Urteil des VG Berlin vom 02.04.2017

VG Berlin: hochschule, dienstliches verhalten, professor, programm, urkundenfälschung, universität, beamtenverhältnis, informatik, englisch, betrug

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Gericht:
VG Berlin
Disziplinarkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
80 Dn 34.07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 20 LBG
Entfernung eines Beamten aus dem Dienst wegen des Betruges
zum Nachteil seines Dienstherren
Tenor
Die Disziplinarklage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu
vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Der 19... in H. geborene Beklagte verließ 19... die K.-Oberschule in H., die er mit dem
Abschlusszeugnis („Gut“) der 10. Klasse abschloss. 19... erwarb er den
Facharbeiterabschluss als Elektromonteur bei der Deutschen Reichsbahn. Von 19... bis
19... war er als Nachrichtentechniker in H. und M. tätig. Zwischen 19... und 19...
besuchte er die Erweiterte Oberschule B. in H. und erlangte die Hochschulreife. Es
schloss sich zwischen 19... und 19... ein Polytechnik-Studium an der Humboldt-
Universität zu Berlin an, das er mit dem Hochschulabschluss „Gut“ und der Verleihung
des akademischen Grades als Diplom-Lehrer („Sehr gut“) abschloss. Von 19... bis 19...
arbeitete er als wissenschaftlicher Assistent an der Humboldt-Universität im Fachbereich
Elektrotechnik/Informatik. 19... promovierte zum Dr. paed. „cum laude“.
Von 19... bis 20... war der Beklagte Lehrbeauftragter bei der Klägerin auf dem
Fachgebiet „Informatik“ und „Wirtschaftsinformatik“; seit 19... war er darüber hinaus als
Dozent an der Verwaltungsakademie Berlin und für verschiedene nichtöffentliche
Bildungsträger, bis 19... auch als Dozent für Lehrerfortbildung für das Lehramt
„Informatik“ bei der Senatsverwaltung für Schule, Berufsbildung und Sport tätig.
Mit Schreiben der Senatorin für Wissenschaft, Forschung und Kultur vom 2... . Dezember
20... erhielt er eine Berufung auf die Stelle eines Professors der Besoldungsgruppe C 2
für das Fachgebiet „Wirtschaftsinformatik“ mit dem Schwerpunkt Anwendungen der
Informatik in der Betriebswirtschaft im Fachbereich 4 der Klägerin. Vom 1. April 20... an
wurde er dort als Professor zunächst im Angestelltenverhältnis beschäftigt und am 1.
August 20... unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit zum Professor
ernannt und in eine Planstelle der Besoldungsgruppe C 2 eingewiesen.
Der Beklagte ist geschieden und hat ein 19... geborenes nichteheliches Kind.
Der Beklagte unternahm im Rahmen des zwischen der Hochschule und dem DAAD
geschlossenen Zuwendungsvertrages, wonach Professoren im Rahmen des
SOKRATES/ERASMUS-Programms der Europäischen Union mit Mobilitätszuschüssen
geförderte Gastvorlesungen an Partnerhochschulen abhalten, insgesamt 5 Dienstreisen
zur Westminster University in London.
Die erste Dienstreise nach London vom 5. November bis 9. November 2003 diente der
Aufnahme von Kontakten. Danach unternahm der Beklagte vier weitere Dienstreisen
nach London, in denen er Gastvorlesungen in englischer Sprache an der Westminster
University halten sollte, und zwar vom 13. Mai bis 17. Mai 2004, vom 29. Oktober bis 7.
November 2004, vom 1. Februar bis 6. Februar 2006 und vom 18. Juli bis 22. Juli 2006.
Für jede dieser Dienstreisen stellte der Beklagte auf dem entsprechenden Formblatt
einen Dienstreiseantrag, der jeweils vom Dekan befürwortet und vom Kanzler der
Universität genehmigt wurde. Für die Dienstreisen wurden Fahr- und
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Universität genehmigt wurde. Für die Dienstreisen wurden Fahr- und
Übernachtungskosten gegen entsprechende Originalbelege erstattet sowie Tagegelder
nach den Vorschriften des BRKG gezahlt. Die Reisekosten wurden dem Beklagten aus
den der Klägerin aufgrund des Zuwendungsvertrages mit dem DAAD für das SOKRATES-
Programm (jährlich) zugewiesenen Mitteln nach Einreichen der jeweiligen
„Dienstreisekostenabrechnung zugleich Bescheid“ erstattet. Im Einzelnen:
Dienstreisekostenabrechnung vom 7. Juni 2004 für Dienstreise vom 13. bis 17. Mai 2004:
713,07 €.
Dienstreisekostenabrechnung vom 17. November 2004 für Dienstreise vom 29. Oktober
bis 7. November 2004: 800,00 €.
Dienstreisekostenabrechnung vom 3. März 2006 für Dienstreise vom 1. bis 6. Februar
2006: 763,34 €.
Dienstreisekostenabrechnung vom 22. August 2006 für Dienstreise vom 18. bis 22. Juli
2006: 737,06 €.
Aufgrund der mit dem DAAD geschlossenen Vereinbarung hatte der jeweilige Professor
u. a. einen Dozentenbericht über die gehaltene Vorlesung sowie eine entsprechende
Bestätigung der Partnerhochschule einzureichen.
Tatsächlich hielt der Beklagte bei keiner der vier Dienstreisen Gastvorlesungen an der
Westminster University ab, obwohl er sich – zumindest zeitweise – dort aufhielt. Als das
Auslandsamt der Hochschule den Beklagten nach den Dienstreisen aufforderte,
Bestätigungen der Auslandshochschule über gehaltene Gastvorlesungen einzureichen,
fälschte er entsprechende Tätigkeitsbescheinigungen der Westminster University für den
jeweiligen Dienstreisenzeitraum, indem er Universitäts-Kopfbögen aus dem Internet
verwendete, einen selbst verfassten Text darunter setzte und mit dem Phantasienamen
„M. Collins“ unterzeichnete.
Nachdem die Leitung der Klägerin Ende 2006/Anfang 2007 nach mehreren
Rücksprachen mit der Westminster University feststellte, dass der Beklagte dort im Jahr
2006 nicht gesehen worden war und keine Vorlesungen abgehalten hatte, räumte der
Beklagte sein Fehlverhalten Anfang 2007 in mehreren Gesprächen mit der
Hochschulleitung ein und zahlte den erhaltenen Reisezuschuss der vier Dienstreisen in
zwei Teilbeträgen vollständig zurück. Als Grund für das Fehlverhalten gab er sein
Unvermögen an, Lehrveranstaltungen in englischer Sprache abzuhalten. Er habe sich in
Bezug auf die vorgesehenen Lehrveranstaltungen in englischer Sprache „zu weit aus
dem Fenster gelehnt“. Er habe die Reisen durchgeführt, weil es im Rahmen des
SOKRATES-Programms dafür über den DAAD ein besonderes Budget gegeben habe.
In dem daraufhin gegen den Beklagten wegen Betrugs und Urkundenfälschung
eingeleiteten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren räumte der Beklagte die Vorwürfe
ein. Er habe sich mangels ausreichender englischer Sprachpraxis nicht in der Lage
gesehen, Lehrveranstaltungen in englischer Sprache durchzuführen. Um nicht im
Kollegenkreis der Hochschule dieses „Versagen“ einräumen zu müssen, habe der
Beklagte den Vorgang als normalen Auslandsaufenthalt an einer englischen Universität
darstellen wollen. Das Amtsgericht Tiergarten – (277 Cs) 63 Js 274/07 (173/07) – erließ
daraufhin gegen den Beklagten wegen Betruges und Urkundenfälschung in vier Fällen
einen rechtskräftig gewordenen Strafbefehl vom 18. Juni 2007, worin eine
Gesamtgeldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 50,- € festgesetzt wurde.
Mit Verfügung vom 8. Februar 2007 leitete der Präsident der Klägerin gegen den
Beklagten auf dessen Antrag vom 5. Februar 2007 ein Disziplinarverfahren wegen dieser
Vorwürfe ein. Unter dem 3. Mai 2007 legte die Ermittlungsführerin den
Ermittlungsbericht vor, zu dem der Beklagte Stellung nahm.
Unter dem 28. Juni 2007 hat die Klägerin durch ihren Präsidenten Disziplinarklage gegen
den Beklagten erhoben, mit der dem Beklagten als Dienstvergehen die im Strafbefehl
genannten vier Fälle des Betruges und der Urkundenfälschung vorgeworfen werden.
Der Tatbestand des Betruges sei erfüllt, da die Hochschule dem Beklagten Reisekosten
erstattet habe, für den keine dienstliche Gegenleistung erbracht worden sei; die vom
DAAD für das SOKRATES-Programm zur Verfügung gestellten Mobilitätszuschüsse
hätten ansonsten einem anderen Professor gewährt werden können. Das Vorbringen
des Beklagten, mangels hinreichender englischer Sprachkenntnisse die Gastvorlesungen
nicht abgehalten zu haben, sei nur eingeschränkt glaubhaft, denn der Beklagte habe im
Jahr 1985 an der Humboldt-Universität eine englischsprachige Zusatzausbildung über
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Jahr 1985 an der Humboldt-Universität eine englischsprachige Zusatzausbildung über
120 Stunden erhalten und zudem 1993 bis 1994 einen einjährigen Studienaufenthalt in
Großbritannien absolviert; zudem publiziere der Beklagte auch in englischer Sprache. Es
sei jedoch nicht vollkommen auszuschließen, dass der Beklagte gleichwohl Hemmungen
gehabt habe, vor englischen Studenten in englischer Sprache Lehrveranstaltungen
abzuhalten.
Erfüllt sei auch der Tatbestand der Urkundenfälschung durch die Anfertigung von
vermeintlichen Bestätigungen der Westminster University über seine Dozententätigkeit
unter dem Phantasienamen „M. Collins“.
Zu Lasten des Beklagten spreche, dass er in Gesprächen zunächst nur die ihm
nachzuweisenden Verfehlungen aus dem Jahr 2006 eingeräumt habe und nicht sofort
umfänglich auch seine Verfehlungen aus dem Jahr 2004. Erschwerend sei auch, dass es
sich nicht nur um eine einmalige Verfehlung in einer besonderen Krisensituation
gehandelt habe, sondern um vier gleich gelagerte Fälle. Der Beklagte habe zumindest
die zweite bis vierte Dienstreise in dem Bewusstsein angetreten, dass er keine
Lehrveranstaltungen an der Partneruniversität abhalten werde. Es sei ein
Ansehensschaden für die Klägerin eingetreten. Zu Gunsten des Beklagten spreche, dass
er den Schaden wieder gut gemacht und sich entschuldigt habe. Zu seinen Gunsten
spreche auch sein bisher untadeliges dienstliches Verhalten. Gleichwohl habe er durch
seine strafbaren Handlungen das Vertrauen des Dienstherrn verloren.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er räumt die Vorwürfe im Wesentlichen ein. Bei den zwei Dienstreisen im Jahr 2004 an
die Westminster University habe er jedoch nicht gewusst, dort Vorlesungen halten zu
müssen. Er habe sich vielmehr in der Rolle eines Koordinators gesehen. Als das
Auslandsamt der Hochschule ihn nach den Reisen aufgefordert habe, Bestätigungen
über Vorlesungen einzureichen, habe er Herrn „C.“ erfunden. Das Programm sei bis
2006 gelaufen. Im Jahr 2005 habe er einen Sprachkurs Englisch absolviert und geplant,
anlässlich der Dienstreise im Februar 2006 an die Westminster University Vorträge über
das Management von Informationssystemen zu halten. Er habe in London jedoch Angst
bekommen, vor einem so gut Englisch sprechenden Publikum mit seinem Englisch
aufzutreten. Im Juli 2006 habe er einen zweiten Versuch unternommen; diesmal sei es
nicht zu den Vorträgen gekommen, weil ihm im Hotel die Tasche mit seinen Unterlagen
über die Vorträge, u. a. aber auch seine Flugtickets, gestohlen worden seien.
Er habe Frau S., der Beauftragten für Auslandsangelegenheiten der Klägerin, bereits
Ende September 2006, also vor Entdeckung seines Fehlverhaltens, mitgeteilt, dass er
nicht mehr an der Westminster University unterrichten und deshalb nicht mehr am
SOKRATES-Programm teilnehmen werde. Es spreche viel dafür, dass Frau S. als auch
der Dekan bereits seit September 2006 Zweifel oder Verdachtsmomente gehabt hätten,
dass er an der Westminster University keine Lehrveranstaltungen durchgeführt habe. Es
hätte daher der Fürsorgepflicht entsprochen, ihn darauf hinzuweisen und so zu
verhindern, dass er sich weiter in seine Manipulationen habe verstricken können.
Der Beklagte unterhalte weiterhin Kontakte zur Partneruniversität Westminster; so habe
er einen Professor von dort im Februar 2007 auf eigene Kosten nach Berlin eingeladen
und Kooperationen zur internationalen Wirtschaftsinformatik vorbereitet und
abgestimmt. Im Oktober 2007 sei der Beklagte von der Westminster University zu einem
Studienaufenthalt und einer Studiendiskussion eingeladen worden. Es könne daher keine
Rede davon sein, dass der Beklagte das Vertrauen der Hochschule oder sein eigenes zur
Westminster University zerstört habe.
Das Disziplinargericht hat die Personalakten des Beklagten, den Disziplinarvorgang
sowie die Strafakten des Amtsgerichts Tiergarten – (277 Cs) 63 Js 274/07 (173/07) – zum
Verfahren beigezogen. Diese Vorgänge sind, soweit erheblich, Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Disziplinarklage ist zulässig, aber unbegründet.
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Die dem Beklagten vorgeworfenen Dienstpflichtverletzungen sind im Wesentlichen
erwiesen (1.). Sie rechtfertigen jedoch nicht die Entfernung des Beklagten aus dem
Beamtenverhältnis (2.). Der möglichen und angemessenen Maßnahme einer Kürzung
der Dienstbezüge steht das Maßnahmeverbot des § 14 Abs. 1 Nr. 2 DiszG entgegen (3.).
1. Der Beklagte hat in mindestens drei Fällen, nämlich bezüglich der Dienstreise im
Herbst 2004 und bezüglich der beiden Dienstreisen im Jahr 2006 an die Westminster
University einen Betrug zum Nachteil der Hochschule begangen, weil er die an die
Abhaltung von Lehrtätigkeit nach dem SOKRATES/ERASMUS-Programm geknüpften
Reisekostenzuschüsse bei der Klägerin beantragte und entgegennahm, obwohl er keine
Vorlesungen oder Vorträge an der Westminster University gehalten hatte. Insofern wird
den Feststellungen und der strafrechtlichen Würdigung des rechtskräftigen Strafbefehls
des Amtsgerichts Tiergarten gefolgt. Bezüglich der (ersten) Dienstreise im Mai 2004 an
die Westminster University konnte die Einlassung des Beklagten nicht widerlegt werden,
er habe erst nach der Abrechnung durch entsprechende Nachweis-Aufforderungen des
Auslandsamts der Hochschule erfahren, dass die erhaltenen Reisekostenzuschüsse an
das Abhalten von Vorlesungen an der ausländischen Partneruniversität geknüpft waren.
Diese Kenntnis hatte der Beklagte jedoch spätestens vor Antritt und Abrechnung der
zweiten Dienstreise am 29. Oktober 2004, weil er unter dem 25. Oktober 2004 eine in
der Disziplinarakte (dort Bl. 39) befindliche „SOKRATES/ERASMUS Annahmeerklärung“
unterschrieben hatte, in der die Bedingungen des Zuschusses ausdrücklich aufgeführt
waren und der Beklagte als Unterrichtsfach an der Gasthochschule „Management
Information System“ eingetragen hatte.
Ferner hat der Beklagte – was er nicht in Abrede stellt – durch die Einreichung der von
ihm selbst hergestellten und mit dem Phantasienamen „Collins“ unterschriebenen
Vorlesungsbestätigungen der Westminster-University bei der Klägerin jeweils eine
Urkundenfälschung begangen. Auch insofern wird den Feststellungen und der
strafrechtlichen Würdigung des Strafbefehls des Amtsgerichts Tiergraten gefolgt.
Durch die begangenen Straftaten, die einen Schaden von etwa 2.300,- € verursacht
haben, verletzte er seine aus § 20 Satz 3 LBG folgende Dienstpflicht zu achtungs- und
vertrauenswürdigem Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes. Der Beklagte
handelte schuldhaft, und zwar vorsätzlich.
2. Es ist eine empfindliche disziplinarische Reaktion geboten, wenn sich ein Beamter
durch eine strafrechtlich als Betrug oder Betrugsversuch zu wertende Schädigung
und/oder Gefährdung des Vermögens seines Dienstherrn eines schweren
Vertrauensbruches schuldig macht. Es kann offenbleiben, ob der durch den Beklagten
betrügerisch verursachte Schaden formal gesehen die Klägerin oder einen „Dritten“,
nämlich den DAAD als Zuwendungsgeber, traf. Denn das Dienstvergehen des Beklagten
würde auch dann, wenn man – wofür Einiges spricht (etwa die vertragliche
Rückzahlungspflicht der Hochschule bei zweckfremder Verwendung der pauschal
überlassenen Mittel) – von einer Schädigung des Dienstherrn ausginge, nicht zur
Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis führen:
Betrugshandlungen eines Beamten zum Nachteil seines Dienstherrn haben nämlich
nicht regelmäßig die disziplinarische Höchstmaßnahme zur Folge, sondern sind im
Hinblick auf die denkbare Variationsbreite betrügerischer Verfehlungen nach den
besonderen Umständen des Einzelfalls zu bewerten (so auch die gefestigte
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, vgl. etwa BVerwG, U. v. 25.11.1998 - 1
D 42/97 -, Juris m. w. N.).
In Fällen des innerdienstlichen Betrugs zum Nachteil des Dienstherrn ist der Beamte in
der Regel nur dann aus dem Dienst zu entfernen, wenn im Einzelfall
Erschwerungsgründe vorliegen, denen keine gewichtigen Milderungsgründe
gegenüberstehen, so dass eine Gesamtbetrachtung den Schluss rechtfertigt, der
Beamte habe das Vertrauen endgültig verloren. Je gravierender die Erschwerungsgründe
in ihrer Gesamtheit zu Buche schlagen, desto gewichtiger müssen die Milderungsgründe
sein, um davon ausgehen zu können, dass noch ein Rest an Vertrauen zum Beamten
vorhanden ist. Erschwerungsgründe können sich z.B. aus Anzahl und Häufigkeit der
Betrugshandlungen, der Höhe des Gesamtschadens, der missbräuchlichen Ausnutzung
der dienstlichen Stellung oder dienstlich erworbener Kenntnisse sowie daraus ergeben,
dass die Betrugshandlungen im Zusammenhang mit weiteren Verfehlungen von
erheblichem disziplinarischen Eigengewicht, z.B. mit Urkundenfälschungen, stehen (vgl.
BVerwG, Urteile vom 28. November 2000 - BVerwG 1 D 56.99 - Buchholz 232 § 54 Satz 2
BBG Nr. 23; vom 26. September 2001 - BVerwG 1 D 32.00 - Buchholz 232 § 77 BBG Nr.
18 und vom 22. Februar 2005 a.a.O.; Beschluss vom 14. Juni 2005 - BVerwG 2 B 108.04 -
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18 und vom 22. Februar 2005 a.a.O.; Beschluss vom 14. Juni 2005 - BVerwG 2 B 108.04 -
NVwZ 2005, 1199 <1200>). Aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,
der sich die Disziplinarkammer anschließt, lässt sich ferner der Grundsatz ableiten, dass
bei einem Gesamtschaden von über 10.000 DM bzw. 5.000 € die Entfernung aus dem
Dienst ohne Hinzutreten weiterer Erschwerungsgründe gerechtfertigt sein kann
(Beschlüsse vom 24. Februar 2005 - BVerwG 1 D 1.05 – sowie vom 4. Mai 2006 – 1 D
13/05 – nach juris m.w.N.).
Nach diesem Maßstab hat der Beklagte zwar ein schwer wiegendes Dienstverge-hen
begangen, sich damit aber noch nicht untragbar gemacht. Der zu berücksichti-gende
nachgewiesene Schaden liegt mit rund 2.300,- € noch deutlich unter der genannten
Grenze von 5.000 €. Zwar kommt erschwerend hinzu, dass der Beklagte zur
Verschleierung der Betrugshandlungen zusätzlich Urkundenfälschungen begangen hat
und über einen Zeitraum von etwa 1 ½ Jahren dreimal betrügerisch vorging, wobei er
seine hervorgehobene, mit besonderem Vertrauen verbundene Stellung als Professor
ausnutzte.
Mildernd ist jedoch zu berücksichtigen, wovon auch die Klägerin ausgeht, dass es dem
Beklagten nicht um den Vermögensvorteil als solchen als vorrangiges Motiv ging. Der
Beweggrund für sein strafbares Verhalten – dies hat der Beklagte nicht widerlegbar
dargelegt – lag darin, dass er sich aus (professoraler) Eitelkeit und Scham offenbar nicht
traute, seinem Dienstherrn einzugestehen, dass er sich jedenfalls psychisch (trotz
eigentlich guter Englischkenntnisse) nicht in der Lage sah, Gastvorlesungen in englischer
Sprache abzuhalten. Nicht zu widerlegen war die Darstellung des Beklagten, wonach er
bei den zwei Dienstreisen im Jahr 2006 eigentlich beabsichtigt habe, pflichtgemäß
Vorträge an der Westminster-University zu halten und nur durch plötzlich aufkommende
Ängste (im Februar 2006) bzw. den Diebstahl seiner Tasche mit den Vortragsunterlagen
(im Juli 2006) daran gehindert worden sei. Das Motiv des Beklagten für die
anschließenden Falschabrechnungen (Scham und Eitelkeit) ist disziplinarisch deutlich
milder zu bewerten als ein mit einem Betrug normalerweise verbundenes schlichtes
Gewinnstreben und Schädigungsverhalten. Hinzukommt, dass der Beklagte von sich aus
im Herbst 2006 eine weitere Teilnahme seiner Person am SOKRATES/ERASMUS-
Programm beenden wollte. Zu berücksichtigen ist auch, dass - soweit ersichtlich - die
Partnerschaft der Klägerin mit der Westminster University trotz des Verhaltens des
Beklagten keinen nachhaltigen Schaden genommen hat und auch der Beklagte
weiterhin Kontakte dorthin unterhält. Der Beklagte ist disziplinarisch unbelastet und
nimmt seine universitären Dienstpflichten ansonsten unbeanstandet wahr. Es liegt daher
insgesamt eine aus dem Rahmen „normaler“ Vermögensdelikte fallende besondere
Konstellation vor, die sich kaum wiederholen wird, und die es insgesamt rechtfertigt, von
der disziplinaren Höchstmaßnahme abzusehen. Auf die zwischen den Beteiligten
streitige Frage, ab welchem Zeitpunkt die Klägerin Kenntnis von den Betrugshandlungen
des Beklagten hatte oder einen dahingehenden Verdacht schöpfte, kommt es daher
nicht an.
3. Danach wäre – da eine Zurückstufung des Beklagten als C 2-Professor rechtlich
ausgeschlossen ist – eine Kürzung der Dienstbezüge (§ 8 DiszG) die angemessene
Disziplinarmaßnahme. Einem entsprechenden Ausspruch steht jedoch § 14 Abs. 1 DiszG
entgegen. Nach § 14 Abs. 1 Nr. 2 DiszG darf, wenn gegen einen Beamten im Straf- oder
Bußgeldverfahren unanfechtbar eine Strafe, Geldbuße oder Ordnungsmaßnahme
verhängt worden ist, wegen desselben Sachverhalts eine Kürzung der Dienstbezüge
oder eine Zurückstufung nur ausgesprochen werden, wenn dies zusätzlich erforderlich
ist, um den Beamten zur Pflichterfüllung anzuhalten.
Diese Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Nr. 2 DiszG für eine Kürzung der Dienstbezüge
des Beklagten liegen hier nicht vor:
Zwischen dem von dem Amtsgericht Tiergarten im Strafbefehl vom 18. Juni 2007
festgestellten und dem von dem erkennenden Gericht zu bewertenden Sachverhalt
besteht Tatidentität; unschädlich ist hierbei, dass das Amtsgericht Tiergarten auch die
Abrechnung bezüglich der im Mai 2004 unternommenen ersten Dienstreise als
betrügerisch wertete. Müsste eine Kürzung der Dienstbezüge verhängt werden, setzt §
14 Abs. 1 Nr. 2 DiszG voraus, dass zusätzlich diese Disziplinarmaßnahme erforderlich
ist, um den Beamten zur Pflichterfüllung anzuhalten. Wann eine zusätzliche
Pflichtenmahnung erforderlich ist, hängt von einer Bewertung der Gesamtper-sönlichkeit
des Beamten ab (vgl. auch die ständige Rechtsprechung des Bundes-
verwaltungsgerichts zu § 14 BDO: BVerwG, Urt. 9.12.1982 - 1 D 42/82 -, BVerwG 76, 43
m.w.N). Dabei ist davon auszugehen, dass eine Disziplinarmaßnahme neben der
sachgleichen Kriminalstrafe nur verhängt werden darf, wenn mit beiden Sankti-onen
trennbare Ziele verfolgt werden. Allgemeine Zumessungserwägungen haben hierbei
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trennbare Ziele verfolgt werden. Allgemeine Zumessungserwägungen haben hierbei
regelmäßig auszuscheiden. Die zusätzliche Disziplinarmaßnahme ist mithin neben der
sachgleichen Kriminalstrafe eine eng begrenzte Ausnahme. Sie setzt die Gefahr voraus,
dass sich die durch das Fehlverhalten zutage getretenen Eigenarten des Beamten trotz
der strafgerichtlichen Sanktion auch in Zukunft in für den Dienst bedeutsamer Weise
auswirken können. Diese Gefahr lässt sich nicht aus allgemei-nen Erwägungen ableiten,
sie muss aus konkreten Umständen des Einzelfalles hergeleitet werden. Die
Disziplinarmaßnahme dient nicht der Vergeltung für began-genes Unrecht. Soweit ihr
kein reinigender Charakter zukommt, wird sie nach Grund und Umfang ausschließlich mit
dem Ziel der Erziehung des Täters zu künfti-gem pflichtgemäßem Verhalten oder der
Mahnung und Abschreckung anderer Be-amter in vergleichbaren Situationen verhängt.
Erziehungscharakter kann aber eine Maßnahme nur haben, wenn sie in einem
bestimmten Verhältnis zur Erziehungsbe-dürftigkeit des Täters und damit seiner
Persönlichkeit steht. Das schließt die allei-nige Berücksichtigung allgemeiner, objektiver
und sich in der Person des Täters nicht widerspiegelnder Umstände für die Feststellung
des Erziehungsbedürfnisses und folgerichtig die Bestimmung der gebotenen
Erziehungsmaßnahme aus. Diese Gesichtspunkte können zwar für sich allein oder auch
in ihrer Gesamtheit von indizieller Bedeutung für die Erziehungsbedürftigkeit des Täters
und damit für Art und Umfang der gegen ihn zu verhängenden Disziplinarmaßnahme
sein. Sie müssen aber, was aus den konkreten Umständen des Einzelfalles zu schließen
wäre, in der Persönlichkeit des Täters in irgendeiner Weise ihre Entsprechung finden (vgl.
BVerwG, Urt. v. 9.12.1982 - BVerwG 1 D 42/82 -, aaO). Eine zusätzliche Maßnah-me ist
mithin nur nach individueller Prüfung des Einzelfalles beim Vorliegen konkre-ter
Umstände für eine Wiederholungsgefahr zulässig, wenn also konkrete Befürch-tungen
ersichtlich sind, der Beamte werde sich trotz der ihm wegen desselben Sachverhalts
bereits auferlegten Kriminalstrafe erneut einer Dienstpflichtverletzung schuldig machen.
Die Bemessung der Bestrafung ist unerheblich (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.2.2005, a.a.O.;
Urt. v. 20.2.2001 - BVerwG 1 D 7/00 -, BVerwGE 114, 50; Urt. v. 22.4.1997 - BVerwG 1 D
24/96 -, BVerwGE 113, 79).
In Anwendung dieser Grundsätze liegen bei dem Beklagten die Voraussetzungen des
Erfordernisses einer zusätzlichen Pflichtenermahnung durch eine Kürzung der
Dienstbezüge nicht vor. Es fehlen Anhaltspunkte für eine konkrete Wiederholungsgefahr.
Nach der Aufdeckung der Taten hat der Beklagte den Schaden alsbald wieder gut
gemacht, sich entschuldigt und keine weiteren Dienstpflichtverletzungen begangen.
Seine gegenwärtigen Aufgaben übt er in von dem Kläger nicht beanstandeter Weise aus.
Dafür, dass der Beklagte erneut der Versuchung der Begehung einer
Dienstpflichtverletzung erliegen wird, liegen nach den obigen Ausführungen deshalb
keine (konkreten) Anhaltspunkte vor. Insbesondere ist die Schwere des von dem
Beklagten begangenen Dienstvergehens nicht geeignet, die Befürchtung zu begründen,
der Beklagte werde erneut seine dienstlichen Pflichten verletzen, zumal der Beklagte
zuvor und danach nicht straf- oder disziplinarrechtlich in Erscheinung getreten ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 DiszG, § 77 Abs. 4 BDG, § 154 Abs. 1 VwGO. Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 3 DiszG i. V. m. § 167 Abs.
1 VwGO, § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
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