Urteil des VG Braunschweig vom 08.05.2013

VG Braunschweig: veröffentlichung, niedersachsen, rechtsgrundlage, lebensmittel, bad, öffentlichkeit, sicherheit, futtermittel, verfassungsrecht, datenschutz

1
2
3
4
5
Zur Veröffentlichung von Verstößen gegen
Hygieneanforderungen im Internet
Bei erheblichen Bedenken gegen die Vereinbarkeit der Rechtsgrundlage mit
Verfassungsrecht überwiegen bei einer Folgenbetrachtung einstweilen die
einer Veröffentlichung entgegenstehenden privaten Interessen.
VG Osnabrück 6. Kammer, Beschluss vom 08.05.2013, 6 B 18/13
§ 40 Abs 1a S 1 Nr 2 LFGB
Tenor
Dem Antragsgegner wird vorläufig untersagt, die mit seinem Schreiben vom
4.4.2013 genannten Informationen auf der Internetplattform
www.verstoesse.lebensmittel-futtermittel-sicherheit.niedersachsen.de zu
veröffentlichen.
Diese Anordnung wird am 1.7.2013 unwirksam, falls bis dahin der Antragsteller
keine Klage erhoben hat oder der Antragsgegner erklärt hat, auf die
Veröffentlichung zu verzichten.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 5000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die Aufnahme betrieblicher Angaben auf
der unter www.verstoesse.lebensmittel-futtermittelsicherheit.niedersachsen.de
erreichbaren Internetplattform seitens des Antragsgegners.
Er betreibt eine Bäckerei. Am 31.10.2012 wurden anlässlich einer planmäßigen
Routinekontrolle von der Abteilung Veterinärwesen und Verbraucherschutz des
Antragsgegners 24 Verstöße festgestellt; insoweit wird auf die Niederschrift der
Betriebskontrolle nebst Anlage und Lichtbildmappe Bezug genommen, die der
Kammer als Bestandteil der beigezogenen Verwaltungsvorgängen vorliegen.
Nach vorheriger Anhörung hat der Antragsgegner durch Bescheid vom
13.3.2013 eine Geldbuße von 1.350.- € gegen den Antragsteller festgesetzt.
Mit Schreiben vom 4.4.2013 teilte der Antragsgegner dem Antragsteller mit,
welche betriebs- und anlassbezogene Daten er ab dem 22.4.2013 auf der o.g.
Internetplattform zu veröffentlichen beabsichtigte; auf die darin vom
Antragsgegner mitgeteilte Begründung der beabsichtigten Maßnahme wird
Bezug genommen.
Am 16.4.2013 hat der Antragsteller die Gewährung einstweiligen
Rechtsschutzes beantragt. Er macht geltend, die beanstandeten Mängel seien
bereits während des laufenden Bußgeldverfahrens abgestellt worden, weshalb
er gegen den Bußgeldbescheid keinen Einspruch eingelegt habe, um sich die
mit einer Fortführung des Verfahrens verbundenen Belastungen zu ersparen.
Unter Bezugnahme auf verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung vertritt der
6
7
8
9
10
11
12
13
Antragsteller die Auffassung, die beabsichtigte Veröffentlichung sei rechtswidrig.
Insbesondere falle angesichts der zwischenzeitlichen Abstellung der Mängel die
Abwägung zu seinen Gunsten aus, da durch eine Veröffentlichung die
wirtschaftliche Existenz seines Betriebs in Frage gestellt werden könne.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
dem Antragsgegner zu untersagen, auf der Internetplattform
www.verstoesse.lebensmittel-futtermittel-sicherheit.niedersachsen.de
die mit seinem Schreiben vom 4.4.2013 genannten Informationen zu
verbreiten.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er hat erklärt, bis zu einer Entscheidung des Gerichts im vorliegenden Verfahren
von einer Veröffentlichung auf der Internetplattform abzusehen. Unter Darlegung
seiner Rechtsauffassung macht er geltend, warum der vom Antragsteller
angegebenen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung nicht zu folgen sei.
Entgegen der Auffassung des Antragstellers sei auch nicht entschieden, dass
Hygienemängel grundsätzlich nicht veröffentlicht werden dürften. Vielmehr sei
die Entscheidung auf eine möglicherweise fehlende Vereinbarkeit mit
europarechtlichen Bestimmungen gestützt. Die insoweit erhobenen Bedenken
seien im Ergebnis jedoch nicht begründet. Mit der Entscheidung des EuGH vom
12.4.2013 - C-636/11 - sei die Vereinbarkeit auch geklärt.
Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen
des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen
Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung
eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis
zulässig, wenn dies zur Vermeidung wesentlicher Nachteile oder drohender
Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint; dabei hat der Antragsteller
den insoweit erforderlichen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch
glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Diese
Voraussetzungen sind vorliegend gegeben, da erhebliche Zweifel hinsichtlich
der Vereinbarkeit der gesetzlichen Rechtsgrundlage für die vom Antragsgegner
beabsichtigte Veröffentlichung bestehen und gravierende negative
wirtschaftliche Auswirkungen einer solchen Veröffentlichung auf den Betrieb des
Antragstellers zu befürchten sind, die wohl kaum wieder rückgängig zu machen
sein würden. Angesichts der offenen Fragen zur Verfassungsmäßigkeit der vom
Antragsgegner für die beabsichtigte Veröffentlichung herangezogene
Rechtsgrundlage des § 40 Abs. 1a Nr. 2 LFGB überwiegt im vorliegenden Fall
das Interesse des Antragstellers das vom Antragsgegner geltend gemachte
öffentliche Interesse an einer Veröffentlichung der anlässlich der
Betriebskontrolle festgestellten Mängel. Dabei war auch in den Blick zu nehmen,
dass die festgestellten Mängel - wie der Antragsteller unwidersprochen geltend
gemacht hat - bereits im Laufe des Bußgeldverfahrens behoben worden sind,
weshalb die mit der Veröffentlichung verfolgte Information der Öffentlichkeit von
verringerter Bedeutung ist. Auch fiele die von der gesetzlichen Regelung im
Grundsatz intendierte „Prangerwirkung“ wie auch die mit ihr einhergehenden
negativen wirtschaftlichen Auswirkungen auf den Betrieb des Antragstellers
voraussichtlich dadurch derzeit in erheblich gesteigertem Maße aus, weil die
wohl im Aufbau befindliche Internetplattform nach Eindruck der Kammer aktuell
nur einen Einzelnen bzw. vereinzelte branchenfremde Einträge aufweist,
wodurch der Betrieb des Antragstellers in besonderer Weise in den Fokus der
14
15
16
17
Öffentlichkeit gerückt würde.
Erhebliche Bedenken gegen die Vereinbarkeit des § 40 Abs. 1a Nr. 2 LFGB mit
höherrangigem Recht sind bereits in mehreren verwaltungsgerichtlichen
Entscheidungen dargelegt worden (vgl. OVG NRW, B. v. 24.4.2013, - 13 B
192/13 -, - 13 B 215/13 - und - 13 B 238/13 -, juris; BayVGH, B. v. 18.3.2013, - 9
CE 13.80 -, juris; OVG Rh-Pf., B. v. 13.2.2013 - 6 B 10035/13 -, juris; VGH Bad.-
Württ., B. v. 28.1.2013 - 9 S 2423/12 -, juris). Die Kammer nimmt insoweit Bezug
auf die Rechtsausführungen zur Vereinbarkeit mit dem Verfassungsrecht unter
dem Gesichtspunkt des Rechts des Antragstellers auf informationelle
Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 GG) und seine Berufsausübungsfreiheit (Art. 12
Abs. 1 GG) des OVG Nordrhein-Westfalen in dessen vorgenannten
Beschlüssen und macht sich diese Rechtsausführungen zu eigen. Diese
werden auch vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (vgl. BayVGH, a.a.O.,
Rn. 18) und vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (vgl. VGH Bad.-
Württ., a.a.O., Rn. 24) geteilt.
Angesichts dessen ist nicht entscheidungserheblich, dass infolge der
Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 12.4.2013 - C-636/11 - die
rechtlichen Bedenken hinsichtlich einer Vereinbarkeit der Rechtsgrundlage mit
europarechtlichen Bestimmungen wohl als ausgeräumt betrachtet werden
können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG. In
Anlehnung an Nr. 25.2 und Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die
Verwaltungsgerichtsbarkeit 2004 (NVwZ 2004, 1327) hat die Kammer den
Auffangwert angesetzt und von einer Reduzierung des Betrags im Eilverfahren
abgesehen.