Urteil des VG Arnsberg vom 24.05.2005

VG Arnsberg: beförderung, landrat, verweigerung, disziplinarverfahren, beamter, glaubhaftmachung, bewährung, sicherheit, ausschluss, strafanzeige

Verwaltungsgericht Arnsberg, 2 L 6/05
Datum:
24.05.2005
Gericht:
Verwaltungsgericht Arnsberg
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 L 6/05
Tenor:
1. Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung
untersagt, eine der der Kreispolizeibehörde P. zum 1. Januar 2005
zugewiesenen Stellen der Besoldungsgruppe A 11 BBesO (I. Säule) mit
dem Beigeladenen zu besetzen, bis über die Bewerbung des
Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts
erneut entschieden worden ist.
2. Der Antragsgegner und der Beigeladene tragen die Gerichtskosten
und die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers jeweils zur Hälfte;
ihre eigenen außergerichtlichen Kosten tragen sie selbst.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der Antrag des Antragstellers, der dem Ausspruch in Nr. 1 des Beschlusstenors
entspricht, ist zulässig und begründet.
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Das nach § 123 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zu beurteilende
Begehren des Antragstellers setzt die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruches
und eines Anordnungsgrundes voraus.
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Der erforderliche Anordnungsgrund ist gegeben. Der Antragsteller hat glaubhaft
gemacht, dass die begehrte Regelung notwendig ist, um den von ihm geltend
gemachten Beförderungsanspruch zu sichern. Würde das Beförderungsamt - wie
vorgesehen - dem Beigeladenen übertragen, würde eine Beförderung des Antragstellers
endgültig vereitelt; denn die Stellenbesetzung könnte nach den Vorschriften des
Beamtengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (Landesbeamtengesetz - LBG)
nicht mehr rückgängig gemacht werden.
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Der Antragsteller hat auch den erforderlichen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Die zu Gunsten des Beigeladenen getroffene Auswahlentscheidung stellt sich bei der
im Rahmen des vorliegenden Verfahrens vorzunehmenden summarischen Prüfung als
rechtsfehlerhaft dar.
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Zwar hat der Beamte grundsätzlich keinen Rechtsanspruch auf Beförderung, weil diese
Maßnahme im Ermessen des Dienstherrn steht. Jeder Beamte hat jedoch einen
Anspruch darauf, dass der Dienstherr über seine Bewerbung um eine
Beförderungsstelle eine am Leistungsgrundsatz ausgerichtete rechtsfehlerfreie
Entscheidung trifft. Dieser Anspruch kann durch eine einstweilige Anordnung gesichert
werden, wenn die getroffene Auswahlentscheidung fehlerhaft ist. Dies ist nach
überschlägiger Prüfung vorliegend der Fall.
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Der gesetzliche Rahmen der Auswahlentscheidung wird durch § 7 Abs. 1 LBG
festgelegt. Danach ist die Auslese der Bewerber (nur) nach Eignung, Befähigung und
fachlicher Leistung ohne Rücksicht auf Geschlecht, Abstammung, Rasse, Glauben,
religiöse und politische Anschauungen, Herkunft oder Beziehungen vorzunehmen. Die
Auswahl unter mehreren Bewerbern sowie die Gestaltung des hierbei anzuwendenden
Verfahrens liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Dienstherrn. Seinem Ermessen ist es
insbesondere überlassen, welchen (sachlichen) Umständen er bei seiner Auswahl das
größere Gewicht beimisst und in welcher Weise er den Grundsatz des gleichen
Zugangs zu jedem öffentlichen Amt nach dem Leistungsprinzip verwirklicht, sofern nur
dieses Prinzip selbst nicht in Frage gestellt ist. Dementsprechend hat der jeweilige
Bewerber nur einen (sicherungsfähigen) Anspruch auf eine sachgerechte,
ermessensfehlerfreie Entscheidung.
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Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist dem Antragsteller einstweiliger Rechtsschutz in
der Gestalt, dass die Besetzung der Beförderungsstelle einstweilen zu unterbleiben hat,
zu gewähren.
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Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der Antragsteller bei Zugrundelegung der
jeweils letzten Regelbeurteilungen vom 25. Februar 2003 gegenüber dem
Beigeladenen über einen Qualifikationsvorsprung verfügt. Das in der Beurteilung des
Antragstellers enthaltene Beurteilungsergebnis lautet nämlich "Die Leistung und
Befähigung des KOK T. übertreffen die Anforderungen in besonderem Maße" (5
Punkte), wohingegen in der dienstlichen Beurteilung des Beigeladenen dessen
Leistung und Befähigung (lediglich) mit "übertreffen die Anforderungen" (4 Punkte)
bewertet sind.
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An dem danach feststellbaren - deutlichen - Qualifikationsvorsprung des Antragstellers
ändert im vorliegenden Konkurrentenstreit zum einen der Umstand nichts, dass dem
Antragsteller unter dem 17. Juni 2004 von KHK T1. mitgeteilt worden ist, dass seine
Leistung nur noch das Gesamturteil "übertrifft die Anforderungen" (4 Punkte) rechtfertige,
und KHK T1. zudem unter dem 13. September 2004 schriftlich festgehalten hat, dass er
die Leistungen des Antragstellers derzeit (nur noch) mit "entspricht voll den
Anforderungen" (3 Punkte) beurteile. Denn für Qualifikationsvergleiche im Rahmen von
Auswahlentscheidungen bei anstehenden Beförderungen sind in erster Linie aktuelle
Beurteilungen maßgeblich, die zum jeweiligen Stichtag nach Maßgabe der
einschlägigen Beurteilungsrichtlinien vom zuständigen Endbeurteiler nach Bildung von
Vergleichsgruppen und unter Berücksichtigung gleicher Beurteilungsmaßstäbe erstellt
worden sind und damit einen umfassenden Leistungsvergleich der Bewerber zulassen.
Für einen nachfolgenden Zeitraum durch Erstbeurteiler erstellte und nicht ins Einzelne
gehende formlose Leistungsbewertungen vermögen dies hingegen nicht.
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Zum anderen tritt der Qualifikationsvorsprung des Antragstellers gegenüber dem
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Beigeladenen auch nicht deshalb in den Hintergrund, weil gegen den Antragsteller
unter dem 30. September 2004 disziplinarrechtliche Vorermittlungen nach § 26 Abs. 1
der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Disziplinarordnung des Landes Nordrhein-
Westfalen (DO NW) angeordnet worden sind. Es erscheint im Rahmen des
vorliegenden Verfahrens als ermessensfehlerhaft im Sinne eines
Ermessensfehlgebrauchs, dass der Landrat als Kreispolizeibehörde P. die zum Nachteil
des Antragstellers ausgefallene Auswahlentscheidung maßgeblich auf den Umstand
des schwebenden Disziplinarverfahrens gestützt hat.
Zwar ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) geklärt, dass
der Dienstherr grundsätzlich berechtigt ist, einen Beamten für die Dauer einer gegen ihn
durchgeführten disziplinarischen Untersuchung und des sich ggfls. anschließenden
förmlichen Disziplinarverfahrens von einer an sich möglichen Beförderung mit der
Begründung auszuschließen, er - der Dienstherr - würde sich in Widerspruch zu seinem
eigenen Verhalten setzen, wenn er einen solchen Beamten vor der abschließenden
Klärung des disziplinarischen Vorwurfs befördern und damit die Befähigung und
Eignung des Betreffenden für eine höherwertige Verwendung bejahen würde, obwohl er
zuvor mit der Einleitung disziplinarischer Ermittlungen zu erkennen gegeben habe, dass
er Anlass habe, die Amtsführung oder das persönliche Verhalten des Betreffenden in
seinem bisherigen Status zu beanstanden.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Mai 1987 - 6 C 32/85 -, ZBR 1990, 22, und Beschluss vom
24. September 1992 - 2 B 56/92 -, Buchholz 236.1 § 42 SG Nr. 1.
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Dabei ist der Dienstherr allerdings gehalten, diesen Zustand nach Möglichkeit zeitlich
einzugrenzen und das Disziplinarverfahren ohne vermeidbare Verzögerung
durchzuführen.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Mai 1987 - 6 C 32/85 - a. a. O..
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Es spricht einiges dafür, dass das schwebende Disziplinarverfahren gegen den
Antragsteller mit dem disziplinarrechtlichen Beschleunigungsgebot in Einklang gebracht
werden kann. Das Verfahren ist - angesichts der staatsanwaltlichen Ermittlungen im
Hinblick auf zwei vom Landrat in den Vordergrund gerückte Pflichtenverstöße - gemäß §
17 Abs. 2 DO NW seit November 2004 ausgesetzt. Der Dienstherr kann nach
pflichtgemäßem Ermessen über die Aussetzung eines Disziplinarverfahrens
entscheiden, wenn in einem anderen geordneten Verfahren über eine Frage zu
entscheiden ist, die für den Ausgang des Disziplinarverfahrens von wesentlicher
Bedeutung ist. Bei dem staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren handelt es sich um ein
solches Verfahren.
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Vgl. Gansen, Kommentar zum Disziplinarrecht in Bund und Ländern, (Stand: Juni 2004),
Band I, Rdnr. 11 ff zu § 22 BDG m.w.Nachw.
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Dieser verfahrensrechtliche Aspekt gibt indes nicht den Ausschlag. Maßgeblich ist, dass
der Landrat im Rahmen der in Rede stehenden Auswahlentscheidung verkannt hat,
dass nicht schlechthin jede Dienstpflichtverletzung, die zu disziplinarischen
Ermittlungen Anlass gibt, einen Ausschluss des Beamten von einem laufenden
Beförderungsverfahren rechtfertigt. In Fällen der vorliegenden Art bedarf es einer
differenzierten Prüfung, die im konkreten Einzelfall darauf abhebt, wie schwer die
Vorwürfe gegenüber dem Beamten wiegen und mit welchen Disziplinarmaßnahmen im
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Zeitpunkt der Auswahlentscheidung zu rechnen ist. Werden dem Beamten
Dienstpflichtverletzungen zur Last gelegt, die sich im unteren Bereich des Spektrums
möglicher Pflichtenverstöße bewegen und bei objektiver Betrachtungsweise mit
hinreichender Sicherheit erwarten lassen, dass allenfalls ein Verweis oder eine
Geldbuße ausgesprochen wird,
Vgl. zu diesem Aspekt: VG Gießen, Beschluss vom 21. Januar 1998 - 5 G 1204/96 - m.
w. N.,
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so darf der Dienstherr den Beamten von einer Beförderung nicht ausschließen, wenn
der Beamte - wie der Antragsteller - über einen deutlichen Qualifikationsvorsprung
gegenüber den Mitbewerbern verfügt. Sowohl nach § 8 DO NW als auch nach §§ 6 Abs.
2, 7 Abs. 2 des am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Gesetzes zur Neuordnung des
Landesdisziplinarrechtes (LDiszNOG) steht eine Geldbuße oder ein Verweis bei
Bewährung einer Beförderung nicht entgegen. Diesen Bestimmungen lässt sich der -
allgemeine - Rechtsgedanke entnehmen, dass ein Beamter, der sich bislang bewährt
hat, ansonsten alle Beförderungsvoraussetzungen erfüllt und nach dem
Leistungsprinzip zur Beförderung ansteht, hiervon nicht allein deshalb ausgeschlossen
werden darf, weil wegen - weniger gewichtiger - Pflichtenverstöße disziplinarische
Ermittlungen laufen.
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Im Falle des Antragstellers deutet einiges darauf hin, dass die gegen ihn erhobenen
dienstlichen Vorwürfe (Verweigerung der Aufnahme einer Strafanzeige am 16.
September 2004 und einer zeitnahen und bürgerorientierten Ermittlungstätigkeit am 27.
August 2004, Äußerungen am 17. Juni 2004, Verweigerung des praktischen Teils einer
Fortbildung, Schlafen bzw. Zeitung lesen und Spielen während des Dienstes sowie
Nichtbefolgung der Anordnungen des Vorgesetzen), sollten sich die entsprechenden
Tatsachen bestätigen, zu einem Verweis oder allenfalls zu einer Geldbuße führen
werden. Dabei kann insbesondere nicht außer Acht gelassen werden, dass der
Antragsteller nach Aktenlage bisher disziplinarrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist
und dass KHK T1. die ihm angeblich gegenüber getätigte Äußerung vom 17. Juni 2004
selbst nicht als "strafrechtliche Nötigung, sondern eher als untauglichen Versuch, ihn
von seiner beabsichtigten Handlungsweise abzuhalten" angesehen und daher von
einer Anzeigeerstattung Abstand genommen hat.
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Die aufgezeigten Gesichtspunkte hat der Antragsgegner in seine Auswahlentscheidung
nicht eingestellt. Er ist vielmehr von einem bei Anordnung disziplinarrechtlicher
Vorermittlungen geltenden uneingeschränkten faktischen Beförderungsverbot
ausgegangen. Der hierin liegende Ermessensfehlgebrauch führt zur Rechtswidrigkeit
der Auswahlentscheidung.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 3 VwGO. Der Beigeladene hat -
anteilig - Kosten zu tragen, weil er sich durch Antragstellung am Kostenrisiko des
Verfahrens beteiligt hat.
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Die Streitwertfestsetzung ergeht gemäß §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 2 des hier
anwendbaren Gerichtskostengesetzes in der ab 1. Juli 2004 geltenden Fassung.
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