Urteil des VG Braunschweig vom 11.07.2013

VG Braunschweig: aufschiebende wirkung, verlängerung der frist, angemessene frist, psychologische begutachtung, fahreignung, könig, blutalkoholkonzentration, fahrrad, niedersachsen, einverständnis

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Zum Rechtsmittelverzicht aus Geldnot als
Gutachtenersatz
Der Rechtsmittelverzicht eines Betreuten steht einer vom Betreuer innerhalb
seines gerichtlich bestimmten Aufgabenkreises erhobenen Klage nicht
entgegen.
Zur Wirksamkeit eines dem Betreuten von der Führerscheinbehörde zur
"Kostenersparnis" abgenommenden Rechsmittelverzichts bei Untersagung
des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge im Straßenverkehr.
Der Hinweis auf fehlende finanzielle Mittel stellt für sich genommen keine
Weigerung zur Vorlage eines geforderten Gutachtens dar.
VG Osnabrück 6. Kammer, Beschluss vom 11.07.2013, 6 B 34/13
§ 11 Abs 8 FeV, § 62 Abs 4 VwGO, § 53 ZPO
Tenor
Die aufschiebende Wirkung wird bezüglich des Bescheids des Antragsgegners
vom 21.3.2013 wiederhergestellt.
Die aufschiebende Wirkung entfällt, wenn der Antragsteller nicht binnen
Monatsfrist ab Zustellung dieses Beschlusses Klage gegen diesen Bescheid
erhebt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 1.250 € festgesetzt.
Dem Antragsteller wird für das Verfahren im ersten Rechtszug
Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Rechtsanwalts B., A-Stadt, bewilligt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die Untersagung des Führens von
fahrerlaubnisfreien Kraftfahrzeugen und Fahrzeugen aller Art.
Sein Antrag auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis vom 22.9.2008 wurde vom
seinerzeit zuständigen Landkreis Osnabrück am 1.7.2009 abschlägig
beschieden, nachdem sein Betreuer mit Schreiben vom 26.2.2009 unter
Beifügung seiner Betreuerbestellung mitgeteilt hatte, dass der Antragsteller
wegen fehlender finanzieller Mittel ein von ihm gefordertes Gutachten nicht
beibringen könne. Ausweislich der zu den Verwaltungsvorgängen genommenen
Betreuerbestellung umfasst der Aufgabenkreis des Betreuers insbesondere die
Vermögenssorge sowie Rechts- / Antrags- und Behördenangelegenheiten und
der Betreuer vertritt den Antragsteller im Rahmen seines Aufgabenkreises
gerichtlich und außergerichtlich.
Durch polizeiliche Mitteilung erhielt der Antragsgegner Kenntnis davon, dass der
Antragsteller am 10.5.2010 mit einem Fahrrad am Straßenverkehr teilgenommen
hatte, obwohl er einen Atemalkoholwert von 1,84 ‰ und ausweislich eines seit
dem 28.7.2010 rechtskräftigen Strafbefehls einen Blutalkoholwert von
mindestens 2,33 ‰ aufwies.
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Am 21.3.2013 untersagte der Antragsgegner dem Antragsteller mit sofortiger
Wirkung das „Führen von fahrerlaubnisfreien Kraftfahrzeugen (z.B. Mofa) und
Fahrzeugen aller Art (z.B. Fahrrad)“ gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m. §§ 11, 13 FeV, weil
er „die zum Führen von solchen Kraftfahrzeugen erforderliche Eignung“ nicht
besitze. Eine Rechtsbehelfsbelehrung ist dem Schreiben nicht beigefügt. Der
Antragsgegner ließ den Antragsteller dabei die nachfolgende Erklärung
unterzeichnen:
„Mit der Untersagung erkläre ich mich einverstanden. Auf die Zustellung
eines formellen Bescheids und auf die Einlegung von Rechtsmitteln
verzichte ich aus Kostengründen. Ich bin nicht mehr berechtigt
fahrerlaubnisfreie Kraftfahrzeuge und Fahrzeuge aller Art im
Straßenverkehr zu führen.“
Mit Schreiben vom 12.4.2013 hat der Bevollmächtigte des Antragstellers gegen
diese Untersagung Widerspruch erhoben und die Einverständniserklärung des
Antragstellers angefochten.
Am 24.5.2013 hat der Antragsteller die Gewährung einstweiligen
Rechtsschutzes und von Prozesskostenhilfe beantragt. Zur Begründung macht
sein Bevollmächtigter geltend, die Untersagungsverfügung sei nicht
bestandskräftig Eine Rechtsbehelfsbelehrung fehle. Die Jahresfrist für die
Klageerhebung sei nicht abgelaufen. Die Erklärung des unter Betreuung
stehenden Antragstellers sei nicht wirksam. Der Antragsteller habe die
Reichweite der ihm vom Antragsgegner abverlangten Erklärung nicht absehen
können. Ihm sei nicht bewusst gewesen, das mit der Erklärung ein
Rechtsmittelverzicht verbunden gewesen sei. Ihm sei lediglich vermittelt worden,
dass er Kosten sparen würde, wenn er die Erklärung unterschreibe. Auch
werden Einwände gegen ein Verlangen nach einem medizinisch-
psychologischen Gutachten wie auch gegen einen Schluss auf eine fehlende
Eignung bei Nichtvorlage eines geforderten Gutachtens erhoben; hierauf wird
wegen der Einzelheiten Bezug genommen. Insbesondere wird geltend gemacht,
dass dem Einwand des Antragstellers, er verfüge nicht über die notwendigen
finanziellen Mittel, nicht in gleicher Weise begegnet werden könne, wie bei
einem Inhaber einer Fahrerlaubnis, bei dem der Gesetzgeber daran anknüpfen
könne, dass das Halten und Führen von Kraftfahrzeugen eine gewisse
finanzielle Leistungsfähigkeit voraussetze. Damit sei die Situation eines
Fahrradfahrers wie dem Antragsteller nicht vergleichbar.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung seiner noch zu erhebenden Klage
wiederherzustellen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er macht geltend, der Antrag sei unzulässig, denn nicht Widerspruch sondern
Klage sei der gebotene Rechtsbehelf. Seine Untersagungsverfügung sei infolge
des Rechtsmittelverzichts unanfechtbar geworden. Dieser sei nicht
durchgreifend angefochten worden. Die Anfechtung sei nicht unverzüglich
erfolgt und ein Anfechtungsgrund liege nicht vor. Auch materiell sei die
Untersagungsverfügung rechtmäßig. Nach § 13 Satz 1 Nr. 2 FeV könne vom
Antragsteller die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens
verlangt werden und gemäß § 11 Abs. 8 FeV dürfe bei Weigerung oder
Nichtvorlage auf seine fehlende Fahreignung geschlossen werden.
Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen
des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen
Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
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II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
Gemäß § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung
einer Klage auf Antrag anordnen oder wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor
Klageerhebung zulässig (§ 80 Abs. 5 S. 2 VwGO). Die gerichtliche Entscheidung
erfolgt aufgrund einer Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der
sofortigen Vollziehung einerseits und dem Interesse des
Rechtsschutzsuchenden an der vorläufigen Aussetzung des angefochtenen
Verwaltungsakts andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind die
Erfolgsaussichten der Klage zu berücksichtigen. Bei offensichtlicher
Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts überwiegt regelmäßig das
öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung, während bei ernstlichen
Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts regelmäßig dem
Aussetzungsinteresse des Rechtsschutzsuchenden Vorrang einzuräumen ist.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze überwiegt vorliegend das private
Interesse des Antragstellers, weil der angefochtene Bescheid voraussichtlich
rechtswidrig ist.
Dem steht nicht bereits entgegen, dass die mit sofortiger Wirkung versehene
Untersagungsverfügung infolge eines Rechtsmittelverzichts des Antragstellers in
Bestandskraft erwachsen wäre. Zwar ist der unter Betreuung stehende
Antragsteller grundsätzlich in seiner Geschäftsfähigkeit nicht beschränkt und
auch prozessfähig (§ 62 Abs. 1 VwGO), denn die Bestellung seiner Betreuerin
weist keinen Einwilligungsvorbehalt aus (§§ 1896, 1901 Abs. 1, 1902, 1903 Abs.
1 BGB), doch begibt sich ein Betreuter durch einen „Rechtmittelverzicht“ der
Möglichkeit, eine dem prozessualen Verfahrensrecht zuzuordnende und
deshalb in der jeweiligen Prozessrechtsmaterie des einzuschlagenden
Rechtswegs geregelte Prozesshandlung, nämlich den Rechtsbehelf der
Klageerhebung vorzunehmen. Insoweit treffen die Prozessordnungen
Sonderregelungen. Vorliegend einschlägig ist § 62 Abs. 4 VwGO i.V.m. § 53
ZPO, wonach eine prozessfähige Person, die durch einen Betreuer vertreten
wird, für den Rechtsstreit einer nicht prozessfähigen Person gleichsteht.
Rechtsfolge dieser Bestimmungen ist es, dass dem Betreuer eine
Prozesshandlungen des Betreuten derogierende Kompetenz zur
Prozesshandlung und damit zum Führen des Prozesses zusteht, die von
Prozesserklärungen wie auch einem - im Übrigen bedeutsamen - Verzicht des
Betreuten auf ein Rechtsmittel unberührt bleibt. Deshalb steht der Antragstellung
und Klageerhebung im Namen des Antragstellers durch seine Betreuerin der
vom Betreuten gegenüber dem Antragsgegner erklärte „Rechtsmittelverzicht“
nicht entgegen, so dass die Frage der Wirksamkeit der dem Betreuten vom
Antragsgegner abgenommenen Erklärung im Übrigen dahingestellt bleiben
kann. Ob dies auch für das dem Prozessrecht zugeordnete
verwaltungsgerichtliche Vorverfahren nach §§ 68 ff VwGO, mithin für den
Widerspruch, in gleicher Weise gilt, kann vorliegend dahingestellt bleiben, da
gegen die Untersagungsverfügung kein Vorverfahren durchzuführen, sondern
unmittelbar Klage zu erheben war, wie der Beklagte zu Recht geltend gemacht
hat. Vorliegend erstreckte sich die Betreuung ausweislich der
Betreuerbestellung unmittelbar auf „Rechts- / Antrags- und
Behördenangelegenheiten“, wozu nach § 1902 BGB - wie auch die
Betreuerbestellung ausweist - insbesondere die gerichtliche Vertretung des
Betreuten gehört. In diesen Aufgabenkreis fällt unzweifelhaft die Vertretung des
Antragstellers gegenüber dem Beklagten im vorliegenden
straßenverkehrsrechtlichen Untersagungsverfahren.
Die Rechtsmacht des Betreuten, daneben weiterhin uneingeschränkt materiell-
rechtliche Verfügungen treffen zu können, spielt im vorliegenden
Zusammenhang keine Rolle. Eine derartige Rechtshandlung hat der
Antragsteller nicht vorgenommen. Eine solche Bedeutung hat das von ihm
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erklärte Einverständnis mit der Untersagungsverfügung deshalb nicht, weil es
sich gerade um eine einseitige, hoheitliche Regelung mit Außenwirkung, nämlich
durch Verwaltungsakt und nicht um einen (öffentlich-rechtlichen) Vertrag
handelt, so dass einem Einverständnis des Adressaten allein eine
verfahrensrechtliche Bedeutung im Sinn eines Verzichts auf einen möglichen
Rechtsbehelf zukommt. Die dem Antragsteller vom Antragsgegner
abgenommene Erklärung geht in ihrer rechtlichen Wirkung deshalb über einen
„Rechtsmittelverzicht“ nicht hinaus.
Die Bestandkraft der Untersagungsverfügung tritt im Übrigen nicht vor Ablauf
eines Jahres ein, weil ihr eine Rechtsbehelfsbelehrung nicht beigefügt war,
worauf der Bevollmächtigte des Antragstellers zutreffend abstellt. Ist demzufolge
die Klagefrist noch nicht abgelaufen und eine Klageerhebung durch die
Betreuerin im Namen des Antragstellers weiterhin möglich, so ist auch die
Antragstellung nach § 80 Abs. 5 VwGO schon vor Klageerhebung (so
ausdrücklich Satz 2 der Regelung) zulässig. Dass die Betreuerin für den
Antragsteller zuvor einen nach § 68 Abs. 1 VwGO prozessrechtlich nicht
gebotenen Widerspruch beim Beklagten erhoben hat, hindert die Antragstellung
nicht. Einen solchen Widerspruch kann der Beklagte als Gegenvorstellung
werten oder - wie vorliegend - als unzulässig behandeln, ohne dass dies für die
Frage der Zulässigkeit prozessualen Rechtsschutzes für sich genommen
Bedeutung erlangt.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die gegenüber dem Antragsteller
ausgesprochene Untersagung, im Straßenverkehr fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge
zu führen, lagen im Zeitpunkt der Untersagungsverfügung nicht vor. Zwar könnte
sich eine Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen
Gutachtens als rechtmäßig erweisen (1.), doch ist eine solche Anordnung
bislang vom Beklagten nicht getroffen worden. Hierfür ist den
Verwaltungsvorgängen nichts zu entnehmen. Vielmehr hat sich der Beklagte
diese Anordnung nach dem Inhalt der Untersagungsverfügung und dem dem
Antragsteller abgenommenen „Rechtsmittelverzicht“ aufgrund dessen
angenommenen Einverständnisses gespart. Eine Weigerung im Sinn des § 11
Abs. 8 FeV, die indes wohl zunächst jedenfalls im Regelfall eine prüffähige
Gutachtenanordnung voraussetzen dürfte, ist in dem Einwand des
Antragstellers, er verfüge nicht über die notwendigen finanziellen Mittel, nicht zu
sehen (2.)
(1.) Zur Frage der Anordnung der Beibringung eines medizinisch-
psychologischen Gutachtens hat die Kammer mit Beschluss vom 9.8.2012 - 6 B
59/12 - ausgeführt:
„Gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV darf die Fahrerlaubnisbehörde auf die
fehlende Fahreignung des Betroffenen schließen, wenn dieser sich
weigert, sich einer nach den straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften
vorgesehenen Eignungsuntersuchung zu unterziehen oder das von der
Behörde geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Voraussetzung
hierfür ist zunächst, dass die Anordnung einer solchen Untersuchung
ihrerseits rechtmäßig war (vgl. BVerwG, U. v. 5.07.2001 - 3 C 13.01 -, NJW
2002, 78 m.w.N.). Dies ist hier entgegen der Auffassung des Antragstellers
hinsichtlich der Gutachtenanordnung des Antragsgegners vom 05.05.2012
der Fall. Angesichts der vom Antragsteller am 03.10.2008 unter
erheblichem Alkoholeinfluss (Blutalkoholkonzentration: 1,81 ‰)
begangenen Trunkenheitsfahrt hat der Antragsgegner zu Recht
angenommen, dass Bedenken an der Fahreignung des Antragstellers
i.S.d. Ziff. 8.1 der Anlage 4 zur FeV (Alkoholmissbrauch) bestehen, die ihn
gemäß § 46 Abs. 3 FeV dazu berechtigten, dieser Frage weiter
nachzugehen. In diesem Zusammenhang kommt es rechtlich nicht darauf
an, dass der Antragsteller die genannte Trunkenheitsfahrt „lediglich“ mit
einem Fahrrad begangen hat (und im vorliegenden gerichtlichen Verfahren
allein seine Berechtigung zum Führen von Fahrrädern erstreiten möchte).
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Denn Ziff. 8.1 der Anlage 4 zur FeV hat insoweit - in Übernahme der zuvor
praktizierten ständigen Verwaltungsrechtsprechung (vgl. BVerwG, U. v.
21.05.2008 - 3 C 32.07 -, NJW 2008, 2601; U. v. 27.09.1995 - 11 C 34.94 -,
DVBl. 1996, 165; OVG Lüneburg, B. v. 11.07.2008 - 12 ME 136/08 -; VG
Oldenburg, B. v. 24.03.2009 - 7 B 457/09 -, jew.
www.dbovg.niedersachsen.de, m.w.N.) - eine Klarstellung im Wortlaut
dahingehend erfahren, dass der Normgeber nunmehr in Kenntnis des
unterschiedlichen Bedeutungsgehalts der Begriffe „Fahrzeug“ und
„Kraftfahrzeug“ für die Definition des (eignungsausschließenden)
Alkoholmissbrauchs nur noch an das Führen von Fahrzeugen - und nicht
wie zuvor Kraftfahrzeugen - anknüpft. Dementsprechend umfasst die der
Fahrerlaubnisbehörde durch § 3 Abs. 1 und 2 FeV eröffnete Möglichkeit,
ungeeigneten Personen das Führen von Fahrzeugen zu untersagen bzw.
im Vorfeld eine Eignungsüberprüfung nach Maßgabe der §§ 11-14 FeV zu
verlangen, auch fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge wie z.B. Fahrräder (vgl. OVG
Lüneburg, B. v. 01.04.2008 - 12 ME 35/08 -, juris = NJW 2008, 2059). Zur
Klärung der hier in Rede stehenden Eignungsfrage war gemäß § 13 Satz 1
Ziff. 2 c) FeV) die Beibringung eines medizinisch-psychologischen
Gutachtens anzuordnen, weil der Antragsteller bei dem fraglichen Vorfall
ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6
‰ oder mehr geführt hatte. Diese vom Verordnungsgeber zwingend
vorgesehene Folge kann nicht mit dem vom Antragsteller angeführten
Argument umgangen werden, er müsse sich der angeordneten
Begutachtung deshalb nicht unterziehen, weil seit dem genannten Vorfall
mittlerweile ein Zeitraum von drei Jahren und acht Monaten verstrichen
und er während dieser gesamten Zeit in keiner Weise im Straßenverkehr
auffällig geworden sei. Vielmehr darf eine solche Gutachtenanordnung bei
- wie hier - in das Verkehrszentralregister einzutragenden
Verkehrszuwiderhandlungen, auch wenn diese ggf. schon längere Zeit
zurückliegen, regelmäßig so lange erfolgen, wie die entsprechenden
Eintragungen noch nicht tilgungsreif sind (vgl. Hentschel/König/Dauer,
Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., § 13 FeV Rn. 22 m.w.N.). Letzteres ist hier
bezüglich der vom Antragsteller im Oktober 2008 begangenen
Trunkenheitsfahrt, für die eine zehnjährige Tilgungsfrist gilt (§ 29 Abs. 1
Satz 2 Nr. 3 StVG), ersichtlich nicht der Fall. Vor diesem Hintergrund hat
das OVG Lüneburg (B. v. 25.04.2007 - 12 ME 142/07 - Blutalkohol 2008,
146) eine entsprechende Gutachtenanordnung daher auch nach einer
bereits mehr als 7 Jahre zurückliegenden Trunkenheitsfahrt mit einer
Blutalkoholkonzentration von 1,6 ‰ nicht beanstandet.“
Hieran dürfte festzuhalten sein.
(2.) Indes hat die Kammer in diesem Beschluss sodann mit Blick auf den
Einwand fehlender finanzieller Mittel des Antragstellers zur Bestreitung der
Gutachtenkosten weiter ausgeführt:
„Da sich der Antragsteller der mithin zu Recht geforderten medizinisch-
psychologischen Begutachtung bislang unstreitig nicht unterzogen hat, ist
der Anwendungsbereich des § 11 Abs. 8 FeV, wonach die
Fahrerlaubnisbehörde in solchen Fällen auf die Nichteignung des
Betroffenen schließen darf, zwar grundsätzlich eröffnet. Eine Anwendung
dieser Vorschrift setzt im konkreten Einzelfall jedoch voraus, dass die
Nichtvorlage des Gutachtens ohne ausreichenden Grund erfolgt ist, weil
nur dann die in der Vorschrift zum Ausdruck kommende Vermutung
berechtigt ist, der Betroffene wolle durch sein Verhalten einen ihm
bekannten Eignungsmangel verbergen (vgl. Hentschel/König/Dauer, aaO,
§ 11 FeV Rn. 22 m.w.N.; VGH München, B. v. 09.02.2005 - 11 CS 04.2438
-, juris). Eine derartige Schlussfolgerung erscheint hier nach dem derzeit
überschaubaren Sachverhalt nicht ohne weiteres gerechtfertigt. Der
Antragsteller hat zwar auf die Gutachtenanordnung des Antragsgegners
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vom 05.05.2012 zunächst nicht reagiert, im Rahmen seiner nachfolgenden
Anhörung zur Entziehung der Fahrerlaubnis jedoch mit Schreiben vom
04.06.2012 darauf hingewiesen, dass er derzeit nicht in der Lage sei, eine
medizinisch-psychologische Begutachtung zu finanzieren; zugleich hat er
ausdrücklich seine Bereitschaft erklärt, sich der geforderten Begutachtung
zu unterziehen, sobald er dazu finanziell in der Lage sei. Eine derartige
Erklärung muss angesichts der Gefahren, die von (möglicherweise)
ungeeigneten Fahrzeugführern für andere Verkehrsteilnehmer ausgehen,
zwar nicht regelmäßig oder gar zwingend dazu führen, dass die
Fahrerlaubnisbehörde von einer Entziehung der Fahrerlaubnis bzw. dem
Verbot des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge absieht. Die Behörde
wird eine solche Erklärung aber jedenfalls dann, wenn keine
durchgreifenden Zweifel an dem von dem Betroffenen geltend gemachten
finanziellen Unvermögen bzw. der Ernsthaftigkeit der erklärten
Begutachtungsbereitschaft bestehen, unter dem Gesichtspunkt der
Verhältnismäßigkeit einer Fahrerlaubnisentziehung zumindest zum Anlass
nehmen müssen, Überlegungen dahingehend anzustellen, wie diesem
(ggf. nur vorübergehenden) Hinderungsgrund auch unter Berücksichtigung
der Belange der Verkehrssicherheit angemessen Rechnung getragen
werden kann. Zu den insoweit denkbaren Maßnahmen kann etwa eine
Verlängerung der Frist zur Gutachtenvorlage oder eine eingehende
Erörterung der finanziellen Situation des Betroffenen - ggf. verbunden mit
der Erarbeitung eines Finanzierungsplans oder mit behördlichen
Hinweisen auf etwaige Finanzierungsmöglichkeiten durch Sozialleistungen
oder sonstige Fremdmittel - gehören (vgl. Hentschel/König/Dauer, aaO,
Rn. 22; VGH München, aaO). Derartige Erwägungen finden sich im
angefochtenen Bescheid, der bereits einen Tag nach Eingang des
genannten Schreibens des Antragstellers erlassen worden ist, nicht; dieser
beschränkt sich vielmehr auf den pauschalen Hinweis, „dass das vom
Antragsteller geltend gemachte finanzielle Unvermögen keine andere
Beurteilung rechtfertige und das von ungeeigneten Fahrzeugführern
ausgehende Risiko nicht aus finanziellen Gründen der Allgemeinheit
aufgebürdet werden könne“. Dies greift angesichts der konkreten
Gesamtumstände des vorliegenden Einzelfalls unter
Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten zu kurz, zumal sich weder aus dem
Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorgangs noch aus dem Vortrag des
Antragsgegners im gerichtlichen Verfahren Anhaltspunkte dafür ergeben,
dass es sich bei der Erklärung des Antragstellers vom 04.06.2012 lediglich
um einen vorgeschobenen Einwand handelt. Vielmehr hat der
Antragsgegner ausweislich eines in den Akten befindlichen
Gesprächsvermerks vom 14.06.2012 wenige Tage nach Erlass des
Bescheides die finanzielle Situation des Antragstellers eingehend mit
diesem erörtert und in diesem Zusammenhang „angesichts der
besonderen Umstände, die sich aus dem Verwaltungsvorgang in diesem
Einzelfall ergeben“, selbst signalisiert, ggf. auf die im Verwaltungsverfahren
angefallenen Verwaltungsgebühren zu verzichten. Derartige, die aktuelle
finanzielle Situation des Antragstellers berücksichtigende Überlegungen
wären bereits vor Erlass des angefochtenen Bescheides, der für den
Antragsteller weit einschneidendere Folgen als die Belastung mit
Verwaltungsgebühren hat, anzustellen gewesen. Demgemäß war dem
Begehren auf vorläufigen Rechtsschutz in dem vom Antragsteller
beantragten Umfang (§ 88 VwGO) zu entsprechen.“
Auch hieran dürfte festzuhalten sein. Der Antragsgegner hat insoweit keinerlei
Mühewaltung entfaltet, vielmehr den Einwand fehlender finanzieller Mittel
lediglich zum Anlass genommen, den Antragsteller aus vorgeblichen
Kostengründen zu einem Rechtsmittelverzicht zu bewegen. Dies greift indes zu
kurz. So war dem Antragsteller jedenfalls Gelegenheit zur Substantiierung
seines Vorbringens zu geben und ihm konkret zu benennen, welche
Erklärungen und Nachweise insoweit von ihm beizubringen waren.
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Vor diesem Hintergrund erscheint die vom Beklagten - nach eigener Darstellung
wohl ständig geübte - Verwaltungspraxis, sich von finanziell minder bemittelten
Personen unter Vorgabe von Kostenersparnissen
Rechtsmittelverzichtserklärungen unterschreiben zu lassen, in rechtsstaatlicher
Hinsicht höchst bedenklich. Dies gilt besonders hinsichtlich solcher Personen,
von denen ihm ausweislich der Verwaltungsvorgänge bereits bekannt war, dass
eine Betreuung mit einschlägigem Aufgabenkreis bereits gerichtlich angeordnet
war. Eine solche Verwaltungspraxis befremdet umso mehr, als mit einem
sofortigen Rechtsmittelverzicht keine erkennbaren Kostenersparnisse des
Betroffenen verbunden sind. Dem Betroffenen entstehen vielmehr auch bei
Ausschöpfung der Rechtsbehelfsfrist keine weiteren Kosten. Solche entstehen
vielmehr allenfalls dann, wenn er sich entschließt, einen Rechtsbehelf
einzulegen. Für diesen Fall greifen jedoch gerade die gesetzlichen
Bestimmungen über die Beratungs- und Prozesskostenhilfe, die es mittellosen
Personen ermöglichen sollen, unter Ausschluss bzw. unter Begrenzung des
Kostenrisikos ihren Rechtsschutz wahrzunehmen. Die vom Beklagten
behaupteten „Kostengründe“, die einen sofortigen Verzicht auf alle
Rechtsbehelfe nahelegen könnten, sind auch nicht in den Kosten für ein ggf. zu
forderndes Eignungsgutachten zu sehen. Vielmehr kann der Betroffene die ihm
für die Beibringung des Gutachtens zu setzende angemessene Frist zur Prüfung
der Frage ausschöpfen, ob er sich einer Begutachtung stellen kann und will.
Innerhalb dieser Frist kann er sich bemühen, Hilfe Dritter in Anspruch zu
nehmen, und der Behörde im Sinn vorstehend wiedergegebener
Rechtsprechung substantiiert darzulegen, warum er sich allein aus finanziellen
Gründen nicht in der Lage sieht, das Gutachten beizubringen. Selbst wenn er
indes die ihm gesetzte Frist ohne Weiteres verstreichen lässt, so bleibt es bei
der vom Beklagten sodann zu treffenden Regelung, ohne dass dem Betroffenen
daraus höhere Kosten erwachsen würden. Vielmehr zeigt sich, dass die dem
Antragsteller abverlangte Erklärung aus seiner objektiv bewerteten
Interessenlage keineswegs aus Kostengründen geboten ist. Der Zweck des ihm
abverlangten Rechtsmittelverzichts lag vielmehr - so typischerweise - in einer
insbesondere der Behörde dienlichen Verwaltungsvereinfachung und einer für
den Bürger rechtsschutzverkürzenden Verfahrensbeschleunigung, an der
jedoch der Antragsteller kein erkennbares persönliches Interesse haben konnte.
So ist dem Verwaltungsvorgang des Antragsgegners kein Anhalt dafür zu
entnehmen, dass der in fachlichen Fragen des Verwaltungsverfahrensrechts
und materiellen Verwaltungsrechts unbewanderte Antragsteller auch nur in
Ansätzen zuvor die notwendige Aufklärung erfahren hätte. Vielmehr legt die
Abfassung des Schreibens vom 21.3.2013 und der nachfolgenden Erklärung
des Antragstellers nahe, dass sich der Antragsgegner selbst über die
zutreffende rechtliche Einschätzung nicht im Klaren gewesen ist und den
Antragsteller dementsprechend fehlgeleitet hat. Der allenfalls noch denkbare
Einwand, dem Antragsteller seien die Kosten einer „formellen“ Bescheidung
oder ggf. einer vorhergehenden Gutachtenanordnung erspart geblieben, wäre
nur dann zutreffend, wenn der Beklagte in einem quasivertraglichen
Austauschgeschäft rechtswidrigerweise auf die für diese Maßnahmen selbst zu
erhebenden Verwaltungsgebühren absehen wollte bzw. abgesehen hat. Eine
solche „Vereinbarung“ trüge den Keim der Unwirksamkeit in sich. Aufgrund der
vergleichsweise bescheidenen Kostenforderung des Antragsgegners , die
insoweit in Rede steht, können aber diese Gebühren mit den „Kostengründen“ in
der dem Antragsteller abgenommenen Erklärung auch aufgrund des Kontextes,
in dem der „Rechtsmittelverzicht“ stand, nicht gemeint gewesen sein.
Dem Antragsteller, der seine Bedürftigkeit nachgewiesen hat, war aus
vorstehenden Gründen Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG.