der Folge, dass dann die Rückführung im konkreten Einzelfall
unterbleibt.
Bei dieser Sachlage kann zur Überzeugung des Gerichts nicht davon gesprochen
werden, dass die Antragstellerinnen - selbst wenn man von deren Zugehörigkeit
zur Volksgruppe der Ashkali ausgeht - wegen ihrer Volkszugehörigkeit im Falle
ihrer Rückkehr existenziellen Gefahren ausgesetzt wären, was zu einer
verfassungskonformen Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG Veranlassung geben
könnte.
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Danach ist der Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die
Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 83 b AsylVfG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG)
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.