Urteil des VG Braunschweig vom 16.01.2013

VG Braunschweig: psychologisches gutachten, aufschiebende wirkung, ärztliches gutachten, körperliche unversehrtheit, fahreignung, rechtskräftiges urteil, geschwindigkeit, probezeit, vollziehung

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Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Nichtvorlage
eines geforderten Eignungsgutachtens
Eine auf mehrere Eignungszweifel gestützte und mehrere gutachtliche
Fragestellungen festlegende Anordnung einer medizinisch-psychologischen
Begutachtung muss insgesamt anlassbezogen und verhältnismäßig sein.
Genügt die Gutachtenanordnung diesen Anforderungen teilweise nicht, führt
dies zu deren Gesamtrechtswidrigkeit, so dass sie von dem betroffenen
Fahrerlaubnisinhaber nicht befolgt werden muss; eine "Teilbarkeit" besteht
insoweit nicht.
VG Osnabrück 6. Kammer, Beschluss vom 16.01.2013, 6 B 73/12
§ 11 Abs 3 S 1 Nr 4 FeV, § 11 Abs 6 S 2 FeV, § 11 Abs 8 FeV, § 13 S 1 Nr 2b FeV, §
14 FeV
Gründe
I.
Der im Jahr 1985 geborene Antragsteller erwarb erstmals im Dezember 2003
eine Fahrerlaubnis auf Probe. Diese wurde ihm - nach vorheriger Verpflichtung
zur Teilnahme an einem Aufbauseminar und anschließender schriftlicher
Verwarnung - vom Antragsgegner im November 2007 entzogen, nachdem er
während der Probezeit drei Verkehrszuwiderhandlungen (jeweils
Geschwindigkeitsüberschreitungen) begangen hatte. Im Dezember 2007 wurde
der Antragsteller vom Amtsgericht E. wegen einer mit einer
Blutalkoholkonzentration von 1,59 ‰ begangenen fahrlässigen
Trunkenheitsfahrt zu einer Geldstrafe verurteilt; gleichzeitig wurde ihm die
Fahrerlaubnis auch auf strafrechtlicher Grundlage entzogen. Nach Ablauf der
insoweit festgesetzten Sperrfrist wurde ihm im September 2009 eine neue
Fahrerlaubnis (u.a. Klasse CE) erteilt.
Am 17.01.2012 teilte ein Beamter des Einsatz- und Streifendienstes der
Polizeistation F. dem Antragsgegner mit, dass der Antragsteller als Fahrer eines
Pkw in der Weise aufgefallen sei, dass er am 12.01.2012 gegen 06:00 Uhr im
Stadtgebiet von F. mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit gefahren sei und
dabei eine rücksichtslose, gefahrenträchtige und die jeweilige Verkehrssituation
missachtende Fahrweise an den Tag gelegt habe; bei der nachfolgenden
polizeilichen Belehrung habe er sich ausgesprochen uneinsichtig gezeigt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den - den Beteiligten bekannten -
Vermerk der Polizeistation F. vom 17.01.2012 verwiesen. Aufgrund dieses
Vorfalls setzte der Antragsgegner mit Bußgeldbescheid vom 01.03.2012
zunächst eine Geldbuße von 100 € gegen den Antragsteller fest und
begründete dies damit, dass der Antragsteller mit den besonderen örtlichen
Straßen- oder Verkehrsverhältnissen nicht angepasster Geschwindigkeit und
nicht möglich weit rechts gefahren sei sowie sein Fahrzeug trotz übermäßiger
Geräuschentwicklung in Betrieb genommen und die Zulassungsbescheinigung
Teil I nicht mitgeführt habe. Diesen Bescheid hob er anschließend wieder auf
und verhängte mit Bußgeldbescheid vom 04.04.2012 nunmehr eine Geldbuße
von 200 € gegen den Antragsteller, weil dieser am Vorfallstag vorsätzlich mit
unangepasster Geschwindigkeit gefahren sei. Auf den hiergegen vom
Antragsteller eingelegten Einspruch wurde das Verfahren im Oktober 2012
durch das Amtsgericht G. wegen Geringfügigkeit eingestellt.
Mit Schreiben vom 19.01.2012 forderte der Antragsgegner den Antragsteller
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unter Hinweis auf den vorstehenden Sachverhalt und die vom Antragsteller in
den Jahren 2004, 2006 und 2007 begangenen Verkehrsverstöße auf der
Grundlage des § 11 Abs. 3 Nr. 4 FeV auf, ein medizinisch-psychologisches
Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung
beizubringen. Nachdem der Antragsteller darauf zunächst nicht reagiert und
anschließend - ohne sich der geforderten Begutachtung zu unterziehen - die
Berechtigung der Gutachtenanordnung in Frage gestellt hatte, entzog ihm der
Antragsgegner mit Bescheid vom 20.02.2012 unter Anordnung der sofortigen
Vollziehung die Fahrerlaubnis und begründete dies mit den in seinem Schreiben
vom 19.01.2012 dargelegten Eignungszweifeln, die der Antragsteller in der
Folgezeit nicht ausgeräumt habe. Dem vom Antragsteller daraufhin gestellten
Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gab die Kammer mit
Beschluss vom 23.04.2012 (6 B 21/12), auf den wegen der Einzelheiten Bezug
genommen wird, statt; anschließend hob der Antragsgegner seinen Bescheid
vom 20.02.2012 auf.
Bereits vor Abschluss des vorgenannten Verfahrens hatte das
Polizeikommissariat G. dem Antragsgegner unter dem 29.02.2012 mitgeteilt,
dass der Antragsteller am 05.02.2012 gegen 1:10 Uhr unter dem Einfluss
berauschender Mittel ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt habe. Nach
den dieser Mitteilung beigefügten Befundberichten der Partnerschaftspraxis für
Laboratoriumsmedizin und Mikrobiologie, H., vom 07.02.2012 und der
Laborarztpraxis Dr. I., J., vom 06./24.02.2012 wurden in der dem Antragsteller in
diesem Zusammenhang entnommenen Blutprobe eine Blutalkoholkonzentration
von 0,91 ‰ sowie THC in einer Konzentration unter 1,0 ng/ml und THC-
Carbonsäure in einer Konzentration von 7,7 ng/ml festgestellt. In der Blutprobe
fanden sich im immunologischen Test zudem Hinweise auf
Amphetaminderivate; solche wurden im anschließenden chromatografischen
Verfahren jedoch nicht nachgewiesen. Wegen dieses Vorfalls setzte der
Antragsgegner mit Bußgeldbescheid vom 28.06.2012 eine Geldbuße von 500 €
gegen den Antragsteller fest und ordnete ein einmonatiges Fahrverbot an. Auf
seinen hiergegen erhobenen Einspruch hin wurde der Antragsteller durch
rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts G. vom 15.11.2012 wegen fahrlässigen
Führens eines Kraftfahrzeugs mit einer Blutalkoholkonzentration von 0,5 ‰ oder
mehr zu einer Geldbuße von 1.000 € verurteilt.
Mit Schreiben vom 17.07.2012 wies der Antragsgegner den Antragsteller darauf
hin, dass angesichts der beiden Fahrten unter Alkoholeinfluss am 08.11.2007
und 05.02.2012, des Konsums von Betäubungsmitteln am Vorabend der
zweiten Alkoholfahrt, der Verkehrszuwiderhandlungen während der Probezeit
und des von der Polizei F. mitgeteilten Fahrverhaltens am 12.01.2012
erhebliche Bedenken an seiner Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen
bestünden und forderte ihn auf der Grundlage der §§ 11 Abs. 1 Satz 3 und Abs.
3 Nr. 4, 13 Nr. 2 b und 14 FeV erneut auf, bis zum 01.10.2012 ein medizinisch-
psychologisches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für
Fahreignung beizubringen. Hiermit erklärte sich der Antragsteller zunächst
einverstanden. Am 17.09.2012 teilte die in Aussicht genommene
Begutachtungsstelle dem Antragsgegner mit, dass eine Begutachtung nicht
zustande gekommen sei, weil der Antragsteller die erforderliche
Untersuchungsgebühr nicht eingezahlt habe. Zu der geforderten Begutachtung
kam es auch in der Folgezeit nicht.
Mit Bescheid vom 04.10.2012 entzog der Antragsgegner dem Antragsteller
daraufhin - nach vorheriger Anhörung und unter Anordnung der sofortigen
Vollziehung - erneut die Fahrerlaubnis. Zur Begründung verwies er auf die in
seiner Gutachtenanordnung vom 17.07.2012 genannten Eignungszweifel,
insbesondere auf den im Vermerk der Polizeistation F. vom 17.01.2012
dargelegten - nahezu wörtlich wiedergegebenen - Sachverhalt. Diese
Eignungszweifel habe der Antragsteller nicht ausgeräumt, weil er sich der
geforderten Begutachtung nicht unterzogen habe; demgemäß sei davon
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auszugehen, dass er vorhandene Eignungsmängel verdecken wolle.
Der Antragsteller hat hiergegen am 08.10.2012 Klage erhoben (6 A 176/12) und
zugleich die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragt. Er macht
geltend, dass auch die erneute, sich von der vorangegangenen nur marginal
unterscheidende Gutachtenanordnung des Antragsgegners vom 17.07.2012
rechtswidrig gewesen sei, so dass ihm auch auf dieser Grundlage die
Fahrerlaubnis nicht hätte entzogen werden dürfen. Soweit der Antragsgegner
seine Anordnung erneut auf den von der Polizei F. mitgeteilten Vorfall vom
12.01.2012 gestützt habe, habe er objektivierbare Anhaltspunkte für ein
verkehrswidriges und für die Fahreignung relevantes Verhalten nach wie vor
nicht benannt. Darauf sei bereits im Beschluss der Kammer vom 23.04.2012 im
Verfahren 6 B 21/12 hingewiesen worden. Darüber hinaus sei auch das insoweit
anhängig gewesene Ordnungswidrigkeitenverfahren zwischenzeitlich wegen
Geringfügigkeit eingestellt worden. Soweit ihm weiter vorgeworfen werde, am
05.02.2012 unter Alkoholeinfluss ein Kraftfahrzeug geführt zu haben, sei dieser
Sachverhalt im Zeitpunkt der Gutachtenanordnung noch nicht rechtskräftig
festgestellt gewesen und deshalb ebenfalls nicht berücksichtigungsfähig.
Vielmehr habe er gegen den diesbezüglichen Bußgeldbescheid des
Antragsgegners Einspruch eingelegt, über den erst im November 2012
entschieden worden sei. Im Übrigen treffe es zwar zu, dass er sich, obwohl er
die Rechtsauffassung des Antragsgegners nicht geteilt habe, grundsätzlich mit
einer medizinisch-psychologischen Begutachtung einverstanden erklärt habe.
Aufgrund seiner derzeit angespannten finanziellen Situation sei es ihm jedoch
nicht möglich gewesen, die erforderliche Untersuchungsgebühr zu zahlen; dies
allein begründe allerdings nicht seine Nichteignung zum Führen von
Fahrzeugen. Schließlich überwiege sein Aussetzungsinteresse ein etwaiges
öffentliches Vollzugsinteresse, weil er aus beruflichen Gründen dringend auf
seine Fahrerlaubnis angewiesen sei (wird ausgeführt).
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid des
Antragsgegners vom 04.10.2012 wiederherzustellen und ihm für das
vorliegende Verfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines
Prozessbevollmächtigten zu bewilligen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er verweist auf die Gründe des angefochtenen Bescheides.
Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen
des Sachverhalts im Übrigen auf die Gerichtsakten des vorliegenden und des
Verfahrens 6 B 21/12 sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug
genommen.
II.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat Erfolg.
Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende
Wirkung einer Klage gegen einen belastenden Verwaltungsakt, dessen sofortige
Vollziehung die Behörde gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet hat,
wiederherstellen. Bei dieser Entscheidung bedarf es einer Abwägung zwischen
dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung einerseits und dem
privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers bis zur rechtskräftigen
Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts andererseits, bei
der insbesondere auch die bereits überschaubaren Erfolgsaussichten des im
Hauptsacheverfahren eingelegten Rechtsbehelfs zu berücksichtigen sind. Diese
Interessenabwägung fällt zugunsten des Antragstellers aus, weil der
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angefochtene Bescheid bei summarischer Prüfung mutmaßlich rechtswidrig ist.
Gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV darf die Fahrerlaubnisbehörde auf die fehlende
Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen, wenn
dieser sich weigert, sich einer nach den straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften
vorgesehenen Eignungsuntersuchung zu unterziehen oder das von der
Behörde geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Voraussetzung hierfür
ist allerdings, dass die Anordnung einer solchen Untersuchung ihrerseits
rechtmäßig war (vgl. BVerwG, U. v. 5.07.2001 - 3 C 13.01 -, NJW 2002, 78
m.w.N.); dies ist hier bezüglich der an den Antragsteller ergangenen
Gutachtenanordnung des Antragsgegners vom 17.07.2012 aller Voraussicht
nach zu verneinen.
Der Antragsgegner hat diese Gutachtenanordnung - wie sich aus Umfang bzw.
Gewichtung der hierfür gegebenen Begründung zwangslos ergibt - erneut
vorrangig auf § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV gestützt und dies mit dem von der
Polizei F. mitgeteilten Vorfall vom 12.01.2012 und den daraus seiner Auffassung
nach resultierenden Zweifeln an der Fahreignung des Antragstellers begründet.
Insoweit hat er zwar - offenbar als Reaktion auf den Beschluss der Kammer vom
23.04.2012 in dem vorangegangenen Eilverfahren 6 B 21/12 - jedenfalls verbal
zum Ausdruck gebracht, dass ihm bewusst sei, dass eine
Eignungsüberprüfungsmaßnahme nach der vorgenannten Vorschrift in
Konkurrenz zu den abgestuften Maßnahmen nach dem sog. Punktsystem (§ 4
Abs. 3 StVG ) stehe und deshalb einer besonderen Rechtfertigung bedürfe. Die
hierfür auf S. 3 der Anordnung gegebene Begründung, dass dem Vorfall vom
12.01.2012 und den zuvor während der Probezeit begangenen
Geschwindigkeitsüberschreitungen ein grob rücksichtsloses Verhalten des
Antragstellers zugrunde liege und die hieraus resultierenden Bedenken an
dessen Fahreignung nur durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten
ausgeräumt werden könnten, wird sich jedoch wiederum als rechtlich nicht
tragfähig erweisen. Hierzu hat die Kammer bereits in ihrem Beschluss vom
23.04.2012 (6 B 21/12) Folgendes ausgeführt:
„ … Abgesehen davon dürften die tatbestandlichen Voraussetzungen des
§ 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV auch tatsächlich nicht vorgelegen haben.
Soweit der Antragsgegner in diesem Zusammenhang (auch) auf die vom
Antragsteller in den Jahren 2004, 2006 und 2007 begangenen
Verkehrsverstöße abgestellt hat, können diese - jedenfalls für sich
genommen - nicht mehr tragend als Begründung für eine zum jetzigen
Zeitpunkt fehlende Fahreignung des Antragstellers herangezogen werden.
Diese Verkehrsverstöße sind sämtlich während der im Anschluss an die
erstmalige Erteilung der Fahrerlaubnis im Jahr 2003 laufenden Probezeit
begangen und seinerzeit nach Maßgabe des § 2 a Abs. 2 StVG - zuletzt
durch Entziehung der Fahrerlaubnis im Jahr 2007 - sanktioniert worden. Im
September 2009 ist dem Antragsteller sodann, ohne dass er sich zuvor
einer Eignungsbegutachtung unterziehen musste, eine neue
Fahrerlaubnis erteilt worden. Anhaltspunkte dafür, dass die früheren
Verkehrsauffälligkeiten - ggf. in Verbindung mit dem aktuellen Vorfall am
12.01.2012 - Ausdruck einer generellen Haltung bzw. Einstellung des
Antragstellers sind, sich dauerhaft und hartnäckig über bestehende
Verkehrsvorschriften hinwegzusetzen (vgl. dazu OVG Berlin-Brandenburg,
aaO, m.w.N.), sind nicht ersichtlich und auch vom Antragsgegner nicht
vorgetragen worden; dagegen spricht im Übrigen schon, dass der
Antragsteller nach Aktenlage in der Zeit zwischen der Neuerteilung der
Fahrerlaubnis und dem Vorfall im Januar 2012 nicht wieder
verkehrsauffällig geworden ist. Auch der letztgenannte Vorfall, der
offensichtlich Auslöser für die streitige Gutachtenanordnung war, stellt
keinen "besonders gewichtigen" Verkehrsverstoß im oben umschriebenen
Sinne dar. Insoweit ist zunächst festzustellen, dass der Antragsgegner im
bisherigen Verlauf des Verwaltungs- und Gerichtsverfahrens nicht konkret
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dargelegt hat, gegen welche Verkehrsvorschriften der Antragsteller mit
dem von der Polizei mitgeteilten Verhalten verstoßen haben soll. …..
Abgesehen davon wäre die Gutachtenanordnung voraussichtlich auch
dann rechtswidrig, wenn der Antragsteller die ihm in der Anhörung im
Bußgeldverfahren vom 16.02.2012 vorgeworfenen Verkehrsverstöße
(Fahren mit nicht angepasster Geschwindigkeit, Verstoß gegen das
Rechtsfahrgebot, Inbetriebnahme eines Fahrzeugs trotz übermäßiger
Geräuschentwicklung, Nichtmitführen der Zulassungsbescheinigung)
tatsächlich begangen haben und deshalb zwischenzeitlich mit einer
Geldbuße belegt worden sein sollte. Denn diese Verstöße rechtfertigen für
sich genommen - ohne Hinzutreten weiterer, vom Antragsgegner allerdings
nicht dargelegter eignungsrelevanter Umstände - ihrer Art und ihrem
Gewicht nach noch nicht die Annahme, dass im vorliegenden Fall eine
Anwendung der abgestuften Maßnahmen nach dem Punktsystem (§ 4
Abs. 3 StVG) nicht ausreicht, sondern statt dessen eine sofortige
Eignungsüberprüfung des Antragstellers außerhalb des Punktsystems
erforderlich ist. In diesem Zusammenhang kommt nicht zuletzt auch dem
Umstand Bedeutung zu, dass nach Aktenlage im Zeitpunkt der
Gutachtenanordnung im Verkehrszentralregister keinerlei Eintragungen
zulasten des Antragstellers bestanden, so dass nicht einmal Anlass für
eine Verwarnung gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG bestand (vgl. dazu
VG München, B. v. 14.07.2010 - M 6a S 10.2707 -, juris). Sollte der
Antragsgegner seine Eignungszweifel dagegen ganz allgemein aus der in
dem Polizeibericht beschriebenen "rasanten Fahrweise" des Antragstellers
und/oder dessen "Uneinsichtigkeit" gegenüber dem Polizeibeamten
hergeleitet haben, hätte dies, was angesichts des dargelegten rechtlichen
Maßstabs keiner vertiefenden Erörterung bedarf, eine
Gutachtenanordnung auf der Grundlage des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV
erst recht nicht gerechtfertigt. …“
An diesen Erwägungen ist für das vorliegende Verfahren festzuhalten, da sich
die Sach- und Rechtslage zwischenzeitlich nicht in entscheidungserheblicher
Weise, sondern lediglich dahingehend geändert hat, dass der Antragsgegner
den gegen den Antragsteller wegen des Vorfalls vom 12.01.2012 erhobenen
Vorwurf im Nachhinein (zuletzt) mit Bußgeldbescheid vom 04.04.2012 auf
Fahren mit unangepasster Geschwindigkeit konkretisiert bzw. beschränkt hat,
das diesbezügliche Ordnungswidrigkeiten anschließend allerdings vom
Amtsgericht G. wegen Geringfügigkeit eingestellt worden ist.
Mutmaßlich rechtswidrig ist die Gutachtenanordnung vom 17.07.2012 auch
insoweit, als sie - wenn auch im Gesamtzusammenhang eher beiläufig - mit
einem etwaigen Betäubungsmittelkonsum des Antragstellers begründet worden
ist. Dies dürfte schon daraus folgen, dass der Antragsgegner die Anordnung
insoweit pauschal auf § 14 FeV gestützt hat, ohne deutlich zu machen, welche
der einzelnen Tatbestandsalternativen dieser Vorschrift vorliegend zur
Anwendung kommen soll. Insbesondere hat er nicht konkret dargelegt, ob die
von ihm angenommenen Eignungszweifel auf einem möglichen
Cannabiskonsum des Antragstellers oder einem etwaigen Konsum anderer
Betäubungsmittel beruhen und von welchem Konsummuster er insoweit
ausgegangen ist. Damit dürfte er der ihm als Fahrerlaubnisbehörde obliegenden
Verpflichtung, dem betroffenen Fahrerlaubnisinhaber in verständlicher und
nachvollziehbarer Weise die Gründe für die Zweifel an seiner Eignung im
Einzelnen mitzuteilen (vgl. § 11 Abs. 6 Satz 2 - 1. HS - FeV sowie Hentschel/
König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., § 11 FeV Rn. 19 m.w.N.), nicht
genügt haben. Die in diesem Zusammenhang gegebene Begründung (S. 1 der
Gutachtenanordnung) hilft ebenfalls nicht weiter, da sie sich auf den bloßen
Hinweis beschränkt, dass derjenige, der Betäubungsmittel im Sinne des
Betäubungsmittelgesetzes einnehme, „gemäß der Ziff. 9.1 der Anlage 4 zur
FeV“ ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sei. Selbst wenn man dies so
versteht, dass der Antragsgegner im Ausgangspunkt - unter Ausklammerung
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eines etwaigen, nach anderen rechtlichen Maßstäben zu bewertenden
Cannabiskonsums - allein auf die Frage abstellen wollte, ob der Antragsteller
Hartdrogen konsumiert, wären die für die angeordnete Begutachtung
erheblichen Fragen damit nicht hinreichend bezeichnet bzw. das Erfordernis
einer solchen Begutachtung nicht hinreichend dargelegt worden. Hätte mit der
Gutachtenanordnung die Frage geklärt werden sollen, ob der Antragsteller
„überhaupt“ Betäubungsmittel einnimmt, hätte von vornherein kein medizinisch-
psychologisches, sondern gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV lediglich ein
ärztliches Gutachten gefordert werden dürfen. Die Beibringung eines
medizinisch-psychologischen Gutachtens konnte dagegen nur zur Klärung der
Frage angeordnet werden, ob der Antragsteller im Sinne des § 14 Abs. 2 Nr. 1
FeV „weiterhin“ Hartdrogen konsumiert. Diese Vorschrift kommt zur Anwendung,
wenn dem Betroffenen zu einem in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt
aufgrund der Einnahme von Betäubungsmitteln die Fahreignung fehlte und
nunmehr - nach gewissem Zeitablauf - zu klären ist, ob ein entsprechender
Konsum weiterhin gegeben ist (vgl. Hentschel/König/Dauer, aaO, § 14 FeV Rn.
23 m.w.N). Eine solche Fallkonstellation liegt hier jedoch nicht vor; Zweifel an der
Fahreignung unter dem hier interessierenden Aspekt konnten sich vielmehr
allein mit Blick auf einen möglichen Betäubungsmittelkonsum des Antragstellers
im zeitlichen Zusammenhang mit der Fahrt am 05.02.2012 ergeben. Ein
derartiger (nachgewiesener) aktueller Hartdrogenkonsum führt allerdings gemäß
Ziff. 9.1. der Anlage 4 zur FeV im Regelfall bereits für sich genommen zur
Ungeeignetheit des Betroffenen, so dass es - wäre der Antragsgegner hiervon
ausgegangen - der vorherigen Einholung eines Eignungsgutachtens im
vorliegenden Fall nicht bedurft hätte (vgl. § 11 Abs. 7 FeV). Abgesehen davon ist
ausweislich des Befundberichts der Laborarztpraxis Dr. I. vom 06./24.02.2012
auch für diesen Zeitpunkt nicht nachgewiesen, dass der Antragsteller tatsächlich
Hartdrogen (Amphetamin) konsumiert hat.
Eine andere rechtliche Beurteilung ist schließlich auch nicht deshalb
gerechtfertigt, weil der Antragsgegner seine Gutachtenanordnung zusätzlich -
wenngleich ebenfalls eher beiläufig - mit den beiden Fahrten des Antragstellers
unter Alkoholeinfluss in den Jahren 2007 und 2012 begründet hat. Selbst wenn
dies, was im vorliegenden Verfahren nicht abschließend geprüft werden muss,
für sich genommen auf der Grundlage des § 13 Satz 1 Nr. 2 b) FeV zulässig
gewesen sein sollte, führt dies aller Voraussicht nach nicht zur Rechtmäßigkeit
der streitigen Gutachtenanordnung. Tauglicher Anknüpfungspunkt für eine
nachfolgende Entziehung der Fahrerlaubnis in Anwendung des § 11 Abs. 8 FeV
kann nur eine Gutachtenanordnung sein, die den vom Verordnungsgeber
insoweit aufgestellten rechtlichen Anforderungen in jeder Hinsicht genügt. Die
(vollständige) Einhaltung dieser Anforderungen ist nicht zuletzt deshalb
erforderlich, weil eine Gutachtenanordnung nicht isoliert mit Rechtsmitteln
angegriffen werden kann (vgl. BVerwG, B. v. 17.05.1994 - 11 B 157/93 -, DAR
1994, 372 m.w.N.), der Betroffene im Falle der Verweigerung der Begutachtung
jedoch damit rechnen muss, dass ihm die Fahrerlaubnis entzogen wird.
Demgemäß muss die Fahrerlaubnisbehörde zum einen die in § 11 Abs. 6 Satz 2
FeV geregelten Unterrichtungs- und Informationspflichten beachten, weil der
betroffene Fahrerlaubnisinhaber hierdurch in die Lage versetzt werden soll, sich
frühzeitig Klarheit darüber zu verschaffen, ob die an ihn gerichtete
Gutachtenanordnung rechtmäßig oder - mit der Folge, dass er sich ihr
verweigern kann, ohne die negativen Folgen des § 11 Abs. 8 FeV befürchten zu
müssen - rechtswidrig ist; zugleich soll er sich auch darüber schlüssig werden
können, ob er die mit einer Begutachtung regelmäßig verbundenen Eingriffe in
sein Persönlichkeitsrecht und/oder sein Recht auf körperliche Unversehrtheit
hinnehmen oder sich einer entsprechenden Begutachtung verweigern will. Zum
anderen muss eine Gutachtenanordnung den Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit und das Übermaßverbot beachten, weil durch die darin
konkret festgelegten Fragen der Gutachtenauftrag sowohl gegenüber dem
betroffenen Fahrerlaubnisinhaber als demjenigen, der diesen Auftrag letztlich zu
erteilen hat (§ 11 Abs. 6 Satz 5 FeV), als auch gegenüber dem Gutachter selbst
entscheidend bestimmt wird (vgl. § 11 Abs. 6 Sätze 1 und 4 FeV); insoweit
besteht mithin nicht die Möglichkeit, hiervon abweichend ggf. lediglich eine auf
eine einzelne Eignungsfrage beschränkte Teilbegutachtung durchzuführen. Vor
diesem Hintergrund ist etwa eine Gutachtenanordnung ohne hinreichend
belegte Tatsachen auf Grund bloßen Verdachts ebenso rechtswidrig wie eine
Anordnung, die den Anwendungsbereich oder die Reichweite einer bestimmten
Rechtsvorschrift verkennt. Letzteres ist hier, wie sich aus den vorstehenden
Ausführungen ergibt, jedenfalls insoweit der Fall, als es die erste und dritte der
vom Antragsgegner festgelegten Gutachtenfragen betrifft. Angesichts dessen
greift die streitige Gutachtenanordnung in ihrer konkreten (umfassenden) Form
in unangemessener und sachlich nicht gerechtfertigter Weise in das
Persönlichkeitsrecht des Antragstellers ein. Eine solche - in ihrer Gesamtheit
unverhältnismäßige und nicht „teilbare“ - Gutachtenanordnung musste der
Antragsteller, ohne dass daraus gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf dessen
Nichteignung geschlossen werden durfte, nicht befolgen; dies gilt unabhängig
davon, dass der Antragsteller zunächst sein Einverständnis mit der geforderten
Begutachtung erklärt hatte (vgl. Hentschel/König/Dauer, aaO, § 11 FeV Rn. 24
m.w.N.).