Urteil des VG Berlin vom 14.03.2017

VG Berlin: schutzwürdiges interesse, allgemeines verwaltungsrecht, self executing, feststellungsklage, verordnung, rechtsschutz, vollstreckung, normenkontrolle, behörde, ausgleichszahlung

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Gericht:
VG Berlin 10.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 K 268.09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 30 GG, Art 83 GG
Frage des feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des aus dem Urteil
zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Die Klägerin betreibt das Recycling von Kraftfahrzeugen. Dabei entstehen im Zuge der
Separierung der Schredderrückstände chlorreiche Kunststoff-/Gummifraktionen, die
durch einen überdurchschnittlichen Brennwert ( < 18.000 kJ/kg) und einen ebenso
überdurchschnittlichen Chlorgehalt (4-10 Masseprozent) gekennzeichnet sind. Diese
waren für die Klägerin nicht weiter zu verwerten und konnten von ihr auf einer Deponie
abgelagert werden. Eine solche Ablagerung ist nach ihren Angaben für weitere Jahre
vorgesehen und eingeplant, weil die laufenden Versuche, die chlorreichen Kunststoff-
/Gummifraktionen in einer in Bayern bestehenden Pyrolyseanlage thermisch zu
behandeln und die notwendige technische Nachrüstung der eigenen Anlage noch einige
Jahre in Anspruch nehmen werde.
Die Ablagerung auf einer Deponie werde jedoch durch die Neufassung der
Deponieverordnung – DepV – vom 27. April 2009 unmöglich gemacht. Deren §§ 6 Abs. 1
Satz 1, Abs. 3 bis 5 i.V.m. Anhang 3 Nr. 2, 7 Abs. 2, 2. Fall verhindere wegen des in
Anhang 3 Nr. 2 Tabelle 2 Fußnote 2 c geregelten nicht zu überschreitenden Brennwerts
von (nur) 6000 kJ/kg die Ablagerung.
Mit der am 22. Mai 2009 beim Verwaltungsgericht Leipzig erhobenen Klage macht die
Klägerin im Wesentlichen geltend, es bestehe zwischen ihr und der Bundesrepublik,
vertreten durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit,
ein Rechtsverhältnis, das die Bundesregierung zur Änderung der DepV n.F. verpflichtet.
Das Rechtsverhältnis werde über die Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1
GG vermittelt. Die Klägerin habe ein schutzwürdiges Interesse an der begehrten
Feststellung, weil ansonsten die von ihr getätigten Investitionen überwiegend entwertet
und eine Vielzahl von Arbeitsplätzen wegfallen würden. Die Anlage sei 2005 mit einer
Grundinvestition von 12 Mio. Euro in Betrieb genommen worden. Mittlerweile seien
weitere 11 Mio.Euro investiert. Man beschäftige am Standort E. 145 Arbeitnehmer,
davon ca. 100 in den Aufbereitungsanlagen für die Schredderrückstände. Durch eine
Zwischenlagerung entstünden bei angenommener kostengünstiger Entsorgung nach 3
Jahren Mehrkosten pro Tonne und Jahr von 14 Euro (15.000 Tonnen/Jahr chlorreiche
Fraktion), die entweder der Kunde oder die Klägerin zu tragen hätten. Letztes würde die
Grenzen ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit überschreiten.
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung folgenden Antrag gestellt:
Es wird die Feststellung durch das Verwaltungsgericht beantragt, das zwischen
der Bundesregierung und der Klägerin auf der Grundlage von Art. 12 Abs. 1 und Art. 14
Abs. 1 GG ein Rechtsverhältnis besteht, das die Bundesregierung zur Änderung der
DepV n.F. verpflichtet.
Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
Sie hält die Klage für unzulässig, weil aufgrund der neueren Rechtssprechung des
Bundesverwaltungsgerichts kein Rechtsverhältnis zum Normgeber, sondern lediglich
zum Normanwender, d.h. der potentiellen Vollzugsbehörde in Betracht komme.
Auch der Hinweis der Klägerin auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur
Normerlassklage rechtfertige keine andere Beurteilung, weil dort eine andere
Konstellation zugrunde gelegen habe. Hier bestehe für die Klägerin die Möglichkeit, im
Rahmen des allgemeinen abfallrechtlichen Vollzugsverhältnisses zwischen ihr und der für
die Ablagerung jeweils zuständigen Behörde die Gültigkeit der DepV n.F. überprüfen zu
lassen. Zudem begründeten die von ihr herangezogenen Abwehrrechte aus Art. 12 Abs.
1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG keinen Anspruch auf ein legislatives Tätigwerden, sondern
(lediglich) Schutz vor staatlichen Eingriffen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Streitakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die vom Verwaltungsgericht Leipzig unter dem 5. August 2009 an das
Verwaltungsgericht Berlin verwiesene Klage hat keinen Erfolg. Sie ist unzulässig. Die
Frage, inwieweit die Beklagte an dem Rechtsverhältnis beteiligt ist, betrifft dessen
Feststellungsfähigkeit und mithin die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs, nicht die
Passivlegitimation (BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2005, 7 C 26.04, BVerwGE 124, 47 ff., RN
28).
Das von der Klägerin reklamierte Rechtsverhältnis zur beklagten Bundesrepublik
Deutschland als Normgeber existiert nicht. Ein solches kann sich hier nur zwischen der
Klägerin als Normadressat und dem für die Durchsetzung der DepV zuständigen
Normanwender ergeben. Zu dieser Konstellation hat das Bundesverwaltungsgericht in
seinem Urteil vom 23. August 2007 – 7 C 2.07 – E 129, 199 ff. -, hier zitiert nach Juris,
Folgendes grundlegend ausgeführt:
„Unter einem Rechtsverhältnis i.S. v. 43 Abs. 1 VwGO sind die sich aus einem
konkreten Sachverhalt aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Norm ergebenden
rechtlichen Beziehungen für das Verhältnis von (natürlichen oder juristischen) Personen
untereinander oder zu einer Sache zu verstehen (Urteile vom 23. Januar 1992 – BVerwG
3 C 50.89 – BVerwG E 89, 327 < 329 > und vom 26. Januar 1996 – BVerwG 8 C 19.94 –
BVerwG E 100, 262 <264>; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Auflage, § 8 Rn
16). Als Bezugspersonen kommen dabei in Betracht der Normgeber, der Normadressat
und (als Vollzugsbehörde) der Normanwender. Da zum einen nach Art. 30 GG die
Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben
grundsätzlich Sache der Länder ist, und zum anderen Art. 83 GG ebenso grundsätzlich
bestimmt, dass die Länder Bundesgesetze als eigene Angelegenheiten ausführen, d.h.,
sie verwaltungsmäßig umsetzen (BVerfG, Beschluss vom 15. März 1960 – 2 BVG 1/57 –
BVerfG E 11, 6<15>), eröffnet sich im Regelfall ein Rechtsverhältnis zwischen
Normadressaten und Normanwender …
Dagegen besteht im Regelfall kein Rechtsverhältnis zwischen Normadressat und
Normgeber, da letzterer an der Umsetzung der Norm gegenüber dem Adressaten nicht
beteiligt ist. Dies gilt ebenso für sogenannte „self-executing“ Normen (wie hier die von
der Klägerin angegriffene Regelung in der DepV n.F., Anmerkung der Unterzeichner),
soweit dort Verwaltungsvollzug möglich ist. Auch stehen sich im Regelfall als alleinige
Zuordnungssubjekte der Normadressat und der Normanwender gegenüber; denn auf
der einen Seite findet sich die normbetroffene Person, der auf der anderen Seite das
Bundesland bzw. dessen vollziehende Behörde gegenüber steht, die die Regelungen
durchzusetzen oder ihre Befolgung zu überwachen hat (Siemer, Rechtsschutz im
Spannungsfeld zwischen Normenkontrolle und Feststellungsklage, Festschrift für
Menger, 1985, S. 501 <513 ff.>; derselbe, Normenkontrolle durch Feststellungsklage ?,
1971, S. 53 ff.; vergl. auch Kunz, Der Rechtsschutz gegen unmittelbar wirkende
Rechtsverordnungen des Bundes, 2001, S. 124 f.).“ (BVerwG a.a.O. Rn. 21 und 22).
Dem schließt sich die Kammer an.
Aus der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Ausnahmefall zulässiger
und dem Gebot effektiven Rechtsschutzes geschuldeter Normerlassklagen ergibt sich
für den vorliegenden Fall nichts anderes. Die von der Klägerin herangezogene
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 2006 (1 BvR 541/02, 1 BvR
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Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 2006 (1 BvR 541/02, 1 BvR
542/02 -, BVerfGE 115, 81, 95 f., hier zitiert nach Juris) betraf eine andere
Fallkonstellation. In jenem Verfahren ging es darum, dass Landwirte durch eine
Bundesverordnung (Kulturpflanzen-Ausgleichszahlung-Verordnung) gleichheitswidrig
benachteiligt wurden, die Bundesrepublik aber durch gegen einzelne Bundesländer
gerichtete Klagen (in denen die Verfassungswidrigkeit durch Verwaltungsgerichte
festgestellt wurde) nicht zur einer Änderung der Verordnung gezwungen werden konnte.
Zur deswegen notwendigen Eröffnung einer anderen Rechtsschutzmöglichkeit hat das
Bundesverfassungsgericht ausgeführt:
„Während das Bundesverfassungsgericht bei Gleichheitsverstößen die
Möglichkeit hat, den Normgeber durch eine mit der Unvereinbarkeitserklärung
verbundene Anordnung einer Neuregelung zu eine verfassungsgemäßen
Neuregelung zu zwingen, ist dies den Verwaltungsgerichten im Rahmen einer
Verpflichtungsklage nach der derzeitigen verwaltungsprozessualen Rechtslage
nicht möglich. Zwar könnte der Normgeber, in diesem Fall die Bundesregierung,
die inzidente Feststellung der Verfassungswidrigkeit zum Anlass nehmen, die
Norm zu korrigieren; angesichts der durch die Inter-Partes-Wirkung
beschränkten Rechtskraft der verwaltungsgerichtlichen Urteile und der
unterschiedlichen Auffassung verschiedener Gerichte zur Frage der
Verfassungswidrigkeit der Kulturpflanzen-Ausgleichszahlung-Verordnung ist er
dazu jedoch nicht gezwungen.“
(BVerfG, a.a.O. Randziffer 48).
Allein für diese Konstellation hat das Bundesverfassungsgericht mit Blick auf Art. 19 Abs.
4 GG den seinerzeitigen Beschwerdeführern anheim gestellt, eine Feststellungsklage
nach § 43 Abs. 1 VwGO unmittelbar gegen die Bundesrepublik Deutschland zu richten
(a.a.O. Randziffer 50).
Dieses Rechtsschutzes bedarf die Klägerin im vorliegenden Fall indes – wie ausgeführt –
nicht, weil sie effektiven Rechtsschutz ggf. durch eine Feststellungsklage gegenüber dem
vollziehenden Normanwender, gerichtet auf Nichtanwendbarkeit der
streitgegenständlichen Norm der Deponieverordnung n.F. auf sie, erlangen kann.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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