Urteil des VG Berlin vom 14.03.2017

VG Berlin: aufschiebende wirkung, ersatzvornahme, vorläufiger rechtsschutz, anforderung, verwaltungsakt, bestandteil, vwvg, öffentlich, bad, androhung

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Gericht:
VG Berlin 34.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
34 A 62.03
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 80 Abs 1 VwGO, § 80 Abs 2 S 1
Nr 1 VwGO, § 80 Abs 2 S 1 Nr 3
VwGO, § 80 Abs 5 S 1 VwGO, § 4
Abs 1 S 1 VwGOAG BE
Leitsatz
Die Anforderung von Kosten für eine bereits durchgeführte Ersatzvornahme durch
Leistungsbescheid stellt keine Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung dar. Die Klage gegen
den Leistungsbescheid hat kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung.
Tenor
Es wird festgestellt, dass die Klage VG 34 A 63.03 gegen den 4. Leistungsbescheid der
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vom 16. Januar 2003 aufschiebende Wirkung hat.
Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 13.448,72 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist Miteigentümer des mit Grundwasserverunreinigungen belasteten
Grundstücks T. in B., für das gegenüber dem Antragsteller durch bestandskräftigen
Bescheid vom 8. April 1998 eine Sanierungsanordnung getroffen worden ist. In der
Folgezeit ließ der Antragsteller durch die C. GmbH bzw. durch die von dieser beauftragte
A. GmbH auf dem Grundstück Maßnahmen der Grundwassersanierung durchführen, die
Mitte 2000 vor Abschluss der Sanierung eingestellt wurden. Mit Bescheid vom 24.
November 2000 setzte der Antragsgegner daraufhin das Zwangsmittel der
Ersatzvornahme fest und beauftragte in der Folgezeit die ARGUS GmbH mit der
Fortführung der Grundwassersanierung. U.a. gegen den Bescheid vom 24. November
2000 richtet sich die vom Antragsteller am 6. Juli 2001 erhobene und noch anhängige
Klage (VG 34 A 3.03).
Mit Leistungsbescheiden vom 1. und 6. Juni 2001 forderte der Antragsgegner den
Antragsteller auf, die in der Zeit vom 2. Februar bis 28. März 2001 (1.
Leistungsbescheid) bzw. 29. März bis 28. April 2001 (2. Leistungsbescheid)
entstandenen Kosten der Ersatzvornahme teilweise zu erstatten. Im Hinblick auf den in
beiden Leistungsbescheiden enthaltenen Hinweis, dass eine Klage gegen den Bescheid
keine aufschiebende Wirkung habe, gewährte das Gericht dem Antragsteller mit
Beschluss vom 16. August 2001 (VG 1 A 227.01) vorläufigen Rechtsschutz durch die
Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die beiden
Leistungsbescheide. Der Antragsgegner ordnete daraufhin in dem 3. Leistungsbescheid
vom 6. November 2001, der den Zeitraum vom 29. April bis 28. Juli 2001 betrifft, die
sofortige Vollziehung an. Auch insoweit wurde dem Antragsteller vom Gericht durch
Beschluss vom 25. Februar 2002 (VG 1 A 434.01) vorläufiger Rechtsschutz gewährt und
die aufschiebende Wirkung der gegen den Bescheid gerichteten Klage wiederhergestellt.
Alle drei Leistungsbescheide sind Gegenstand des Verfahrens VG 34 A 3.03.
Den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet der dem Antragsteller am 17.
Januar 2003 zugestellte 4. Leistungsbescheid vom 16. Januar 2003, durch den der
Antragsteller aufgefordert wird, für den Betrieb der Grundwasserreinigungsanlage in der
Zeit vom 29. Juli 2001 bis zum 31. August 2002 anteilige Kosten in Höhe von 26.897,46
Euro zu erstatten. Der Bescheid enthält wiederum den Hinweis, dass er wegen § 4 Abs. 1
AGVwGO i.V.m. § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO kraft Gesetzes sofort vollziehbar sei. Gegen den
Bescheid wendet sich der Kläger mit der am 17. Februar 2003 erhobenen Klage (VG 34 A
63.03) und dem gleichzeitig gestellten vorliegenden Antrag auf Feststellung der
aufschiebenden Wirkung der Klage.
Zur Begründung des Antrages verweist der Antragsteller auf die Ausführungen in dem
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Zur Begründung des Antrages verweist der Antragsteller auf die Ausführungen in dem
Beschluss des erkennenden Gerichts vom 16. August 2001 (VG 1 A 227.01), wonach es
sich bei der Anforderung von Kosten der Ersatzvornahme für vergangene Zeiträume
nicht mehr um eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung handele, so dass § 4 Abs. 1
AGVwGO i.V.m. § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO insoweit keine Anwendung finde.
Der Antragsgegner tritt dem unter Hinweis auf den gegenteiligen Beschluss des OVG
Berlin vom 3. März 1997 (NVwZ-RR 1999, 156) entgegen und trägt ergänzend vor, dass
vom Wegfall der Erzwingungsfunktion der Kostenforderung nach Abschluss der
Ersatzvornahme hier nur bedingt die Rede sein könne, weil wegen des fortbestehenden
Sanierungsbedarfs die Ersatzvornahme weiterhin durchgeführt werde. Auch könne es
nicht angehen, dass dem Verpflichteten durch die Feststellung der aufschiebenden
Wirkung hinsichtlich der Gesamtforderung ein Zahlungsaufschub gewährt werde, so dass
dieser besser stehe als derjenige, der der Sanierungsanordnung nachkomme. Zudem
erschwere es die weitere Durchführung der Ersatzvornahme, wenn die öffentliche Hand
sämtliche Kosten dafür bis zum Abschluss des Klageverfahrens vorstrecken müsse. Die
Anforderung der Kosten diene gerade der Ermöglichung der Ersatzvornahme und sei
damit Teil der Zwangsvollstreckung. Hätte die Klage aufschiebende Wirkung, würde sich
im Übrigen auch die Androhung der Ersatzvornahme nur als leere Drohung darstellen.
II.
Der Antrag ist zulässig. Der Antragsteller hat insbesondere das erforderliche
Rechtsschutzbedürfnis für die in entsprechender Anwendung des § 80 Abs. 5 Satz 1
VwGO durch das Gericht zu treffende Feststellung der kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 1 Satz 1
VwGO) bestehenden aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den 4. Leistungsbescheid
des Antragsgegners vom 16. Januar 2003, weil der angefochtene Bescheid den
ausdrücklichen behördlichen Hinweis enthält, dass eine gegen ihn gerichtete Klage keine
aufschiebende Wirkung habe.
Der Antrag ist auch begründet. Die zulässige Anfechtungsklage gegen den 4.
Leistungsbescheid (VG 34 A 63.03) hat nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufschiebende
Wirkung, weil hier keiner der Fälle des § 80 Abs. 2 VwGO, in denen die aufschiebende
Wirkung entfällt, vorliegt.
Insbesondere liegt kein Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO vor, denn die Anforderung
von Kosten der Ersatzvornahme stellt nach - soweit ersichtlich - einhelliger Auffassung in
Rechtsprechung und Schrifttum keine Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten
im Sinne dieser Vorschrift dar (vgl. nur OVG Koblenz, Beschl. v. 28.07.1998, NVwZ-RR
1999, 27 sowie OVG Berlin, Beschl. v. 13.04. 1995, NVwZ-RR 1995, 575 jeweils
m.w.Nachw.). Da dies auch der Antragsgegner nicht in Zweifel zieht, bedarf der Punkt
vorliegend keiner weiteren Vertiefung.
Der im Hauptsacheverfahren angefochtene Leistungsbescheid unterfällt im Gegensatz
zur Auffassung des Antragsgegners aber auch nicht der Vorschrift des § 187 Abs. 3
a.F./§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Berl AGVwGO, wonach
Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen
richten, die in der Verwaltungsvollstreckung getroffen werden.
Die Anforderung von Kosten für eine bereits durchgeführte Ersatzvornahme durch
Leistungsbescheid stellt keine Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung dar (so auch die
nahezu einhellige Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum - vgl. nur VGH Bad.-
Württ., Beschl. v. 16.01.1991, VBlBW 1991, 215; OVG Koblenz, Beschl. v. 28.07.1998,
a.a.O.; Lemke, Verwaltungsvollstreckungsrecht des Bundes und der Länder, S. 460 f,
jeweils m.w.Nachw.; a.A. nur OVG Berlin, Beschl. v. 22.02.1984, OVGE 17, 76 sowie
Beschl. v. 03.03.1997, NVwZ-RR 1999, 156 m.w.Nachw. zur herrschenden Meinung).
Im Gegensatz zur Auffassung des OVG Berlin (Beschl. v. 03.03.1997, a.a.O.), das dies
als rein formale Erwägung abtut, ist dabei aus Sicht der Kammer vom Wortlaut des § 4
Abs. 1 Satz 1 Berl AGVwGO und damit von dem gesetzlichen Begriff der
Verwaltungsvollstreckung auszugehen. Wie dieser Begriff zu definieren ist - ob als
Durchsetzung eines Verwaltungsakts unter Anwendung hoheitlichen Zwangs, als
zwangsweise Durchsetzung öffentlich-rechtlicher Ansprüche durch die Verwaltung, als
gesetzlich geregeltes Verfahren, in dem öffentlich-rechtliche Pflichten auch ohne
gerichtlichen Vollstreckungstitel durch die Behörde selbst zwangsweise durchgesetzt
werden, o.ä. (vgl. zu dieser Diskussion: Lemke, a.a.O., S. 56 m.w.Nachw.) - ist im Detail
umstritten, bedarf hier jedoch keiner weiteren Erörterung. Gemeinsam ist den
verschiedenen Definitionen jedenfalls die Unterscheidung zwischen einerseits dem, was
zwangsweise durchgesetzt werden soll (Verwaltungsakt/Anspruch/Pflicht), und
andererseits der Verwaltungsvollstreckung als behördlichem Instrument zu dessen
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andererseits der Verwaltungsvollstreckung als behördlichem Instrument zu dessen
Durchsetzung. Mithin bildet schon begrifflich das Durchzusetzende selbst keinen Teil der
Verwaltungsvollstreckung, sondern liegt ihr lediglich zu Grunde.
Auf die vorliegend zu entscheidende Frage angewandt folgt aus diesen Erwägungen,
dass der Leistungsbescheid - ein nach den Bestimmungen über die Vollstreckung wegen
Geldforderungen (§§ 1 bis 5 VwVG) durchzusetzender Verwaltungsakt zur
Konkretisierung des aus der Ersatzvornahme folgenden öffentlich-rechtlichen
Erstattungsanspruchs gegenüber dem Pflichtigen - zwar Grundlage eines Verfahrens der
Verwaltungsvollstreckung sein kann, selbst jedoch kein Bestandteil der
Verwaltungsvollstreckung im Sinne des § 80 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Berl
AGVwGO ist (vgl. Lemke, a.a.O., S. 461 sowie OVG Berlin, Beschl. v. 13.04. 1995, a.a.O.,
S. 576). Dies wird bestätigt durch § 3 Abs. 2 Buchstabe a VwVG, wonach bei der
Vollstreckung wegen Geldforderungen der Leistungsbescheid, durch den der Schuldner
zur Leistung aufgefordert worden ist, für die Einleitung der Vollstreckung
- also nicht bereits ein Teil derselben - ist.
Dagegen spricht entgegen der Auffassung des OVG Berlin (Beschl. v. 22.02.1984, a.a.O.,
und Beschl. v. 03.03.1997, a.a.O.) aus Sicht der Kammer auch nicht, dass die
Anspruchsgrundlage für die mit dem Leistungsbescheid geltend gemachte
Kostenforderung in einer Norm des Vollstreckungsrechts zu finden ist, nämlich in § 10
VwVG (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.01.1976, NJW 1976, 1703), der nach § 5 Abs. 2 BerlVwVfG
auch in Berlin gilt. Allerdings lässt sich unter diesem Gesichtspunkt ein Bezug des
Leistungsbescheides zur Verwaltungsvollstreckung nicht in Abrede stellen. Dies allein
rechtfertigt es jedoch nach Auffassung der Kammer nicht, die Kostenanforderung durch
Verwaltungsakt deshalb als „integralen Bestandteil des spezifischen
vollstreckungsrechtlichen Zwangsmittels ‘Ersatzvornahme’“ (OVG Berlin, Beschl. v.
03.03.1997, a.a.O.) bzw. als „unselb-ständigen Bestandteil der Ersatzvornahme“ (OVG
Berlin, Beschl. v. 22.02.1984, a.a.O., S. 77) - eines Realakts(!) - und damit als
zwangsläufig selbst zur Verwaltungsvollstreckung gehörig anzusehen.
Hinzukommt, dass die Verwaltungsvollstreckung per definitionem der zwangsweisen
Durchsetzung der Grundverfügung, vorliegend also der Sanierungsanordnung vom 8.
April 1998, dient. Ein Verwaltungsakt, der - wie ein Leistungsbescheid über die Kosten
einer Ersatzvornahme - erst erlassen wird, die Grundverfügung
bereits durchgesetzt worden ist, kann denklogisch nicht mehr zu ihrer Durchsetzung
dienen (vgl. OVG NW, Beschl. v. 26.09.1983, DÖV 1984, 520). Nicht überzeugend
erscheint die gegenteilige Erwägung des OVG Berlin (Beschl. v. 03.03.1997, a.a.O., S.
157), wonach die Aussicht auf einen nach der angedrohten Ersatzvornahme zu
erwartenden Leistungsbescheid, der noch dazu sofort vollziehbar ist, der
Zwangsmittelandrohung eine stärkere Beugewirkung verleihe. Bei dieser hypothetischen
Wirkung handelt es sich nämlich allenfalls um das Nebenprodukt einer bestimmten
Interpretation der Rechtslage, nicht jedoch - was aber rechtlich entscheidend sein dürfte
- um eine Funktion des konkreten Leistungsbescheides. Bei dessen Erlass steht vielmehr
bereits unwiderleglich fest, dass die vermutete Beugewirkung hinsichtlich der
Grundverfügung im jeweiligen Einzelfall nicht eingetreten ist und durch den
Leistungsbescheid auch zukünftig nicht mehr herbeigeführt werden kann.
Dies gilt auch im vorliegenden Fall. Ungeachtet des Umstandes, dass die
Grundwassersanierung insgesamt noch nicht abgeschlossen und daher die
Ersatzvornahme noch nicht endgültig beendet ist, bezieht sich nämlich der
streitbefangene Bescheid allein auf einen in der Vergangenheit abgeschlossenen und
daher vom Antragsteller rein tatsächlich nicht mehr durchführbaren Abschnitt der
Ersatzvornahme, nicht jedoch auf zukünftig noch anstehende Sanierungsmaßnahmen,
in die er gegebenenfalls eintreten könnte.
Für die durch die Kammer vertretene Annahme der aufschiebenden Wirkung der Klage
gegen den Leistungsbescheid spricht ferner die Erwägung, dass jene Argumentation, die
zur inneren Rechtfertigung des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung von
Widerspruch und Klage gegen Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung angeführt wird,
hier nicht greift (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 16.01.1991, a.a.O., S. 216). Danach soll
der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung eine zügige Vollstreckung ermöglichen,
nachdem bzw. weil dem Pflichtigen bereits gegen den zu vollstreckenden
Grundverwaltungsakt alle - in der Regel mit aufschiebender Wirkung ausgestatteten -
Rechtsbehelfe zur Verfügung gestanden haben (vgl. OVG Berlin, Beschl. v. 13.04.1995,
a.a.O., S. 576). Wie vorstehend ausgeführt, kann jedoch der Leistungsbescheid nach
erfolgter Ersatzvornahme von vornherein nicht mehr der zügigen Vollstreckung des
ursprünglichen Grundverwaltungsakts - hier der Sanierungsanordnung - dienen, sondern
ist vielmehr selbst ein Grundverwaltungsakt, der seinerseits vollstreckt werden kann und
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ist vielmehr selbst ein Grundverwaltungsakt, der seinerseits vollstreckt werden kann und
sich damit grundlegend von den Verwaltungsakten innerhalb der
Verwaltungsvollstreckung (z.B. Androhung oder Festsetzung eines Zwangsmittels)
unterscheidet. Es erscheint daher keineswegs systemwidrig, dem Pflichtigen insoweit
wiederum die von § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO als Regelfall vorgesehene Möglichkeit der
rechtlichen Überprüfung des Bescheides Einleitung der zu seiner Durchsetzung
dienenden Vollstreckungsmaßnahmen zu geben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des
Gegenstandswerts beruht auf § 20 Abs. 3, § 13 Abs. 1 GKG, wobei die Kammer die Hälfte
der durch den angefochtenen Bescheid angeforderten Summe zu Grunde gelegt hat.
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