Urteil des VG Berlin vom 02.04.2017

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Gericht:
VG Berlin 21.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
21 K 402.10
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 5 Abs 1 WoGG 2009, § 6 Abs 1
WoGG 2009, § 7 Abs 3a SGB 2
Gewährung von Wohngeld
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von
110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der
Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Bewilligung von Wohngeld.
Sie beantragte im Juni 2009 beim Bezirksamt Spandau von Berlin die Gewährung von
Wohngeld für die von ihr, ihren drei (1995, 1997 und 2000 geborenen) Kindern, ihrem
Lebensgefährten und dessen (1994 geborene) Kind bewohnte Wohnung im T.-Weg in
Berlin, für die eine monatliche Miete von 945 € einschließlich 115 € Heizungs-
/Warmwaserkosten zu zahlen war. Das Wohngeldamt lehnte den Wohngeldantrag mit
Bescheid vom 7. Januar 2010 ab und wies den hiergegen eingelegten Widerspruch mit
Widerspruchsbescheid vom 7. Juli 2010, der Klägerin zugestellt am 15. Juli 2010, mit der
Begründung zurück, die wirtschaftlichen Voraussetzungen lägen nicht vor, weil das
anrechenbare monatliche Gesamteinkommen sämtlicher Mitglieder der
Haushaltsgemeinschaft rund 4.386 € bzw. ab August 2009 rund 3.754 € betragen habe.
Hiergegen hat die Klägerin am 10. August 2010 Klage erhoben. Die Beteiligten streiten
darüber, ob bei der Einkommensberechnung auch das Einkommen des Lebensgefährten
der Klägerin einzubeziehen ist.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Bezirksamtes Spandau von
Berlin vom 7. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juli 2010 zu
verpflichten, ihr von Juni 2009 bis Mai 2010 Wohngeld in der ihr gesetzlich zustehenden
Höhe zu bewilligen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakte des
Gerichts einschließlich des Verwaltungsvorganges des Beklagten Bezug genommen. Die
genannten Unterlagen haben vorgelegen und sind – soweit wesentlich – Gegenstand der
mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung ergeht durch den Berichterstatter als Einzelrichter, nachdem ihm die
Kammer den Rechtsstreit mit Beschluss vom 30. August 2010 zur Entscheidung
übertragen hat.
Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Bezirksamtes Spandau von Berlin vom 7.
Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juli 2010 ist rechtmäßig
und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten; sie hat keinen Anspruch auf Wohngeld
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und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten; sie hat keinen Anspruch auf Wohngeld
für die Zeit von Juni 2009 bis Mai 2010 (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Als Anspruchsgrundlage hierfür kommt nur § 1 des Wohngeldgesetzes in der hier
maßgeblichen Neufassung vom 24. September 2008 (BGBl. I S. 1856), zuletzt geändert
mit Gesetz vom 7. Juli 2009 (BGBl. I S. 1707) – WoGG 2009 – in Betracht. Danach wird
Wohngeld zur wirtschaftlichen Sicherung angemessenen und familiengerechten
Wohnens als Zuschuss zur Miete oder zur Belastung geleistet. Ob und in welcher Höhe
Wohngeld bewilligt wird, hängt insbesondere von der Zahl der Haushaltsangehörigen (§§
5 ff. WoGG 2009), der berücksichtigungsfähigen Miete (§§ 9 ff. WoGG 2009) und dem
Jahreseinkommen des Wohngeldberechtigten und seiner berücksichtigungsfähigen
Haushaltsmitglieder ab (§§ 13 und 14 WoGG 2009), wobei nach den §§ 15 Abs. 1 Satz 1,
24 Abs. 2 Satz 1 WoGG 2009 bei der Ermittlung des Jahreseinkommens die Einnahmen
zu Grunde zu legen sind, die zum Zeitpunkt der Antragstellung im Bewilligungszeitraum
zu erwarten sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Januar 1990 - 8 C 58.89 - Juris zur
entsprechenden Vorläuferregelung; OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 26. April
2010 – 6 M 39.10 –, 22. April 2010 – 6 M 28.10 – und vom 7. Juli 2008 - 5 M 36.08 -).
Danach steht der Klägerin für den hier streitigen Zeitraum kein Wohngeld zu, weil sich
bei einem 6-Personen-Haushalt, einer wohngeldrechtlich berücksichtigungsfähigen Miete
von 826 EUR – nach dem Wohngeldgesetz ist von der tatsächlich gezahlten Miete allein
der Höchstbetrag für einen 6-Personen-Haushalt von 771 EUR zuzüglich der
Heizkostenpauschale für 6 Personen von 55 EUR anrechenbar – und einem
wohngeldrechtlich anzurechnendem monatlichen Einkommen von 4.308,78 € bzw. ab
August 2009 von 3.677,10 € kein Wohngeldanspruch ergibt. Wegen der weiteren
Begründung wird Bezug genommen auf die Ausführungen und Berechnungen des
Wohngeldamtes mit den angefochtenen Bescheiden, die die gesetzlichen Vorgaben
beachten und allein insoweit geringfügig zu korrigieren sind, als dass das eigene
Bruttoeinkommen der Klägerin als Ausgangspunkt für die Ermittlung ihres
anrechenbaren Einkommens nicht mit 12.293,48 € (dem Zwölffachen von 1.024,46 €,
wie mit dem Widerspruchsbescheid angenommen) anzusetzen ist, sondern mit
11.897,16 € (dem Zwölffachen von 991,43 €), weil im maßgeblichen Zeitpunkt der
Antragstellung das nachgewiesene eigene Einkommen der Klägerin leicht schwankend
und daher auf ihren durchschnittlichen Bruttoverdienst in der Zeit bis zur Antragstellung
– hier also der Monate Januar bis Mai 2009 und damit auf einen monatlichen
Durchschnittsbruttoverdienst von 991,43 € – abzustellen war.
Bei der Einkommensberechnung war auch das Einkommen des Lebensgefährten der
Klägerin und dessen Kind mit einzubeziehen. Denn nach der ausdrücklichen gesetzlichen
Regelung in § 6 Nr. 1 WoGG 2009 sind bei der Berechnung des Wohngeldes –
vorbehaltlich der hier nicht einschlägigen §§ 6 Nr. 2, 7 und 8 WoGG 2009 – sämtliche
Haushaltsmitglieder zu berücksichtigen. Haushaltsmitglied ist nach § 5 Nr. 1 WoGG 2009
die wohngeldberechtigte Person, wenn der Wohnraum, für den sie Wohngeld beantragt,
der Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen ist (Satz 1). Haushaltsmitglied ist nach Satz 2
der Vorschrift auch, wer als Lebenspartner eines Haushaltsmitgliedes von diesem nicht
dauernd getrennt lebt (Nummer 2), mit einem Haushaltsmitglied so zusammenlebt,
dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist,
Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen (Nummer 3), mit
einem Haushaltsmitglied in gerader Linie oder zweiten oder dritten Grades in der
Seitenlinie verwandt oder verschwägert ist (Nummer 4), und mit der
wohngeldberechtigten Person in einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft lebt, wenn der
Wohnraum, für den Wohngeld beantragt wird, der jeweilige Mittelpunkt der
Lebensbeziehungen ist. Nach § 5 Nr. 2 WoGG 2009 wird ein wechselseitiger Wille,
Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, vermutet, wenn
mindestens eine der Voraussetzungen nach den Nummern 1 bis 4 des § 7 Nr. 3a des
Zweiten Buches Sozialgesetzbuch erfüllt ist. Danach sind hier Haushaltsmitglieder die
Klägerin nach § 5 Nr. 1 Satz 1 WoGG 2009, deren Lebenspartner nach § 5 Nr. 1 Satz 2
Nr. 2 WoGG 2009 sowie die Kinder der Klägerin und das Kind ihres Lebenspartners jeweils
nach § 5 Nr. 1 Satz 2 Nr. 4 WoGG 2009, ohne dass es noch auf eine Zurechnung nach §
5 Nr. 1 Satz 2 Nr. 3 WoGG 2009, der auf das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft
abstellt, ankommt. Im Übrigen sind sämtliche Haushaltsmitglieder vom JobCenter bei
den Ablehnungsentscheidungen vom November 2009 (Nr. 55 f. des
Verwaltungsvorganges) als Bedarfsgemeinschaft berücksichtigt worden. Die Klägerin hat
diese Entscheidungen bestandskräftig werden lassen und im Übrigen mit Schreiben vom
Dezember 2009 (Nr. 60 des Verwaltungsvorganges) selbst vorgetragen, dass sie (erst)
seit Februar 2009 eine Lebensgemeinschaft bzw. Bedarfsgemeinschaft bildeten. Bei
dieser Sachlage liegt eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft vor, wie die Klägerin auch
im Termin letztlich bestätigt hat, weil ihr Lebenspartner für sie und ihre Kinder mit
einsteht (vgl.a. den Vermerk des Wohngeldamtes Nr. 80 des Verwaltungsvorganges).
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einsteht (vgl.a. den Vermerk des Wohngeldamtes Nr. 80 des Verwaltungsvorganges).
Schließlich haben sämtliche Haushaltsmitglieder den Mittelpunkt ihrer
Lebensbeziehungen in dem Wohnraum, für den Wohngeld beantragt wird.
Die Einbeziehung des Einkommens des Lebensgefährten der Klägerin und dessen Kind in
das für die Wohngeldberechnung maßgebliche Haushaltseinkommen stellt auch keine
(verfassungswidrige) Beschneidung des Existenzminimums ihrer Kinder dar, wie die
Klägerin meint. Denn beim Wohngeld geht es nicht um die Sicherung des notwendigen
Lebensunterhaltes, sondern um einen bloßen Zuschuss zu den Wohnkosten aus
wohnungs- und familien-politischen Zielen. Im Übrigen vermag die Kammer eine solche
Beschneidung des Existenzminimums nicht zu erkennen. Dem Gesetzgeber kommt auf
dem Gebiet der gewährenden Staatstätigkeit wie bei der Regelung der Bewilligung von
Wohngeld eine besonders weit bemessene Gestaltungsfreiheit zu. Er kann im Bereich
der Leistungsgewährung in weitem Umfang typisierende und generalisierende
Regelungen treffen. Derartige Regelungen sind vor allem dann verfassungsrechtlich
unbedenklich, wenn die Verwaltung wie auf dem Gebiet der Wohngeldgewährung in
kurzer Zeit eine Vielzahl von Fällen zu entscheiden zu prüfen hat (vgl. zum
Vorstehenden BverwG, Urteil vom 19. April 1996 – 8 C 3.95 – Juris Rdnr. 22). Auf einem
solchen Gebiet der Massenverwaltung darf der Gesetzgeber nach diesen Maßstäben die
Einkommensberechnung pauschalisierend und typisierend an das Einkommen
sämtlicher in Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft bzw. in Bedarfsgemeinschaft lebender
Personen und damit auch an das Einkommen des Lebenspartners anknüpfen. Denn der
Lebenspartner wird typischerweise (aufgrund moralischer Verpflichtung bzw.
eheähnlicher Verbundenheit zu dem anderen Lebenspartner) auch für die Kinder des
anderen Lebenspartners einstehen (tatsächliche Einstandsgemeinschaft) und nicht bloß
den Lebenspartner unterstützen, jedoch trotz eigener noch vorhandener Mittel dessen
Kindern „die Existenz nehmen“. Andernfalls würde auch Missbrauch zu Lasten der
Allgemeinheit erleichtert und die Ehe gegenüber der eheähnlichen Gemeinschaft
benachteiligt (so auch die Gesetzesbegründung zur Neufassung des § 9 Nr. 2 Satz 2
SGB II mit dem Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom
20. Juli 2006 [BGBl I Nr. 1706] vgl. BT-Drs. 16/1410, Nr. 20).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Nr. 1 VwGO, die Entscheidung über die
Vollstreckbarkeit aus § 167 Nr. 1 und 2 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird gemäß §§ 39 ff., 52 f. des Gerichtskostengesetzes
auf 4.196 € (dem Zwölffachen des sich unter Annahme eines bloßen 4-Personen-
Haushaltes ergebenden Wohngeldes in Höhe von monatlich je 158 € für Juni und Juli
2009 sowie monatlich je 388 € für die Monate August 2009 bis Mai 2010 (anrechenbare
Miete von 596,33 € [
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der Miete von 945 € abzüglich der Heizkosten von 115 €
zuzüglich Heizkostenpauschale von 43 €] und anrechenbares monatliches Einkommen
von 1.420,75 € bzw. ab August 2009 von 788,89 € unter Zugrundelegen eines eigenen
Einkommens der Klägerin von 11.897,16 € [s.o.]) festgesetzt.
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