Urteil des VG Braunschweig vom 21.01.2014

VG Braunschweig: passiven, stand der technik, grundstück, entschädigung, fahrbahn, firma, markierung, überschreitung, gutachter, anwohner

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Straßen- und Wegerecht - nachträgliche
Schutzauflagen zu einem Planfeststellungsbeschluss
VG Stade 2. Kammer, Urteil vom 21.01.2014, 2 A 1211/11
§ 41 BImSchG, § 17 Abs 1 S 2 FStrG, § 17c FStrG, § 50 VwGO, § 50 Abs 1 Nr 6
VwGO, § 75 Abs 2 S 2 VwVfG, § 75 Abs 3 VwVfG, § 76 Abs 2 VwVfG
Tatbestand
Die Klägerin begehrt ergänzende Maßnahmen zum
Planfeststellungsbeschluss für einen Bauabschnitt der Bundesautobahn A 1
zwischen Hamburg und Bremen zum Zwecke des Schallschutzes.
Die Klägerin ist Eigentümerin der Grundstücke B. C. und J. in K.. Das
Grundstück liegt im Bereich des 4. Bauabschnitts für den sechsstreifigen
Ausbau der A 1 von westlich der Anschlussstelle L. bis östlich der
Anschlussstelle M. (Bau-km 6+700 bis Bau-km 70+500 der mit Beschluss vom
28. Oktober 2005 (Az.: 33 LG – 31027-A 173) planfestgestellt wurde. Der
Planfeststellungsbeschluss sieht unter C.III. 5.1. Schalltechnische Bewertung
auf der Grundlage der 16. Bundes-Immissionsschutz-Verordnung und
entsprechenden Berechnungen der zu erwartenden Schallbelastungen für die
Anliegergrundstücke vor, dass für die Fahrbahnen im gesamten
Planungsabschnitt ein lärmmindernder Fahrbahnbelag eingebaut wird. Dieser
soll gewährleisten, dass eine dauerhafte Lärmminderung von 2 dB(A) erreicht
wird. Weiter heißt es dort, dass durch Umsetzung der entsprechenden
Planung sichergestellt werde, dass eine dauerhafte Lärmminderung in Höhe
dieses Wertes erreicht werde. Weiter stellt der Planfeststellungsbeschluss fest,
dass ohne zusätzliche Schutzmaßnahmen in den Ortslagen N., O., P., E., Q.
und R. mit Überschreitungen der nach der 16. BImSchV zu beachtenden
Immissionsgrenzwerte sowohl am Tag als auch in der Nacht zu rechnen ist.
Der Vorhabenträger habe aus diesem Grund aktive Lärmschutzmaßnahmen in
Form von Lärmschutzwällen und –wänden in den verschiedenen Ortslagen in
Höhe von bis zu 6 m und im Verlauf der Lärmschutzwand auf dem
Lärmschutzwall in der Ortslage R. von 8.50 m über der Gradiente der Trasse
vorgesehen sind.
Für die Ortslage N. wird zwischen Baukilometer 62,925 und Baukilometer
62,975 eine Lärmschutzwand in Höhe von einem Meter (beidseitig
reflektierend) vorgesehen und zwischen Baukilometer 62,975 und
Baukilometer 63,065 in Höhe von 5 Meter (beidseitig reflektierend). Weiter
heißt es dann:
"Ortslage N.
Ohne aktive Lärmschutzmaßnahmen bestehen in N. an 10 Gebäuden
und 3 Anliegerwohnbereichen Grenzwertüberschreitungen. Ein
vollständiger aktiver Lärmschutz dieser Ortslage würde eine 10 m hohe
und ca 1.040 m lange Lärmschutzwand erfordern, die Gesamtkosten in
Höhe von rd. 2,385 Mio € verursachen würde. Der Vorhabenträger hat
daher in diesem Bereich 2 Varianten geprüft. Zum einen die Errichtung
einer Lärmschutzwand mit einer Höhe von 4 bis 5 m und einer Länge von
ca. 1.300 m, mit der nur die Grenzwerte für die Nacht an 2 Gebäuden
nicht eingehalten werden können, für die noch ein Anspruch auf
Passivlärmschutz verbliebe. Diese Variante würde Kosten in Höhe von
ca. 1.420.000 € bedeuten. Die 2. Variante sieht eine Lärmschutzwand
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von max. 5 m Höhe und ca. 140 m Länge vor. Hierbei verbleiben
Überschreitungen der Tagwerte an 2 Objekten und der Nachtwerte an 8
Objekten sowie bei 2 Außenwohnbereichen, so dass für die anfallenden
aktiven und passiven Lärmschutzmaßnahmen ca. 190.000 € Kosten
entstehen.
Da die Tagwerte bis auf 2 Ausnahmen eingehalten werden, hat sich der
Planungsträger für die Umsetzung der 2. Variante entschieden. Aufgrund
der Tatsache, dass mit der um ca. 1,2 Mio teureren Variante lediglich an
8 Gebäuden die Einhaltung der Grenzwerte erreicht würde, ist die
Entscheidung für die kostengünstigere 2. Variante seitens der
Planfeststellungsbehörde nicht zu beanstanden.“
Die Klägerin bewohnt mit ihrer Familie unter der angegebenen Adresse eine
landwirtschaftliche Hofstelle im Bereich des 4. Planungsabschnittes der
Autobahn. Aufgrund des Planfeststellungsbeschlusses wurden passive
Lärmschutzmaßnahmen am Gebäudebestand der Klägerin ausgeführt. Diese
stützten sich auf entsprechende Gutachten i. V. m. §§ 41, 42 BImSchG und
der 16. BImSchV, sowie der Richtlinie für den Lärmschutz an Straßen (RLS-
90). Nach sich nach Auffassung der Klägerin nach Durchführung der
Baumaßnahmen herausgestellt hatte, dass sich die im
Planfeststellungsbeschluss festgelegten Immissionsgrenzwerte nicht einhalten
ließen, weil auf der Fahrbahn ein Markierung aufgebracht worden war, deren
Ausführung bei der Berechnung der lärmtechnischen Belastungen keine
Berücksichtigung gefunden hat, stellte die Klägerin bei der Beklagten einen
Antrag auf nachträgliche Schutzauflage, hilfsweise auf Entschädigung in Geld.
Mit Bescheid vom 25. August 2011 lehnte die Beklagte nachträgliche
Schutzauflagen ebenso wie hilfsweise Entschädigung in Geld ab. In der
Begründung heißt es, wegen der auf der Fahrbahn aufgebrachten
Agglomeratmarkierungen habe die Klägerin diese nachträglichen
Schutzvorkehrungen gegen Lärm bzw. hilfsweise Entschädigung in Geld
beantragt. Hintergrund seien kreissägenähnliche Geräusche, die
beim Überfahren dieser Markierungen auftreten. Der
Planfeststellungsbeschluss vom 28. Oktober 2005 habe der Klägerin für die
Gebäude im B. C. und J. wegen Überschreitung der Nachtgrenzwerte
Entschädigung für passiven Lärmschutz zugebilligt. Dieser sei im Gebäude B.
C. auch umgesetzt worden, so dass in den Schlafräumen höchstens 26,9
dB(A) Dauerschallpegel einträfen, die durch die prognostizierten maximalen
Verkehre auf der Bundesautobahn verursacht würden. Das noch
umzubauende Gebäude im B. J. könne durch Umbaumaßnahmen nach dem
Stand der Technik bereits ohne zusätzlichen passiven Lärmschutz auf dieses
Lärmniveau gebracht werden. Der Planfeststellungsbeschluss schreibe eine
Fahrbahnoberfläche mit -2,0 dB(A) im Dauerschallpegel vor (A.I.3.3.4 des
PFB). Die Fahrbahnoberfläche sei mit Waschbeton ausgestaltet worden, der
diesen Anforderungen entspreche. Zur Zeit des Planfeststellungsverfahrens
sei die Art der Markierung noch nicht bekannt gewesen. Die 16. BImSchV und
die RLS-90 sähen eine Berücksichtigung von Markierungen für die
Geräuschermittlung nach wie vor nicht vor. Zum Zeitpunkt, als die Klägerin bei
der Behörde vorstellig geworden sei, seien in ihrem Straßenabschnitt bereits
die Markierungen für 3 Fahrspuren vorhanden gewesen, wegen der noch
andauernden Bauarbeiten seien aber 4 Fahrspuren eingerichtet gewesen. Seit
Ende Oktober 2010 werde die Autobahn nun in dem endgültig ausgebauten
Zustand dreispurig befahren. Der Vorhabenträger habe zur Verwendung der
Agglomeratmarkierungen erklärt, er habe die Interessen der betroffenen
Anwohner mit dem Interesse an der Verkehrssicherheit und Funktionsfähigkeit
abgewogen. Von anderen Markierungsarten habe er deshalb Abstand
genommen, weil sich diese im Vergleich mit den nun aufgebrachten
Agglomeratmarkierungen als nicht gleich geeignet erweisen würde. Das die
Agglomeratmarkierungen tragende Interesse an Haltbarkeit, Funktionsfähigkeit
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und Verkehrssicherheit habe der Vorhabenträger deshalb als überwiegend
angesehen, weil die Lärmbelastung der betroffenen Anwohner im
Dauerschallpegel kaum über den sonstigen Verkehrsgeräuschen liege. Die
Wahrnehmbarkeit der Überfahrungsgeräusche hänge vorrangig mit einer
Frequenzveränderung des Rollgeräusches und nicht mit einer relevanten
Lärm-steigerung zusammen. Es folgen dann Ausführungen zur technischen
Ausgestaltung der Markierungen und die Aussage, dass abschließende
Feststellungen über die Auswirkungen der Markierungsart bisher nicht
vorlägen. Der Antrag wird schließlich mit der Begründung gemäß § 17 FStrG i.
V. m. § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG abgelehnt, da durch das Überfahren der
Markierungen die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Anlehnung
an die 16. BImSchV festgelegten Erheblichkeitsschwelle nicht erreicht werde.
Diese Erheblichkeitsschwelle sei erst ab einer Zunahme des Lärms von 3
dB(A) überschritten. Hiervon könne nicht die Rede sein. Die
Planfeststellungsbehörde sei bei ihrer Entscheidung von dem von der Firma S.
ermittelten Geräuschverstärkungspegel von 2,7 dB(A) für
Agglomeratmarkierungen wie er dort in Bezug auf Splitmastiksasphalt
festgestellt wurde, als Richtwert ausgegangen. Unter Worst-case-
Gesichtspunkten habe sie gleichwohl einen Einzelschallpegel von 5 dB(A) in
ihrer Berechnung des energetischen Wertschallpegels (Dauerschallpegel)
nach den Anforderungen der 16. BImSchV zugrunde gelegt. Die
Planfeststellungsbehörde sei unter Worst-case-Gesichtspunkten dabei davon
ausgegangen, dass sämtliche Fahrzeuge permanent über die Strich-Lücke-
Strichmarkierung zur Begrenzung der Fahrbahnen (Mittelstreifen) führen.
Dabei sei lediglich eine Dauerschallpegelverstärkung um 1,36 dB(A) im
energetischen Mittel gegenüber dem Fahrbahnabrollgeräusch ohne
Markierungen errechnet worden. Die Erheblichkeitsschwelle sei jedenfalls
nicht überschritten. Der Bereich der
enteignungsgleichen/gesundheitsgefährdenden Schwelle (ab 70 dB(A) tags
und/oder ab 60 dB(A) nachts) sei nicht erreicht. Die Tageswerte lägen deutlich
unterhalb von 70 dB(A). Der Nachtwert für Wohngebiete von 60 dB(A) werde
zwar an einigen Immissionsorten bereits durch das planfestgestellte Vorhaben
überschritten (maximal 60,3 dB(A)), die planfestgestellten Maßnahmen des
passiven Lärmschutzes glichen diese Überschreitung in Bezug auf den Lärm
ohne Markierungen aber aus. Die hinzutretende Geräuschbelastung durch das
Überrollen der Markierungen bewirke gleichwohl keine derart starke
Pegelerhöhung, die einen Anspruch auf nachträgliche Schutzvorkehrungen
auslöse. Bei Betrachtung der Lärmzunahme durch die Markierungen sei zu
berücksichtigen, dass sich bei den Nachtwerten eine schematische
Bestimmung der Erheblichkeitsschwelle verbiete. Maßgeblich für die
Gesundheit seien die Innenraumpegel, die beim Dauerschall im Bereich
zwischen 30 und 35 dB(A) und bei Pegelspitzen in der Größenordnung von 40
dB(A) überschritten werden müssten, um Gesundheitsgefährdungen
auszulösen. Die die 16. BImSchV konkretisierende RLS-90 klammere die
Überfahrgeräusche der Markierungen nicht grundlos aus der Lärmberechnung
aus. Einerseits sei der Hintergrund dafür die Verschiedenartigkeit der
Geräuschkulissen. Die RLS-90 betrachte konstante, durchgängige Geräusche
– nicht einzelne Geräuschspitzen wie das Überfahren von Bahnübergängen,
Kanalisationsdeckeln, regennassen Fahrbahnen oder Markierungen bleibe
unberücksichtigt, weil diese im Rahmen der auf ein Jahr ermittelten Geräusche
keine Auswirkungen auf das Ergebnis einer Lärmberechnung hätten. Das
stehe im Zusammenhang mit ihrer Unvorhersehbarkeit in Bezug auf den Ort,
die Häufigkeit und den konkreten Zeitpunkt des Eintritts. Andererseits würden
nach der RLS-90 sämtliche Berechnungsparameter stets in der für die
Betroffenen ungünstigsten Situation in die Lärmberechnung eingestellt.
Dadurch entstehe ein Sicherheitspuffer, der durch kurzzeitige Geräuschspitzen
nicht überschritten werde.
Die Klägerin hat am 29. September 2011 die vorliegende Klage erhoben. Sie
wiederholt zur Begründung ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren und
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macht geltend, die Überfahrgeräusche stellten für sich genommen eine
erhebliche Lärmbeeinträchtigung dar. Die Klägerin empfindet die von der
Beklagten so bezeichneten Lärmspitzen besonders nachts als unerträglich,
gerade weil es sich neben der Änderung des Druckpegels um markante
Frequenzveränderungen handele, die auch den Autofahrer aufschrecken
sollten. Der verniedlichende Begriff „Lärmspitzen“ werde dem nicht gerecht.
Die Anbringung zwischen den Fahrspuren führe einerseits zu einer
Überfahrhäufigkeit, die andererseits völlig unregelmäßig, also überraschend
auftrete. Der Vergleich mit dem Überfahren von Kanaldeckeln führe nicht
weiter. Im Übrigen räume die Beklagte selber ein, dass sie Ermittlungen
hinsichtlich der Frage der Auswirkungen der verwendeten
Fahrbahnmarkierungen aufgenommen habe. Die vorläufigen Ergebnisse der
Fa. S. zeigten lediglich eine gewisse Tendenz. Allerdings bestünden Zweifel
an der Unparteilichkeit dieser Firma, weil diese möglicherweise wirtschaftliche
Interessen an dem Ergebnis habe. Schließlich könne auch die Frage nach
rechnerisch zu berücksichtigenden Lärmimmissionen nicht allein mit der
Anfügung von Pegelspitzen und deren wie auch immer interpolierten
Dauerschallpegeln beantwortet werden. Hier sei auch die Häufigkeit der
Fahrbahnwechseln in Abhängigkeit zur Verkehrsdichte ebenso zu
berücksichtigen wie die Tatsache der außergewöhnlichen Erhöhung der
Schallfrequenz, die schlechterdings nicht mehr mit dem normalen Rauschen
des Verkehrs gleichgesetzt werden könne.
Die Klägerin beantragte ausdrücklich, durch Gutachten feststellen zu lassen,
welche Pegelerhöhungen die Verwendung der Fahrbahnmarkierung zur Folge
habe.
Zudem bestünden durchgreifende Zweifel, dass die
Verkehrslärmschutzverordnung und die RLS-90 den gesetzlich vorgesehenen
Vorgaben entsprächen, die sich aus dem § 41 ff. BImSchG ergeben. Zwar
könne es zutreffen, dass der Planfeststellungsbeschluss an einem materiell
rechtlichen Fehler nicht leide, der nach den eingängigen Prüfungsergebnissen
zum Erfolg einer Anfechtungsklage hätte führen können. Auch bestünden
keine Zweifel an den durchgeführten Verkehrsuntersuchungen, insbesondere
an deren methodischer Richtigkeit, aber es werde der notwendige adäquate
Ursachenzusammenhang mit dem eigentlichen Vorhaben geleugnet bzw.
verfälscht, wenn nach Abschluss des Planfeststellungsverfahrens der
Oberflächenbelag der Straße in wesentlichen Teilen ausgetauscht oder
verändert werde. Die buchstabengetreue Anwendung der
Lärmschutzverordnung und demgemäß dem RLS-90 verfehle in diesem Falle
ihr Ziel, weil sich diese buchstabengetreue Anwendung lediglich auf die der
rechtlichen Beurteilung und den errechneten Prognosen zugrundeliegenden
Angaben und Regelungsinhalt stütze, die tatsächlich anschließend wesentlich
modifizierte Straßenoberfläche völlig außer Betracht lasse, und die zudem in
den zitierten Vorschriften gar nicht vorkomme. Bei einer völlig unzulänglich
aufgeklärten Auswirkung des tatsächlich aufgebrachten Straßenbelages
müsse davon ausgegangen werden, dass damit auch die rechnerisch
errechnete Lärmbelastung falsch sei und der vom Gesetz eingeräumte
Wertungsspielraum überschritten werde. Die Verdrängung bzw. reine
Negierung der auf die Fahrbahn aufgebrachten Agglomeratmarkierungen
stelle einen offensichtlichen Mangel der wirklichkeitsnahen Abbildung
voraussichtlicher Lärmbelastung dar und begründe insoweit durchgreifende
Zweifel an der grundsätzlichen Eignung des berücksichtigten
Berechnungsverfahrens. Die 16. BImSchV setze Immissionsgrenzwerte fest,
die nicht überschritten werden dürften. § 3 der Vorschrift regele, wie diese
Grenzwerte nach der Anlage 1 der VO zu berechnen seien. Dabei finde die
Beschaffenheit der Straßenoberfläche Eingang in die Berechnung, in der nach
der Tabelle B zur Anlage 1 verschiedene Oberflächenarten bei bestimmten
Korrekturwerten zu berücksichtigen seien. Bei diesen aufgeführten
Straßenoberflächen handele es sich um solche, die auch in ihrer Lärmwirkung
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dem Verordnungsgeber bekannt waren bzw. sind. Über die Korrekturwerte
lasse sich ein Ergebnis einer einheitlichen Lärmbelastung errechnen.
Erkennbar sei der Verordnungsgeber seinerzeit aber davon ausgegangen,
dass zukünftige Entwicklungen eher zu einer stärkeren Lärmminderung denn
zu einer Lärmerhöhung führen würden. Die Tabellen der Anlage zeigten, dass
er diese Lärmerhöhungen auch hinreichend in dB(A) zu bewerten wusste. Der
Zweck des BImSchG, wie er sich aus § 1 deutlich ergebe, könne nicht durch
eine hinkende Vollzugsverordnung zugleich verbindlich ausgelegt und
festgeschrieben werden. Stets und vor allem in offensichtlichen Fällen bleibe
die Prüfung der Maßstäblichkeit an Sinn und Zweck des Gesetzes gegeben.
Die 16. BImSchV konkretisiere im vorliegenden Fall eben nicht mehr die
Erheblichkeit bzw. Schädlichkeit der Geräusche in dem notwendigen
gesetzlichen Maß. Die 16. BImschV bleibe hinter den Vorgaben des § 41
BImSchG zurück, so dass hier unmittelbar auf diese Vorschrift zurückgegriffen
werden müsste. Die Auswirkungen der Straßenmarkierungen seien seit 10
Jahren bekannt, würden aber nicht aufgegriffen. Die Beklagte dürfte nicht
vernachlässigen, dass die verwendeten Fahrbahnmarkierungen gerade den
Zweck hätten, Geräusche zu erzeugen. Aus den zusätzlichen technischen
Vertragsbedingungen und Richtlinien für Markierungen auf Straßen – ZTVM
02, Seite 15 – ergebe sich, dass durch den Einsatz von Typ 2-Markierungen
mit profilierter Oberfläche zusätzlich ein akustischer Effekt erzielbar sei,
allerdings werde dieser Art der Markierung wegen der damit verbundenen
Geräuschentwicklung nur außerhalb bebauter Gebiete empfohlen. Auf Seite
22 der ZTMV 02 unter Ziffer 6.1.3.3. ergebe sich schließlich, dass
Kontrollprüfungen der fertigen Markierungen die entstehende
Geräuschentwicklung, den Lärm, nicht zum Gegenstand haben. Das
wiederhole sich unter Ziffer 6.1.6. Auch in dem Merkblatt für
Agglomeratmarkierungen (Ausgabe 2006) werde unter Ziffer 3 darauf
hingewiesen, dass diese je nach Ausführung beim Überfahren zu erhöhter
Geräuschentwicklung führen könnten. Aus den Unterlagen ergebe sich
zudem, dass die Geräuschentwicklung keineswegs zu vernachlässigen sei.
Die Agglomeratmarkierungen seien seit Jahren bekannt und es müsse davon
ausgegangen werden, dass ihre Verwendung zu schädlichen
Umwelteinwirkungen für die Klägerin führe.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 25. August 2011 aufzuheben und
die Beklagte zu verpflichten, dem Träger des Vorhabens unter
Berücksichtigung der Auffassung des Gerichts aufzugeben,
Vorkehrungen zu treffen oder Anlagen zu errichten oder unterhalten,
welche notwendig oder geeignet sind, um die nachteiligen Wirkungen,
die durch die auf der BAB 1 aufgebrachten Agglomeratsmarkierungen
für die Grundstücke C. und J. in D. K. auftreten, auszuschließen,
hilfsweise,
unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 25. August 2011
die Beklagte zu verpflichten, für den Fall, dass solche Vorkehrungen
und Anlagen untunlich sind, oder mit dem Vorhaben unvereinbar sein
sollten, für die Klägerin eine angemessene Entschädigung in Geld
festzusetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte verteidigt ihren Bescheid und macht geltend, es sei bereits
zweifelhaft, ob das Überfahrgeräusch tatsächlich Lärmpegelerhöhungen mit
sich bringe. Vielmehr dürfte es sich dabei um eine Frequenzverschiebung
beim Überfahren der Markierung handeln, die sich bemerkbar mache. Dies
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führe allerdings nicht zu einer weiteren Aufklärungspflicht der Beklagten. Im
Ablehnungsbescheid sei die Beklagte zugunsten der Klägerin unter Worst-
Case-Gesichtspunkten von einer ungewöhnlich hohen
Geräuschpegelsteigerung in Höhe von 5 dB(A) ausgegangen, obwohl die von
der Firma S. ermittelten Werte für ähnliche Fahrbahnen weit darunter lägen. Es
könne dahinstehen, ob die Firma S. nicht die erforderlichen Anforderungen
erfülle, um als Grundlage der Entscheidung herangezogen werden zu können.
Genau deswegen habe die Beklagte eine Worst-Case-Betrachtung angestellt,
bei der die Werte der Firma T. nahezu verdoppelt worden seien. Da momentan
keine anderen Daten verfügbar seien, habe die Beklagte die entsprechend
hohen Werte von 2,7 dB(A) zugunsten der Klägerin als Anhaltswerte zugrunde
gelegt und diese im Sinne eines Worst-Case zugunsten der Klägerin auf 5
dB(A) erhöht. Es sei angesichts der Fahrbahnbreite der Autobahn ein
versehentliches Überfahren der Markierungen äußerst selten anzunehmen.
Auch beim Fahrspurwechsel, der angesichts der geringeren Fahrzeugmengen
nachts sicherlich wesentlich seltener als tags vorgenommen werde, finde ein
Überfahren der Markierung im Strich-Lücke-Verhältnis von 1:2 eher selten
statt. Zu bedenken sei letztlich, dass das Überfahren im Hörbereich des
Grundstücks der Klägerin geschehen müsse. Bei Bewertung dieser Fakten
liegen auf der Hand, dass ein Überfahren der Markierungen mit Auswirkung für
die Klägerin - vor allem nachts - in den seltensten Fällen vorkommen dürfte.
Die Geräusche des Überfahrens der aufgebrachten Agglomeratmarkierungen
seien seitens der Beklagten nicht in die Berechnung der Beurteilungspegel
nach der 16. BImSchV/RLS-90 einzustellen. Die Beklagte sei nicht befugt, sich
über die demokratisch legitimierte Entscheidung des Verordnungsgebers
hinwegzusetzen und selbst Parameter zur Modifikation der RLS-90 zu
entwickeln. Nach § 42 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG sei es Aufgabe des
Verordnungsgebers, das Verfahren zur Ermittlung der Immissionen zu regeln.
Bei der Berücksichtigung verschiedener Sondersituationen stehe ihm eine
Typisierungskompetenz zu. Die Richtigkeit der 16. BImSchV sei im
vorliegenden Zusammenhang nicht anzuzweifeln. Die höchstrichterliche
Rechtsprechung habe erst Mitte 2010 die Aktualität der 16. BImSchV bestätigt,
zudem müssten Grenzwerte beachtet werden, solange nicht wissenschaftliche
Erkenntnisse vorlägen, die für die Ungeeignetheit bzw. Unzulänglichkeit dieser
Werte sprächen. Zur Feststellung der Ungeeignetheit genüge es nicht, dass
zukünftige Erkenntnisse, die für die Festsetzung niedrigerer Grenzwerte
sprechen könnten, nicht völlig auszuschließen seien. Solange der Nachweis
nicht erbracht sei, gelten die aktuellen Grenzwerte. Gleiches gelte für die
Berechnungsmethoden. Zwar laufe seit einiger Zeit eine Studie der
Bundesanstalt für Straßenwesen zum Thema Fahrbahnmarkierungen. Valide
Daten lägen jedoch bisher nicht vor, und ein Ergebnis sei nicht absehbar.
Ausschließlich auf Grundlage der Tatsache, dass hier nach neuen
Erkenntnissen geforscht werde, könne nicht davon ausgegangen werden,
dass etwaige Erkenntnisse zu einer Korrektur der Berechnungsmethode
führen würden. Andererseits wären die Überfahrgeräusche der Agglomerate
nach dem Berechnungssystem der 16. BImSchV über den Tag zu ermitteln
und ergäben selbst im Extremfall maximal 1,36 dB(A)
Geräuschpegelsteigerung, insofern werde auf die Ausführungen im
streitgegenständlichen Bescheid und die Verfahrensakte verwiesen.
Schließlich werde der im Planfeststellungsbeschluss vom 28.10.2005
prognostizierte Verkehr von 70.200 KFZ/24 h nach der Verkehrszählung 2010
(Zählstelle 2721/0013) mit lediglich 48.000 KFZ/24 h weit unterschritten. Dies
allein bedeute eine Reduktion der Immissionen tags um 1,6 dB(A) und nachts
um 1,4 dB(A) im Vergleich mit den prognostizierten Immissionspegeln.
Mit Beschluss vom 14. Februar 2013 hat das Gericht durch Einholung eines
Sachverständigengutachtens Beweis zu der Frage erhoben, um welchen Wert
sich der in dem Planfeststellungsbeschluss für den sechsstreifigen Ausbau der
A1 in dem hier streitigen Bereich prognostizierte Mittelungspegel des
Verkehrslärms auf dem Grundstück der Klägerin gegliedert nach Tag und
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Nacht durch das Aufbringen profilierter Fahrbahnmarkierungen erhöht. Dem
Gutachter wurde weiter aufgegeben, den Einfluss auf den Mittelungspegel des
Verkehrslärms sowohl für den Außenwohnbereich als auch für das
Wohngebäude anzugeben. Der Gutachter hat am 24. Mai 2013 das Gutachten
erstellt und kommt zu dem Ergebnis, dass im Bereich des Streckenabschnitts
vor dem Grundstück der Klägerin der prognostizierte Mittelungspegel des
Verkehrslärms auf ihrem Grundstück durch das Aufbringen profilierter
Fahrbahnmarkierungen tags um < = 1,2 dB(A) und nachts < = 1,0 dB(A)
erhöht. Diese Pegelerhöhungen sollen sowohl für den Außenbereich als auch
für alle Hausseiten des Wohngebäudes zutreffen. Weiter heißt es im
Gutachten auf Seite 16:
"Aus den in der Tabelle 8 (Seite 15) zusammengestellten Pegelwerten
ergeben sich für das Wohngebäude B. C. gegenüber den Ergebnissen
der schalltechnischen Untersuchung zum Planfeststellungsverfahren um
i.M. 1 dB(A) höhere BEURTEILUNGSPEGEL. Da für die meisten
Immissionsorte für die Nachtzeit bereits ein "Anspruch auf Lärmschutz
dem Grunde nach" festgestellt wurde, ändert sich dort aufgrund des
korrigierten BEURTEILUNGSPEGELS lediglich der bei der Bemessung
des baulichen Schallschutzes nach der 24. BImSchV zugrunde zu
legende Außenlärmpegel. In diesem Sinne ist auch die
Immissionsbelastung der "Außenwohnbereiche" betroffen, für den
aufgrund der festgestellten Grenzwertüberschreitung ein
(gegebenenfalls) weitergehender Anspruch auf Entschädigung
bestünde.
Einen grundsätzlichen Einfluss hätte die beschriebene Pegelerhöhung
dagegen am Wohnhaus B. C. für folgende Immissionsorte:
Erdgeschoss Nordfassade nachts
hier wurde nach den Ergebnissen der Planfeststellung kein Anspruch auf
("passiven") Lärmschutz festgestellt. Legte man dagegen den
korrigierten BEURTEILUNGSPEGEL der Bemessung des "passiven"
Schallschutzes zugrunde, so ergäbe sich ein Anspruch für die Nachtzeit -
d. h. für Schlafräume oder Kinderzimmer.
Erdgeschoss und Obergeschoss der Ostfassade tags
hier wurde nach den Ergebnissen der Planfeststellung ein Anspruch auf
("passiven") Lärmschutz lediglich für die Nachtzeit - d. h. für Schlafräume
oder Kinderzimmer - festgestellt. Legte man dagegen den korrigierten
BEURTEILUNGSPEGEL der Bemessung des "passiven" Schallschutzes
zugrunde, so ergäbe sich ein Anspruch auch für die Tagzeit, d. h. für jede
Art von "Aufenthaltsraum"." [Hervorhebungen im Original]
Die Klägerin hält bereits die Regelungen der 16. BImSchV, die Zuschläge für
als auffällig einzustufende Geräuschemissionen nicht kenne, für mit
höherrangigem Recht nicht vereinbar an. Im Übrigen sieht sie sich durch das
Ergebnis der Beweisaufnahme in ihrer Auffassung bestätigt. Das Gutachten
habe ergeben, dass durch die nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses
eingebauten Fahrbahnmarkierungen erhebliche Erhöhungen der Belastung
durch Geräuschimmissionen auf dem Grundstück der Klägerin verursacht
würden.
Demgegenüber verbleibt die Beklagte bei ihrer bisherigen Auffassung. Die
durch die Agglomeratmarkierungen hervorgerufenen Geräusche seien in die
Rechenwerke nach der 16. BImSchV bereits eingerechnet. Die Klägerin könne
trotz der vom Gutachter ermittelten Erhöhungen der Lärmbelastung weiteren
Schutz für ihr Grundstück nicht beschaffen.
Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze,
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wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die
beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die vor dem Verwaltungsgericht erhobene Klage ist zulässig.
Das Verwaltungsgericht ist nach § 45 der Verwaltungsgerichtsordnung
(VwGO), abweichend von § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO instanziell zuständig, weil
die dortige Zuweisung an das Bundesverwaltungsgericht Streitigkeiten im
Rahmen des Planfeststellungsverfahrens oder über den
Planfeststellungsbeschluss betrifft, Streitigkeiten über nachträgliche
Schutzauflagen jedoch nicht erfasst. § 50 VwGO beschränkt die Zuständigkeit
auf eine Instanz vor dem Bundesverwaltungsgericht, damit über die
Zulässigkeit von Infrastrukturvorhaben möglichst zügig abschließend
entschieden wird. Diese Beschleunigung ist nicht auch für nachträgliche
Änderungen erforderlich (vgl. Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht,
Beschluss vom 1. Juli 2003 – 7 KS 115/03).
Die Klage hat mit ihrem Hauptantrag Erfolg.
Die Klägerin hat Anspruch auf Gewährung zusätzlichen Lärmschutzes für ihr
Grundstück, weil die dort auftretenden Lärmbelastungen tatsächlich höher
sind, als nach den dem Planfeststellungsbeschluss für diesen Abschnitt der
BAB 1 zugrunde gelegten Berechnungen.
Rechtsgrundlage für den hier geltend gemachten Anspruch auf nachträgliche
Schutzauflagen ist § 75 Abs. 2 Satz 2 Verwaltungsverfahrensgesetz. Dort
heißt es: Treten nicht voraussehbare Wirkungen des Vorhabens oder der dem
festgestellten Plan entsprechenden Anlagen auf das Recht eines Anderen erst
nach Unanfechtbarkeit des Plans auf, so kann der Betroffene Vorkehrungen
oder die Errichtung und Unterhaltung von Anlagen verlangen, welche die
nachteiligen Wirkungen ausschließen. Sie sind dem Träger des Vorhabens
durch Beschluss der Planfeststellungsbehörde aufzuerlegen. Sind solche
Vorkehrungen oder Anlagen untunlich oder mit dem Vorhaben unvereinbar, so
richtet sich der Anspruch auf angemessene Entschädigung in Geld.
Den nach § 75 Abs. 3 VwVfG erforderlichen schriftlichen Antrag bei der
Planfeststellungsbehörde hat die Klägerin mit anwaltlichem Schriftsatz vom 21.
Januar 2011 gemäß § 17 c Fernstraßengesetz i.V.m. § 75 Abs. 2 VwVfG
gestellt. Die Beklagte hat diesen Antrag mit Bescheid vom 25. August 2011
abgelehnt. Die Klägerin hat danach fristgerecht die vorliegende Klage erhoben,
mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt.
Der Planergänzungsanspruch nach § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG betrifft nur den
Schutz gegen solche Beeinträchtigungen, die bei Erlass des
Planfeststellungsbeschlusses nicht vorhersehbar waren. § 74 Abs. 4 Satz 2
VwVfG und § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG sind Ausprägungen des für hoheitliche
Planungen geltenden Grundsatzes der Problembewältigung. Nach der ersten
genannten Vorschrift hat die Planfeststellungsbehörde in der Planfeststellung
Schutzauflagen zu treffen, die der Erfüllung des materiell-rechtlichen
Anspruchs des Betroffenen auf Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen
von Straßen- und Schienenwegen im Sinne von § 41 BImSchG dienen. Dieser
Schutzanspruch findet seine verfahrensrechtliche Begrenzung durch § 75 Abs.
2 Satz 1 VwVfG; dessen an den Eintritt der Unanfechtbarkeit des
Planfeststellungsbeschlusses anknüpfende Ausschlusswirkung umfasst auch
das Begehren von Schutzauflagen. Im Planfeststellungsbeschluss können
freilich nur solche Einwirkungen durch Schutzauflagen bewältigt werden, die
bei Erlass des Planfeststellungsbeschlusses voraussehbar sind. Ohne
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Korrektiv hätte § 75 Abs. 2 Satz 1 VwVfG deshalb zur Folge, dass dem
Betroffenen ein Schutz vor nicht voraussehbaren Wirkungen verwehrt bliebe.
Um dies zu verhindern, gewährt § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG dem Betroffenen
einen Anspruch auf Anordnung nachträglicher Schutzvorkehrungen zum
Ausschluss nicht voraussehbarer nachteiliger Wirkungen. Sinn und Zweck der
Vorschrift ist also, den Betroffenen so zu stellen, als ob die nachträglich
aufgetretenen Wirkungen des Vorhabens bereits bei der Planung
vorausgesehen und im Planfeststellungsbeschluss berücksichtigt worden
wären. Einen Anspruch auf nachträglichen Schutz nach § 75 Abs. 2 Satz 2
VwVfG kommt mithin nur in Betracht, wenn der Betroffene bereits nach der
dem unanfechtbar gewordenen Planfeststellungsbeschluss zugrunde
liegenden Rechtslage einen Anspruch auf Schutzvorkehrungen gehabt hätte,
sofern die später aufgetretenen schädlichen Umwelteinwirkungen schon
damals vorauszusehen gewesen wären (vgl. BVerwG, B. v. 19. Oktober 2011 -
9 B 9/11 -, Rn. 4, juris, unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung zur
Auslegung der Vorschrift, BVerwG, U. v. 7. März 2007 - 9 C 2.06 -, BVerwGE
128, 177). Bei der Frage der Vorhersehbarkeit der schädlichen Auswirkungen
ist nach der Rechtsprechung ein objektiver Maßstab anzulegen (BVerwG, U. v.
7. März 2007 - 9 C 2.06 - a.a.O.). § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG regelt indes primär
nur das Verfahren für die Einforderung von Schutzanordnungen nach Eintritt
der Unanfechtbarkeit. Für die materiell-rechtliche Berechtigung von
Schutzauflagen kommt es auf das jeweilige Fachrecht, insbesondere das
Immissionsschutzrecht an, aus dem sich ergibt, ob die unvorhergesehenen
Beeinträchtigungen objektiv erheblich sind und welche Vorkehrungen in
Betracht kommen (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl., § 75, Rn. 41
m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Der für den hier betroffenen vierten Bauabschnitt des sechsstreifigen Ausbaus
der Bundesautobahn A1 maßgebliche Planfeststellungsbeschluss beschäftigt
sich unter dem Kapitel C III.5. Immissionsschutz ausführlich mit den
Lärmauswirkungen des ausgebauten Autobahnabschnittes und der
prognostizierten Verkehrszunahme auf die Umgebung. Zunächst setzt der
Planfeststellungsbeschluss insbesondere hinsichtlich der zu verwendenden
Fahrbahnbefestigungen lärmmindernde Maßnahmen fest. Vorgeschrieben
wird ein lärmmindernder Belag (- 2 dB(A)). Dennoch wird festgestellt, dass
ohne zusätzliche Schutzmaßnahmen u.a. in der Ortschaft N. mit erheblichen
unzulässigen Lärmbeeinträchtigungen zu rechnen ist. Der
Planfeststellungsbeschluss ordnet deswegen als Alternative zwei aktive
Schutzmaßnahmen in Form von Lärmschutzwänden im Bereich der Ortslage
N. zwischen Baukilometer 62,925 und Baukilometer 62,975 bzw. Baukilometer
62,975 bis Baukilometer 63,065 an. Nach dieser Alternative verbleiben aber
Überschreitungen der Tageswerte an zwei Objekten und der Nachtwerte an
acht Objekten sowie bei zwei Außenwohnbereichen. Der
Planfeststellungsbeschluss ordnet insoweit zusätzlich zu den anfallenden
aktiven passive Lärmschutzmaßnahmen an. Passiver Lärmschutz für das
Gebäude sowie Entschädigung in Geld für unzumutbare Beeinträchtigungen
des Außenwohnbereichs wurde auch dem Grundstück der Klägerin zugebilligt.
Die Klägerin hat daraufhin auf rechtliche Schritte gegen den
Planfeststellungsbeschluss verzichtet.
Die Vorgaben des Planfeststellungsbeschlusses hat der Vorhabenträger - mit
Billigung der Beklagten - in der Folgezeit jedoch nicht eingehalten.
Abweichend von der technischen Ausgestaltung, die den zitierten
Berechnungen und Erwägungen über die Notwendigkeit von Lärmschutz u. a.
im Bereich des Grundstücks der Klägerin im Planfeststellungsbeschluss
zugrunde lagen, sind die neuen Verkehrssicherheitserkenntnissen
entsprechenden sogenannten Agglomeratmarkierungen auf die Fahrbahn
aufgebracht bzw. bei Herstellung der Fahrbahn bereits in diese eingearbeitet
worden. Diese Fahrbahnmarkierungen verursachen beim Überfahren ein für
den KFZ-Führer deutlich wahrnehmbares Geräusch, das ihn auf
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unbeabsichtigte Fahrbahnwechsel oder das unbeabsichtigte Verlassen der
Fahrbahn über den Seitenbegrenzungsstreifen hinaus aufmerksam machen
soll. Diese Fahrbahnmarkierungen wurden im gesamten Bauabschnitt sowohl
für die durchgehenden Randlinien beidseits der jeweils dreistreifigen
Richtungsfahrbahnen als auch für die unterbrochenen Leitlinien zwischen den
Fahrbahnen in beiden Richtungen verwendet. Die Unterlagen zum
Planfeststellungsbeschluss und insbesondere die schalltechnischen
Berechnungen gemäß der sogenannten Verkehrslärmverordnung (16.
BImSchV) machen zur Verwendung dieser Fahrbahnmarkierungen keine
Aussagen. Diese Fahrbahnmarkierungen waren zu keinem Zeitpunkt
Gegenstand des Planfeststellungsverfahrens.
Die von der Kammer veranlasste gutachterliche Überprüfung hat jedoch
ergeben, dass in dem für das klägerische Grundstück maßgeblichen
Teilstreckenabschnitt aufgrund der vorgenommenen Beobachtungen und
Zählungen die schalltechnischen Berechnungen der nach dem
Planfeststellungsbeschluss für diesen Bauabschnitt prognostizierte
Mittelungspegel des Verkehrslärms auf dem Grundstück der Klägerin durch
das Aufbringen dieser Fahrbahnmarkierungen während der Tageszeit (6.00
bis 22.00 Uhr) um bis zu 1,2 dB(A) und während der Nachtzeit (22.00 bis 6.00
Uhr) um bis zu 1 dB(A) erhöht wird. Der Gutachter kommt darauf zu dem
Ergebnis, dass unter Berücksichtigung dieser Werte für das Grundstück B. C.
am Erdgeschoss der Nordfassade nachts ein Anspruch für passiven
Schallschutz für Schlafräume und Kinderzimmer ergeben hätte. Für die
Tageszeit hätten sich danach für Erdgeschoss und Obergeschoss der
Ostfassade zusätzlich zu dem bewilligten Anspruch auf passiven Lärmschutz
für die Nachtzeit Ansprüche für passiven Lärmschutz auch für die Tagzeit, d. h.
für jeden Aufenthaltsraum ergeben (vgl. Seiten 14 bis 17 des Gutachtens U.
GbR vom 24. Mai 2013).
Diese Folgeerscheinung war für die Klägerin objektiv nicht vorhersehbar. Die
fehlende Vorhersehbarkeit ergibt sich schon daraus, dass von möglicherweise
von Anfang an bestehenden Absichten des Planungsträgers, von dem
Planfeststellungsbeschluss hinsichtlich der Ausgestaltung der Fahrbahn
abzuweichen, zu keinem Zeitpunkt während des Planfeststellungsverfahrens
die Rede war. Der Klägerin war daher von vornherein die Möglichkeit
genommen, sich auf diese Frage einzustellen und gegebenenfalls rechtzeitig
im Planfeststellungsverfahren Einwendungen zu erheben. Darauf, dass dem
Vorhabenträger und der Beklagten diese möglichen Auswirkungen einer
Abweichung von den Feststellungen des Planfeststellungsbeschlusses von
Anfang an bekannt waren, sie diese nur für nicht ausschlaggebend gehalten
haben, kann es nicht ankommen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht
daraus, dass die Klägerin nach ihrem Antrag zunächst darauf verwiesen
worden ist, die erhöhten Lärmbelastungen seien darauf zurückzuführen, dass
auf der bereits fertiggestellten Fahrbahnseite Fahrbahnmarkierungen für drei
Fahrstreifen aufgebracht worden seien, wegen des noch notwendigen
Umleitungsverkehrs für die Gegenfahrbahn, aber in Wirklichkeit vier Streifen
genutzt würden. Dies führe zu erhöhten Lärmbelastungen jedenfalls für die
Bauphase. Bereits zu diesem Zeitpunkt war der Planfeststellungsbeschluss
bestandskräftig.
Entgegen der Auffassung der Beklagten geht es im vorliegenden Verfahren
nicht um die generelle Anwendbarkeit der 16. BImSchV und die Frage, ob
diese Vorschriften und die Ergänzung in der Richtlinie für den Straßenbau
RLS-90 sämtliche Gefahren zutreffend abbilden; es geht um die Frage, ob die
Beklagte diese Vorschriften richtig oder falsch angewandt hat. Zutreffend weist
die Beklagte auf die ständige Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts hin, wonach dem Verordnungsgeber bei der
Festlegung von Immissionsgrenzwerten, die eine abstrakt-generelle
Abwägung widerstreitender Interessen erfordert, eine erheblicher
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Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zukommt, der sich auch
auf das Verfahren zur Ermittlung der Immissionsbelastung erstreckt.
Vereinfachungen und Pauschalierungen sind dabei zulässig, auch wenn diese
dazu führen, dass der tatsächliche Lärmpegel zu bestimmten Zeiten höher, zu
anderen Zeiten niedriger als der Grenzwert liegt. Der Wertungsspielraum wird
danach erst dann überschritten, wenn die rechnerisch ermittelte
Lärmbelastung die Wirklichkeit nicht oder nur noch völlig unzulänglich abbildet
(vgl. BVerwG, U. v. 9. Juni 2010 - 9 A 20.08 -, Rn. 103, juris). Das
Bundesverwaltungsgericht hatte in der zitierten Entscheidung ausdrücklich
darauf hingewiesen, dass die 16. BImSchV und RLS-90 nicht deswegen
unanwendbar seien, weil u.a. Fahrgeräusche von Motorrädern oder
Impulsgeräusche und Reflektionen von Brückenbauwerken, Geräusche des
LKW-Verkehrs im tiefen Frequenzspektrum und die Geräuschentwicklung an
Knotenpunkten nach Auffassung der dortigen Kläger nicht ausreichend
berücksichtigt seien. Letzteres träfe, auch das ist der Beklagten zuzugestehen,
auch für die hier verwendeten Agglomeratmarkierungen zu, die zum Zeitpunkt
des Erlasses der 16. BImSchV und der Erstellung der RLS-90 noch unbekannt
waren. Das Bundesverwaltungsgericht führt weiter aus, die Kläger müssten es
hinnehmen, dass die Verkehrslärmschutzverordnung nur bestimmte, vom
Verordnungsgeber für die Geräuschentwicklung als besonders gewichtig
angesehene Parameter in Form besonderer Lärmzuschläge berücksichtigt
habe. Die Grenze gesundheitlicher Gefahren werde durch die
Immissionsgrenzwerte des § 2 Abs. 1 der 16. BImSchV in Gebieten, die durch
eine Wohnnutzung geprägt seien, nicht erreicht. Unter verfassungsrechtlichen
Gesichtspunkten der Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit enthalte die
Regelung der Grenzwerte ausreichende Reserven (BVerwG, U. v. 9. Juni 2010
- 9 A 20.08, Rn. 106, juris).
Festzustellen ist zunächst, dass nach dem Planfeststellungsbeschluss, der
dem vierten Bauabschnitt der Bundesautobahn zugrunde liegt, nach dem
angewendeten Ausbaustandard, d. h. ohne die Agglomeratmarkierungen, die
Immissionsgrenzwerte der 16. BImSchV im Bereich des Grundstücks der
Klägerin so deutlich überschritten werden, dass dieser in Teilen schon nach
den damaligen Berechnungen passiver Schallschutz bzw. Geldentschädigung
zugesprochen werden musste. Die Grenzwerte waren überschritten. Nach
dem Vorbringen der Klägerin geht es auch nicht um die Frage, ob diese
Grenzwerte zu niedrig angesetzt seien und deswegen das
Gefährdungspotenzial nicht ausreichend abbilden, sondern um die Frage, ob
der Planfeststellungsbeschluss in rechtswidriger Weise
Berechnungsparameter unberücksichtigt gelassen hat, die zu einer noch
weiteren Überschreitung der Immissionsgrenzwerte führen.
Nach den Berechnungen des Planfeststellungsbeschlusses sind die dort
ermittelten Lärmbelastungen ihrer Höhe nach ganz entscheidend davon
abhängig, dass im gesamten Bereich der BAB 1 ein sogenannter
lärmmindernder Straßenbelag verwendet wird, der rechnerisch zu einer
Reduzierung der Lärmbelastung um ca. 2 dB(A) führen soll. Dieser
Straßenbelag wurde daher verbindlich vorgeschrieben. Ohne
Berücksichtigung dieser Lärmminderungsmaßnahme in den Berechnungen
wären die Grenzwertüberschreitungen in der Nachbarschaft zur Autobahn
noch höher ausgefallen. Wenn die Beklagte aber lärmmindernde Maßnahmen
zu Lasten der Grundeigentümer in ihre Berechnungen einstellt, muss sie dies
richtigerweise auch für solche Baumaßnahmen tun, die diese Lärmminderung
ganz oder jedenfalls wie hier rechnerisch teilweise wieder aufheben.
Lärmmindernder Straßenbelag oder lärmerhöhende Fahrbahnmarkierungen
haben nichts mit der Frage zu tun, ob der Verordnungsgeber der 16. BImSchV
alle einzelnen Parameter für die Bemessung von Verkehrslärm, wie
Geräuschspitzen, Reflektionen einzelner Bauwerke, Kanaldeckel etc.
einstellen musste. Sowohl beim lärmmindernden Straßenbelag als auch bei
den lärmerhöhenden Fahrbahnmarkierungen, handelt es sich um
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Eigenschaften der konkreten Verkehrsanlage, auf die die auf
Pauschalierungen beruhenden Berechnungsgrundlagen der 16. BImSchV
i.V.m. RLS-90 anzuwenden sind. Das von der Kammer eingeholte Gutachten
belegt denn auch, dass die Lärmberechnungen im Planfeststellungsverfahren
zu einem anderen Ergebnis gekommen wären, hätte man von vornherein und
richtigerweise auch die lärmerhöhenden Fahrbahnmarkierungen, die die
schallmindernde Wirkung des Straßenbelages zu einem erheblichen Teil
wieder aufheben, in die Berechnung einbezogen. Die Erhöhung ist nach den
Berechnungen des vom Gericht beauftragten Gutachters sogar so signifikant,
dass der Klägerin zumindest teilweise zusätzlicher passiver Lärmschutz hätte
zugesprochen werden müssen. Dieser "Gefahr" sind der Vorhabenträger und
die Beklagte aus dem Wege gegangen, in dem sie die offenbar schon zum
Zeitpunkt des Planverfahrens, jedenfalls lange vor Fertigstellung des
Vorhabens, beabsichtigte Verwendung der Agglomeratmarkierungen nicht zur
Sprache gebracht haben. Da die Klägerin und andere Nachbarn von der
beabsichtigten Verwendung dieser Markierungen nichts wussten, konnten sie
entsprechende Einwendungen im Planfeststellungsverfahren nicht erheben.
Die Beklagte und der Vorhabenträger haben trotz der beabsichtigten Änderung
des Straßenbelages durch Einbau der Agglomeratmarkierungen, die zu
erheblichen Lärmsteigerungen in der Nachbarschaft führen, auch das nach §
76 VwVfG an sich erforderliche Planänderungsverfahren nicht durchgeführt.
Ein Fall des § 76 Abs. 2 VwVfG liegt offensichtlich nicht vor. Selbst wenn man
die nach Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses schon während des
Ausbaues der Bundesautobahn durchgeführte Aufbringung der
Agglomeratmarkierungen lediglich als Planänderung unwesentlicher
Bedeutung ansähe, hätte auf das erforderliche förmliche
Planänderungsverfahren nur dann verzichtet werden dürfen, wenn Belange
anderer nicht berührt werden oder wenn die Betroffenen der Änderung
zugestimmt haben. Hier werden durch die erhöhten Lärmbelastungen die
Belange anderer berührt und Zustimmungen zur Änderung liegen nicht vor.
Zusammengefasst bedeutet dies, dass für die Ausgestaltung der
Bundesautobahn jedenfalls im hier maßgeblichen vierten Bauabschnitt eine
planungsrechtliche Grundlage nicht vorliegt. Der ursprüngliche
Planfeststellungsbeschluss deckt die Agglomeratmarkierungen nicht ab und
ein an sich erforderliches Planänderungsverfahren wurde nicht durchgeführt.
Nach dem von der Kammer eingeholten Gutachten gehen von der errichteten
Anlage Lärmemissionen aus, die für die Klägerin zumindest in Teilen ihres
Gebäudes Anspruch auf erhöhten passiven Lärmschutz begründet hätten.
Wenn für hoheitliche Planungen der Grundsatz der Problembewältigung gilt, d.
h., dass die von einem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange
umfassend abzuwägen sind (vgl. § 17 Abs. 1 Satz 2 FStrG), schließt das ein,
dass die von dem Planvorhaben in seiner räumlichen Umgebung
aufgeworfenen Probleme von Bedeutung bewältigt werden müssen. Eine
spezielle Ausprägung dieses Grundsatzes stellt § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG dar.
Danach hat die Planfeststellungsbehörde dem Vorhabenträger Vorkehrungen
oder die Errichtung oder Unterhaltung von Anlagen aufzuerlegen, die zum
Wohl der Allgemeinheit oder zur Vermeidung nachteiliger Wirkungen auf
Rechte anderer erforderlich sind (BVerwG, U. v. 7. März 2007 - 9 C 2/06 -, 19
a, juris). Stellt sich während der Fertigstellung des Verfahrens heraus, dass an
dem Vorhaben - aus welchen Gründen auch immer - Änderungen
vorgenommen werden müssen, sieht § 76 VwVfG zwingend ein förmliches
Planänderungsverfahren vor. Daraus, dass Gesetzgeber die Ausnahmen von
der Erforderlichkeit des Planänderungsverfahrens sehr streng formuliert hat
(vgl. § 76 Abs. 2 VwVfG), wird deutlich, dass Vorgehensweisen, wie im
vorliegenden Fall von vornherein ein Riegel vorgeschoben werden sollte. Es
soll gerade verhindert werden, dass die Betroffenen es ohne
Einwirkungsmöglichkeit hinnehmen müssen, dass der von ihnen zuvor nicht
angegriffene Planfeststellungsbeschluss tatsächlich durch Umplanung des
Vorhabens noch während der laufenden Baumaßnahmen geändert werden
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kann, ohne dass für sie die Möglichkeit besteht, sich dagegen zur Wehr zu
setzen. § 76 Abs. 2 VwVfG bestimmt ganz klar, dass von einem
Planänderungsverfahren selbst bei Vorhaben unwesentlicher Bedeutung nur
abgesehen werden kann, wenn die Belange anderer nicht berührt werden.
Damit soll offensichtlich eine wie hier während der Baumaßnahmen praktizierte
"Salamitaktik" von vornherein verhindert werden, weil sie dem
planungsrechtlichen Gebot der umfassenden Konfliktbewältigung diametral
entgegenläuft. Mit anderen Worten, die Planbehörde kann nicht einerseits den
festgestellten Plan durch Änderung des Vorhabens zum Nachteil der Anlieger
unterlaufen und gleichzeitig ein Planänderungsverfahren nach § 76 VwVfG
vermeiden und die Anwohner damit schutzlos stellen.
Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die vom
Sachverständigen berechnete Erhöhung nicht erheblich sei, weil sie geringer
als 3 dB(A) ist. Der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, dass eine
nicht vorhersehbare nachteilige Wirkung im Sinn des § 75 Absatz 2 VwVfG
stets nur dann vorliege, wenn sie erheblich sei (Urteil vom 7. März 2007 - 9 C
2/06 – zitiert nach juris), findet im Gesetz keine Stütze. Die Argumentation dazu
ist zudem in sich widersprüchlich. Denn einerseits wird darauf abgestellt:
„Tragender Grund für die Regelung des § 75 Absatz 2 Satz 2 VwVfG ist,
dass die Betroffenen nicht schlechter dastehen sollen als sie stünden,
wenn im Zeitpunkt der Planfeststellung die aufgetretenen nachteiligen
Wirkungen bereits vorhergesehen worden wären (vgl. Urteil vom 1. Juli
1988 a.a.O. S. 11; ebenso Beschlüsse vom 24. August 1999 a.a.O. S. 41
und vom 21. Januar 2004 - BVerwG 4 B 82.03 - NVwZ 2004, 618). Wie
oben (vgl. II. 2. a) dargestellt, ist der Vorhabenträger verpflichtet, die von
dem Planvorhaben ausgelösten Probleme zu bewältigen, u.a. durch
Schutzauflagen gemäß § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG, die der Erfüllung
des materiellrechtlichen Schutzanspruchs der Betroffenen vor
schädlichen Umwelteinwirkungen von Straßen und Schienenwegen i.S.v.
§ 41 BImSchG dienen. Dieser Schutzanspruch findet seine
verfahrensrechtliche Begrenzung durch § 75 Absatz 2 Satz 1 VwVfG.
Danach sind Ansprüche auf Schutzauflagen ausgeschlossen, wenn der
Planfeststellungsbeschluss unanfechtbar geworden ist. Das gilt
grundsätzlich auch hinsichtlich veränderter Umstände. Ein Anspruch auf
Wiederaufgreifen des Verfahrens besteht nicht (§ 72 Absatz 1 Halbs. 2
VwVfG). Jedoch gewährt § 75 Absatz 2 Satz 2 VwVfG auch nach
Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses für nicht voraussehbare
Wirkungen innerhalb einer Frist von 30 Jahren (§ 75 Absatz 3 Satz 3
Halbs. 2 VwVfG) einen Anspruch auf nachträgliche Anordnung von
Schutzauflagen. Dadurch soll die Härte der Bestandskraft und das Risiko
zutreffender prognostischer Einschätzung zu Lasten des
Vorhabenträgers gemindert werden (vgl. Urteil vom 1. Juli 1988 a.a.O. S.
9 f.). Zugleich werden damit die Betroffenen so gestellt, als ob die
aufgetretenen nachteiligen Wirkungen bereits bei der Planung
vorausgesehen worden wären.“
Andererseits soll es so sein:
„Nicht voraussehbare nachteilige Wirkungen i.S.v. § 75 Absatz 2 Satz 2
VwVfG liegen jedoch erst dann vor, wenn es zu einer erheblichen
Steigerung der Lärmeinwirkungen kommt, diese also eine
Erheblichkeitsschwelle überschreitet. Denn die Ausschlusswirkung des §
75 Absatz 2 Satz 1 VwVfG muss sich der Betroffene erst dann nicht mehr
entgegenhalten lassen, wenn er zusätzlichen Immissionen ausgesetzt
ist, die ihrerseits als schädliche Umwelteinwirkungen i.S.v. § 3 Absatz 1
BImSchG zu werten sind. Der Straßenbaulastträger muss danach nicht
schon auf jede geringfügige Erhöhung der (Lärm-)Wirkungen mit
möglicherweise kostspieligen und schwierigen Nachbesserungen
reagieren, zumal jeder Prognose eine gewisse Unsicherheitsmarge
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innewohnt. Die Erheblichkeitsschwelle ist auch im Rahmen eines
Anspruchs gemäß § 75 Absatz 2 Satz 2 VwVfG gemäß der vom
Verordnungsgeber in der Verkehrslärmschutzverordnung getroffenen
Wertung bei 3 dB(A) zu veranschlagen (vgl. § 1 Absatz 2 Satz 1 Nummer
2 der 16. BImSchV). Erforderlich ist also, dass der nach der
ursprünglichen, methodisch korrekten Prognose zu erwartende
Beurteilungspegel um mindestens 3 dB(A) überschritten wird. Dabei
bestehen keine Bedenken, auch insoweit die Aufrundungsregel gemäß
Anlage 1 und 2 zu § 3 der 16. BImSchV anzuwenden, so dass die
Schwelle bereits bei 2,1 dB(A) beginnt.“
Damit wäre aber gerade nicht erreichbar, dass der Betroffene im Sinn der
Ausgangsüberlegung des Bundesverwaltungsgerichts so gestellt wird, als
wäre die nicht vorhersehbare Wirkung für den Planfeststellungsbeschluss
berücksichtigt worden. - Das ist richtigerweise aber der Regelungszweck des §
75 Absatz 2 Satz 2 VwVfG. - Denn für den Planfeststellungsbeschluss wäre
nicht auf die Emissionen einer isolierten Lärmquelle, hier der
Agglomeratmarkierungen, abzustellen gewesen, sondern darauf, ob die
Emissionen, die insgesamt von dem Vorhaben ausgehen, beim Betroffenen
die maßgeblichen Grenzwerte – zum Beispiel die nach § 2 16. BImSchV –
überschreiten. Das kann aber auch schon dann der Fall sein, wenn die
berechneten Werte des Planfeststellungsbeschlusses weniger als 2,1 dB(A)
unter dem Grenzwert lagen und durch die nicht vorhergesehenen Wirkungen
zwar um weniger als 2,1 dB(A) erhöht werden, jedoch um so viel erhöht
werden, dass der Grenzwert überschritten wird. Es besteht keine gesetzliche
Rechtfertigung dafür, in einem solchen Fall den Anspruch nach § 75 Absatz 2
Satz 2 VwVfG auszuschließen. Insbesondere ist das nicht wegen der
Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses geboten. –
Die von der Beklagten favorisierte Vorgehensweise würde andernfalls dazu
führen, dass die Klägerin, die im Planfeststellungsverfahren wegen des
fehlenden Hinweises auf die geplanten Agglomeratmarkierungen dort
Einwendungen nicht erheben konnte und hiervon auch wegen eines
fehlenden Planänderungsverfahrens abgeschnitten war, nunmehr mit
Berufung auf die angeblich unwesentliche Veränderung bzw. Lärmzunahme
abgeschnitten ist, obwohl die sofortige Einbeziehung der erhöhten Werte zu
einer (weiteren) Überschreitung des maßgeblichen Grenzwertes geführt hätte.
Dies kann nicht hingenommen werden. Die Beklagte ist daher zu verpflichten,
die Klägerin so zu stellen, als wären die noch während der Herstellungsphase
nachträglich und in Abweichung von dem festgestellten Plan eingebauten
Agglomeratmarkierungen bereits im Planfeststellungsverfahren berücksichtigt
worden. Dies hätte seinerzeit zusätzliche Lärmschutzmaßnahmen erforderlich
gemacht. Diese sind nunmehr im Wege der nachträglichen Schutzauflagen
nachzuholen und die Klägerin hat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte
unter Berücksichtigung der richtigen Anwendung des § 75 Abs. 2 Satz 2
VwVfG erneut über ihren Antrag auf Gewährung zusätzlicher Schutzauflagen
entscheidet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.
V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Gründe für eine Zulassung der Berufung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 4 i. V. m. § 124a
Abs. 1 Satz 1 VwGO) liegen nicht vor.