Urteil des VG Braunschweig vom 27.02.2013

VG Braunschweig: beiladung, bindungswirkung, lebensmittel, berechtigung, rechtskraft, produktion, firma, erstreckung, datenschutz, niedersachsen

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Beiladung im verwaltungsgerichtlichen
Klageverfahren, das das Zulassungsverfahren für
gesundheitsbezogene Angaben für Lebensmittel nach
der Health-Claim-VO zum Gegenstand hat
1. Voraussetzungen der notwendigen Beiladung nach § 65 Abs. 2 VwGO und
der (einfachen) Beiladung nach § 65 Abs. 1 VwGO.
2. (Fehlen einer) Bindungswirkung der negativen behördlichen Entscheidung
über einen Antrag nach Art. 14 der Health-Claim-VO (EG) 1924/2006, eine
gesundheitsbezogene Angabe für ein Lebensmittel zuzulassen, für einen
späteren, inhaltsgleichen Antrag in Bezug auf dasselbe Lebensmittel.
VG Braunschweig 5. Kammer, Beschluss vom 27.02.2013, 5 A 38/12
Art 14 EGV 1924/2006, § 65 Abs 1 VwGO, § 65 Abs 2 VwGO
Tenor
Der Antrag der Beklagten auf Beiladung der Firma D., E., vertreten durch die
Rechtsanwaltskanzlei F., wird abgelehnt.
Gründe
Der Antrag der Beklagten auf Beiladung der Firma D., über den gemäß § 87a
Abs. 1 Nr. 6 VwGO der Berichterstatter durch Beschluss nach § 65 Abs. 4
VwGO zu entscheiden hat, hat keinen Erfolg.
Die rechtlichen Voraussetzungen einer notwendigen Beiladung sind nicht
gegeben. Nach § 65 Abs. 2 VwGO sind Dritte beizuladen, die an dem streitigen
Rechtsverhältnis derartig beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen
gegenüber nur einheitlich ergehen kann (notwendige Beiladung). Dies ist dann
der Fall, wenn die Sachentscheidung nicht getroffen werden kann, ohne dass
dadurch gleichzeitig unmittelbar und zwangsläufig in Rechte des Dritten
eingegriffen wird und diese gestaltet, bestätigt oder festgestellt, verändert oder
aufgehoben werden (BVerwG, B. v. 07.02.2011 - 6 C 11/10 -, juris Rn. 2; v.
Albedyll in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 5. Aufl., § 65
Rn. 16 m.w.N.). D. ist nicht in dieser Weiser an dem vorliegenden
Klageverfahren beteiligt.
Die Klägerin möchte mit ihrer Klage erreichen, dass die Verfahren Nr. I. und Nr.
J. auf Zulassung gesundheitsbezogener Angaben (sog. health-claims) nach Art.
14 der VO (EG) 1924/2006 (im Folgenden: HCVO) für den G. (im Folgenden: H.),
die sie mit Anträgen vom Januar 2008 an die Beklagte zur Weiterleitung an die
Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) in Gang gebracht hat,
fortgesetzt werden und die Beklagte ihre Mitteilung gegenüber der EFSA, die
Anträge seien zurückgenommen, rückgängig macht oder in anderer Weise
sicherstellt, dass die Zulassungsverfahren fortgeführt werden. Eine
Entscheidung über diesen Streitgegenstand betrifft D. nicht unmittelbar in ihren
Rechten.
Insbesondere ist das Nutzungs- und Verwertungsrecht am H., das nach dem
zwischen der Klägerin und D. geschlossenen Beendigungsvertrag seit dem 1.
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Januar 2010 nur noch D. und nicht weiter der Klägerin zusteht, nicht unmittelbar
betroffen. Der Lizenz- und Liefervertrag zwischen D. und der Klägerin bezog
sich, soweit ersichtlich, auf die Berechtigung, H. in der Produktion von
Lebensmitteln zu verwenden. Diese Berechtigung hat die Klägerin nach dem
Aufhebungsvertrag mittlerweile eingebüßt und steht nunmehr ausschließlich D.
zu. Die Zulassung gesundheitsbezogener Angaben für H. betrifft aber die
Berechtigung, diese in der Produktion von Lebensmitteln einzusetzen, nicht -
wie von § 65 Abs. 2 VwGO vorausgesetzt - unmittelbar; es handelt sich insoweit
vielmehr um rechtlich voneinander unabhängige Fragestellungen.
Eine unmittelbare rechtliche Betroffenheit der Nutzungs- und Verwertungsrechte
von D. ergibt sich auch nicht aus einer Bindungswirkung einer negativen
Entscheidung über einen Zulassungsantrag nach Art. 14 ff. HCVO. Es ist -
insoweit besteht mittlerweile Einigkeit zwischen den Beteiligten - nicht davon
auszugehen, dass eine negative Entscheidung über einen Zulassungsantrag
nach Art. 14 ff. HCVO eine Bindungswirkung für spätere Anträge anderer
Antragsteller in Bezug auf dasselbe Lebensmittel(bestandteil) und dieselbe
gesundheitsbezogene Angabe in dem Sinn entfaltet, dass der erneute Antrag
unzulässig oder ungültig wäre bzw. die europäischen Behörden von vornherein
materiell an die frühere Entscheidung gebunden wären. Hiervon ist erst Recht
auszugehen, wenn der spätere Antrag zusätzliches wissenschaftliches
Studienmaterial zum Nachweis der gesundheitsbezogenen Angabe enthält, das
im früheren Antrag nicht enthalten war.
Die HCVO enthält keine ausdrücklichen Regelungen über Art und Umfang der
Bindungswirkung einer die Zulassung einer gesundheitsbezogenen Angabe
nach Art. 14 HCVO ablehnenden Entscheidung. Schon dies spricht gegen die
Annahme einer Bindungswirkung. Die Klägerin weist zu Recht darauf hin, dass
die Annahme einer solchen wegen der weitreichenden Konsequenzen auch für
am Zulassungsverfahren nicht beteiligte Dritte eine eindeutige Regelung
voraussetzte. Aus dem Regelungszusammenhang der HCVO kann ebenfalls
geschlossen werden, dass eine solche Bindungswirkung nicht besteht. Hierfür
spricht bereits, dass die HCVO an verschiedenen Stellen nur die rechtlichen
Auswirkungen einer positiven Entscheidung über einen Zulassungsantrag regelt
(bspw. Art. 17 Abs. 5 und Abs. 6), vergleichbare Bestimmungen für die
Zulassung ablehnende Entscheidungen aber fehlen. Außerdem spricht hierfür,
dass die HCVO nur das Verfahren bzgl. einer nachträglichen Änderung einer
positiven Zulassungsentscheidung regelt (vgl. Art. 19). Weil vergleichbare
Regelungen für die Zulassung ablehnende Entscheidungen fehlen, spricht dies
im Umkehrschluss dafür, dass die Änderung einer ablehnenden Entscheidung
aufgrund einer späteren Antragstellung uneingeschränkt möglich ist. Die
Annahme einer Bindungswirkung ist auch nicht im Hinblick darauf geboten, dass
wissenschaftliche Stellungnahmen der EFSA bzw. Entscheidungen über
Zulassungsanträge nach Art. 16 Abs. 6 bzw. 17 Abs. 4 und 20 Abs. 2 Buchst. d)
HCVO veröffentlicht werden. Nach dem Erwägungsgrund Nr. 31 dient die
Veröffentlichung vielmehr der Transparenz und der Vermeidung wiederholter
Anträge bereits bewerteter Angaben. Dass solche wiederholten Anträge von
vornherein unzulässig sind oder keiner inhaltlichen Überprüfung bedürften,
ergibt sich hiernach nicht.
D. wäre somit auch für den Fall, dass die Klägerin im vorliegenden Verfahren
obsiegen würde und die Zulassungsanträge I. und J. im Ergebnis negativ
beschieden würden, rechtlich nicht gehindert, selbst gültige Zulassungsanträge
bzgl. derselben gesundheitsbezogenen Angaben in Bezug auf H. zu stellen, erst
Recht, sofern sie ihren Anträgen zusätzliches wissenschaftliches
Erkenntnismaterial beifügt. Angesichts dessen betrifft die Sachentscheidung
zum vorliegenden Klageverfahren D. nicht unmittelbar in ihren Nutzungs- und
Verwertungsrechten am H..
Die Kammer sieht des Weiteren davon ab, D. nach § 65 Abs. 1 VwGO
beizuladen.
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Nach § 65 Abs. 1 VwGO kann das Gericht, solange das Verfahren noch nicht
rechtskräftig abgeschlossen oder in höherer Instanz anhängig ist, andere, deren
rechtliche Interessen durch die Entscheidung berührt werden, beiladen. Berührt
sind rechtliche Interessen im Sinne des § 65 Abs. 1 VwGO bereits dann, wenn
die Entscheidung über die Klage die Rechtslage des Beizuladenden verbessern
oder verschlechtern könnte; hierfür reicht die Möglichkeit, dass der Inhalt der
Entscheidung auf rechtliche Interessen des Beizuladenden einwirken kann
(BVerwG, B. v. 04.03.2008 - 9 A 74/07 - juris Rn. 2; B. v. 19.11.1998 - 11 A 50/97
- , juris Rn. 6; v. Albedyll, a.a.O., § 65 Rn. 10).
Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Voraussetzungen für eine einfache
Beiladung gegeben sind. Denn die Entscheidung hierüber steht im Ermessen
des Gerichts. Die Kammer sieht in Ausübung ihres Ermessens davon ab, D.
beizuladen. Ihre Beiladung ist nicht unter dem Gesichtspunkt der
Interessenwahrung erforderlich. Insbesondere ist sie auch nicht im Hinblick auf
eine Erstreckung der Rechtskraft der Entscheidung im vorliegenden
Klageverfahren sachdienlich. Es ist nicht ersichtlich, dass die Frage, ob die
Klägerin gegenüber der Beklagten beanspruchen kann, dass diese auf die
Fortführung der Zulassungsverfahren nach der HCVO hinwirkt, im Hinblick auf
allenfalls denkbare zivilrechtliche Auseinandersetzungen zwischen D. und der
Klägerin relevant werden könnte. Nur diese Frage ist jedoch Gegenstand des
vorliegenden Verfahrens. Ob die Klägerin durch die Fortführung des
Zulassungsverfahrens gegen zivilrechtliche Rechtspositionen zugunsten von D.
verstößt, wäre hingegen von der Rechtskraft einer Entscheidung über die
vorliegende Klage nicht umfasst.