Urteil des VG Braunschweig vom 05.03.2014

VG Braunschweig: zypern, mitgliedstaat, aufschiebende wirkung, genfer flüchtlingskonvention, amnesty international, republik, asylverfahren, anhörung, asylbewerber, behandlung

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Abschiebungsanordnung nach Zypern
VG Stade 1. Kammer, Beschluss vom 05.03.2014, 1 B 168/14
§ 27a AsylVfG, § 34a AsylVfG
Gründe
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Anordnung
seiner Abschiebung nach Zypern.
Hierfür kann ihm die beantragte Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines
Prozessbevollmächtigten nicht gewährt werden, weil sein Antrag auf
Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes keine hinreichenden
Erfolgsaussichten im Sinne der §§ 166 VwGO, 114 ff ZPO hat. Die
Kostenentscheidung beruht insoweit auf §§ 83 b AsylVfG; 118 Abs. 1 Satz 4
ZPO, 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen
die in Ziffer 2. des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes für Migration
und Flüchtlinge vom 27. Januar 2014 ausgesprochene
Abschiebungsanordnung nach Zypern anzuordnen, hat keinen Erfolg. Das
öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung dieser Verfügung
überwiegt das Interesse des Antragstellers, bis zu einer Entscheidung über
seine Klage vorerst im Bundesgebiet verbleiben zu dürfen, weil die
Abschiebungsanordnung rechtmäßig ist.
Nach § 34a AsylVfG ordnet das Bundesamt u.a. die Abschiebung in den nach
§ 27a AsylVfG zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt
werden kann. Dabei ist nach § 27a AsylVfG ein Asylantrag unzulässig, wenn
ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen
Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des
Asylverfahrens zuständig ist. Für das Asylverfahren des Antragstellers ist die
Republik Zypern zuständig. Dies folgt aus Art. 13 der hier noch anwendbaren
VO (EG) Nr. 343/2003 des Rates (ABl. L, 50). Lässt sich anhand der Kriterien
dieser Verordnung nicht bestimmen, welchem Mitgliedstaat die Prüfung des
Asylantrags obliegt, so ist danach der erste Mitgliedstaat, in dem der
Asylantrag gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig. Hier steht die
Zuständigkeit der Republik Zypern fest. Durch einen sog. EURODAC Treffer
der Kategorie 1 ist belegt, dass der Antragsteller im Jahr 2007 in Zypern einen
Asylantrag gestellt hat. Dies hat der Antragsteller auf Vorhalt im Rahmen der
Anhörung bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 12. September
2012 auch eingeräumt. Damit ist die Republik Zypern nach Art. 16 Abs. 1
Buchst. c der VO (EG) Nr. 343/2003 verpflichtet, den Antragsteller nach
Maßgabe des Art. 20 der VO (EG) Nr. 343/2003 wieder aufzunehmen.
Diese Verpflichtung ist nicht nach Art. 20 Abs. 3 der VO (EG) Nr. 343/2003
erloschen, weil nicht davon auszugehen ist, dass der Antragsteller das Gebiet
der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen hat. Die Angabe des
Antragstellers, er sei wieder in den Iran zurückgekehrt, glaubt die
Einzelrichterin nicht. Sein Vorbringen ist dabei bereits widersprüchlich was den
Zeitpunkt der angeblichen Rückkehr angeht. So hat er bei der Anhörung durch
das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angegeben, er sei im
Oktober/November 2007 zurückgekehrt. Im Rahmen des vorliegenden
Verfahrens macht er hingegen geltend, er sei im Jahr 2008 in Zypern gewesen
und in diesem Jahr auch in den Iran zurückgekehrt. Hier passt der
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Antragsteller seine Angaben offensichtlich dem Umstand an, dass nach den
Feststellungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die Abnahme
der Fingerabdrücke in Zypern im Dezember 2007 erfolgt ist, so dass eine
Rückkehr des Antragstellers in sein Heimatland im Oktober oder November
2007 ausgeschlossen werden konnte. Im Übrigen hat der Antragsteller bei der
Anhörung vor dem Bundesamt auch zunächst insoweit unwahre Angaben
gemacht, als er behauptet hat, er habe in der Vergangenheit noch keinen
Asylantrag in einem Mitgliedstaat gestellt. Erst nachdem ihm der EURODAC -
Treffer vorgehalten wurde, hat er dies eingeräumt. All dies rechtfertigt den
Schluss, dass das Vorbringen des Antragstellers zur Dauer seines
Aufenthaltes in Zypern weniger an der Wahrheit als an taktischen Erwägungen
orientiert ist. Es ist insgesamt unglaubhaft.
Die Zuständigkeit für das Asylverfahren ist nicht nach Art. 17 Abs. 1
Unterabsatz 2 der VO (EG) Nr. 343/2003 auf die Antragsgegnerin
übergegangen. Wird das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers nicht
innerhalb der Frist von drei Monaten unterbreitet, so ist danach der
Mitgliedstaat zuständig, in dem der Asylantrag gestellt wurde. Diese Vorschrift
ist, was bereits der Wortlaut zeigt, nur auf Antragsteller anwendbar, die noch
keinen Asylantrag in einem anderen Mitgliedstaat gestellt haben, d.h. auf
Asylbewerber im Sinne des Art. 16 Abs. 1 Buchst. a der VO (EG) Nr. 343/2003.
Hingegen ist das Gesuch um Wiederaufnahme nach Art. 20 Abs. 1 i.V. mit Art.
16 Abs. 1 Buchst. c der VO (EG) 343/2003 nicht fristgebunden (so auch z.B.
VG Göttingen, Beschl. v. 11.10.2013 - 2 B 806/13 -, juris; VG Regensburg,
Beschl. v. 5.7.2013 - RN 5 S 13.30273 -, juris).
Die Antragsgegnerin hat weiter nicht bereits von dem sog. Recht zum
Selbsteintritt Gebrauch gemacht, das sich aus Art. 3 Abs. 2 der VO (EG) Nr.
343/2003 ergibt. Danach kann jeder Mitgliedstaat einen von einem
Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach
den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig
ist. Der betreffende Mitgliedstaat wird hierdurch zum zuständigen Mitgliedstaat
im Sinne der Verordnung. Dabei steht es grundsätzlich in dem Ermessen des
jeweiligen Mitgliedstaates, ob er in das Asylverfahren im Sinne der genannten
Vorschrift eintritt (EuGH, Urt. v. 21.12.2011, C- 411/10 -, juris).
Eine bloß routinemäßige Anhörung des Asylbewerbers zu den Gründen der
Verfolgungsfurcht für sich genommen bringt regelmäßig nicht hinreichend zum
Ausdruck, die Antragsgegnerin habe sich entschlossen, von ihrem Recht
Gebrauch zu machen, das Asylverfahren abweichend vom Regelfall in seiner
"Gesamtheit" in eigener Verantwortung durchzuführen. Vielmehr dient die
Anhörung gerade auch dem Ziel, Angaben über Reisewege und Aufenthalte in
anderen Staaten sowie darüber zu erhalten, ob bereits in anderen Staaten ein
Verfahren mit dem Ziel der Anerkennung als ausländischer Flüchtling oder ein
Asylverfahren eingeleitet oder durchgeführt ist und soll gerade auch eine
Grundlage für eine Entscheidung nach § 27 a AsylVfG sein (vgl. VG des
Saarlandes, Urt. v. 24.09.2008 - 2 K 94/08 - juris).
Der Antragsteller kann zuletzt nicht verlangen, dass die Antragsgegnerin von
ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch macht. Es gilt die Vermutung, dass die
Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit
den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie
mit der Genfer Flüchtlingskonvention - GFK - und der Europäischen
Menschenrechtskonvention - EMRK - steht. Diese Vermutung kann allerdings
widerlegt werden. Es obliegt nach der Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs den nationalen Gerichten, einen Asylbewerber nicht an den nach
der VO (EG) Nr. 343/2003 zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, wenn
ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des
Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem
Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die
Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer
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unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung ausgesetzt zu
werden. Der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, ist in
einem solchen Fall verpflichtet, den Asylantrag selbst zu prüfen, sofern nicht
ein anderer Mitgliedstaat als für die Prüfung des Asylantrags zuständig
bestimmt werden kann (EuGH, Urt. v. 21.12.2011, C-411/10 u. a., NVwZ 2012,
417, 419 ff.).
Die dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel rechtfertigen nicht den Schluss,
dass in der Republik Zypern derartige systemische Mängel vorliegen. Die von
dem Antragsteller genannte Dokumentation "Asyl in der Republik Zypern" der
Kontakt-und Beratungsstelle für Flüchtlinge und Migrantinnen e.V. aus dem
Jahr 2013 sowie die Berichte von Amnesty International ("Punishment without
a Crime", Januar 2012; Report 2013) sprechen allerdings von Mängeln im
Hinblick auf das Asylverfahren in Zypern; v.a. sei es zu europarechtswidrigen
Verhaftungen gekommen. In der Dokumentation "Asyl in der Republik Zypern"
wird zudem u.a. auch über Probleme von Asylbewerbern im Bereich der
Arbeitsaufnahme, Unterbringung und Versorgung berichtet. Die tatsächliche
Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne des Art. 3
EMRK bzw. des Art. 4 der Charta der Grundrechte folgt aber nicht bereits
daraus, dass einzelne Bestimmungen des Unionsrechts zur Behandlung von
Asylbewerbern nicht angewendet werden, selbst wenn dies in einer Vielzahl
von Einzelfällen erfolgt. Systemische Mängel im oben genannten Sinne
können vielmehr nur dann angenommen werden, wenn die für den Fall einer
Überstellung drohenden Beeinträchtigungen ihre Ursache in strukturellen,
systembedingten Defiziten des Asyl-und Aufnahmeverfahrens haben, die sich
in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen geäußert haben müssen.
Erforderlich ist weiter, dass diese systemischen Mängel eine tatsächlich
konkrete Gefahr von gravierenden Verletzungen von unionsrechtlich
garantierten Grundrechten bewirken (vgl. zum Vorst: auch Hailbronner,
Ausländerrecht, § 34a AsylVfG Rn. 26. m.w.N.). Um dies anzunehmen, reichen
die Ausführungen in den genannten Berichten nicht aus. Dabei ist auch zu
berücksichtigen, dass nach den Äußerungen des Vertreters des UNHCR in
Zypern, die Situation im Hinblick auf die Asylsuchenden in Zypern zu managen
sei. Größere Probleme bestünden ungeachtet einiger Lücken und Schwächen
nicht (Famagusta Gazette, 3.2.3014; http://famagusta-gazette.com).
Aus der persönlichen Situation des Antragstellers ergibt sich ebenfalls keine
Verpflichtung der Antragsgegnerin, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu
machen. Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die dies
notwendig machten, sind nicht ersichtlich. Der Antragsteller hat individuelle
konkrete Gefährdungstatbestände nicht glaubhaft gemacht.
Zuletzt liegen keine inlandsbezogene Abschiebungs- oder
Vollstreckungshindernisse vor. Nach allem steht im Sinne von § 34 a Abs. 1
Satz 1 AsylVfG fest, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO; 83 b AsylVfG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).