Urteil des VG Braunschweig vom 02.09.2013

VG Braunschweig: ersatzvornahme, gefahr, betroffene person, öffentliche sicherheit, amtshandlung, unfall, kanal, erstellung, polizei, anfechtungsklage

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Zur Berechnung der Widerspruchsgebühr gegen einen
Kostenbescheid über eine Selbstvornahme durch die
Behörde
VG Stade 1. Kammer, Urteil vom 02.09.2013, 1 A 2744/12
§ 1 Abs 6 AllgGO ND, Tarifnr 108.5 AllgGO ND, Tarifnr 26.1 AllgGO ND, § 66 Abs 1
SOG ND, § 5 Abs 1 VwKostG ND, § 128 Abs 2 WasG ND
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid des Beklagten, mit dem dieser
Einsatzkosten erstattet verlangt, die ihm bei der Untersuchung und Abwicklung
eines wassergefährdenden Unfalls entstanden sind.
In den Morgenstunden des 11. Dezember 2011, einem Sonntag, fuhr die
Klägerin mit einem Einsatzfahrzeug der Polizei mit dem Kennzeichen D. von der
E. aus in den seitlich verlaufenden Kanal hinein. Vorangegangen war ein Unfall
der Klägerin mit ihrem eigenen PKW, mit dem sie von der Fahrbahn
abgekommen war. In einem unbeobachteten Moment gelang es der Klägerin,
sich hinter das Steuer des Streifenwagens zu setzen, mit dem die
herbeigerufene Polizei eingetroffen war, und diesen in den F. Kanal zu steuern.
Das Einsatzfahrzeug ging unter und trieb ab; die Klägerin konnte gerettet
werden.
Um 11:14 Uhr am 11. Dezember 2011 forderte die Polizei die untere
Wasserbehörde des Beklagten wegen des versunkenen Streifenwagens über
die Rufbereitschaft an. Im weiteren Tagesverlauf erfolgte der Einsatz eines
Mitarbeiters der unteren Wasserbehörde an der Unfallstelle. Die Arbeiten
dauerten bis um kurz nach 17:00 Uhr an; das Fahrzeug konnte nicht geborgen
werden. Am folgenden Tag, dem 12. Dezember 2011, setzte die untere
Wasserbehörde ihren Einsatz fort. Der Streifenwagen konnte schließlich um
16:05 Uhr geborgen werden.
Mit Schreiben vom 19. Dezember 2011 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass
beabsichtigt sei, sie als Verursacherin zu den Einsatzkosten heranzuziehen, die
bei der Bergung des Streifenwagens entstanden seien.
Mit Bescheid vom 10. Februar 2012 zog der Beklagte die Klägerin zu Kosten in
Höhe von 1.149,43 € heran. Diese Kosten setzen sich zusammen aus
Gebühren für 17 Stunden Ortsbesichtigung in Höhe von 952,00 € und für 2
Stunden Fertigung des Kostenfestsetzungsbescheides in Höhe von 112,00 €
sowie Auslagen für 276 km Wegstrecke in Höhe von 82,80 € und für die
Postzustellung in Höhe von 2,63 €. Als Kosten-grund gab der Beklagte die
Kontrolle notwendiger Maßnahmen zur Abwehr einer Gefahr durch Austritt
wassergefährdender Stoffe an.
Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin am 20. Februar 2012 Widerspruch.
Sie wies darauf hin, im Zeitpunkt des Unfalls wegen einer Psychose nicht
zurechnungsfähig gewesen zu sein. Mit Schreiben vom 20. September 2012
teilte der Beklagte mit, dem Widerspruch der Klägerin nicht abzuhelfen, weil die
Zurechnungsfähigkeit der Klägerin für eine öffentlich-rechtliche Kostenforderung
gegen sie keine Rolle spiele. Es komme allein darauf an, dass die Klägerin den
Unfall willentlich verursacht habe. Davon sei auszugehen, weil sie den
Streifenwagen in suizidaler Absicht in den Kanal gefahren habe. Dies gehe so
auch aus dem ärztlichen Bericht des Klinikums A. über den Zustand der Klägerin
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hervor, wo diese unmittelbar nach dem Unfall vom 11. Dezember 2011 bis zum
13. Dezember 2011 in Behandlung war. Dieser Bericht stellte als Hauptdiagnose
„Delir bei chronischer Alkoholkrankheit“ und als Differentialdiagnose eine
„Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis“.
Unter dem 4. Oktober 2012 bat die Klägerin um Erläuterung der Kosten, die der
Beklagte für seinen Einsatz geltend machte. Sie wies darauf hin, dass sie im
laufenden Strafverfahren psychiatrisch zu ihrer Schuldfähigkeit begutachtet
werde.
Mit Bescheid vom 21. November 2012 wies der Beklagte den Widerspruch der
Klägerin mit folgender Begründung zurück: Die Klägerin habe Anlass zum
Einsatz des Beklagten an der Unfallstelle gegeben. Auf ihre Geschäfts- oder
Schuldfähigkeit zum Unfallzeitpunkt komme es nicht an, maßgeblich sei alleine
ihr natürlicher Wille. Ein solcher sei gegeben gewesen. Der Klägerin sei ärztlich
bestätigt worden, dass sie „akut suizidal“, aber „ausreichend orientiert und im
Denken geordnet“ gewesen sei. Sie habe billigend in Kauf genommen, dass der
Einsatz von Rettungskräften und sonstige Maßnahmen erforderlich geworden
seien. Die Kostenberechnung sei auf Grundlage des erforderlichen
Zeitaufwandes für die einzelnen Amtshandlungen erfolgt. Im
Widerspruchsbescheid setzte die Beklagte Kosten in Höhe von 1.598,63 € für
das Widerspruchsverfahren fest.
Am 20. Dezember 2012 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie trägt vor, dass ihr
zum Zeitpunkt des Unfalls die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit gefehlt hätten.
Das psychiatrische Gutachten, welches vom Amtsgericht B. im Strafverfahren
gegen sie eingeholt worden sei, habe ergeben, dass sie an einer paranoiden
Schizophrenie leide. Diese zeichne sich durch Wahnvorstellungen,
Halluzinationen und Wahrnehmungsstörungen aus. Bereits mehrere Tage vor
dem Unfall habe sie unter akuten Symptomen einer schizophrenen Psychose
gelitten. Der Unfall sei unmittelbar auf akutes psychotisches Erleben
zurückzuführen. Ein willensgesteuertes und einsichtsvolles Handeln sei ihr
daher nicht möglich gewesen. Das Amtsgericht B. habe sie, die Klägerin,
aufgrund dieses Gutachtens wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen. Eine
Haftung für Kosten, die dem Beklagten beim Unfalleinsatz entstanden seien,
komme ebenfalls nicht in Betracht, weil ihr Verhalten nicht von einem natürlichen
Willen getragen gewesen sei. Die geltend gemachten Kosten seien zu hoch. Der
Bearbeitungsaufwand könne nicht nachvollzogen werden. Die Kosten des
Widerspruchsverfahrens seien ausgehend von einer fehlerhaften Bezugsgröße
errechnet worden. Die zurückgelegte Wegstrecke sei nicht nachvollziehbar.
Die Klägerin beantragt,
den Kostenbescheid des Beklagten vom 10. Februar 2012 und den
Widerspruchsbescheid vom 21. November 2012 aufzuheben,
hilfsweise,
die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er bezieht sich auf die bereits im Widerspruchsbescheid ergangene
Begründung und stellt heraus, dass es für die Erstattung von Kosten im
Zusammenhang mit einer Maßnahme der Gefahrenabwehr nur auf die
Kausalität zwischen dem Verhalten der Klägerin und der entstandenen Gefahr
ankomme. Die Höhe der Kosten sei nicht zu beanstanden. Die Anwesenheit
eines Mitarbeiters der unteren Wasserbehörde sei während des gesamten
Polizei- und Feuerwehreinsatzes erforderlich gewesen, weil nicht
auszuschließen gewesen sei, dass wasserrechtliche Sofortmaßnahmen wegen
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des möglichen Austritts von Betriebsstoffen aus dem gesunkenen
Einsatzfahrzeug hätten ergriffen werden müssen. Während des Einsatzes sei
der Grauwallkanal zeitaufwändig untersucht worden. Dabei seien auch
Wegstrecken mit dem PKW zurückgelegt worden. Bei einer
Wochenendrufbereitschaft sei die Einsatzstrecke nicht ab Behördensitz zu
ermitteln gewesen. Ein zweistündiger Aufwand für die Fertigung des
Kostenfestsetzungsbescheides sei nicht als überhöht anzusehen. Die Kosten
des Widerspruchsverfahrens seien korrekt angesetzt worden. Bezugspunkt sei
nicht allein die Gebühr für die Erstellung des Kostenbescheides, sondern die
insgesamt für die Amtshandlung erhobene Gebühr. Diese umfasse auch
diejenigen Kosten, die für die Gefahrenabwehr vor Ort entstanden seien.
Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen
des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen
Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Anfechtungsklage hat teilweise Erfolg. Der
Kostenfestsetzungsbescheid des Beklagten ist rechtmäßig und verletzt die
Klägerin nicht in ihren Rechten (I.). Die Festsetzung der Widerspruchsgebühr ist
jedoch teilweise rechtswidrig und verletzt die Klägerin insoweit auch in ihren
Rechten (II.).
Gegenstand der Anfechtungsklage ist gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 1
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) der ursprüngliche Verwaltungsakt in der
Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat. Gemäß § 79
Abs. 2 Satz 1 VwGO kann der Widerspruchsbescheid auch alleiniger
Gegenstand der Anfechtungsklage sein, wenn und soweit er gegenüber dem
ursprünglichen Verwaltungsakt eine zusätzliche Beschwer enthält. Aus der
isolierten Anfechtbarkeit des Widerspruchsbescheids bei zusätzlicher Beschwer
folgt, dass auch bei „Einheitsklagen“ nach § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO die in einem
Widerspruchsbescheid enthaltene zusätzliche Beschwer mit angefochten
werden kann (Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl. 2012, § 79 Rn.2). Dies gilt
jedenfalls dann, wenn der Kläger seine Klage nicht nur gegen den
Ausgangsbescheid in Gestalt des Widerspruchbescheides richtet, sondern
wenn ausdrücklich auch die im Widerspruchsbescheid enthaltene zusätzliche
selbständige Beschwer zum Gegenstand der Klage gemacht wird (vgl. VGH
Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.7.1996 - 8 S 1127/96, juris). So liegt der
Fall hier. Durch die Kostenfestsetzung in Höhe von 1.598,23 € im
Widerspruchsbescheid ist die Klägerin zusätzlich selbständig beschwert. Aus
ihrer Klagebegründung geht hervor, dass sie sich auch gegen diese
Kostenfestsetzung wendet. Ihr Klageantrag ist dementsprechend auf Aufhebung
des Ausgangsbescheides und des Widerspruchbescheides gerichtet.
I.
Der Kostenfestsetzungsbescheid vom 10. Februar 2012 ist rechtmäßig. Seine
Rechtsgrundlage ist § 66 Abs. 1 Niedersächsisches Gesetz über die öffentliche
Sicherheit und Ordnung (Nds. SOG) i.V.m. § 128 Abs. 2 Niedersächsisches
Wassergesetz (NWG) sowie §§ 1, 3, 5, 13 Niedersächsisches
Verwaltungskostengesetz (NVwKostG).
Gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG kann die Verwaltungsbehörde im Falle der
Verpflichtung einer Person zu einer vertretbaren Handlung diese Handlung auf
Kosten der Person selbst ausführen oder eine andere Person mit der
Ausführung der Handlung beauftragen. Gemäß § 128 Abs. 2 NWG trägt die
Kosten für Maßnahmen der Wasserbehörde zur Gefahrerforschung, zur
Ermittlung der Ursache und des Ausmaßes der Gefahr und des Verursachers
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sowie zur Beseitigung der Gefahr, wer ein Gewässer unbefugt oder in
Abweichung von festgesetzten Auslagen oder Bedingungen benutzt oder sonst
Pflichten nach den in Absatz 1 Satz 1 genannten Rechtsvorschriften verletzt und
dadurch eine Gefahr verursacht. § 128 Abs. 2 NWG hat neben den
Kostentragungsregelungen des Nds. SOG keine eigenständige Bedeutung,
soweit dort die Pflicht zur Kostentragung für wasserrechtliche
Gefahrenabwehrmaßnahmen dem Grunde nach geregelt wird. Insofern wird die
Pflicht des Verursachers zur Kostentragung lediglich klargestellt (Nds. OVG,
Beschluss v. 8.6.2012 - 13 LB 20/12, juris). Eigenständige Bedeutung erhält §
128 Abs. 2 NWG, soweit der Umfang der Kostentragung durch den Verursacher
betroffen ist. Demnach sind sämtliche Kosten im Zusammenhang mit der
Gefahrerforschung und -bekämpfung, auch solche für die Ermittlung und
Festlegung von Maßnahmen zur Beseitigung von Gefahren, vom Verursacher
zu tragen. Der Verursacherbegriff bestimmt sich nach den allgemeinen
ordnungsrechtlichen Grundsätzen; gemeint ist die sogenannte
Verhaltensverantwortlichkeit i.S. des § 6 Nds. SOG (Reffken/Elsner, NWG,
Stand Juni 2013, § 128 Rn. 8).
Voraussetzung der Heranziehung zu den Kosten für
Gefahrenabwehrmaßnahmen ist zunächst, dass die Maßnahmen des Beklagten
Teil einer rechtmäßigen Ersatzvornahme waren (Nds. OVG, Beschluss v.
8.6.2012 - 13 LB 20/12, juris m.w.N.). In Betracht kommt hier nur eine
Ersatzvornahme im Wege des Sofortvollzugs gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
Nds. SOG. Danach können Zwangsmittel ohne vorausgehenden
Verwaltungsakt angewendet werden, wenn dies zur Abwehr einer
gegenwärtigen Gefahr erforderlich ist, insbesondere weil Maßnahmen gegen
Personen nach den §§ 6 bis 8 Nds. SOG nicht oder nicht rechtzeitig möglich
sind oder keinen Erfolg versprechen und die Verwaltungsbehörde hierbei
innerhalb ihrer Befugnisse handelt. Ein Tätigwerden auf dieser Grundlage
kommt aufgrund der besonders schwer wiegenden Form dieses behördlichen
Eingriffs nur in besonderen Eilfällen und jeweils nur in letzter Linie in Betracht,
nachdem alle anderen Möglichkeiten der Gefahrenabwehr sorgfältig geprüft
worden sind (vgl. Nds. OVG, Urt. des 7. Senats v. 21. Februar 2002 - 7 LB
153/01 -, juris, m.w.N.). Diese Voraussetzungen lagen vor.
Der Beklagte hat als untere Wasserbehörde innerhalb seiner Befugnisse
gehandelt; für Maßnahmen der Gefahrenabwehr ist er im Rahmen der
Gewässeraufsicht zuständig, §§ 129 Abs. 1, 128 Abs. 1 NWG. Er war berechtigt,
gegen das Verhalten der Klägerin einzuschreiten. Nach § 100 Abs. 1 Satz 2
Wasserhaushaltsgesetz (WHG) ordnet die zuständige Behörde nach
pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen an, die im Einzelfall notwendig sind,
um Beeinträchtigungen des Wasserhaushalts zu vermeiden oder zu beseitigen
oder die Erfüllung von Verpflichtungen, die nach oder auf Grund von
Vorschriften dieses Gesetzes, nach auf dieses Gesetz gestützten
Rechtsverordnungen oder nach landesrechtlichen Vorschriften bestehen,
sicherzustellen. Hier drohte eine Beeinträchtigung des Wasserhaushalts durch
den Austritt wassergefährdender Stoffe i. S. des § 62 Abs. 3 WHG wie Öl und
Benzin aus dem im Kanal versunkenen Fahrzeug.
Dadurch drohte eine Beeinträchtigung des Wasserhaushalts.
Beim Einsatz des Beklagten handelte es sich um eine notwendige Maßnahme.
Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Insbesondere entsprach der Einsatz des
Beklagten an der Unfallstelle dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, § 4 Nds.
SOG. Der Einsatz diente der Ermittlung des Umfangs der Gefahr sowie der
fachkundigen Bergung des Fahrzeugs. Die vom Beklagten ergriffenen
Maßnahmen waren notwendig, um die Gefahr abzuschätzen, zu orten und
schließlich beseitigen zu können. Mildere Mittel waren nicht ersichtlich.
Insbesondere hätte der Einsatz nicht in kürzerer Zeit durchgeführt werden
können. Die Einsatzdauer über zwei Tage ist nachvollziehbar und detailliert
durch den Beklagten dokumentiert. Sie erklärt sich daraus, dass das Fahrzeug
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untergegangen und abgetrieben war und wegen eingeschränkter
Lichtverhältnisse im Winter nicht sofort gefunden werden konnte. Es begegnet
keinen Bedenken, dass ein Mitarbeiter der unteren Wasserbehörde wegen
seiner besonderen Sachkunde am Einsatz mitgewirkt hat.
Die Klägerin war verhaltensverantwortlich i. S. des §§ 6 Abs. 1 Nds. SOG, 128
Abs. 2 NWG. Es kommt allein darauf an, ob jemand durch sein Verhalten eine
Gefahr unmittelbar verursacht hat. Ohne Bedeutung sind hingegen die
individuellen persönlichen Verhältnisse; Alter, Handlungsfähigkeit,
Geschäftsfähigkeit, Deliktsfähigkeit, Strafmündigkeit usw. spielen eben so wenig
eine Rolle wie Verschulden oder Irrtümer (Lisken/Denninger, Handbuch des
Polizeirechts, 5. Aufl. 2012, D Rn. 73; vgl. HessVGH, Urteil v. 24.08.1994 - 14
TH 1406/94, juris). Dieses Verständnis wird gestützt von § 6 Abs. 2 Nds. SOG,
der bei Personen unter 14 Jahren oder bei Bestellung eines Betreuers die
Möglichkeit eröffnet, Maßnahmen auch gegen den Aufsichtspflichtigen oder den
Betreuer zu richten. Vorausgesetzt wird damit, dass Maßnahmen ebenso gegen
die betreute oder minderjährige Person selbst gerichtet werden können, wenn
ihr Verhalten unmittelbare Ursache einer Gefahr ist. Hier hat die Klägerin hat
durch ihr Verhalten die unmittelbare Bedingung dafür gesetzt, dass das
Einsatzfahrzeug im Kanal versunken ist. Denn sie hat es dort hineingefahren.
Dass sie dabei wegen ihrer gutachterlich ausführlich und nachvollziehbar
dargelegten Erkrankung weder über Einsichtsfähigkeit noch über
Steuerungsvermögen verfügte, ist für eine Veranlassung i.S. der §§ 6 Abs. 1
Nds. SOG, 128 Abs. 2 NWG unerheblich.
Weiterhin lag die nach § 64 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Nds. SOG erforderliche
gegenwärtige Gefahr i. S. des § 2 Nr. 1b Nds. SOG vor. Denn der in
allernächster Zeit zu befürchtende Austritt wassergefährdender Stoffe aus dem
Autowrack erforderte ein sofortiges behördliches Tätigwerden. Andere
Möglichkeiten der Gefahrenabwehr waren nicht ersichtlich. Eine Maßnahme
gegen die Klägerin, mit der ihr die Bergung des Fahrzeugs und die Sicherung
des Gewässers vor Schäden aufgegeben worden wäre, hätte allein schon
wegen ihres Gesundheitszustandes keinen Erfolg versprochen.
Die rechtmäßige Ersatzvornahme durch den Beklagten im Wege des
Sofortvollzugs gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Nds. SOG führt dazu, dass die
betroffene Person - hier die Klägerin als Verhaltensverantwortliche i.S. der §§ 6
Abs. 1 Nds. SOG, § 128 Abs. 2 NWG - gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG die
Kosten für die Ausführung der Handlung im Wege der Ersatzvornahme zu
tragen hat. § 128 Abs. 2 NWG stellt klar, dass zu den Ausführungskosten
sämtliche Kosten im Zusammenhang mit der Gefahrenabwehr gehören, also
auch solche der Gefahrerforschung und näheren Ermittlung. Die
Kostenermittlung durch den Beklagten bezüglich der Ausführungskosten
begegnet keinen Bedenken. Es handelt sich um die Ausführung von
Handlungen, die zur Gefahrenabwehr notwendig waren, durch die
Vollstreckungsbehörde selbst. Die Kostenerstattung derartiger Selbstvornahmen
sieht das Nds. SOG ausdrücklich vor. Es ist nicht erforderlich, einen Dritten mit
der Vornahme zu beauftragen (vgl. VG Stade, Urteil vom 21.3.2007 - 1 A
1225/05, juris; Saipa, Nds. SOG, Loseblatt Stand Mai 2013, § 66 Rn. 2 f.). Die
vom Beklagten gewählte Kostenermittlung anhand der tatsächlich für den
Einsatz aufgewendeten Arbeitsstunden und der tatsächlich angefallenen
Wegstrecke entspricht allgemeinen kostenrechtlichen Grundsätzen, vgl. §§ 9
Abs. 1, 13 NVwKostG, § 1 Abs. 4 Allgemeine Gebührenordnung (AllGO).
Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte den Zeitaufwand für diese
Amtshandlung fehlerhaft bemessen hätte, sind nicht ersichtlich. Vielmehr hat der
Beklagte die Gebühr anhand des Verwaltungskostenbogens ermittelt, den der
Mitarbeiter vor Ort nach dem Einsatz erstellt hat. In einem weiteren Vermerk hat
der Mitarbeiter die Einzelheiten seines Einsatzes nochmals erläutert. Die
Angaben sind verglichen mit denen in den Einsatzberichten vom 11. und 12.
Dezember 2011 plausibel. Der Betrag von 952,00 € für 17 Stunden
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Ortsbesichtigung ist rechnerisch zutreffend ermittelt. An der zutreffenden
Berechnung der Kosten für die zurückgelegte Wegstrecke besteht ebenfalls kein
Zweifel. Die Wegstreckenentschädigung von 0,30 € pro Kilometer ergibt sich
aus §§ 3, 5 Abs. 2 Bundesreisekostengesetz (BRKG) in der nach § 120 Abs. 2
Niedersächsisches Beamtengesetz (NBG) anwendbaren Fassung. In den
Erläuterungen des Mitarbeiters des Beklagten zum Einsatz am Grauwallkanal ist
dargelegt, dass der Einsatz mehrere Autofahrten entlang des Kanals bis zur
Wesermündung umfasste, um das gesunkene Fahrzeug zu lokalisieren. Dies
erklärt die mit insgesamt 276 km angegebene Wegstrecke, die höher ist als die
Wegstrecke zwischen Dienst- und Einsatzort. Sofern in dieser Wegstrecke auch
die Fahrt des Behördenmitarbeiters von seinem Privatwohnsitz zum Einsatzort
enthalten ist, gehören diese Kosten ebenfalls zu den behördlichen
Ausführungskosten nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG. Denn sie sind aufgrund
der Wochenendrufbereitschaft angefallen.
Über die Ausführungskosten des Beklagten hinausgehende Verwaltungskosten
sind gemäß § 66 Abs. 1 Satz 2 Nds. SOG erstattungsfähig. Demnach werden
Gebühren und Auslagen für die zusätzlich erforderlichen Amtshandlungen nach
den Vorschriften des NVwKostG erhoben. Die vom Beklagten ausgewiesenen
Kosten für die Erstellung des Kostenfestsetzungsbescheides sind solche
Kosten für eine zusätzlich erforderliche Amtshandlung. Sie können neben den
Kosten für die Selbstvornahme im allgemeinem Gebührenwege erhoben werden
(Saipa, Nds. SOG, Loseblatt Stand Mai 2013, § 66 Rn. 3). Darauf weist auch die
Anmerkung zu Kostentarif 108.5. der AllGO hin, wonach die mit der Ausführung
der Handlung (Ersatzvornahme) entstehenden Aufwendungen in der Gebühr
nicht enthalten sind. Der für den vorliegenden Fall maßgebliche Kostentarif
ergibt sich aus Nr. 96.20.3 der Anlage zu § 1 der Allgemeinen Gebührenordnung
(AllGO). Danach richtet sich die Gebühr für die Ausführung einer
Ersatzvornahme nach § 100 Abs. 1 Satz 2 WHG, § 128 Abs. 1 NWG i. V. mit §
66 Nds. SOG nach Nr. 26.1. Der Kostentarif Nr. 26.1 AllGO sieht einen
Gebührenrahmen zwischen 35,00 € und 1.410,00 € vor. Gemäß § 9 Abs. 1
NVwKostG, § 1 Abs. 4 AllGO ist für die Bestimmung einer Gebühr das Maß des
Verwaltungsaufwandes, insbesondere des erforderlichen Zeitaufwandes nach
den in § 1 Abs. 4 Satz 5 AllGO genannten Sätzen, zu Grunde zu legen. Gemäß
§ 3 Abs. 2 Satz 1 NVwKostG sollen Gebühren den Aufwand der an der
Amtshandlung beteiligten Stelle decken, der durchschnittlich für die
Amtshandlung anfällt. Nach diesen Maßstäben hat der Beklagte den Betrag von
112,00 € für die Erstellung des Kostenfestsetzungsbescheides zutreffend
ermittelt. Aufgrund der Erläuterung des Beklagten bestehen keine Zweifel, dass
er einen durchschnittlichen Verwaltungsaufwand von zwei Stunden zu Recht
angenommen hat. Die Erstellung des Kostenfestsetzungsbescheides gehört
auch zur Ausführung der Ersatzvornahme, zumal wenn es sich um eine
Ersatzvornahme ohne vorangegangenes gestrecktes Verfahren handelt. Die
geltend gemachten Auslagen für die Postzustellung stehen in Einklang mit § 13
NVwKostG. Zu den erstattungsfähigen Auslagen gehören Aufwendungen für
Postdienstleistungen (§ 13 Abs. 3 Nr. 8 NVwKostG).
Die Klägerin gehört zum Kreis der Kostenschuldner nach § 5 Abs. 1 NVwKostG.
Demnach ist derjenige Kostenschuldner, der zur Amtshandlung Anlass gegeben
hat. Die kostenrechtliche Veranlassung ist bei einer Kostenpflicht nach § 66 Abs.
1 Satz 2 Nds. SOG nicht anders zu beurteilen als die gefahrenabwehrrechtliche
Veranlassungshaftung. Nach diesem Maßstab ist die Klägerin als
Verhaltensverantwortliche auch gebühren- und auslagenpflichtig nach
NVwKostG. Darüber hinaus war die Fahrt der Klägerin in den Graben, die
Anlass für die Amtshandlungen des Beklagten gegeben hat, auch von einem
natürlichen Willen getragen. Ein solcher ist nach der Rechtsprechung des
Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts, der sich die Kammer anschließt,
ausreichend, um eine Kostenschuldnerschaft i. S. des § 5 NVwKostG zu
begründen; auf eine etwaige Geschäfts- oder Schuldunfähigkeit des
Veranlassers kommt es in diesem Zusammenhang nicht an (Nds. OVG, Urteil v.
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26.1.2012 - 11 LB 226/11, juris). Dafür, dass das gutachterlich überzeugend
dargelegte psychotische Erleben der Klägerin zum Unfallzeitpunkt ihr den
natürlichen Willen genommen hat, bietet das psychiatrische Gutachten keine
Anhaltspunkte. Vielmehr war die Klägerin gegenüber dem Gutachter zu einer
detaillierten Schilderung des Unfallhergangs aus ihrer Sicht fähig. Dass sie den
Befehl zum Losfahren von einem Schutzengel erhalten haben will, führt zwar zu
einer fehlenden Einsichts- und Steuerungsfähigkeit bezüglich ihres Handelns.
Es ändert jedoch nichts daran, dass sie willentlich losgefahren ist. Insofern ist
die Handlung der Klägerin nicht anders zu beurteilen als die Handlung einer
demenzkranken Person, die für Kosten eines von ihr verursachten
Polizeieinsatzes ebenfalls haftet (Nds. OVG, Urteil v. 26.1.2012 - 11 LB 226/11,
juris).
Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend ein Gebührenverzicht aufgrund eines
öffentlichen Interesses gemäß § 2 Abs. 2 NVwKostG in Betracht gekommen
wäre, bestehen nicht. Ein solches wäre etwa dann anzunehmen, wenn die
Gebühr eine abschreckende Wirkung entfalten und den Schuldner zukünftig von
einer im öffentlichen Interesse liegenden Tätigkeit abhalten würde (Nds. OVG,
Urteil v. 26.1.2012 - 11 LB 226/11, juris). Hierfür ist nichts ersichtlich.
Ob die Klägerin möglicherweise Anspruch auf einen Gebührenerlass im Wege
der Billigkeit nach § 11 Abs. 2 Satz 2 NVwKostG hat, ist nicht Gegenstand der
hier erhobenen Anfechtungsklage. Ein solcher Anspruch ist vielmehr gesondert
bei der Behörde geltend zu machen und bei Ablehnung ggf. mit der
Verpflichtungsklage weiter zu verfolgen (Nds. OVG, Urteil v. 26.1.2012 - 11 LB
226/11, juris).
II.
Der Widerspruchsbescheid ist rechtswidrig, soweit er eine Widerspruchsgebühr
in Höhe von 1.428,00 € festsetzt. Im Übrigen ist er rechtmäßig. Die
Widerspruchsgebühr richtet sich nach § 12 Abs. 1 Satz 1 NVwKostG. Demnach
beträgt die Gebühr für die Entscheidung über den Rechtsbehelf das
Eineinhalbfache der Gebühr, die für die angefochtene Entscheidung anzusetzen
war. Dies waren nach dem Kostenansatz des Beklagten im Ausgangsbescheid
112,00 €. Nicht zu diesen Gebühren für die angefochtene Entscheidung
gehören diejenigen Kosten, die dem Beklagten für die Ausführung der Handlung
im Wege der Ersatzvornahme nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG entstanden
sind. Hier sind das diejenigen Personal- und Fahrtkosten, die dem Beklagten bei
seiner Selbstvornahme am Grauwallkanal entstanden sind.
Nicht entscheidend ist, dass es sich bei den Kosten, welche der Verwaltung im
Zuge einer Selbstvornahme entstehen, sowohl um Gebühren als auch um
Auslagen i.S. des NVwKostG handelt. Nach der Gesetzessystematik sind die
Gebühren für die Selbstvornahme von denjenigen für die zusätzlich
erforderlichen Amtshandlungen bei der Festsetzung der Widerspruchsgebühr
gemäß § 12 NVwKostG zu trennen. Diese Differenzierung zwischen Gebühren
für die Verwaltungsentscheidung und Ausführungskosten für die
Ersatzvornahme folgt bereits aus § 66 Abs. 1 Nds. SOG, der zwischen der
Ausführung der Handlung im Wege der Ersatzvornahme und zusätzlich
erforderlichen Amtshandlungen unterscheidet. Auch Nr. 26.1 der AllGO geht von
einer solchen Unterscheidung aus. Dies wird deutlich aus der Anmerkung zu
diesem Kostentarif, wonach innerhalb des Gebührenrahmens die Gebühr 10 v.
H. der Kosten für die Ersatzvornahme nicht übersteigen, sofern nicht das Maß
des Verwaltungsaufwandes im Einzelfall eine höhere Gebühr erfordert. Diese
Soll-Vorschrift setzt voraus, dass die Kosten für die Ersatzvornahme und die
Verwaltungsgebühr für ihre Durchführung nach Nr. 26.1 AllGO unterschiedliche
Positionen sind. Nichts anderes ergibt sich ferner aus der bereits erwähnten
Anmerkung zum Kostentarif 108.5 AllGO, der diesen gebührenrechtlichen
Unterschied auch in Fällen der Selbstvornahme klarstellt. Diese getrennte
Betrachtungsweise führt im Übrigen zu einer Gleichstellung der
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kostenrechtlichen Behandlung einer Ersatzvornahme im Wege der
Fremdvornahme und der Selbstvornahme. Denn bei den Kosten, welche die
Verwaltung für die Beauftragung eines Dritten im Zuge der Fremdvornahme
aufwendet, handelt es sich um Auslagen i. S. des § 13 Abs. 3 Nr. 1 NVwKostG.
Schon deshalb wären diese Kosten bei einer Fremdvornahme nicht bei der
Gebührenberechnung nach § 12 NVwKostG berücksichtigungsfähig.
Das nach § 12 Abs. 1 NVwKostG maßgebliche Eineinhalbfache von der für die
Erstellung des Kostenfestsetzungsbescheides vom Beklagten angesetzten
Verwaltungsgebühr in Höhe von 112,00 € beträgt 168,00 €. Hinzu kommen
gemäß § 13 NVwKostG Auslagen für die Postzustellung des
Widerspruchsbescheids in Höhe von 2,63 €. Insgesamt durfte der Beklagte also
den Betrag von 170,63 € als Widerspruchskosten festsetzen. Soweit der
Widerspruchsbescheid eine höhere Gebühr von der Klägerin verlangt, ist er
rechtswidrig und verletzt sie in ihren Rechten. Er ist insoweit aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Der Beklagte hat
insgesamt einen Betrag von 2.748,06 € gegen die Klägerin festgesetzt (1.149,43
€ aus dem Ursprungsbescheid und 1.598,63 € aus dem Widerspruchbescheid).
Die Klägerin ist zur Zahlung von 1.320,06 € verpflichtet. Das sind 48% des
ursprünglich gegen sie geltend gemachten Betrages. In diesem Verhältnis ist die
Klägerin also unterlegen, während der Beklagte zu 52% verloren hat.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO
i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Berufung ist gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Die Frage, ob
eine getrennte Betrachtung bezüglich der Verwaltungsgebühren für die
Selbstvornahme nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG einerseits und der
Gebühren und Auslagen für zusätzliche Amtshandlungen nach § 66 Abs. 1 Satz
2 Nds. SOG i.V.m. NVwKostG andererseits bei der Festsetzung der
Widerspruchsgebühr geboten ist, ist noch nicht obergerichtlich geklärt worden.