Urteil des VG Arnsberg vom 05.03.2010

VG Arnsberg (duldung, kläger, jagdhütte, gebäude, grundstück, grundsatz der gleichbehandlung, beseitigung, öffentliches recht, behörde, wochenendhaus)

Verwaltungsgericht Arnsberg, 12 K 900/09
Datum:
05.03.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Arnsberg
Spruchkörper:
12. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
12 K 900/09
Tenor:
Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, ist das Verfahren
einzustellen. Die Klage wird im Übrigen abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
1
Der Kläger ist Eigentümer des im Außenbereich im Sinne des § 35 des
Baugesetzbuches (BauGB) der Stadt T. gelegenen Grundstückes G1. Der
Oberkreisdirektor des F. -Kreises genehmigte mit Bauschein vom 30. Juli 1968 dem
Voreigentümer F. X. M. die Wiedererrichtung einer Jagdhütte. Die Hütte wurde ohne
Baugenehmigung zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt erheblich erweitert und es
wurden auf dem Grundstück weitere Nebengebäude ungenehmigt errichtet.
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Die Eheleute B. und F1. T2. erwarben 1982 das Grundstück und die
Bauaufsichtsbehörde leitete ein bauaufsichtliches Verfahren ein. Die Eheleute T2.
wandten sich an den Petitionsausschuss des Landtages Nordrhein-Westfalen und
dieser fasste am 2. Oktober 1984 folgenden Beschluss:
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"Im Hinblick auf die Vorgeschichte des Objektes und darauf, dass der größte Teil der
früher vorhandenen Bausubstanz inzwischen beseitigt worden ist, empfiehlt der
Petitionsausschuss den zuständigen Bauaufsichtsbehörden (Stadt T. und F. Kreis), die
zum Stichtag 31. August 1984 vorhandene Bausubstanz unter der Voraussetzung zu
dulden, dass keine Nutzung als Dauerwohnsitz stattfindet. Dabei geht der
Petitionsausschuss davon aus, dass keinerlei weitere bauliche Maßnahmen auf dem
Grundstück durchgeführt, die vorhandenen Wellblechgaragen nebst Anbau beseitigt
und vom jetzigen Bestand Zeichnungen (einschließlich Nutzung) sowie Fotografien
gefertigt werden."
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Die Bauaufsichtsbehörde erstellte eine Grundriss-Skizze der sog. Jagdhütte F und die
Eheleute T2. verpflichteten sich mit Erklärung vom 25. Februar 1985, keinerlei weitere
baugenehmigungspflichtige bauliche Maßnahmen auf dem Grundstück durchzuführen
und die vorhandene Wellblechgarage nebst Anbau zu beseitigen.
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Das Polizeipräsidium I. teilte der Stadt T. mit Schreiben vom 5. April 2006 unter
Beifügung entsprechender Lichtbilder mit, dass das Grundstück völlig verwildert und das
Haus aufgrund seines Zustandes eine Gefahrenstelle sei. Sämtliche Fenster seien
eingeschlagen und die Tür habe offen gestanden. In den Räumen befinde sich diverser
Müll und die Innen- und Außenwände seien durch Schmierereien verunstaltet.
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Im Rahmen einer Ortsbesichtigung vom 2. September 2008 stellte der Beklagte fest,
dass das Gebäude zu einem Wohngebäude umgebaut worden sei. Es sei mit einer
Außendämmung versehen und mit Schiefer verkleidet worden. Eine Gasheizung sei
eingebaut und das Gebäudeinnere renoviert worden. Auf dem Grundstück sei ein
Carport für zwei PKW errichtet sowie im Erdreich ein Flüssiggastank eingebaut worden.
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Der Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 25. November 2008 mit, dass der
Bestandsschutz erloschen sei und eine nachträgliche Legalisierung des Gebäudes aus
planungsrechtlichen Gründen nicht in Aussicht gestellt werden könne. Es sei daher
beabsichtigt, durch ordnungsbehördliche Zwangsmaßnahmen sowohl die Entfernung
des Einfamilienhauses als auch des Carports durchzusetzen.
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Der Kläger teilte mit Schreiben vom 17. Dezember 2008 mit, dass er das Grundstück im
Herbst 2006 von Frau T2. erworben habe. Es sei von ihr entgegen der Annahme des
Beklagten nicht zuvor dem Verfall preisgegeben worden, denn Frau T2. habe das Mitte
2006 im Innern verwüstete Gebäude leergeräumt und gesichert. Er habe nach dem
Erwerb keine baugenehmigungspflichtigen Baumaßnahmen durchgeführt. Er habe nur
die Fenster und das Bad erneuert, die vorhandene Nachtstromspeicherheizung durch
eine Gasheizung ausgetauscht und einen Gastank mit einem Volumen von 3.800 l
eingebaut. Diese Arbeiten seien nicht baugenehmigungspflichtig und er habe sie
durchführen dürfen, denn die Eheleute T2. hätten sich nur verpflichtet, auf dem
Grundstück keine genehmigungspflichtigen Bauarbeiten durchzuführen. Dagegen seien
bauliche Maßnahmen zur Bestandssicherung nicht ausgeschlossen worden.
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Der Beklagte forderte den Kläger mit Verfügung vom 24. Februar 2009 zur ersatzlosen
Beseitigung der ehemaligen Jagdhütte - jetzt Einfamilienhaus -, des Doppelcarports und
des Flüssiggastanks auf und drohte für den Fall der Nichtbefolgung Zwangsgelder in
Höhe von 10.000 EUR, 2.000 EUR und 500 EUR an. Zur Begründung führte der
Beklagte aus: Die vorgenommene Nutzungsänderung von einer ehemaligen Jagdhütte
in ein Einfamilienwohnhaus sowie die Errichtung des Carports und des Gastanks seien
nicht genehmigt und damit formell baurechtswidrig. Die Maßnahmen seien auch mit
dem materiellen Baurecht nicht vereinbar. Das Grundstück liege im Außenbereich und
sei planungsrechtlich nach § 35 BauGB zu beurteilen. Das Gebäude genieße aufgrund
der Umbauten und der Änderung der Nutzung keinen Bestandsschutz als nach § 35
Abs.1 Nr. 5 BauGB privilegierte Jagdhütte. Als sonstiges Vorhaben im Sinne des § 35
Abs.2 BauGB sei es bauplanungsrechtlich unzulässig, weil öffentliche Belange im
Sinne des § 35 Abs.3 BauGB beeinträchtigt würden. Es widerspreche der Darstellung
des Grundstücks im Flächennutzungsplan der Stadt T. als Fläche für Wald und
beeinträchtige die natürliche Eigenart der Landschaft. Bei der zu treffenden
Ermessensentscheidung sei zu berücksichtigen, dass im Hinblick auf die
Gleichbehandlung von Außenbereichsvorhaben die Entfernung der baulichen Anlagen
zu verlangen sei.
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Der Kläger hat am 24. März 2009 Klage erhoben und sie in der mündlichen
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Verhandlung im Hinblick auf die in der Ordnungsverfügung unter Nr. 2 und 3 geforderte
Beseitigung des Carports und des Flüssiggastanks und die insoweit angedrohten
Zwangsgelder zurückgenommen.
Der Kläger macht im Hinblick auf die Beseitigung des Gebäudes unter Wiederholung
und Vertiefung seines früheren Vorbringens geltend: Die zwischen den Eheleuten T2.
und dem Beklagten getroffene Duldungsvereinbarung sei grundstücksbezogen und
gelte auch zu seinen Gunsten. Der Inhalt einer Duldung sei im Wege der Auslegung
unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu ermitteln. Eine Duldung
erlaube Maßnahmen zur Substanzerhaltung und bei weitergehenden Veränderungen
könne nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht die Beseitigung
des gesamten Bestandes, sondern nur die Rückgängigmachung der einzelnen
Maßnahme gefordert werden.
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Die Verfügung sei auch ermessensfehlerhaft. Der Beklagte gehe von dem falschen
Sachverhalt, es habe sich bei dem geduldeten Gebäude um eine Jagdhütte gehandelt
und die Hütte sei nunmehr ein Einfamilienhaus, aus. Die damalige Vereinbarung
beziehe sich nicht auf eine Nutzung als Jagdhütte. Denn die Hütte sei von den Eheleute
T2. nie als Jagdhütte, sondern immer nur zu Freizeitzwecken genutzt worden. Die
Bezugnahme auf eine Jagdhütte in der Erklärung und der Skizze habe nur der
Identifikation des Gebäudes gedient.
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Das Gebäude habe auch nicht über einen längeren Zeitraum leer gestanden, so dass
der Bestandsschutz nicht erloschen sei.
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Er habe keine genehmigungspflichtigen Erweiterungen oder Veränderungen an dem
Gebäude vorgenommen. Die Grundfläche sei nicht verändert worden und die
Raumaufteilung sei durch Einbau von Leichtbauwänden, die eine statische
Neuberechnung nicht erforderlich machten, geändert worden. Die Darstellung der
Fenster in der Grundriss-Skizze sei falsch. Er habe weder neue Fensteröffnungen
geschaffen noch die vorhandenen Öffnungen erweitert. Er habe nur im Wege der
Substanzerhaltung die alten Fenster durch neue Fenster und ein Doppelfenster in der
Süd-West-Wand durch eine Terrassentür ersetzt. Die Verkleidung der Außenwände mit
Schiefer und der Austausch der Heizung bedürften keiner Baugenehmigung.
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Der Kläger beantragt,
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die Nr. 1 der Ordnungsverfügung des Beklagten vom 24. Februar 2009 (Beseitigung
ehemalige Jagdhütte jetzt Einfamilienhaus) und das insoweit angedrohte Zwangsgeld
aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er verweist auf die angegriffene Verfügung und führt noch ergänzend aus: Der Kläger
interpretiere die Vereinbarung vom 25. Februar 1985 falsch. Diese beziehe sich auch
auf eine Nutzung als Jagdhütte. Die damals erstellte Grundriss-Skizze bezeichne das
Gebäude als "Jagdhütte F" und in der Vereinbarung sei unter Nr. 1 ausgeführt, dass
diese Skizze auch hinsichtlich der Nutzungsart dem heutigen Bauzustand der Hütte
entspreche. Die Vereinbarung sei im Übrigen in Umsetzung des Beschlusses des
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Petitionsausschusses geschlossen worden und habe dazu gedient, auf eine
bautechnisch schwierige Entfernung der Anbauten an die frühere Jagdhütte zu
verzichten.
Der Berichterstatter der Kammer hat am 23. Juli 2009 die Örtlichkeiten in Augenschein
genommen und die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten erörtert. Wegen der
getroffenen Feststellungen wird auf das hierüber gefertigte Protokoll verwiesen.
21
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der
Beteiligten wird auf den Inhalt der Verfahrensakte und der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
22
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
23
Soweit der Kläger die Klage im Hinblick auf die in der Verfügung geforderte Beseitigung
des Carports und des Flüssiggastanks sowie die angedrohten Zwangsgelder
zurückgenommen hat, ist das Verfahren einzustellen (§ 92 Abs.3 der
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - ).
24
Die Klage hat im Übrigen keinen Erfolg.
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Die angefochtene Ordnungsverfügung des Beklagten vom 24. Februar 2009 ist
rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs.1 Satz 1 der
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
26
Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 61 Abs.1 Satz 1 und 2 der Bauordnung für das
Land Nordrhein-Westfalen (BauO NRW). Nach § 61 Abs.1 Satz 1 BauO NRW haben die
Bauaufsichtsbehörden bei der Errichtung, der Änderung, dem Abbruch, der Nutzung, der
Nutzungsänderung sowie der Instandhaltung baulicher Anlagen darüber zu wachen,
dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften und die aufgrund dieser Vorschriften
erlassenen Anordnungen eingehalten werden. Nach § 61 Abs.1 S.2 BauO NRW haben
sie in Wahrnehmung dieser Aufgaben nach pflichtgemäßem Ermessen die
erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Der Erlass einer Beseitigungsverfügung setzt
dabei regelmäßig voraus, dass die bauliche Anlage formell und materiell
baurechtswidrig ist und nicht aus sonstigen Gründen Bestandsschutz genießt.
27
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Das Gebäude in der jetzigen Gestalt ist ohne
die erforderliche Baugenehmigung errichtet. Zwar ist ursprünglich ein kleineres
Gebäude mit Bauschein vom 30. Juni 1968 als Jagdhütte genehmigt worden, doch ist es
in der Folgezeit erheblich erweitert und umgebaut und als Wochenendhaus genutzt
worden, so dass hierdurch die Baugenehmigung erloschen ist. Für das als
Wochenendhaus genutzte Gebäude ist eine Baugenehmigung nicht erteilt worden.
Diese wird nicht durch die Duldung ersetzt, weil eine Duldung nur auf eine
(vorübergehende) Hinnahme des rechtswidrigen Zustandes gerichtet ist.
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Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss
vom 19. Juli 2007 - 7 A 134/07 -, abrufbar in Juris Rdnr. 12.
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Das Gebäude ist materiell baurechtswidrig. Der Beklagte hat insoweit zutreffend in der
angegriffenen Ordnungsverfügung ausgeführt, dass es sich bei dem Gebäude nicht um
eine nach § 35 Abs.1 Nr. 4 BauGB privilegierte Jagdhütte handelt und dass das
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Gebäude als sonstiges Vorhaben im Sinne des § 35 Abs.2 BauGB bauplanungs-
rechtlich unzulässig ist, weil es der Darstellung des Grundstückes als Fläche für Wald
im Flächennutzungsplan der Stadt T. widerspricht (§ 35 Abs.3 Satz 1 Nr.1 BauGB) und
die natürliche Eigenart der Landschaft und ihren Erholungswert beeinträchtigt (§ 35
Abs.3 Nr.5 BauGB). Insoweit kann zur Vermeidung von Wiederholungen auf die
zutreffenden Ausführungen im Bescheid des Beklagten verwiesen werden, deren
Richtigkeit der Kläger insoweit auch nicht in Zweifel zieht.
Das Gebäude genießt auch keinen Bestandsschutz. Ein durch Art. 14 Abs.1 des
Grundgesetzes (GG) bewirkter Bestandsschutz liegt nur dann vor, wenn der Bestand zu
irgendeinem Zeitpunkt genehmigt worden oder jedenfalls genehmigungsfähig gewesen
ist.
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Vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 24. Juli 2000 - 1 BvR 151/99 -,
abrufbar in Juris, Rdnr. 8.
32
Die ursprünglich genehmigte Jagdhütte hat durch die baulichen Veränderung und die
Umnutzung in ein Wochenendhaus den durch die Baugenehmigung vermittelten
Bestandsschutz verloren, denn der Bestandsschutz für bauliche Anlagen erstreckt sich
nur auf ihren genehmigten Bestand und ihre genehmigte Funktion.
33
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Dezember 1995 - 1 BvR 1713/92 -, abrufbar in Juris,
Rdnr. 4 m.w.N.. Ein Wochenendhaus war aber seit der Umnutzung und dem Umbau der
Jagdhütte im Außenbereich planungsrechtlich unzulässig, so dass das Gebäude auch
zu keinem späteren Zeitpunkt genehmigungsfähig war und ist.
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Liegen demnach die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass einer
Beseitigungsverfügung vor, so ist die geforderte Beseitigung auch nicht
ermessensfehlerhaft oder unverhältnismäßig.
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Der Beklagte ist zunächst nicht wegen der Duldung des baurechtswidrigen Zustandes
seit 1985 gegenüber den Voreigentümern an einem Einschreiten gegen den Kläger
gehindert. Eine rechtsbeachtliche Duldung ist dann anzunehmen, wenn die Behörde in
Kenntnis der formellen und ggf. materiellen Illegalität eines Vorhabens zu erkennen gibt,
dass sie sich auf Dauer mit dessen Existenz abzufinden gedenkt. Angesichts des
Ausnahmecharakters und der weit reichenden Folgen einer solchen - aktiven - Duldung
muss den entsprechenden Erklärungen der Behörde dabei mit hinreichender
Deutlichkeit zu entnehmen sein, ob und in welchem Umfang und ggf. über welchen
Zeitraum die Duldung der illegalen Zustände erfolgen soll.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. November 2008 - 7 A 103/08 - und Urteil vom 22.
August 2005 - 10 A 4694/03 -, beide abrufbar in Juris.
37
Die Duldung ist somit eine einseitige Erklärung der Bauaufsichtsbehörde und keine
beiderseitige Vereinbarung zwischen Bauaufsichtsbehörde und Bauherrn. Sie
begründet keinen Bestandsschutz im Sinne des Art. 14 Abs.1 GG, sondern vermittelt
lediglich einen Vertrauensschutz dahin, dass die Behörde bei unveränderter Sach- und
Rechtslage auch weiterhin gegen die geduldete Anlage nicht vorgehen wird. Die
Duldung bezieht sich in der Regel auf ein bestimmtes Vorhaben und ist damit
grundstücksbezogen. Sie kann aber zugleich auch personenbezogen sein, wenn der
Verzicht auf ein Einschreiten an eine bestimmte Person gebunden ist.
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Vgl. zu einem solchen Fall: OVG NRW, Urteil vom 23. Oktober 2006 - 7 A 4947/05 -,
abrufbar in Juris, Rdnr. 93 ff.
39
Das Vertrauen in eine Duldung des rechtswidrigen Zustandes ist jedoch nur bei den
Personen schutzwürdig, die Erklärungsempfänger der Duldung sind. Denn nur
gegenüber diesen Personen hat die Behörde einen Vertrauenstatbestand gesetzt. Hier
ist zwar von der Bauaufsichtsbehörde ein an die Eheleute T2. gebundener Verzicht auf
ein Einschreiten nicht unmissverständlich verlautbart worden, doch ergibt sich aus dem
Umstand, dass die Duldung aufgrund einer Petition der Eheleute T2. an den Landtag
nach Art. 17 GG erfolgt ist, dass diese Duldung nur gegenüber den Eheleuten T2.
Rechtswirkungen entfalten sollte. Denn das Petitionsrecht ist ein subjektives öffentliches
Recht, das dem jeweiligen Petenten persönlich zusteht. Die Duldung ist im Übrigen vom
Petitionsausschuss angeregt worden, weil die Eheleute T2. zuvor den größten Teil der
früher vorhandenen Bausubstanz beseitigt hatten. Die Duldung wurde daher im Hinblick
auf ein Wohlverhalten der Eheleute T2. empfohlen. Für eine personenbezogene
Duldung spricht weiter, dass die Eheleute T1. sich verpflichten mussten, auf dem
Grundstück stehende bauliche Anlagen zu beseitigen und keine weiteren
(baugenehmigungspflichtigen) Baumaßnahmen durchzuführen. Diese Verpflichtung
erstreckte sich nicht auf Rechtsnachfolger der Eheleute T2. und begründete somit nur
eine höchstpersönliche Pflicht. Die als "Gegenleistung" ausgesprochene Duldung
seitens des Beklagten begründete somit nur gegenüber den Eheleuten T2. einen
Vertrauenstatbestand.
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Das Vertrauen des Klägers in den Fortbestand dieser Duldung ist nicht schutzwürdig.
Eine Duldung ist keine Baugenehmigung, denn sie ist auf eine nur zeitlich beschränkte
Duldung eines baurechtswidrigen Zustandes gerichtet. Eine Duldung verpflichtet eine
Behörde nicht, diese auch aufrecht zu erhalten, wenn sich die Sach- oder Rechtslage
verändert. Vielmehr muss die Behörde zumindest bei nicht nur geringfügigen
Änderungen der Sach- oder Rechtslage die Möglichkeit haben, erneut zu prüfen, ob die
Duldung fortgelten oder nunmehr eingeschritten werden soll. Eine solche Änderung ist
durch den Erwerb durch den Kläger eingetreten. Erwirbt ein Käufer ein Gebäude,
dessen Bestand nur geduldet ist, so kann er aus der Duldung keinen Vertrauensschutz
herleiten. Es obliegt vielmehr dem Käufer, sich selbst über das Vorhandensein einer
Baugenehmigung - in der Regel bei der Bauaufsichtsbehörde - zu erkundigen und sich
Gewissheit darüber zu verschaffen, ob ein tatsächlich vorhandenes Gebäude legal
errichtet ist und legal genutzt wird.
41
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20. Juni 1994 - 7 A 615/91 -, und Beschluss vom 16.
September 1997 - 10 A 6105/95 - beide nicht veröffentlicht .
42
Es ist auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten zumutbar, dass sich der
Käufer eines Wochenendhauses selbst über das Vorhandensein einer
Baugenehmigung informiert und bei Unterlassung dieser Information sich nicht
gegenüber der Baugenehmigungsbehörde auf Vertrauensschutz berufen kann.
43
Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschuss vom 11. Oktober 1994 - 4 B 202/94
-, abrufbar in Juris, Rdnr. 7.
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Ist der Beklagte somit nicht aufgrund der gegenüber den Eheleuten T2.
ausgesprochenen Duldung an einem bauaufsichtlichen Einschreiten gegen das
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Wochenendhaus gehindert, so wäre selbst bei unterstellter Wirksamkeit der Duldung
auch gegenüber dem Kläger ein Einschreiten nicht ermessensfehlerhaft. Denn der
Kläger hat auf dem Grundstück Bauarbeiten durchgeführt, die ein etwaiges Vertrauen in
den Fortbestand der Duldung als nicht mehr schützenswert erscheinen lassen. Seitens
des Klägers wird zunächst verkannt, dass die Duldung nicht nur das Unterlassen
baugenehmigungspflichtiger Maßnahmen voraussetzte. Zwar haben sich die Eheleute
T2. zu einem Verzicht auf baugenehmigungspflichtige Arbeiten verpflichtet. Hierbei
handelt es sich aber um eine von der Duldung des Beklagten zu trennende
Verpflichtung der Eheleute T2. . Dies bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass der
Beklagte sich ebenfalls zur Duldung der Durchführung aller nicht
baugenehmigungspflichtigen Arbeiten verpflichtet hat. Gegen diese Annahme spricht
insbesondere der Umstand, dass die Duldung in Umsetzung des Beschlusses des
Petitionsausschusses ausgesprochen worden ist und dieser nicht zwischen
baugenehmigungspflichtigen und genehmigungsfreien Maßnahmen unterschieden hat.
Darüber hinaus handelte es sich bei den durchgeführten Maßnahmen auch nicht um
eine genehmigungsfreie Instandhaltung des Gebäudes im Sinne von § 62 Abs.2 Nr. 6
BauO NRW. Instandhalten bedeutet in erster Linie Schutz vor Verfall von Anlagen und
Einrichtungen.
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Vgl. Boeddinghaus-Hahn-Schulte, BauO NRW, Loseblatt, § 3 Rdnr. 23, Stand der
Bearbeitung: April 2006.
47
Unter Unterhaltungsarbeits- oder Instandsetzungsmaßnahme sind regelmäßig
wiederkehrende Arbeiten ohne erheblichen bautechnischen Aufwand zu verstehen. Es
handelt sich dabei nicht um Reparaturarbeiten größeren Umfangs, die das statische
Gefüge einer baulichen Anlage beeinflussen können.
48
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 2. März 2001 - 10 B 223/01 -, abrufbar in der Datenbank
NRW-E.
49
Es dürfen schadhafte Bauteile, die unter Abnutzung, Alterung, der Witterung oder
anderen Einflüssen gelitten haben, wiederhergerichtet werden, wobei die Beseitigung
der Mängel oder Schäden ohne wesentliche Änderungen des bisherigen Zustands
erfolgen soll.
50
Vgl. OVG Berlin, Urteil vom 20. November 1992 - 2 B 33,90 -, BRS 54 Nr. 117.
51
Die vom Kläger durchgeführten Baumaßnahmen sind ersichtlich keine solchen
Instandsetzungsarbeiten. Der Kläger hat zum einen außerhalb des Gebäudes neue
bauliche Anlagen (Carport, Gastank) errichtet. Auch wenn er den Carport inzwischen
beseitigt hat und den Gastank beseitigen wird, so hat er auf dem Grundstück
Maßnahmen durchgeführt, die ersichtlich von der Duldung nicht gedeckt waren und
somit sein Vertrauen als nicht schützenswert erscheinen lassen. Er hat zudem auch im
Gebäude nahezu alle Innenwände beseitigt, so dass dadurch die Statik zumindest
beeinflusst werden konnte. Er hat alle Fenster ausgetauscht, eine große Terrassentür
und eine neue Heizungsanlage eingebaut, das Bad und die Wohnräume vollständig
erneuert und dadurch den bisherigen Zustand des Gebäudes wesentlich verändert. Es
kann insoweit hier dahinstehen, ob er nicht auch neue oder größere Fensteröffnungen
geschaffen hat, denn es handelte sich bei den durchgeführten Arbeiten jedenfalls nicht
mehr um Reparaturarbeiten kleineren Umfangs, sondern um eine Komplettsanierung.
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Die geforderte Beseitigung des gesamten Bauvorhabens ist auch nicht deshalb
unverhältnismäßig, weil die Forderung nach einer Rückgängigmachung ausgereicht
hätte. Die Baubehörden sind regelmäßig gehalten, den vollständigen Abriss eines
illegalen Gebäudes anzuordnen, sofern dieses weder bautechnisch noch nach den
Vorstellungen des Bauherrn teilbar ist.
53
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 4. Dezember 2009 - 10 A 1671/09 -, abrufbar in Juris,
m.w.N.
54
Die vom Kläger herangezogenen Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts
Rheinland-Pfalz vom 20. April 2006 und des Bundesverfassungsgerichts vom 2.
September 2004 können eine andere Beurteilung nicht rechtfertigen. Denn diese
Einzelfallentscheidungen beziehen sich auf die Besonderheiten der sog. "Pirmasenser
Amnestie" und sind als Einzelfallregelungen auf andere Sachverhalte nicht übertragbar.
Auf den hier gegebenen Einzelfall sind die dort gemachten Ausführungen schon
deshalb nicht übertragbar, weil der baurechtswidrige Zustand bei Umsetzung der
Verfügung beseitigt wird und nicht wie in den angeführten Entscheidungen fortbesteht.
55
Selbst bei Übertragbarkeit der Grundsätze dieser Duldung auf den hier zu
entscheidenden Einzelfall wäre der Beklagte nicht verpflichtet, "nur" einen Rückbau zu
fordern. Denn nach der "Pirmasenser Amnestie" sind Änderungen, die über die bloße
Substanzerhaltung hinaus die amnestierten Bauten erweitern oder sonst in ihrem
Äußeren oder in ihrem Bauzustand verändern oder verbessern oder die
Funktionsfähigkeit erhöhen, amnestieschädlich.
56
Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20. April 2006 - 8 A 10119/06 -, abrufbar in Juris,
Rdnr. 20.
57
Eine Beseitigungsanordnung stellt nach dem vom Kläger angeführten Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts vom 2. September 2004 - 1 BvR 1860/02 - unter den
besonderen Umständen des dort entschiedenen Falles auch nur dann eine
unangemessene Belastung dar, wenn die Funktionsverbesserung auf einer
geringfügigen baulichen Veränderung beruht, die sich leicht rückgängigmachen lässt.
Der Kläger hat Baumaßnahmen durchgeführt, die - wie ausgeführt - ersichtlich über eine
reine Substanzerhaltung hinausgehen und sich auch nicht leicht rückgängigmachen
lassen.
58
Ein Ermessensfehler lässt sich entgegen der Auffassung des Klägers auch schließlich
nicht daraus ableiten, dass der Beklagte insofern von dem falschen Sachverhalt, eine
Jagdhütte sei in ein Wohnhaus umgewandelt worden, ausgegangen sein soll.
Allerdings ist ein Verwaltungsakt ermessensfehlerhaft, wenn die Behörde bei ihrem
Handeln von unzutreffenden, in Wahrheit nicht gegebenen, unvollständigen oder falsch
gedeuteten tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen ausgeht.
59
Vgl. Kopp-Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, § 114 Rdnr. 12 m.w.N.
60
Ein Ermessensdefizit ist aber nur dann gegeben, wenn es sich auf wesentliche
Gesichtspunkte bezieht.
61
Vgl. Wolff in Sodan-Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 114 Rdnr. 178 f m.w.N.
62
Ein solcher Ermessensfehler ist hier nicht gegeben. Allerdings spricht Vieles dafür, dass
die auch im Klageverfahren vom Beklagten wiederholte Annahme, es sei in Bezug auf
die tatsächliche Nutzung nur eine Jagdhütte geduldet worden, nicht zutrifft. Gegenstand
der Duldung war keine (privilegierte) Jagdhütte, denn dann hätte es einer Duldung
bereits nicht bedurft. Vielmehr war allen Beteiligten bewusst, dass die Eheleute T2. nicht
Jagdausübungsberechtigte waren und dass die Hütte weder von der Ausstattung und
Größe noch von ihrer Nutzung (Wochenendhaus) eine Jagdhütte war. Die
Fehlvorstellung des Beklagten betrifft aber keinen wesentlichen Gesichtspunkt im
vorgenannten Sinne. Tragende Erwägung der Ordnungsverfügung ist zunächst, dass
das Vorhaben formell baurechtswidrig sei, weil die frühere Baugenehmigung für die
Jagdhütte erloschen sei. Weiter stützt der Beklagte seine Ordnungsverfügung darauf,
dass das bestehende Gebäude materiell baurechtswidrig und nicht bestandsgeschützt
sei. Das Gebäude sei keine im Sinne des § 35 Abs.1 Nr. 4 BauGB privilegierte
Jagdhütte und als sonstiges Vorhaben bauplanungsrechtlich unzulässig. Diese
Annahmen sind weder tatsächlich noch rechtlich fehlerhaft. Es ist insoweit rechtlich
unerheblich, ob das Gebäude nur in seiner Funktion als Jagdhütte geduldet worden ist
oder nicht. Denn der Kläger nutzt das Gebäude nach seinen eigenen Angaben als
Wochenendhaus und kann sich - wie ausgeführt - auf die nur gegenüber den Eheleuten
T2. einen Vertrauensschutz begründende Duldung nicht berufen, so dass
Fehlvorstellungen des Beklagten zur Nutzung des geduldeten Gebäudes nicht von
wesentlicher Bedeutung sind.
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Ausgehend von der zutreffenden Annahme, die gegenüber den Eheleuten T2.
ausgesprochene Duldung entfalte gegenüber dem Kläger keine Rechtswirkungen,
bedurfte es auch keiner vertieften Ermessenserwägungen, ob ausnahmsweise von
einem Einschreiten gegen den Kläger abgesehen werden soll. Der Beklagte hat
insoweit zutreffend darauf hingewiesen, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung für
eine Beseitigung des Außenbereichsvorhabens streitet. Insoweit hat er sein
Entschließungsermessen entsprechend der ihm eingeräumten Ermächtigung ausgeübt.
Denn die Bauaufsichtsbehörde hat die für und gegen ein Einschreiten sprechenden
Gründe zu ermitteln und gegeneinander abzuwägen. Bei Ausübung seines Ermessens
hatte der Beklagte zu berücksichtigen, dass bei Verstößen gegen Bundesrecht, wie sie
hier in Rede stehen, die Bauordnungsbehörden der Länder grundsätzlich gehalten sind,
im Rahmen ihres nach Landesrechts bestehenden Ermessensspielraums dem
Bundesrecht Geltung zu verschaffen.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. April 1998 - 4 B 144/97-, BRS 60 Nr. 169 und OVG
NRW, Beschluss vom 4. Dezember 2009, a.a.O.. Bei einem Einschreiten gegen rechts-
oder ordnungswidrige Zustände, ist die Entscheidung über ein "Für und Wider"
dahingehend intendiert, dass in der Regel eingeschritten werden muss. Eine Abwägung
ist nur dann erforderlich, wenn ganz bestimmte konkrete Anhaltspunkte für die
Angemessenheit einer Ausnahme, d.h. für eine (ausnahmsweise) Duldung eines
rechtswidrigen Zustandes, bestehen.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. August 1980 - 4 B 67.80 -, BRS 36 Nr. 93.
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Solche Anhaltspunkte waren hier nicht gegeben. Der Kläger hat ohne Rücksprache mit
dem Beklagten die Baumaßnahmen durchgeführt und der Beklagte hat ihm gegenüber
keinen Vertrauenstatbestand begründet, so dass der Beklagte die Beseitigung des
Gebäudes ermessensfehlerfrei verfügen konnte.
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Die auf der Rechtsgrundlage von §§ 55 Abs.1, 57 Abs.1 Nr.3 und Abs.2, 60, 63 des
Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen erlassene
Androhung eines Zwangsgeldes begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken.
68
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs.1, 155 Abs.2 VwGO.
69
Die Voraussetzungen des § 124a Abs.1 VwGO liegen nicht vor.
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