Urteil des VG Arnsberg vom 08.11.2010

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Verwaltungsgericht Arnsberg, 14 K 1643/10
Datum:
08.11.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Arnsberg
Spruchkörper:
14. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
14 K 1643/10
Tenor:
Der Bescheid des Beklagten vom 26. Mai 2010 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
1
Der Kläger wendet sich gegen die Einziehung seines Jagdscheins. Dem Rechtsstreit
liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:
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Der im Jahre 1937 geborene Kläger ist Pächter des gemeinschaftlichen Jagdbezirkes T.
, dessen Flächen sich unter anderem zwischen dem Hauptort der Stadt C. und dem
weiter nordwestlich gelegenen Ortsteil T. erstrecken. Er ist Inhaber des Jagdscheins Nr.
2638, der zur Zeit bis zum 31. März 2011 gültig ist. Am späten Nachmittag des 30. März
2010 befand der Kläger sich mit seinem Geländewagen, einem Fahrzeug des Fabrikats
Lada und des Models Niva, in seinem Revier. Er befuhr unter anderem einen
asphaltierten Feldweg, der im Wesentlichen von Nordosten nach Südwesten verläuft
und durch ein weiträumig landwirtschaftlich genutztes Gelände führt, an welches sich
sowohl im Norden als auch im Süden forstwirtschaftliche Flächen anschließen. Zur
Verdeutlichung der örtlichen Verhältnisse wird auf den folgenden Kartenausschnitt
Bezug genommen:
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Während der Kläger den asphaltierten Weg in Richtung Südwesten befuhr, kamen ihm
auf zwei Motorrädern die Zeugen C1. und C2. . entgegen, die diesen Weg nach
Nordosten befuhren. Die näheren Einzelheiten des Zusammentreffens zwischen dem
Kläger und den Zeugen sind zwischen den Parteien strittig.
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Mit E-Mail vom 12. April 2010, die er an die dienstliche E-Mail-Anschrift des für das
Jagdwesen zuständigen Bediensteten richtete, wandte sich der Zeuge C1. an den
Beklagten und schilderte diesem Folgendes: Am 30. März 2010 habe er sich gegen
17.00 Uhr mit seinem Sohn C2. mit den Motorrädern aufgemacht, um den Haushund zu
suchen, der sich am Nachmittag bei einem Spaziergang, den die Ehefrau des Zeugen
unternommen habe, losgerissen habe. Auf einem geteerten einspurigen Weg sei ihnen
ein grüner Lada Niva entgegen gekommen, der stark beschleunigt habe. Um eine
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Kollision zu vermeiden, hätten sie - die Zeugen - nach rechts ausweichen und über das
Feld fahren müssen. Sein Sohn habe sich umgedreht und gesehen, dass jetzt eine
Seitenscheibe des Ladas herunter gelassen und mit einem Gewehr aus dem Fenster
geschossen worden sei. Er nehme zwar an, dass "dieser Mann" nicht gezielt auf sie
geschossen habe; jedoch sei eine Person, die bei dem Anblick von zwei Motorrädern im
Jagdrevier derart ausraste, offensichtlich nicht zum Führen einer Waffe berechtigt. Als
Anlage seiner E-Mail übermittelte der Zeuge eine Bilddatei mit dem Namen
30_03_10.bmp, die ein Luftbild des fraglichen Geländes südostwärts von T. enthielt, auf
dem ein "Standort Geländewagen" kenntlich gemacht ist.
Aufgrund der Anzeige vom 12. April 2010 stellte der Bedienstete des Beklagten "einige
Erkundigungen" an, die in den Akten nicht näher belegt sind. In einem Vermerk vom 13.
April 2010 wird festgehalten, dass es sich bei dem "Schützen" um den Kläger handele,
dessen Kraftfahrzeug das Kennzeichen ... trage. Ebenfalls am 13. April 2010 richtete der
Zeuge C1. eine weitere E-Mail an den Beklagten, wonach er, nämlich der Zeuge,
mittlerweile herausgefunden habe, "wem Jagd und Auto gehören. Herr O. Senior, T. ".
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Nachdem der Beklagte zwischen dem 13. April und dem 23. April 2010
Behördenauskünfte über die Zuverlässigkeit des Klägers eingeholt hatte, die sämtlich
ohne Befund waren, gab er dem Kläger mit Schreiben vom 27. April 2010 Gelegenheit,
sich zu der beabsichtigten Einziehung des Jagdscheins zu erklären. Hiervon machte der
Kläger mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 29. April 2010 Gebrauch,
wobei er im Wesentlichen mitteilte: Er inspiziere täglich sein Revier; auch am 30. März
2010 habe er eine solche Kontrollfahrt unternommen. Hierbei führe er keine Waffe mit
sich. Weil er für die Kontrollen von Schadstellen und Kirrungen das Auto verlassen
müsse und er es nicht für die wenigen Minuten jedesmal abschließen wolle, sei ihm die
Mitnahme einer Waffe schon wegen der Gefahr des Abhandenkommens zu gefährlich.
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Mit Schreiben vom 5. Mai 2010 bat der Beklagte die Zeugen C1., C2.., sich schriftlich zu
dem Geschehen am 30. März 2010 zu äußern. Dieser Aufforderung kamen die Zeugen
am 10. Mai 2010 nach; auf Einzelheiten der betreffenden Berichte wird später noch
einzugehen sein. Auch der Kläger schilderte dem Beklagten seine Wahrnehmungen
vom 30. März, auf die ebenfalls im Zuge der Beweiswürdigung zurückzukommen sein
wird.
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Mit Verfügung vom 26. Mai 2010 erklärte der Beklagte den Jagdschein des Klägers für
ungültig und forderte den Kläger auf, ihn innerhalb einer Woche nach Unanfechtbarkeit
abzugeben. Gleichzeitig drohte er ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,00 EUR an und
setzte für die Wiedererteilung des Jagdscheins eine Sperrfrist von drei Jahren fest. Zur
Begründung teilte der Beklagte Folgendes mit: Nach § 17 Abs. 1 Nr. 2 des
Bundesjagdgesetzes (BJagdG) sei der Jagdschein zu versagen, wenn Tatsachen die
Annahme rechtfertigten, dass der Jagdscheinbewerber die erforderliche Zuverlässigkeit
oder körperliche Eignung nicht besitze. Nach § 17 Abs. 3 Nr. 1 BJagdG fehle die
erforderliche Zuverlässigkeit, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigten, der
Jagdscheinbewerber werde Waffen oder Munition missbräuchlich verwenden. Nach §
18 BJagdG sei die Jagdbehörde verpflichtet, einen Jagdschein für ungültig zu erklären
und ihn einzuziehen, wenn Tatsachen, welche die Versagung des Jagdscheins nach §
17 Abs. 1 BJagdG begründeten, erst nach Erteilung des Jagdscheins einträten oder der
Jagdbehörde bekannt würden. Nach gründlicher Abwägung habe er - der Beklagte - an
der Richtigkeit der schriftlichen Zeugenaussagen "keine Zweifel". Er "glaube", der
Kläger habe den fraglichen Schuss im Jähzorn abgegeben. Die Glaubwürdigkeit der
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Zeugen werde von ihm "nicht ... angezweifelt". Einen Racheakt der Motorradfahrer, der
"durchaus möglich" scheine, schließe er aus. Vielmehr "gehe (er) davon aus", dass der
Kläger den Schuss tatsächlich abgegeben habe. Tatsachen im Sinne des § 17 Abs. 1
Nr. 2 BJagdG seien auch Charakterfehler, etwa die Neigung zur Unbeherrschtheit oder
zum Jähzorn. Nach der einschlägigen Rechtsprechung könne bereits ein einmaliges
Fehlverhalten geeignet sein, die Besorgnis künftiger missbräuchlicher oder leichtfertiger
Verwendung von Waffen und Munition zu begründen. Eine solche Verwendung könne
"bei Ihnen nicht ausgeschlossen werden".
Am 2. Juni 2010 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben. Er bestreitet
ausdrücklich, am 30. März 2010 den von den Zeugen behaupteten Schuss aus seiner
Jagdwaffe abgegeben zu haben und er stellt im Einzelnen die Umstände dar, die dem
Abfeuern eines Gewehres aus dem Kraftfahrzeug zwingend entgegen stehen. Ferner
zeigt er zahlreiche Gesichtspunkt auf, mit denen er die Glaubwürdigkeit der Zeugen und
die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen zu erschüttern sucht.
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Der Kläger beantragt,
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die Verfügung des Beklagten vom 26. Mai 2010 betreffend die Einziehung des
Jagdscheins Nr. 2638 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hält an seiner Auffassung fest, wonach der Kläger sich angesichts seines Verhaltens
am 30. März 2010 als unzuverlässig im jagdrechtlichen Sinne erwiesen habe.
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In Ausführung des Beweisbeschlusses vom 8. September 2010 hat der Berichterstatter
als beauftragter Richter am 12. Oktober 2010 die Herren C1. und C2. als Zeugen
vernommen. Ferner hat er am gleichen Tage das von dem Kläger am 30. März 2010
benutzte Kraftfahrzeug in Augenschein genommen. Wegen des Ergebnisses der
Beweisaufnahme wird auf die über diesen Termin gefertigte Niederschrift (Blätter 115
bis 124 der Gerichtsakte) verwiesen.
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Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Parteien wird
auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten
und die vom Kläger eingereichten Lichtbilder Bezug genommen. Das Gericht hat ferner
die Akte 225 Js 384/10 A der Staatsanwaltschaft B. beigezogen; das Aktenstück war
Gegenstand des Beweistermins vom 12. Oktober 2010.
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Entscheidungsgründe:
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Die in jeder Hinsicht zulässige Anfechtungsklage hat auch in der Sache Erfolg. Die
Verfügung des Beklagten vom 26. Mai 2010 verletzt den Kläger rechtswidrig in seinen
Rechten, so dass sie aufzuheben ist (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 der
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).
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Eine behördliche Maßnahme, die unmittelbar in die Rechte eines Bürgers eingreift,
bedarf einer gesetzlichen Grundlage. Die Voraussetzungen, unter denen die
Jagdbehörde befugt ist, einen Jagdschein für ungültig zu erklären und ihn einzuziehen,
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werden abschließend in § 18 BJagdG bezeichnet. Diese Vorschrift setzt im
Wesentlichen voraus, dass Tatsachen, welche die Versagung des Jagdscheins
begründen, erst nach dessen Erteilung eintreten oder der Jagdbehörde bekannt werden.
Zahlreiche Tatbestände, nach denen ein Jagdschein zu versagen ist, enthält § 17
BJagdG. Nach § 17 Abs. 1 Nr. 2 BJagdG dürfen in der Person des
Jagdscheinbewerbers keine Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass er die
erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt; nach § 17 Abs. 3 Nr. 1 BJagdG fehlt es an der
erforderlichen Zuverlässigkeit unter anderem, wenn Tatsachen die Annahme
rechtfertigen, dass die betreffende Person Waffen oder Munition missbräuchlich oder
leichtfertigt verwenden wird. Im vorliegenden Fall ist die Kammer entgegen der
Auffassung des Beklagten davon überzeugt, dass keinerlei Tatsachen die Annahme
rechtfertigen, der Kläger werde Waffen oder Munition missbrauchen.
Der Beklagte stützt seine Entscheidung in tatsächlicher Hinsicht ausschließlich auf die
Ereignisse vom 30. März 2010. Er meint, der Kläger habe seinerzeit eine Jagdwaffe
missbraucht und deshalb bestehe die Gefahr, er - der Kläger - könne erneut eine Waffe
in einer von § 17 Abs. 3 Nr. 1 BJagdG missbilligten Weise verwenden. Diesen
Überlegungen des Beklagten vermag sich das erkennende Gericht nicht anzuschließen.
Nach Auswertung sämtlicher Erkenntnisquellen hat der Kläger seinerzeit einen
missbräuchlichen Umgang mit einer Jagdwaffe gerade nicht an den Tag gelegt.
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Zunächst ist die Darstellung des Klägers zum Ablauf seines Zusammentreffens mit den
Zeugen schlüssig und in sich stimmig. Danach bogen die beiden Motorradfahrer alsbald
nach dem ersten Sichtkontakt mit dem Kläger nach rechts in den Weg ein, der auf der
oben eingedruckten Karte mit "Sackgasse" bezeichnet ist, um sodann, weil der Weg
eben nicht weiterführte, im Wesentlichen in ostwärtiger Richtung über ein Feld zu
fahren. Anschließend, nach dem Erreichen des im Wesentlichen von Norden nach
Süden verlaufenden Weges, sind die Zeugen nach Süden in Richtung C.
weitergefahren. Diese Routenbeschreibung entspricht in jeder Hinsicht der Bekundung
des Zeugen C2. im Zuge seiner Vernehmung am 12. Oktober 2010 (vgl. Seite 6 Abs. 2
der Niederschrift über den Beweistermin). Der Kläger hat dann sein Fahrzeug
zurückgesetzt bis zur Einmündung des asphaltierten Weges (vgl. auch insoweit die
Beschriftung des oben eingedruckten Kartenausschnitts) in den von Norden nach
Süden verlaufenden Feldweg in der Annahme, er würde den Motorradfahrern, die ja im
Wesentlichen in nordostwärtiger Richtung unterwegs waren, dort wieder begegnen. Die
weitere Beschreibung der Fahrstrecke der Motorradfahrer durch den Kläger deckt sich
mit den Ausführungen des Zeugen C2. , der berichtet hat, man sei "über einen kleineren
Weg, der wohl nur für Trecker war, in den Wald rein gefahren". Damit ist ganz
augenscheinlich der Weg gemeint, der weiter ostwärts und parallel zur "Sackgasse"
nach Südosten verläuft und in der Tat später ein Waldstück erreicht.
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Die Kammer nimmt dem Kläger auch ab, am 30. März 2010 überhaupt kein Gewehr mit
sich geführt zu haben. Das Klischee, welches den von einem Jagdhund begleiteten
Jäger ausnahmslos mit Filzhut, Lodenkleidung und umgehängter Büchse zeichnet,
entspricht nicht der jagdlichen Realität. In Erledigung seiner Pflicht zur Hege (§ 1 Abs. 1
Satz 2, Abs. 2 BJagdG) hat ein Jäger im Laufe des Jagdjahres (§ 11 Abs. 4 Satz 5
BJagdG) zahlreiche Tätigkeiten auszuführen, bei denen er eine Jagdwaffe nicht nur
nicht benötigt, sondern die Waffe sich sogar als hinderlich erweisen würde. Errichtet ein
Jäger zum Beispiel eine Jagdeinrichtung (§ 28 des Landesjagdgesetzes - LJG -) oder
befasst er sich mit der Herstellung von Schutzvorrichtungen (§ 32 BJagdG) oder
repariert er solche, wird er während dieser Arbeiten seine Jagdwaffen wohlverwahrt in
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der häuslichen Unterbringung belassen, weil es vollkommen unsinnig wäre, sie beim
Bau etwa eines Hochsitzes griffbereit zu haben. Im vorliegenden Fall hat der Kläger
berichtet, er sei seinerzeit gar nicht der Jagd nachgegangen, sondern er habe sich auf
einer Inspektionsfahrt befunden. Ein Blick in § 2 der Verordnung über die Jagdzeiten
lässt sogleich erkennen, dass Ende März auf die meisten der in § 2 Abs. 1 BJagdG
verzeichneten Tiere nicht gejagt werden darf; auch die Tageszeit, nämlich ein heller
Nachmittag nach Beginn der Sommer-zeit, spricht eindeutig gegen die Annahme, der
Kläger habe sich damals auf der Jagd befunden und deshalb eine Jagdwaffe mit sich
geführt.
Selbst wenn wider alle Vernunft unterstellt wird, in dem Geländefahrzeug des Klägers
habe sich am 30. März 2010 eine Langwaffe befunden, kann sich das Geschehen so,
wie es der Beklagte zur Begründung seiner angefochtenen Verfügung angenommen
hat, nicht zugetragen haben. Nach den Feststellungen des Berichterstatters am 12.
Oktober 2010 ist der Lada Niva, den der Kläger als Jagdfahrzeug benutzt, nicht mit
einem funktionstauglichen Gewehrständer ausgerüstet. Zwar konnten die
herstellerseitig eingebauten Unterteile einer Vorrichtung festgestellt werden, die
augenscheinlich dazu bestimmt war, die Kolben (im militärischen Sprachgebrauch:
Schulterstützen) von zwei Langwaffen aufzunehmen. Allerdings fehlte es an oberen
Befestigungsmöglichkeiten, mit denen die Läufe (militärisch: Rohre) der Gewehre hätten
fixiert werden können. Über den Halterungen für die Schulterstützen befand sich eine
Ablage, auf die der Kläger zur Veranschaulichung ihrer Funktion einen Eimer mit
Maiskörnern abgestellt hatte. Die fragliche Konstruktion wies deutliche
Gebrauchsspuren auf; sie war ohne Zweifel nicht speziell im Hinblick auf den
Gerichtstermin eingebaut worden. Nach den weiteren Feststellungen des
Berichterstatters lässt sich in dem Fahrzeug des Klägers eine Langwaffe außerhalb des
dafür vorgesehenen Gewehrständers nicht in einer Weise neben dem Fahrersitz
platzieren, dass man sie jederzeit und ohne weitere Umstände sogleich zur Hand hat.
Zwar ließe sich ein Gewehr mit dem Kolben (Schulterstütze) im Fußraum vor dem
Beifahrersitz abstellen, während der Lauf (Rohr) an die rechte Fahrzeugtür gelehnt wird.
Bei einer Fahrt durch das Gelände würde die Waffe indessen alsbald hin und her
schlagen und so den Fahrer nennenswert behindern; auch wäre sie durch das
Aufschlagen auf den Fahrzeugboden ständig mehr oder weniger heftigen
Erschütterungen ausgesetzt. Ein vernünftiger Jäger, der um den wirtschaftlichen Wert
seiner Waffen weiß und deren Zielgenauigkeit nicht ohne Not beeinträchtigen will und
der sich zudem seiner Verantwortung als Fahrzeuglenker bewusst ist, wird daher eine
Langwaffe nicht ungesichert vor den Beifahrersitz abstellen. Vielmehr wird er sie - wie
es der Kläger dem Berichterstatter demonstriert hat - in den Laderaum (Kofferraum) des
Fahrzeugs und dort auf eine erschütterungsdämpfende Unterlage legen.
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Der Kläger hat dem Berichterstatter weiter veranschaulicht, auf welche Weise die
Heckklappe des Lada Niva geöffnet wird. Danach hätte der Kläger das Fahrzeug
anhalten, die Entriegelungsvorrichtung neben seinem Sitz betätigen, das Fahrzeug
verlassen, die Heckklappe öffnen und schließlich das Gewehr entnehmen müssen. Um
anschließend einen Schuss abzugeben, hätte er sich gewiss nicht wieder hinter das
Lenkrad gesetzt, um aus dem Fahrzeug heraus zu feuern. Er hätte vielmehr sogleich
hinter oder neben dem Wagen stehend geschossen, zumal der Schussknall außerhalb
des Fahrzeugs deutlich geringere Risiken für das Gehör des Klägers mit sich gebracht
hätte als eine Schussabgabe innerhalb eines weitgehend geschlossenen Fahrzeugs.
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Ein Jäger ist schließlich nicht befugt, außerhalb des unmittelbaren Jagdgeschehens
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eine geladene Waffe zu führen. Er darf seine Waffe erst laden, wenn er, etwa bei der
Ansitzjagd, seinen Platz auf dem Ansitz eingenommen hat. Vor dem Abbaumen muss
er, falls er nicht zum Schuss gekommen ist, die Waffe wieder entladen und die Munition
sicher verwahren. Insbesondere vor dem Besteigen eines Kraftfahrzeugs muss stets
entladen werden; die Waffe darf nicht einmal im "unterladenen" (mil.: teilgeladenen)
Zustand belassen werden,
vgl. zu alledem Blase, Die Jägerprüfung, 26. Auflage (1996) Seiten 92 bis 94); Krebs,
Vor und nach der Jägerprüfung, 52. Auflage (2001) S. 563 f, 567.
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Der Kläger hätte also nicht nur sein Gewehr dem Kofferraum entnehmen und sich mit
der Waffe hinter das Steuer setzen, sondern er hätte die Waffe auch noch laden müssen.
Durch diesen Vorgang hätte sich eine weitere Verzögerung ergeben, die gegen die
Annahme des Beklagten spricht, der Kläger habe alsbald nach dem ersten Kontakt mit
den Zeugen geschossen.
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Nach alledem sprechen Vernunft, Lebenserfahrung sowie die konkreten Verhältnisse
gegen die von dem Beklagten angeblich festgestellten Tatsachen, aus denen dieser auf
die Unzuverlässigkeit des Klägers schließt. Ein von der in jeder Hinsicht glaubhaften
Darstellung des Klägers abweichender Geschehensverlauf könnte mithin nur
angenommen werden, wenn insoweit unanfechtbare Beweise vorlägen. Dies ist
indessen nicht der Fall. Namentlich sind die Bekundungen der Zeugen, auf die allein
der Beklagte seine Entscheidung stützt, als Beweismittel untauglich, weil zahlreiche
Merkmale festzustellen sind, welche die Glaubhaftigkeit der Aussagen durchgreifend
erschüttern.
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Zunächst - und darauf hat bereits der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigten
hingewiesen - ist es mehr als befremdlich, dass die beiden Zeugen nahezu zwei
Wochen verstreichen ließen, bevor sie den Sachverhalt, der ihnen Angst und Schrecken
eingejagt haben soll, zur Anzeige brachten. Die bereits gegenüber der
Staatsanwaltschaft und erneut im gerichtlichen Beweistermin vom 12. Oktober 2010 für
dieses zögerliche Verhalten gelieferte Begründung überzeugt nicht. Danach habe die
Sorge, wegen ihres eigenen Fehlverhaltens (Befahren eines für den allgemeinen
Verkehr gesperrten Weges) zur Rechenschaft gezogen zu werden, die Zeugen davon
abgehalten haben, den in Rede stehenden Vorfall zu melden. Jeder Kraftfahrer weis
indessen, dass eine Missachtung des Zeichens 250 der Straßenverkehrsordnung
("Verbot für Fahrzeuge aller Art") lediglich eine gebührenpflichtige Verwarnung bzw. ein
Bußgeld in Höhe eines allenfalls zweistelligen Euro-Betrages zur Folge hat, ohne dass
"Punkte" eingetragen werden oder ein Fahrverbot ausgesprochen wird. Der Zeuge C1.
ist Geschäftsführer eines in C. . ansässigen Unternehmens, das sich seiner Internet-
Darstellung zufolge (vgl. bei www....de) sehr erfolgreich auf dem Gebiet des
Explosionsschutzes betätigt; C2. befindet sich bei einem genossenschaftlichen
Geldinstitut in der Ausbildung zum Bankkaufmann. Beide Herren sind beruflich damit
vertraut bzw. werden während der laufenden Ausbildung damit vertraut gemacht,
Verantwortung zu übernehmen, für andere, aber auch für sich selbst. Die Zeugen
machten während ihrer Vernehmung am 12. Oktober 2010 auch keineswegs einen
zögerlichen, zaghaften oder sonstwie zurückhaltenden Eindruck, sondern sie ließen
erkennen, fest in der Realität zu stehen. Dass diese Persönlichkeiten sich wegen des
Risikos, mit einem "überschaubaren" Buß- oder Verwarnungsgeld belegt zu werden,
davon abhalten lassen, einen Sachverhalt bei der zuständigen Behörde aktenkundig zu
machen, über den sie sich - aus ihrer Sicht zu Recht - empört haben, leuchtet
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schlechterdings nicht ein.
Es muss sodann erstaunen, dass der Abend des 30. März 2010 in der Familie der
beiden Zeugen ausweislich der insoweit übereinstimmenden Bekundungen gegenüber
dem beauftragten Richter vollkommen "normal" ablief. Wer den Eindruck hat, am späten
Nachmittag möglicherweise nur knapp einem Anschlag auf sein Leben entgangen zu
sein, geht am Abend des Tages nicht "zur Tagesordnung über" indem er mit der Familie
zu Abend isst und dem erst kurze Zeit zurückliegenden Vorfall keine weitere Beachtung
schenkt.
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Die Zeugen haben schließlich den angeblichen Vorfall nicht etwa der Polizeibehörde
gemeldet, sondern dem Beklagten als Jagdbehörde. Auch dieser Umstand muss
befremden. Ausweislich der E-Mail vom 12. April 2010 wusste der Zeuge C1. nicht, wem
er am 30. März 2010 in dem Lada Niva begegnet war. Aus den von den Zeugen
beobachteten Umständen konnte er keineswegs annehmen, es mit einem Jäger zu tun
zu haben, der in seinem Jagdrevier herumfährt. Immerhin ist der Lada Niva als
preiswertes Geländefahrzeug nicht nur bei Jägern beliebt, sondern auch bei Landwirten
und anderen Personen, die sich - sei es beruflich, sei es in der Freizeit - im Gelände
aufhalten und dort mobil sein wollen. Auch das Gewehr, das der Zeuge C2. gesehen
haben will, bedeutet nicht zwingend, dass in dem Fahrzeug ein Jäger saß, der mit der
Waffe hantierte. Immerhin gibt es in der Bundesrepublik Deutschland einschlägigen
Schätzungen zufolge mehr illegale als behördlich erfasste Waffen in privatem Besitz.
Zudem können auch Nicht-Jäger in legaler Weise Schusswaffen besitzen, wie ein Blick
in die §§ 14 ff des Waffengesetzes sogleich zeigt. Dennoch hat C1. seine Anzeige
gerade bei der Jagdbehörde angebracht, verbunden mit der Belastungstendenz, dass
"dieser Mann.... bei dem Anblick von zwei Motorrädern in seinem Jagdrevier derart
ausrastet", so dass er "offensichtlich nicht zum Führen einer Waffe berechtigt sein"
könne. Diese gezielten Hinweise sollten den Bediensteten des Beklagten ganz
offensichtlich auf die "Spur" zum Kläger setzen, um diesem Nachteile zuzufügen. Nicht
ohne Interesse ist in diesem Zusammenhang die nur einen Tag später aufgegebene E-
Mail vom 13. April 2010, in welcher der Zeuge C1. mitteilt, er habe mittlerweile
herausgefunden, dass die Jagd und das Fahrzeug Herrn O. Senior gehörten. Eine
plausible Erklärung, auf welche Weise es dem Zeugen gelungen ist, die Person des
angeblichen Schützen in wenig mehr als 24 Stunden namhaft zu machen, konnte der
Zeuge dem beauftragten Richter nicht liefern. Denn danach soll ein "Bekannter" dem
Zeugen berichtet haben, der Kläger habe "den Vorfall in Gastwirtschaften herum erzählt"
(Seite 4 Abs. 2 der Niederschrift über den Beweistermin). Zwar ist der Kammer aus
eigener Anschauung bekannt, dass den Jagdbehörden hin und wieder in der von dem
Zeugen dargestellten Weise Informationen zugeleitet werden, die ein
ordnungsrechtliches Einschreiten auslösen: Ein Jäger schildert in fröhlicher Runde ein
Geschehen, das in jagdrechtlicher Sicht zweifelhaft erscheint. Während die meisten
Teilnehmer den Bericht mit lebhaftem Beifall bedenken, ergreift ein Neider die seit
langem erwartete Chance, dem Berichtenden zu schaden. Er wendet sich - in der Regel
anonym - an die Jagdbehörde und zeigt den Sachverhalt dort an. Der Kläger des
vorliegenden Verfahrens indessen vermittelt in seinen diversen Schreiben an den
Beklagten, nach dem persönlichen Eindruck, den der beauftragte Richter am 12.
Oktober 2010 von ihm gewinnen konnte und - nicht zuletzt - nach seiner
gesellschaftlichen und beruflichen Position (vgl. etwa www.....de) nicht das Bild des
Jägers, der in einschlägigen Kreisen, namentlich in Gaststätten, mit zweifelhaften
jagdlichen "Abenteuern" prahlt. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang auch der
Umstand, dass der Zeuge auf die Frage des Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht
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die Gaststätte namhaft machen konnte, in welcher der Kläger den fraglichen Vorfall
erzählt haben soll. Die konkrete Lebenswirklichkeit stellt sich in der Regel anders dar:
Wer einer dritten Person, die selbst nicht zugegen war, den wesentlichen Inhalt eines
"Thekengesprächs" mitteilen will, leitet seine Ausführungen zumeist mit der Angabe der
Gastwirtschaft ein ("Ich war da neulich in der X- Schenke;") in der er seine Kenntnisse
gewonnen hat ("der Y... war auch da, und Y hat erzählt, dass ..."). Angesichts dessen ist
es verwunderlich, dass dem Zeugen C1. die Gastwirtschaft nicht bekannt war, in
welcher der Kläger seine Begegnung mit den Zeugen geschildert haben soll, obwohl
die Anzahl der Gaststätten in dem relativ kleinen Ort T. begrenzt sein dürfte.
Nach alledem sind die "Tatsachen", auf denen die mit der vorliegenden Klage
angefochtene Entscheidung des Beklagten beruht, durchgreifend erschüttert.
Angesichts dessen sind die weiteren Aussagen der beiden Zeugen vom 12. Oktober
2010 lediglich ergänzend zu würdigen. Hierbei spring allerdings deren
Widersprüchlichkeit sogleich ins Auge: Der Zeuge C1. berichtete - wie bereits im
Verwaltungsverfahren -, seine Ehefrau habe sich mit dem Hund im Gelände befunden,
als der Hund sich losgerissen habe. C2. hingegen teilte dem Berichterstatter mit, es
seien seine Mutter und sein Vater mit dem Hund unterwegs gewesen (Seite 8 Abs. 1 der
Niederschrift über den Beweistermin). C1. erwähnte gegenüber der Jagdbehörde und
auch gegenüber dem beauftragten Gericht einen "Bekannten", der ihm empfohlen habe,
die Jagdbehörde über den Vorfall zu informieren (vgl. etwa Seite 3 f der Niederschrift
über den Beweistermin). Es war das "gute Recht" des Zeugen, den Namen jenes
"Bekannten" nicht preiszugeben. Der Zeuge C2. hingegen war dem beauftragten
Richter gegenüber ohne Scheu und Zurückhaltung und berichtete von einem Onkel, der
"gerade den Jagdschein gemacht" habe und (dadurch) einen konkreten
Ansprechpartner beim Beklagten bzw. dessen E-Mail-Anschrift habe angeben können
(Seite 7 vorletzter Absatz der Niederschrift vom 12. Oktober 2010). Schließlich hat C2.
bei seiner Vernehmung die Weiterfahrt mit den Motorrädern in gleicher Weise
geschildert, die auch der Kläger berichtet hat. Dem gegenüber fügte C1. seiner
schriftlichen Aussage vom 10. Mai 2010 ein Luftbild bei, wonach er und sein Sohn
etliche Meter nordostwärts des asphaltierten Weges (im Sinne der oben eingedruckten
Karte) nach rechts in das freie Feld ausgewichen seien. Diese drei Widersprüche in den
Aussagen der beiden Zeugen, die sich durch nichts erklären lassen, zwingen zu der
Erkenntnis, dass insgesamt ein nicht glaubhafter Vortrag festzustellen ist.
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Nach alledem kann von "Tatsachen", die eine jagdliche Unzuverlässigkeit des Klägers
befürchten ließen, auch nicht ansatzweise die Rede sein. Deshalb ist der Klage mit der
Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO zu entsprechen.
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Das Gericht sieht davon ab, die Berufung zuzulassen. Der Rechtssache kommt keine
grundsätzliche Bedeutung zu im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, weil sie lediglich
einen durch ganz besondere Umstände gekennzeichneten Einzelfall betrifft. Das Urteil
weicht auch nicht von einer Entscheidung der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO bezeichneten
Gerichte ab.
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