Urteil des VG Arnsberg vom 31.01.2007

VG Arnsberg: erkennungsdienstliches material, aufschiebende wirkung, vollziehung, erfahrung, unschuldsvermutung, zukunft, wiederholungsgefahr, bedrohung, fahrzeugführer, interessenabwägung

Verwaltungsgericht Arnsberg, 3 L 53/07
Datum:
31.01.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Arnsberg
Spruchkörper:
3. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 L 53/07
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
G r ü n d e
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Der Antrag des Antragstellers,
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die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Anordnung der
erkennungsdienstlichen Behandlung vom 23. Januar 2007 wiederherzustellen,
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hat keinen Erfolg.
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Der Antragsgegner hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung (gerade noch) in einer
den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)
genügenden Weise begründet. Er hat sich nicht auf eine den Gesetzeswortlaut lediglich
wiederholende oder bloß formelhafte Begründung beschränkt, sondern bezogen auf den
Einzelfall das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung noch hinreichend -
sinngemäß - damit begründet, dass im Hinblick auf die Art der dem Antragsteller zur
Last gelegten Taten - ein Körperverletzungsdelikt und das unerlaubte Führen einer
Waffe - eine zeitliche Verzögerung der angeordneten erkennungsdienstlichen
Maßnahmen durch die Einlegung etwaiger Rechtsbehelfe im Interesse der Sicherheit
der Allgemeinheit wegen bestehender Wiederholungsgefahr nicht verantwortet werden
könne. Damit wird deutlich, dass dem Antragsgegner der Ausnahmecharakter der
Anordnung der sofortigen Vollziehung vor Augen stand und er unter Abwägung der
widerstreitenden Interessen aufgrund der besonderen Umstände des Falles einen
solchen Ausnahmetatbestand als gegeben angesehen hat.
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Die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vom Gericht eigenständig vorzunehmende
Abwägung zwischen dem privaten Interesse des Antragstellers, von der sofortigen
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Vollziehung bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens bzw. eines eventuellen
Klageverfahrens verschont zu bleiben, und dem öffentlichen Interesse an einer zügigen
Durchsetzung der Anordnung, erkennungsdienstliche Maßnahmen zu dulden, fällt zu
Lasten des Antragstellers aus.
Die an den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs orientierte Interessenabwägung führt
nicht zu einer Entscheidung zugunsten des Antragstellers. Die angefochtene Verfügung
leidet nicht an offensichtlichen Rechtsfehlern, die das öffentliche Interesse an ihrem
sofortigen Vollzug von vornherein ausschließen würden. Er spricht vielmehr nach der im
vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen Prüfung Vieles
dafür, dass die Anordnung von erkennungsdienstlichen Maßnahmen im Widerspruchs-
und einem sich ggf. anschließenden Klageverfahren Bestand haben wird.
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Die Verfügung des Antragsgegners findet ihre Rechtsgrundlage in § 81b 2. Alternative
der Strafprozessordnung (StPO). Danach dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke des
Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche
Maßnahmen an ihm vorgenommen werden, soweit es für Zwecke des
Erkennungsdienstes notwendig ist.
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Die auf die vorgenannte Norm gestützten Maßnahmen dienen den Zielen der Polizei zur
Bekämpfung erst für die Zukunft befürchteter Straftaten. Insoweit wird die Polizei nicht
repressiv („zum Zwecke der Strafverfolgung") sondern als Schutz- und
Sicherheitspolizei zu präventivpolizeilichen Zwecken tätig. Durch die Anfertigung und
Aufbewahrung der Unterlagen soll nämlich die zukünftige Täterermittlung durch die
bessere Identifizierung tatverdächtiger Personen erleichtert werden. Ausgehend hiervon
verletzt die Erhebung personenbezogener Daten zu präventivpolizeilichen Zwecken
auch nicht Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip.
Insbesondere kann ein Verstoß gegen das Gebot der Unschuldsvermutung nicht
festgestellt werden.
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Vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 16. Mai 2002 - 1 BvR 2257/01 -, NJW 2002, 3231.
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Die Unschuldsvermutung als besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips und kraft
Art. 6 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten
(EMRK) zugleich Bestandteil des positiven Rechts der Bundesrepublik Deutschland
schützt den Beschuldigten zwar vor Nachteilen, die einem Schuldspruch oder einer
Strafe gleichkommen, denen aber kein rechtsstaatliches prozessordnungsgemäßes
Verfahren zur Schuldfeststellung vorausgegangen ist. Die hier erfolgte Berücksichtigung
und Bewertung von Verdachtsgründen stellt jedoch keine durch die
Unschuldsvermutung verbotene Schuldfeststellung oder - zuweisung dar. Die
Feststellung eines Tatverdachts ist etwas substantiell anderes als eine
Schuldfeststellung.
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Es spricht bei der im Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes allein
möglichen summarischen Prüfung Erhebliches dafür, dass die Voraussetzungen des §
81b 2. Alternative StPO vorliegen.
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Der Antragsteller ist Beschuldigter, weil gegen ihn in einem Strafermittlungsverfahren
wegen Bedrohung und Körperverletzung (möglicherweise auch eines Verstoßes gegen
das Waffengesetz) ermittelt wird.
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Die angeordneten Maßnahmen sind auch für Zwecke des Erkennungsdienstes
notwendig. Dies bemisst sich danach, ob der anlässlich des gegen den Betroffenen
gerichteten Strafverfahrens festgestellte Sachverhalt nach kriminalistischer Erfahrung
Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass der Betroffene künftig mit guten Gründen als
Verdächtiger in den Kreis potentieller Beteiligter an einer noch aufzuklärenden
strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und dass die erkennungsdienstlichen
Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen - den Betroffenen schließlich
überführend oder entlastend - fördern könnten. Dabei sind alle Umstände des Einzelfalls
- insbesondere Art, Schwere und Begehungsweise der dem Betroffenen im
strafrechtlichen Anlassverfahren zur Last gelegten Straftaten, seine Persönlichkeit sowie
der Zeitraum, während dessen er strafrechtlich nicht (mehr) in Erscheinung getreten ist -
in den Blick zu nehmen.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. Juli 1988 - 1 B 61/88 -, NJW 1989, 2640.
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Schließlich verlangen der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1
i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), der verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und
der präventive Charakter der erkennungsdienstlichen Maßnahmen eine Abwägung
zwischen dem öffentlichen Interesse an einer effektiven Verhinderung und Aufklärung
von Straftaten und dem Interesse des Betroffenen, entsprechend dem Menschenbild des
Grundgesetzes nicht bereits deshalb als potenzieller Rechtsbrecher behandelt zu
werden, weil er sich irgendwie verdächtig gemacht hat oder angezeigt worden ist.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17. Dezember 1999 - 5 B 1944/99 -.
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Von diesen Grundsätzen ausgehend spricht Vieles für die Annahme, dass der
Antragsteller nach kriminalistischer Erfahrung künftig mit guten Gründen als
Verdächtiger in den Kreis potentieller Beteiligter an einer noch aufzuklärenden
strafbaren Handlung einbezogen werden könnte.
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Gegen den Antragsteller besteht bezogen auf das Anlassverfahren ein nicht
unerheblicher kriminalistischer Verdacht, dass er einen ihm zuvor unbekannten Mann
aus nichtigem Anlass körperlich misshandelt und zudem mit einer Waffe bedroht hat.
Nach Aktenlage (insbesondere den Aussagen des betroffenen Autofahrers und seiner
Beifahrerinnen - Ehefrau und Tochter -) befuhr der Antragsteller am Abend des 25.
November 2006 die L 561 mit seinem Opel Corsa über längere Strecken ohne
witterungsbedingten Anlass mit eingeschalteter Nebelschlussleuchte. Obwohl der hinter
ihm fahrende Fahrzeugführer H. M1. gab, um den Antragsteller hierauf hinzuweisen und
zum Ausschalten der Leuchte zu veranlassen (möglicherweise fuhr Herr H. gleichzeitig
unangemessen dicht auf das Kfz des Antragstellers auf), reagierte dieser nicht wie
erhofft, sondern fühlte sich offenbar provoziert. Als Herr H. beabsichtigte, der Blendung
durch die O. des Fahrzeuges des Antragstellers durch Abbiegen zu entgehen, bemerkte
der Antragsteller dies und scherte noch kurz vor ihm ebenfalls in die Seitenstraße ein.
Dort brachte er sein Fahrzeug zum Stehen, wodurch gleichzeitig Herrn H. die
Weiterfahrt unmöglich gemacht wurde. Beide Fahrzeugführer stiegen aus und bewegten
sich aufeinander zu. Unmittelbar darauf soll der Antragsteller ohne jede Vorwarnung
Herrn H. einen Kopfstoß gegen dessen Stirn - auf der die Polizei später eine sichtbare
gerötete Schwellung feststellte - versetzt, ihm eine Waffe (wie sich später herausstellte,
eine sog. PTB-Waffe) vor den Bauch gehalten und ihn mit der Äußerung „ich mach dich
alle" bedroht haben.
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Soweit der Antragsteller vor der Polizei insbesondere angegeben hat, er habe die
Nebelschlussleuchte erst nach vorheriger Provokation (dichtes Auffahren, Lichthupe)
durch Herrn H. eingeschaltet, um diesen zu mehr Abstandhaltung zu bewegen, wertet
die Kammer dies als reine Schutzbehauptung. Ein nachvollziehbarer Anlass für die
Annahme, dass die Auseinandersetzung ihren Beginn in einem Fehlverhalten des
anderen Fahrzeugführers genommen hätte, ist nicht zu erkennen; auch der Antragsteller
trägt insoweit nichts vor. Davon unabhängig - und das ist ungeachtet der
„Vorgeschichte" allein maßgeblich - hat der Antragsteller das Kerngeschehen (Kopfstoß;
Bedrohung mit einer Waffe) nicht substantiiert bestritten.
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Hiervon ausgehend bestehen nach kriminalistischer Erfahrung auch Anhaltspunkte,
dass der Antragsteller in der Zukunft mit guten Gründen in weitere Ermittlungsverfahren
einbezogen werden könnte. Zwar ist der Antragsteller nach Aktenlage in der
Vergangenheit lediglich einmal kriminalpolizeilich - wegen des Verdachts der
Straßenverkehrsgefährdung - in Erscheinung getreten. Sein wegen des in jedem Falle
überaus nichtigen Anlasses im Straßenverkehr völlig unverständliches, überzogenes
und ein hohes Aggressionspotential deutlich werdendes Verhalten lässt aber die
Annahme einer hinreichenden Wiederholungsgefahr hinsichtlich weiterer
Körperverletzungs- und Bedrohungsdelikte (ggf. einhergehend mit der Verwendung von
Waffen) als derzeit durchaus gerechtfertigt erscheinen.
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Bei summarischer Prüfung ist die weitere Annahme des Antragsgegners nicht zu
beanstanden, dass die abgeforderten erkennungsdienstlichen Maßnahmen die
Aufklärung zukünftiger Straftaten fördern könnte. Es ist keineswegs zwingend, dass
etwaige weitere einschlägige Straftaten des Antragstellers immer im Zusammenhang
mit der Verwendung seines eigenen Kfz erfolgen werden (und so einen hinreichenden
Rückschluss auf den Täter zuließen). Hiervon ausgehend kann erkennungsdienstliches
Material - insbesondere Lichtbilder - wesentlich die zügige und beweissichere
Aufklärung derartiger Straftaten erleichtern. In diesem Zusammenhang sei angemerkt,
dass die angeordneten Maßnahmen auch der Entlastung des Antragstellers dienen
können.
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Bei der weiteren, von den Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren unabhängigen
Interessenabwägung überwiegt ebenfalls das öffentliche Interesse. Im Rahmen dieser
Abwägung sind insbesondere die Schwere und Begehungsweise des Delikts, der
Umfang des Schadens für geschützte Rechtsgüter und für die Allgemeinheit, die
Wiederholungsgefahr, die Schwierigkeit bei der Aufklärung des in Rede stehenden
Deliktstyps, die Konkretisierung des gegen den Beschuldigten gerichteten Verdachts
sowie die Häufigkeit der Fälle, in denen der Betroffene einer Straftat verdächtig
geworden ist, zu berücksichtigen. Zwar fällt zugunsten des Antragstellers ins Gewicht,
dass der vom Antragsgegner beabsichtigte Grundrechtseingriff gravierend ist, er bislang
offenbar nicht vorbestraft ist und aus seiner Sicht möglicherweise von dem anderen
Kraftfahrzeugführer jedenfalls in gewissem Umfang zu der Tat provoziert worden sein
mag. Andererseits hat der Antragsteller auch dies unterstellt völlig unangemessen und
aggressiv reagiert sowie besteht deshalb, wie aufgezeigt, eine hinreichende
Wahrscheinlichkeit, dass er auch in naher Zukunft in einschlägiger Weise in
Erscheinung treten könnte und solche Taten ohne erkennungsdienstliche Maßnahmen
schwer aufklärbar sind. Könnten die in Frage stehenden erkennungsdienstlichen
Unterlagen erst nach rechtskräftigem Abschluss des Hauptverfahrens angefertigt
werden, so wäre eine hinreichende Aufklärung der betreffenden Taten bis dahin
beträchtlich erschwert oder würde ganz scheitern. Damit würde in erheblicher Weise der
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Schutz der Allgemeinheit vernachlässigt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2 des
Gerichtskostengesetzes (GKG).
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