Urteil des VG Braunschweig vom 25.04.2013

VG Braunschweig: akteneinsichtsrecht, vertretung, verwaltung, recht auf akteneinsicht, ngo, geheimhaltung, überwachung, fraktion, auskunftsrecht, unterliegen

1
2
3
4
5
Zum Akteneinsichtsrecht eines kommunalen
Abgeordneten
Das kommunale Akteneinsichtsrecht ist nicht von einem "Kontrollzweck"
abhängig. Es darf ohne Begründung, insbesondere auch präventiv und zu
("reinen") Informationszwecken ausgeübt werden.
VG Braunschweig 1. Kammer, Urteil vom 25.04.2013, 1 A 28/13
§ 58 Abs 4 S 3 KomVerfG ND
Tenor
Es wird festgestellt, dass der Beklagte sich ursprünglich zu Unrecht geweigert
hat, der Klägerin Einsicht in die von ihr im Antragsschreiben vom 26.10.2012
genannten Verträge zu gewähren.
Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann eine Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der
vollstreckbaren Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung
Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Kommunalverfassungsstreits um die
Voraussetzungen des kommunalrechtlichen Akteneinsichtsrechts.
Mit Schreiben vom 26.10.2012 beantragte die Klägerin beim Beklagten, ihr
durch ihren Vorsitzenden Akteneinsicht in insgesamt vier bestimmt bezeichnete
Verträge der Stadt mit der E. mit allen Zusätzen, Änderungen und Ergänzungen
zu gewähren. Sie nahm dabei Bezug auf die beigefügte Auflistung von sog. F.,
die der Beklagte auf eine Anfrage der Ratsfraktion „Piraten“ vorgelegt hatte.
Zur Begründung ihres Antrags führte die Klägerin aus, es gelte zu überwachen
und zu kontrollieren, ob diese Verträge innerhalb des Kompetenzbereichs derer
lagen, die sie abgeschlossen haben und ob sie weiter inhaltlich zum Nutzen und
Vorteil der Bürgerinnen und Bürger der Stadt aufgesetzt wurden.
Mit zwei gesonderten, von den jeweils zuständigen Dezernenten stellvertretend
unterzeichneten Schreiben vom 04.12.2012 lehnte der Beklagte den Antrag ab.
Zur Begründung führte er in beiden Schreiben im Wesentlichen gleichlautend
aus:
Die Begründung des Akteneinsichtsantrags erfülle nicht die gesetzlichen
Voraussetzungen. Es fehle an der Darlegung eines konkreten
Kontrollinteresses. Das Recht auf Akteneinsicht diene als Kontrollrecht des
Rates ausschließlich dem Zweck der Überwachung der Durchführung von
Beschlüssen und des sonstigen Ablaufs der Verwaltungsangelegenheiten.
Diese Zweckgebundenheit folge aus der Systematik des § 58 Abs. 4 Satz 3
Niedersächsisches Kommunalverfassungsgesetz (NKomVG). Der Antragsteller
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
müsse zudem schlüssig begründen, welche Anhaltspunkte es für die
Kontrollnotwendigkeit gebe. Der Kontrollzweck könne von der Verwaltung nur
dann überprüft werden, wenn nicht allein der Gesetzestext formelhaft wiederholt
oder nur pauschal oder pro forma ein Kontrollzweck benannt werde, für den es
keinen hinreichend konkreten Anlass bzw. ein konkretes Kontrollinteresse gebe.
Mit Schreiben vom 12.12.2012 wandte sich die Klägerin gegen die
Rechtsauffassung des Beklagten und wiederholte ihr Akteneinsichtsbegehren,
zu dessen Begründung sie auf die Kontrollpflicht des Rats sowie darauf hinwies,
dass Transparenz und Kontrolle der Verwaltung geeignet seien, vorbeugend
„Schlamperei, Korruption und Begünstigung einer Verwaltung“ entgegen zu
wirken.
Unter dem 20.12.2012 lehnte der Beklagte die Akteneinsicht erneut im
Wesentlichen mit der Begründung ab, das Begehren sei ausschließlich darauf
angelegt, allgemeine Informationen im Rahmen der kommunalpolitischen Arbeit
zu beschaffen, die nach dem Gesetz allein dem Auskunftsrecht einzelner
Abgeordneter nach § 56 Satz 2 NKomVG vorbehalten sei. Ein überprüfbarer
Kontrollzweck sei nicht plausibel dargelegt worden. Diese rechtliche Bewertung
sei in einer vergleichbaren Angelegenheit vom Niedersächsischen
Innenministerium mit Schreiben vom 28.09.2012 bestätigt worden.
Mit ihrer am 07.01.2013 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren
weiter. Sie hat zunächst sinngemäß beantragt, den Beklagten zu verpflichten, ihr
Akteneinsicht in die von ihr benannten vier Verträge zu gewähren. Zur
Begründung hat sie ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Mit
Schreiben vom 14.03.2013 hat sie weitere „konkrete Gründe“ geltend gemacht
und u.a. dargelegt, es gelte zu kontrollieren, dass zwischen dem namentlich
bezeichneten Münzhändler und dem Beklagten keine Geschäftspraktiken
bestünden, die die „Grenzen der Legalität tangieren“ und „grenzwertige
Geschäftspraktiken aus dem Münzhandel“ nicht auf die vom Beklagten
abgeschlossenen Verträge übertragen würden. Im Schreiben vom 02.04.2013
bezweifelte die Klägerin die Vollständigkeit der vorgelegten Liste.
Unter dem 15.04.2013 teilte der Beklagte der Klägerin daraufhin mit, er werte
ihre Ausführungen in den beiden vorangegangenen Schriftsätzen nunmehr als
hinreichend einzelfallgenaue Darlegung eines Kontrollzwecks, auch wenn sie
mit Verunglimpfungen einhergingen. Demgemäß werde er schnellstmöglich den
Zugang zu den Vorgängen ermöglichen.
Die Klägerin hat daraufhin ihren Klageantrag umgestellt. Sie beantragt nunmehr,
festzustellen, dass der Beklagte bereits aufgrund ihres Antrags vom
26.10.2012 verpflichtet war, ihr Einsicht in die Akten mit den vier
genannten Verträgen zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an seiner Rechtsauffassung fest und verteidigt sie ergänzend damit, dass
er sich selbstverständlich an die Erlasse des Innenministeriums halte, da dieses
Ministerium eine gegenüber den Kommunen mit Weisungskompetenz
ausgestattete vorgesetzte Verwaltungsbehörde sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die
zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie auf die vom
Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge (Hefter I und II) verwiesen.
Entscheidungsgründe
16
17
18
19
20
21
22
23
Die Klage ist nach sachdienlicher Klageänderung (§ 91 Abs. 1 VwGO) als
Feststellungsklage zulässig.
Mittels einer Klage nach § 43 VwGO kann das Bestehen oder Nichtbestehen
eines konkreten Rechtsverhältnisses festgestellt werden. Hierzu zählen auch
die durch organschaftliche (funktionelle) Befugnisse und Verpflichtungen
gekennzeichneten Rechtsbeziehungen zwischen Organen oder Organteilen
von Kommunen. Ein solches feststellungsfähiges Rechtsverhältnis ist gegeben.
Anhand eines konkreten Sachverhaltes ist zwischen den beteiligten Organen
der Stadt Braunschweig streitig, ob die Einsichtnahme in die eingangs
genannten Verträge schon mit der ursprünglichen Antragstellung (ohne noch
eingehendere Begründung) hätte gewährt werden müssen.
Die Klägerin besitzt das nach § 43 Abs. 1 VwGO erforderliche
Feststellungsinteresse, obgleich der Beklagte die mit der zunächst erhobenen
Leistungsklage erstrebte Akteneinsicht zwischenzeitlich gewährt hat und das
Rechtsverhältnis insoweit einen vergangenen Streit betrifft. Denn der Konflikt
äußert über seine konkrete Beendigung hinaus noch Wirkungen für die Zukunft.
Der Beklagte hat angekündigt, er werde auch zukünftig Anträge auf
Akteneinsicht ablehnen, wenn keine aus seiner Sicht hinreichende Darlegung
des Kontrollanlasses für ein Akteneinsichtsgesuch erfolge. Bei einer
Wiederholungsgefahr ist regelmäßig ein Feststellungsinteresse gegeben.
Vor diesem Hintergrund scheitert die Zulässigkeit auch nicht an der Subsidiarität
der Feststellungsklage (§ 43 Abs. 2 VwGO). Der Klägerin darf aus Gründen der
Effektivität ihrer Funktionsrechte nicht zugemutet werden, den nächsten Konflikt
abzuwarten, um (erst) dann (erneut) eine gerichtliche Klärung anstreben zu
können.
Die Klage ist auch begründet. Der Beklagte war verpflichtet, dem
Akteneinsichtsbegehren der Klägerin zu entsprechen, ohne inhaltliche
Anforderungen an dessen Begründung zu stellen. Das kommunale
Akteneinsichtsrecht ist nicht von einem „Kontrollzweck“ abhängig; es darf
insbesondere auch zu („reinen“) Informationszwecken ausgeübt und ein
Akteneinsichtsantrag muss nicht begründet werden.
Dies folgt aus § 58 Abs. 4 Satz 3 NKomVG. Danach ist einzelnen Abgeordneten
Einsicht in die Akten u.a. dann zu gewähren, wenn eine Fraktion oder eine
Gruppe dies verlangt. Abgesehen von den durch § 6 Abs. 3 Satz 1 NKomVG
bestimmten Angelegenheiten, die der Geheimhaltung unterliegen und für die
das Akteneinsichtsrecht ausdrücklich nicht gilt (§ 58 Abs. 3 Satz 4 NKomVG),
besteht es seinem Wortlaut gemäß ohne (weitere) gegenständliche
Einschränkung.
Entgegen der Auffassung des Beklagten ergibt sich ein Beleg für seine
gegensätzliche Auffassung auch nicht aus der „Systematik“ des Gesetzes. Zwar
kann für den Inhalt einer Einzelvorschrift auch ihre Stellung im normativen
Gesamtgefüge bedeutsam sein. Selbst mit Rücksicht allein auf den Inhalt des §
58 Abs. 4 NKomVG und erst Recht mit Blick auf den weiteren Inhalt des
Gesetzes finden sich jedoch nicht nur keinerlei Anhaltspunkte für die vom
Beklagten angenommene Beschränktheit des Akteneinsichtsrechts. Bei
unverfälschter, inhaltlich richtiger Würdigung der entsprechenden Normgehalte
wird die Auffassung des Beklagten vielmehr auch durch die Systematik des
Gesetzes widerlegt.
Die vom Beklagten aufgegriffene Auffassung, das Akteneinsichtsrecht des § 58
Abs. 4 Satz 3 NKomVG diene „ausschließlich der Überwachung der
Durchführung von Beschlüssen und des sonstigen Ablaufs der
Verwaltungsangelegenheiten“ (so insbes. Thiele, Niedersächsisches
Kommunalverfassungsgesetz, § 58 Anm. 4, S. 161), führt zwar „systematische“
Überlegungen an und argumentiert (sinngemäß) mit der Annahme, dass das
24
25
Akteneinsichtsrecht einer Fraktion oder einer Gruppe kaum weiter reichen
könne, als das Auskunftsrecht der Vertretung. Sie stellt dabei jedoch
entscheidend darauf ab, dass auch der Auskunftsanspruch der Vertretung nur
bei einem hinreichenden Kontrollanlass sowie einer entsprechenden
Begründung bestünde. Insoweit legt sie einen verengten Kontrollbegriff
zugrunde, der sich nur scheinbar aus dem Wortlaut des § 58 Abs. 4 NKomVG
ergibt, dessen Sätze 1 und 2 lauten:
1
Die Vertretung überwacht die Durchführung ihrer Beschlüsse sowie den
sonstigen Ablauf der Verwaltungsangelegenheiten.
2
Sie kann zu diesem
Zweck vom Hauptausschuss und von der Hauptverwaltungsbeamtin oder
dem Hauptverwaltungsbeamten die erforderlichen Auskünfte verlangen.“
Dass die Vertretung (alle) Auskünfte soll verlangen dürfen, die ihrem
Auskunftsbegehren Rechnung tragen und in dem Sinne erforderlich sind,
bedeutet keineswegs, dass die Vertretung nur einen gegenständlich
beschränkten Auskunftsanspruch hat, der von einer (nicht selbstbestimmten)
Kontroll-Erforderlichkeit abhängt. Wer - wie der Beklagte - die Erforderlichkeit
auch auf die Voraussetzungen des Auskunftsrechts der Vertretung bezieht und
dem Kontrollberechtigten deshalb aufbürdet, gegenüber dem zu
Kontrollierenden substanziell zu begründen, ob ein hinreichender Kontrollanlass
besteht und ob die geforderte Auskunft zumindest auch bzw. allein diesem
Zweck diene, macht das Auskunftsrecht von einem Umstand abhängig, der
rechtsstaatlichen Ansprüchen an Bestimmtheit und Nachvollziehbarkeit - wie
auch der Verlauf des hier zu beurteilenden Konflikts zeigt - praktisch nicht
genügen kann. Die vom Beklagten behauptete Begründungsobliegenheit führt
nicht nur zu erheblichen rechtlichen Unsicherheiten, sondern gefährdet in ihrer
praktischen Anwendung auch die Handlungs-Möglichkeiten kommunaler
Selbstverwaltung; sie provoziert insbesondere (Begründungs-) Zuspitzungen,
die das kommunalpolitische Klima destruktiv belasten müssen. Gegen die
Richtigkeit der auch vom Beklagten vertretenen Auffassung spricht vor allem,
dass sie fundamentalen Prinzipien der Rechtsordnung widerspricht. In einem
demokratischen Rechtsstaat, in dem alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht (Art.
20 Abs. 1 GG; Art. 2 Abs. 1 NV) und auch in Gemeinden eine Volksvertretung
vorhanden sein muss (Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG, Art 57 Abs. 2 NV), darf ein
Überwachungsrecht der Volksvertretung nicht dahin gedeutet werden, dass das
auch auf einfachgesetzlicher Ebene gewollte Verhältnis zwischen Überwachtem
und Überwachendem praktisch umgekehrt wird. Das wäre jedoch der Fall, wenn
die Berechtigung der (Volks-) Vertretung, die zugleich Hauptorgan der
Kommune (§ 45 Abs. 1 Satz 1 NKomVG), oberste Dienstbehörde, höhere
Dienstvorgesetzte und Dienstvorgesetzte des Hauptverwaltungsbeamten (§ 107
Abs. 5 NKomVG) ist, von dem (stets) zu überwachenden
Hauptverwaltungsbeamten Auskünfte nur verlangen dürfte, wenn er einen aus
seiner Sicht hinreichend begründeten Kontrollanlass akzeptiert. Die in einem
demokratisch verfassten Gemeinwesen unverzichtbare Tätigkeit einer
„Volksvertretung“ besteht nicht nur in einer retrospektiven Kontrolltätigkeit,
sondern umfasst auch die demokratische (politische) Überwachung des
Hauptverwaltungsbeamten. Diese Überwachung hat stets, ohne konkretisierten
Anlass gleichsam alltäglich stattzufinden und erfüllt in der Regel bereits durch
ihre Existenz einen demokratischen Zweck, der auf politisch verantwortliche,
nachvollziehbare Entscheidungen abzielt. Ihr kommt auch eine begleitende und
vorbeugende Funktion zu (zur auch präventiv wirkenden Überwachung bereits
VG Gießen, B. v. 16.01.2007, NVwZ 2007, 1218; Blum,
Kommunalverfassungsrecht Niedersachsen, § 40 Rn. 172; zur präventiven
Bedeutung von Kontrollmöglichkeiten vgl. ferner BVerwG, B. v. 11.10.2010 - 6 P
16/09 -, juris Rn. 19, und die erkennende Kammer im Urteil vom 29.11.2012 - 1
A 33/12 -, juris Rn. 23 zum Wahlprüfungsrecht). Es liegt auf der Hand, dass es
für diese Überwachungsfunktion unverzichtbar ist, dass sich (auch) die
(gesamte) Vertretung nicht zuletzt durch ihr Auskunftsverlangen über die
Angelegenheiten der Kommune umfassend informieren kann.
26
27
28
29
30
31
32
Der nunmehr durch § 56 Satz 2 NKomVG jedem Mitglied der Vertretung
gewährte Auskunftsanspruch, der unstreitig unabhängig von anlassabhängigen
Kontrollzwecken ist, belegt einmal mehr, dass prinzipiell alle dem
Hauptverwaltungsbeamten verfügbaren Informationen über Angelegenheiten
der Verwaltung allen Mitgliedern der Vertretung unabhängig von
anlassbezogenen Kontrollen (rechtfertigungsfrei) zugänglich sein müssen (vgl.
dazu im Einzelnen Urteil der Kammer vom 25.04.2013 - 1 A 1 A 225/12-). Auch
vor diesem Hintergrund macht es keinen Sinn, der Vertretung als Ganzes
(weiterhin) nur einen prinzipiell beschränkten Auskunftsanspruch zuzubilligen,
der von einem hinreichend dargelegten Überwachungs-Anlass abhängig wäre
(dies verkennt allerdings auch Blum, a.a.O., § 40 NGO Rn. 171).
Mit dem prinzipiell unbeschränkten Informationsrecht für die Abgeordneten und
einem nicht lediglich anlassbezogenen Verständnis der Überwachungsfunktion
der Vertretung muss nicht zuletzt aus systematischen Gründen auch eine
Zweck-Beschränkung des Akteneinsichtsrechts entfallen. Es kann zu
Informationszwecken ausgeübt werden und es kann auch dadurch eine (und sei
es präventive) umfassende, rechtliche wie politische Wirksamkeit entfalten. Mit
Blick auf das hier zu beurteilende Akteneinsichtsrecht einer Fraktion verkennt
die vom Beklagten vertretene Auffassung im Übrigen, dass es beim
Akteneinsichtsrecht (in erster Linie) nicht um ein Recht der Vertretung, sondern
um ein Recht geht, das (bereits) einer qualifizierten Minderheit der Vertretung
zusteht, die durchaus auch ein anderes Informations- und Aufklärungsinteresse
haben kann, als die Mehrheit der Vertretung.
Dass der Gesetzgeber mit diesem Minderheitenrecht nicht nur ein weiteres Mittel
im Dienste des (angeblich beschränkten) Überwachungsrechts der Vertretung
(„als der eigentlichen Kontrolleurin“, so bezeichnenderweise Thiele, a.a.O.)
gewähren wollte, sondern eine spezielle Möglichkeit zur qualifizierten
Information der Mitglieder der Vertretung intendiert war, zeigt schließlich auch die
Entstehungsgeschichte dieses Akteneinsichtsrechts.
Seinem Wortlaut nach war das Akteneinsichtsrecht in § 40 Abs. 3 NGO in der
Fassung der Bekanntmachung vom 18.10.1977 (Nds. GBBl. S. 497) noch als
ein Mittel des (gesamten) Rats ausgestaltet, das im unmittelbaren
Zusammenhang mit dessen Auskunftsverlangen formuliert war. Diese Vorschrift
lautete:
„Der Rat überwacht die Durchführung seiner Beschlüsse sowie den
sonstigen Ablauf der Verwaltungsangelegenheiten. Er kann zu diesem
Zweck von dem Verwaltungsausschuß und von dem Gemeindedirektor die
erforderlichen Auskünfte verlangen und durch einen von ihm bestimmten
Ausschuß oder einzelne von ihm beauftragte Ratsherren Einsicht in die
Akten nehmen. Dies gilt nicht für Angelegenheiten, die der Geheimhaltung
unterliegen (§ 5 Abs. 3 Satz 1)“
Mit der Neuregelung durch Art I Nr. 9 Buchst. c des Achten Gesetzes zur
Änderung der Niedersächsischen Gemeindeordnung und der
Niedersächsischen Landkreisordnung vom 18.02.1982 (Nds GVBl. S. 53), die
am 01.07.1982 in Kraft trat, wurde erstmals auch einer Minderheit des Rats ein
Akteneinsichtsrecht eingeräumt, das nunmehr auch textlich von dem daneben
verbliebenen Akteneinsichtsrecht des Rats verselbständigt war. § 40 Abs. 3
NGO (Fassung 1982) lautete:
„Der Rat überwacht die Durchführung seiner Beschlüsse sowie den
sonstigen Ablauf der Verwaltungsangelegenheiten. Er kann zu diesem
Zweck von dem Verwaltungsausschuß und von dem Gemeindedirektor die
erforderlichen Auskünfte verlangen. Auf Verlangen von einem Viertel der
Mitglieder des Rats ist einzelnen Ratsherren Einsicht in die Akten zu
gewähren. Diese Rechte gelten nicht für Angelegenheiten, die der
Geheimhaltung unterliegen
33
34
35
36
37
38
(§ 5 Abs. 3 Satz 1)."
Die mit der Einführung eines weiteren Akteneinsichtsrechts verbundene
Ablösung vom Akteneinsichtsrecht des Rates blieb zunächst weitgehend
folgenlos bzw. unbeachtet. Der im Niedersächsischen Innenministerium tätige
Ministerialrat G. erkannte zwar, dass nach dem Wortlaut nunmehr „nur noch für
das Auskunftsverlangen die Überwachung der Verwaltung durch den Rat als
Zweck bezeichnet (ist), während die Akteneinsicht als Minderheitsrecht
ausgestaltet ist, ohne dass ausdrücklich auf den Kontrollzweck Bezug
genommen wird“. In seinem vom Beklagten als Beleg für die Richtigkeit seiner
Auffassung zitierten Beitrag „Das Akteneinsichtsrecht der Ratsminderheit“
(NStV-N 1/1983, 10, ganz ähnlich auch Thiele, Probleme des
Auskunftsverlangens und des Akteneinsichtsrechts“, dng 1983, 110, 111) führte
er jedoch aus:
„Gleichwohl ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift, dass
das Akteneinsichtsrecht auch künftig ausschließlich dem Zweck der
Überwachung der Verwaltung dient, nicht dagegen der Befriedigung von
Informationsbedürfnissen außerhalb von Kontrollfunktionen.
Ausgangspunkt der Neuregelung des § 40 Abs. 3 NGO war der Vorschlag
der Niedersächsischen Sachverständigenkommission zur Fortentwicklung
des Kommunalverfassungsrechts, zur Kontrolle der Verwaltung auch einer
Minderheit das bis dahin nur der Ratsmehrheit zustehende
Akteneinsichtsrecht zuzubilligen, weil auf diese Weise ein immerhin
mögliches Zusammenspiel zwischen Minderheit und Verwaltung verhindert
oder unterbunden werden könnte. Diesen Vorschlag und seine Intention
hat die Landesregierung in ihrem Entwurf eines Achten Gesetzes zur
Änderung der NGO und NLO v. 22.10.1980 übernommen und für den § 40
Abs. 3 NGO folgende Fassung vorgesehen:
„Der Rat überwacht die Durchführung seiner Beschlüsse sowie den
sonstigen Ablauf der Verwaltungsangelegenheiten. Er kann zu diesem
Zweck von dem Verwaltungsausschuß und von dem Gemeindedirektor
die erforderlichen Auskünfte verlangen und durch einen von ihm
bestimmten Ausschuß oder einzelne von ihm beauftragte Ratsherren
Einsicht in die Akten nehmen. Auf Verlangen von einem Viertel der
Mitglieder des Rats ist einem einzelnen Ratsherrn Einsicht in die Akten
zu gewähren. Dies gilt nicht für Angelegenheiten, die der
Geheimhaltung unterliegen (§ 5 Abs. 3 Satz 1)“
Bei dieser Formulierung kann das Akteneinsichtsrecht nur zu
Überwachungszwecken ausgeübt werden, und zwar sowohl vom Rat als
auch von der Minderheit. Wie die in engem Zusammenhang mit den
Überwachungsaufgaben des Rats stehende Regelung des Rechts
erkennen läßt, war die Verbesserung der Informationsmöglichkeiten für
Ratsminderheiten nicht beabsichtigt; das hat der Gesetzgeber noch einmal
bestätigt, indem er den Vorschlag der F.D.P.-Fraktion im
Niedersächsischen Landtag, einzelnen Ratsherren auf ihr Verlangen
Einsicht in die Akten zu gewähren, nicht aufgegriffen hat. Die Gesetz
gewordene Fassung des § 40 Abs. 3 NGO stellt lediglich eine kürzere und
präzisere Formulierung des Vorschlags der Regierungsvorlage dar,
bedeutet also keine inhaltliche Veränderung. Als Ergebnis ist festzuhalten,
dass die Einsicht in die Akten nur zu Kontrollzwecken verlangt werden
kann.“
Ob die zitierten Schlussfolgerungen Thieles zur damaligen Zeit nachvollziehbar
waren und zutrafen, kann hier dahinstehen. Fest steht, dass sie die
Rechtspraxis geprägt haben. Vor diesem Hintergrund kam die auf Beschluss
des Niedersächsischen Landtags vom 22.02.1991 eingesetzte Enquete-
Kommission zur Überprüfung der Reformbedürftigkeit des Niedersächsischen
39
40
41
42
43
44
Kommunalverfassungsrechts, der 3 Sachverständige und 9 Abgeordnete aller
im Landtag vertretenen Fraktionen angehörten, (mehrheitlich) zu dem Ergebnis,
die angenommene „Beschränkung der Auskunfts- und Akteneinsichtsrechte auf
den Kontrollzweck aufzuheben und diese Rechte gleichermaßen als allgemeine
Informationsbeschaffungsrechte wie als Kontrollrechte auszugestalten. Das
Auskunftsrecht soll jedem Mandatsträger zustehen. Die Ausübung des
Akteneinsichtsrechts durch einzelne Mandatsträger soll das Verlangen
mindestens einer Fraktion voraussetzen.“ (Bericht der Enquete-Kommission
vom 06.05.1994, LT-Drs. 12/6260, S. 31).
Zu den Gründen, das Akteneinsichtsrecht auch „zur allgemeinen
Informationsbeschaffung“ zu gewähren, führte die Kommission in ihrem Bericht
(a.a.O.) aus:
„Dies verbessert die Informationsmöglichkeiten der ehrenamtlich Tätigen
und kann zu einer größeren Transparenz des Verwaltungshandelns, einer
besseren Kontrolle der Verwaltung und zu einer Reduzierung ihres
Informationsvorsprungs beitragen. Ohne weiteres können die
Mandatsträger dann auch außerhalb ihrer Kontrollaufgaben Informationen
von der Verwaltung beanspruchen. Dies kann z.B. die Vorbereitung
kommunalpolitischer Initiativen wesentlich erleichtern. …
Intensiv erörtert hat die Enquete-Kommission, ob das Akteneinsichtsrecht
jedem Ratsmitglied oder Kreistagsabgeordneten oder nur Teilen der
Vertretungskörperschaften zustehen soll. Einzelne Kommissionsmitglieder
sprechen sich für die Beibehaltung des Akteneinsichtsrechts in seiner
derzeitigen Fassung aus … Nach ihrer Auffassung hat sich das Quorum
von 25 v.H. der Ratsmitglieder oder Kreistagsabgeordneten bewährt. …
Anderer Kommissionsmitglieder wollen das Akteneinsichtsrecht zukünftig
jedem Ratsmitglied oder Kreistagsabgeordneten einräumen ….Die
Mehrheit der Kommissionsmitglieder ist demgegenüber der Auffassung,
dass die Akteneinsicht durch einzelne Mandatsträger zukünftig von dem
Verlangen mindestens einer Fraktion abhängig sein soll. In der
kommunalpolitischen Praxis ermöglicht die nach geltendem Recht
erforderliche Zahl von einem Viertel der Ratsmitglieder oder
Kreistagsabgeordneten in erster Linie den großen Fraktionen die
Einsichtnahme in Akten und benachteiligt damit zugleich die Fraktionen,
deren Mitgliederzahl dieses Quorum nicht erreicht. Durch den Verzicht auf
die Mindestzahl von Mandatsträgern und die Anknüpfung an den
Fraktionsstatus wird diese Benachteiligung vermieden. Zugleich werden
die Informations- und Kontrollmöglichkeiten der ehrenamtlich Tätigen
verbessert, ohne die Verwaltung und deren Arbeitsfähigkeit übermäßig zu
belasten. Ein Mißbrauch dieses Akteneinsichtsrechts ist nicht zu
befürchten, da die Fraktionen für ihr Handeln politisch verantwortlich
gemacht werden können. …
Das Auskunftsrecht soll die übliche Form der Informationserlangung
darstellen, und daher jedem Ratsmitglied oder Kreistagsabgeordneten zur
Verfügung stehen, während das demgegenüber qualifizierte Instrument
der Akteneinsicht auch einer weitergehenden Willensbildung unterliegen
soll. Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis wird durch die unterschiedlichen
Voraussetzungen für die Ausübung des Auskunfts- und
Akteneinsichtsrechts unterstrichen.“
Der unstreitig zur Umsetzung (auch) dieser Empfehlung der Enquete-
Kommission mit dem Gesetz zur Reform des niedersächsischen
Kommunalverfassungsrechts vom 22.08.1996 geänderte § 40 Abs. 3 NGO sah
demgemäß die folgende Textfassung vor:
„Der Rat überwacht die Durchführung seiner Beschlüsse sowie den
sonstigen Ablauf der Verwaltungsangelegenheiten. Er kann zu diesem
45
46
47
48
49
Zweck von dem Verwaltungsausschuß und von der Bürgermeisterin oder
dem Bürgermeister die erforderlichen Auskünfte verlangen. Zum Zwecke
der Überwachung und zum Zwecke der eigenen Unterrichtung kann jede
Ratsfrau und jeder Ratsherr von der Bürgermeisterin oder dem
Bürgermeister die erforderlichen Auskünfte in allen Angelegenheiten der
Gemeinde verlangen. Auf Verlangen von einem Viertel der Mitglieder des
Rates oder von einer Fraktion oder Gruppe ist einzelnen Ratsfrauen oder
Ratsherren Einsicht in die Akten zu gewähren. Diese Rechte gelten nicht
für Angelegenheiten, die der Geheimhaltung unterliegen (§ 5 Abs. 3 Satz
1).“
Das seit 1996 jedem kommunalen Abgeordneten ausdrücklich gewährte
Auskunftsrecht ist in der Folgezeit aus dem textlichen Zusammenhang mit der
Überwachungsfunktion des § 40 Abs. 3 NGO herausgelöst und mit der Novelle
vom 22.04.2005 (Nds. GVBl. S. 110) in dem daneben bereits im Jahre 2001
„zum Zwecke der eigenen Unterrichtung“ eingeführten Auskunftsanspruch
aufgegangen (vgl. Blum, a.a.O., § 40 NGO, Rn. 169 m. w. Nw.), ohne dass der
Gesetzgeber dabei das Akteneinsichtsrecht verändern und es zu einem
anlassabhängigen, nur zu (retrospektiven) Kontrollzwecken gewährten Recht
umgestalten wollte.
Dem steht nicht entgegen, dass das Akteneinsichtsrecht nicht als ein
individuelles Mitgliedschaftsrecht ausgestaltet ist, sondern nur durch zumindest
zwei Mitglieder einer Vertretung, die eine Gruppe bilden, ausgeübt werden kann.
Damit ist keine sachlich-inhaltliche Beschränkung verbunden, sondern - wie
gezeigt - eine verfahrensmäßige Absicherung gegen missbräuchliche
Ausnutzung gewollt, die auf erhöhte Rationalität des Begehrens setzt.
Rechtswidrig war die Verweigerung der Akteneinsicht auch, soweit sie sich auf
die Verträge (mit den laufenden Nr. 7 und 25) bezogen hat, in die die Klägerin
durch ihren Vorsitzenden bereits am 23.07.2009 Akteneinsicht genommen hatte,
nachdem der Beklagte einen Kontrollzweck wegen der kurz zuvor erfolgten
Ergänzung des Schenkungsvertrags und seiner bevorstehenden Umsetzung
akzeptiert hatte. Das Akteneinsichtsrecht der Klägerin war damit nicht erschöpft.
Es kann bis zur Grenze des erkennbaren Missbrauchs mehrfach ausgeübt
werden. Denn die Akten dienen auch den nach § 58 Abs. 4 Satz 3 NKomVG
berechtigten Ratsmitgliedern, da auch die Vertretung und ihre
Untergliederungen (konstitutive) Teile der gegliederten kommunalen
(Selbstverwaltungs-) Organisation und funktionaler Teil der kommunalen (Selbst-
) Verwaltung sind (vgl. Nds. OVG, U. v. 04.08.1994 - 10 L 5985/92 -, juris Rn 3.).
Das Begehren der Klägerin hat Angelegenheiten nicht berührt, die im Sinne des
§ 6 Abs. 3 Satz 1 NKomVG der Geheimhaltung unterlagen, und auf die sich das
Akteneinsichtsrecht ausdrücklich nicht erstreckt (§ 58 Abs. 3 Satz 4 NKomVG).
Geheimhaltungsbedürftige Angelegenheiten in diesem Sinne liegen nur vor,
wenn ihre Geheimhaltung besonders vorgeschrieben oder im Einzelfall von der
dazu befugten staatlichen Behörde speziell angeordnet ist. Eine (durch Bundes-
oder Landesgesetz) vorgeschriebene besondere Geheimhaltungsbedürftigkeit
war unstreitig nicht betroffen.
Bei den hier in Rede stehenden Verträgen kann auch nicht angenommen
werden, dass eine im Einzelfall dazu befugte staatliche Behörde besondere
Geheimhaltung angeordnet hätte. Das vom Beklagten angeführte Schreiben des
Nds. Ministeriums für Inneres und Sport vom 28.09.2012 ist schon seinem Inhalt
nach nicht dazu bestimmt, eine solche Anordnung zu treffen. Die dort
geschilderte Rechtsauffassung, die der Beklagte sich („selbstverständlich“) zu
Eigen gemacht hat, trifft im Übrigen - wie gezeigt - nicht zu und hätte ihn auch mit
Blick auf die kommunalaufsichtliche Funktion dieses Ministeriums (§ 171 Abs. 1
NKomVG) nicht binden können. Eine Kommunalaufsichtsbehörde kann
gesetzwidrige Beschlüsse und Maßnahmen einer Kommune beanstanden (§
173 NKomVG). Sie darf aber nicht ohne besondere Ermächtigung
50
51
52
53
eigenverantwortliches kommunales Handeln durch verbindliche Vorgaben für
die Rechtsanwendung steuern (Smollich, NKomVG, § 173 Rn. 6 m.w.Nw.) und
wollte dies mit dem zitierten Schreiben auch nicht.
Der Klage ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO
i.V.m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Berufung ist nicht zuzulassen. Insbesondere kommt der Rechtssache keine
grundsätzliche Bedeutung im Sinne von §§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 124a Abs. 1 VwGO
zu. Unbeschadet der womöglich weitreichenden Bedeutung einer Entscheidung
kann eine grundsätzliche Bedeutung nur angenommen werden, wenn die zu
entscheidende Rechtsfrage klärungsbedürftig ist. Dies ist sie nicht, wenn sie
sich ohne weiteres und unmittelbar aus dem Gesetz heraus beantworten lässt
und keine Zweifel bestehen (vgl. Schenke in: Kopp/Schenke, VwGO, § 123 Rn.
10 m. w. Nw.). Das ist hier der Fall.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG.