Urteil des VG Braunschweig vom 27.05.2013

VG Braunschweig: altersgrenze, beamtenverhältnis, berufliche tätigkeit, probe, kinderbetreuung, überschreitung, geburt, kausalität, bestätigung, berufsausübung

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Zur Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Probe bei
Überschreitung der Altersgrenze
VG Stade 3. Kammer, Urteil vom 27.05.2013, 3 A 1382/10
§ 16 LbV ND
Tatbestand
I.
Die Klägerin begehrt ihre Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Probe.
Die Klägerin wurde am E..01.1963 geboren. Nach Abschluss ihrer schulischen
Ausbildung mit dem Abitur 1982 absolvierte sie verschiedene Praktika. Ab
August 1983 durchlief sie eine Ausbildung zur MTA, die sie im Juni 1985
beendete. Von 1985 bis Februar 1994 war sie in diesem Beruf tätig. Am
E..04.1994 wurde ihr erstes Kind geboren; nach Mutterschutz und
Erziehungsurlaub wurde am F..05.1998 ihr zweites Kind geboren. Im Oktober
2002 nahm die Klägerin ein Lehramtsstudium auf, das sie mit der Ersten
Staatsprüfung im Februar 2007 beendete. Im Anschluss daran erfolgte der
Vorbereitungsdienst, der im Oktober 2008 abgeschlossen wurde.
Nach zunächst befristeter Tätigkeit ab November 2008 wurde die Klägerin ab
dem 03.08.2009 als vollbeschäftigte Lehrkraft auf unbestimmte Zeit in den
niedersächsischen Schuldienst eingestellt.
Unter dem 06.09.2009 beantragte die Klägerin, in das Beamtenverhältnis auf
Probe übernommen zu werden. Nach einem Bericht an das Nds.
Kultusministerium teilte die Landesschulbehörde G. der Klägerin unter dem
14.10.2009 mit, dass die Voraussetzungen für eine Erhöhung der Altersgrenze
im Falle der Klägerin nicht gegeben seien, weil es an einem kausalen
Zusammenhang zwischen der von der Klägerin wahrgenommenen
Kinderbetreuung und der Einstellung in den Vorbereitungsdienst fehle. Auf
entsprechende Bitte der Klägerin und nach weiterer Begründung ihres Antrages
mit anwaltlichem Schreiben vom 25.08.2010 erging unter dem 25.10.2010 der
angegriffene Bescheid, mit dem der Antrag der Klägerin abgelehnt wurde. Zur
Begründung wurde erneut auf die fehlende Kausalität zwischen
Kinderbetreuung und Einstellung in den Vorbereitungsdienst hingewiesen.
Dagegen richtet sich die fristgerecht erhobene Klage. Die Klägerin stellt dar,
dass sie ihr Studium im Alter von 39 Jahren begonnen habe und aufgrund
vorangegangener Erziehungszeiten den Vorbereitungsdienst nicht vor
Vollendung des 40. Lebensjahres habe antreten können. Die Klägerin meint,
dass sie damit die Voraussetzungen für eine Erhöhung der Altersgrenze erfülle.
Insbesondere könne eine Kausalität zwischen Kindererziehung und
verspätetem Beginn des Vorbereitungsdienstes nicht nur dann angenommen
werden, wenn ein Studium unterbrochen werde. Vielmehr solle durch die
Erhöhung der Altersgrenze dem Elternteil, der seine Zeit für Kindererziehung
aufwende, aus Gründen der Gleichbehandlung ebenso die berufliche Chance
gewährt werden wie demjenigen, der seine berufliche Laufbahn ohne diese
zeitliche Verzögerung verfolgen könne. Deswegen komme es allein darauf an,
ob zwischen der Kindererziehung und dem Beginn des Studiums eine so lange
Verzögerung liege, die maßgeblich dafür sei, dass der Vorbereitungsdienst vor
Vollendung des 40. Lebensjahres nicht habe begonnen werden können. Dies
sei hier jedoch nicht der Fall, denn sie habe zwischen dem (zweiten)
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Erziehungsurlaub und der Aufnahme des Studiums lediglich einen Zeitraum von
1 ½ Jahren überbrücken müssen. Insgesamt wäre es möglich gewesen, ohne
die Kindererziehung das Studium vor Vollendung des 40. Lebensjahres
abzuschließen und den Antrag auf Übernahme in das Beamtenverhältnis vor
Vollendung des 45. Lebensjahres zu stellen. Ein Kausalzusammenhang
zwischen Kindererziehung und verspäteter Aufnahme des
Vorbereitungsdienstes sei unter diesen Umständen gegeben. Hierzu nimmt die
Klägerin Bezug auf eine Entscheidung des VG Hannover vom 16.12.2011.
Ergänzend weist die Klägerin auf die Bestimmungen des AGG hin, die verletzt
würden, wenn die Kausalitätsanforderungen enger als von der Klägerin
dargestellt verstanden würden. Ebenso läge auch ein Verstoß gegen Art. 33
Abs. 2 GG vor.
Im Übrigen ist die Klägerin der Auffassung, dass sich der Bescheid der
Beklagten vom 25.10.2010 als rechtswidrig erweise, so dass ihr
Schadensersatzansprüche zustünden. Unter Vorlage einer entsprechenden
eigenen Erklärung sowie entsprechender Erklärungen ihres Ehemannes und
ihrer Schwester macht die Klägerin geltend, nach der Geburt ihrer Tochter H. im
April 1994 den Entschluss gefasst zu haben, sich beruflich neu zu orientieren.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 25.10.2010 aufzuheben und die
Beklagte zu verpflichten, die Klägerin zum nächstmöglichen Zeitpunkt in
das Beamtenverhältnis auf Probe einzustellen,
hilfsweise die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom
25.10.2010 zu verpflichten, über den Antrag der Klägerin auf
Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden,
weiter hilfsweise festzustellen, dass der Bescheid der Beklagten vom
25.10.2010 rechtswidrig gewesen ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie meint, dass die Klägerin nicht in den Schutzbereich der Bestimmungen über
die Erhöhung der Altersgrenze falle. Dies folge daraus, dass die Klägerin die Zeit
der Ausbildung und der ca. 9-jährigen Tätigkeit als MTA vor Geburt ihrer Kinder
für Studium und Ableistung des Vorbereitungsdienstes hätte nutzen können. Im
Falle der Klägerin sei damit nicht die Kindererziehung, sondern ein relativ später
Entschluss zu einem Berufswechsel kausal dafür, dass sie die Altersgrenzen
nicht einhalten könne. Diesen Personenkreis habe der Verordnungsgeber nicht
schützen wollen. Für diesen Personenkreis sei auch ein Verbot der
Altersdiskriminierung nicht einschlägig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
wechselseitigen Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen sowie auf die
beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
II.
Die zulässige Klage hat Erfolg. Die Beklagte war antragsgemäß unter
Aufhebung des angegriffenen Bescheids zur Einstellung der Klägerin zu
verpflichten, denn der Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin daher in
ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO); der Streit zwischen den Beteiligten
bezieht sich dabei nur auf die Einhaltung der Altersgrenzen, wie die Vertreterin
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der Beklagten in der mündlichen Verhandlung nochmals verdeutlicht hat, so
dass für ein auszuübendes Einstellungsermessen kein Raum mehr war.
Rechtsgrundlage für die begehrte Einstellung in das Beamtenverhältnis sind die
§§ 7, 8 BeamtStG in Verbindung mit den §§ 8, 18 und 25 NBG, wobei sich die
hier umstrittenen Höchstaltersgrenzen für die Einstellung in das
Beamtenverhältnis aus § 16 NLVO ergeben.
Aus § 16 Abs. 2 S. 1 NLVO folgt, dass ein Bewerber in das Beamtenverhältnis
auf Probe eingestellt werden kann, wenn er das 45. Lebensjahr noch nicht
vollendet hat. Bei einem Bewerber, der wegen der tatsächlichen Betreuung
eines Kindes unter 18 Jahren von einer Bewerbung um Einstellung in den
Vorbereitungsdienst vor der Vollendung des 40. Lebensjahres abgesehen hat
und deshalb erst nach dem vollendeten 40. Lebensjahr in den
Vorbereitungsdienst eingestellt worden ist, erhöht sich gemäß § 16 Abs. 2 Satz
3 NLVO die sich aus § 16 Abs. 1 Satz 3 NLVO ergebende Höchstaltersgrenze
von max. 46 Jahren um drei Jahre, also maximal bis zur Vollendung des 49.
Lebensjahres.
Die zeitlichen Voraussetzungen der Erhöhung der Altersgrenze in Gestalt der
Kindererziehungszeiten liegen vor. Das erste Kind der Klägerin wurde im April
1994, ihr zweites Kind im Mai 1998 geboren; die Klägerin, die sich zwischen der
Geburt der Kinder in Mutterschutz bzw. Erziehungsurlaub befunden hat, hat sich
auch danach ganz oder überwiegend (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18. Juni
1998 – 2 C 6/98 –, juris) der Betreuung ihrer Kinder gewidmet. Die
Betreuungstätigkeit hat, wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung unter
Vorlage einer Bestätigung ihrer Gemeinde (Trägerin der Kindertagestätte)
klargestellt hat, bis zum Jahr 2002 angedauert, weil es erst zu diesem Zeitpunkt
möglich war, für ihr jüngeres Kind einen Platz in einer Vormittagsgruppe zu
bekommen. Ab Oktober 2002 hat die Klägerin ihr Studium absolviert und ist
sodann - nach Vollendung des 40. Lebensjahres - im Mai 2007 in den
Referendardienst eingetreten. Unter diesen Umständen bestehen keine Zweifel
daran, dass die Klägerin dann, wenn sie ihr Studium im Jahr 1994
aufgenommen hätte, vor Vollendung des 40. Lebensjahres in den
Vorbereitungsdienst eingestellt worden wäre, die Kinderbetreuung so gesehen
also der Grund für die verzögerte Einstellung in den Vorbereitungsdienst war.
Ihre Darstellung über eine berufliche Neuorientierung ab Mitte 1994 hat die
Klägerin durch eine persönliche Schilderung und Bestätigung durch ihren
Ehemann und ihre Schwester untermauert.
Umstritten ist zwischen den Beteiligten allein die Frage, ob der Klägerin ihre
berufliche Tätigkeit vor Aufnahme des Studiums entgegengehalten werden
kann. Das BVerwG hat (mit Urteil vom 18. Juni 1998 – 2 C 6/98 –, juris) zu Sinn
und Zweck der Vorschrift über die Erhöhung der Altersgrenze ausgeführt:
„Vielmehr soll die Regelung nach ihrer familienpolitischen Bedeutung
erreichen, daß Bewerbern, die gerade zugunsten der Kinderbetreuung die
Berufsausbildung oder Berufsausübung hinausgeschoben oder unterbrochen
haben, die damit verbundene Verzögerung in begrenztem Umfang
hinsichtlich des Einstellungshöchstalters ausgeglichen wird.“
Diese Rechtsprechung hat das BVerwG (mit Beschluss vom 24. Januar 2011 –
2 B 2/11 –, juris) fortgesetzt wie folgt:
„Aus dem Wortlaut der Vorschrift folgt, dass die im Verordnungstext
genannten Verzögerungsgründe für den vom Bewerber gewünschten
verspäteten Einstellungszeitpunkt kausal sein müssen. Dies entspricht auch
dem Sinn der Vorschrift. Durch sie soll nicht das Höchstalter für die
Einstellung oder Übernahme in ein Probebeamtenverhältnis pauschal um die
im Einzelnen benannten Verzögerungszeiten hinausgeschoben werden. Die
Übernahme ins Beamtenverhältnis soll vielmehr lediglich dann nicht an Zeiten
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des Wehr- oder Zivildienstes, der Kindererziehung, eines sozialen Jahres
oder geleisteter Betreuung von Angehörigen scheitern, wenn diese Zeiten der
maßgebliche Grund für die Überschreitung des Höchstalters darstellen, wenn
also der Bewerber ohne diese Zeiten hätte eingestellt werden können. Es
sollen nur diejenigen Nachteile ausgeglichen werden, die mit den geregelten
Ausnahmetatbeständen ursächlich zusammenhängen. Unterbrechungen des
Kausalzusammenhangs durch weitere, vom Verordnungsgeber nicht
privilegierte Ursachen bleiben deshalb bedeutsam, da insoweit kein Grund für
eine Privilegierung der betroffenen Bewerber besteht.“
Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung stellt sich die Beklagte auf den
Standpunkt, dass die durch die Klägerin wahrgenommene Kindererziehung
deswegen nicht kausal für die Überschreitung der Altersgrenze gewesen sei,
weil dieser Lebensabschnitt zeitlich nach einer viele Jahre andauernden
Ausbildung und Berufsausübung in einem anderen Beruf gelegen habe, die die
Privilegierung nicht rechtfertige. Demgegenüber meint die Klägerin unter Hinweis
auf die Entscheidung des VG Hannover (Urteil vom 16. Dezember 2011 – 13 A
2095/11 –, juris; vgl. auch VG Braunschweig, Urteil vom 21.11.2012, 7 A
141/12), dass ihr aufgrund der tatsächlich geleisteten Kindererziehung die
erhöhte Einstellungsgrenze zu gute kommen müsse. Im Hinblick auf diese damit
allein streitige Frage ist die Kammer zu der Auffassung gelangt, dass für die
Klägerin die erhöhte Altersgrenze gelten muss. Eine Beschränkung des § 16
Abs. 2 NLVO auf Fallkonstellationen, in denen ein Studium durch Zeiten der
Kindererziehung von vornherein verzögert worden oder zumindest unterbrochen
worden wäre, lässt sich dem Wortlaut der Vorschrift nicht entnehmen und ergibt
sich auch nicht aus ihrem Sinn und Zweck, denn auch zu dem späteren
Zeitpunkt ändert sich an der Tatsache der wahrgenommenen Kindererziehung,
die ausgeglichen werden soll und damit die Rechtfertigung der Vorschrift bildet,
nichts. Dementsprechend gilt nach der Rechtsprechung auch, dass Umstände,
die vor einem Verzögerungstatbestand im Sinne einer Vorschrift über
Altersgrenzen bei der Einstellung liegen, nicht geeignet sind, die Kausalität
solcher Gegebenheiten für die Verzögerung der Einstellung zu beseitigen (so
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21. Juni
2012 – 6 A 123/11 –, juris, zu § 6 Abs. 2 LVO NRW; ebenso VG Braunschweig,
Urteil vom 21.11.2012, aaO). Dass das Nds. OVG die Berufung gegen die
erwähnte Entscheidung des VG Hannover zugelassen hat (Beschluss vom
07.03.2013, 5 LA 35/12), bleibt für das vorliegende Verfahren ohne
Auswirkungen, weil Anlass für die Zulassung die in jenem Verfahren
abweichenden tatsächlichen Umstände waren, denn die Klägerin jenes
Verfahrens hatte ihr Studium erst nach der für die Einstellung in den
Vorbereitungsdienst maßgeblichen Altersgrenze aufgenommen.
Danach ist für die Klägerin die Höchstaltersgrenze des § 16 Abs. 2 Satz 3 NLVO
von 49 Jahren maßgeblich. Dass die Klägerin auch diese Grenze im
maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (hierzu BVerwG, Urteil
vom 23.02.2012, 2 C 76/10; juris) überschritten hat, steht einem Erfolg der Klage
nicht entgegen. Zutreffend ist zwar, dass die Klägerin im Zeitpunkt der
Entscheidung des Gerichts bereits das 50. Lebensjahr überschritten hatte. Dies
war allerdings weder zum Zeitpunkt der Antragstellung bei der Beklagten noch
zum Zeitpunkt der Klagerhebung der Fall. Darauf kann sich die Klägerin berufen,
weil die weitere Verzögerung auf nicht von der Klägerin zu vertretende Gründe
zurückzuführen ist, so dass die Anwendung der Höchstaltersgrenze insoweit
unbillig wäre (§ 16 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 NLVO). Das der Beklagten und dem
Finanzministerium aus dieser Vorschrift insoweit grundsätzlich zustehende
Vorschlags- und Ausnahmeermessen ist mit Blick auf die Rechtsschutzgarantie
des Art. 19 Abs. 4 GG auf Null reduziert (so Oberverwaltungsgericht für das
Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21. Juni 2012 – 6 A 123/11 –, juris zu der
entsprechenden Vorschrift aus dem Landesrecht Nordrhein-Westfalens).
Da, wie bereits erwähnt, die Sache im Übrigen spruchreif war, war der Klage
hiernach stattzugeben. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO
in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO. Gründe für eine Zulassung
der Berufung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 4 i.V.m. § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO) liegen
nicht vor.