Urteil des VG Arnsberg vom 14.12.2010

VG Arnsberg (mutter, eltern, zuständigkeit, jugendhilfe, vater, aufenthalt, jugendamt, haushalt, örtliche zuständigkeit, höhe)

Verwaltungsgericht Arnsberg, 11 K 3764/09
Datum:
14.12.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Arnsberg
Spruchkörper:
11. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 K 3764/09
Tenor:
für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe
des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
1
Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung der Beklagten, der Klägerin die in dem
Hilfefall S. in der Zeit ab dem 09.09.2006 aufgewandten Jugendhilfekosten zu erstatten.
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Der am 25.03.1993 geborene Hilfeempfänger S. ist das gemeinsame Kind der seit
Februar 1999 geschiedenen Eheleute N. und B. . Nach der Scheidung stand das
Sorgerecht für S. zunächst allein der Kindesmutter zu. Mit Beschluss vom 23.04.2004
übertrug das Amtsgericht Dortmund das Sorgerecht auf beide Elternteile gemeinsam. N.
lebt zumindest seit Juni 2001 in E. , während B. seit seiner Entlassung aus der
Justizvollzugsanstalt D. im Sommer 2005 in I. wohnt. Die Klägerin erbrachte für S. bis
zum 24.11.2005 Hilfe zur Erziehung in stationärer Form. In einem am 23.11.2005 im
Jugendamt E. geführten Gespräch teilten die Eltern ihre Entscheidung mit, dass S. ab
dem 24.11.2005 im Haushalt des Vaters leben solle. Die Mutter unterschrieb im
Jugendamt eine Erklärung, in der sie sich ausdrücklich damit einverstanden erklärte,
dass S. dauerhaft in den Haushalt des Vaters wechselt.
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Im Mai 2006 nahm der Vater Kontakt zum Jugendamt der Beklagten auf und berichtete
von erheblichen Problemen mit S. . Die Mutter erschien am 28.06.2006 zu einem
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Beratungsgespräch im Jugendamt I. und gab an, dass der Hilfeempfänger zwar für den
Wohnsitz des Vaters gemeldet sei, sich aber überwiegend bei ihr in E. aufhalte. Die
Mutter unterzeichnete in I. einen Antrag auf Hilfe zur Erziehung. Die Mitarbeiter des
Jugendamtes rieten der Mutter, mit dem Vater über eine Ummeldung von S. von I. nach
E. zu sprechen. Die Mutter nahm am 05.07.2006 außerdem Kontakt zum Jugendamt der
Klägerin auf. Dort unterzeichnete sie am 18.07.2006 eine Erklärung, in der sie zu den
Aufenthaltsverhältnissen ihres Sohnes S. ab der Beendigung der stationären
Jugendhilfe Stellung nahm. Auch der Vater gab hierzu am 28.07.2006 eine schriftliche
Erklärung im Jugendamt E. ab.
Mit Schreiben vom 28.07.2006 und vom 04.08.2006 mahnte die Klägerin eine
Entscheidung der Beklagten über den Hilfeantrag vom 28.06.2006 an. Sie wies darauf
hin, dass die häusliche Situation bei der Mutter immer weiter eskaliere und
insbesondere für die übrigen in dem Haushalt lebenden Kinder nicht mehr tragbar sei.
Die Beklagte antwortete, dass die Klägerin selbst für den Hilfefall zuständig sei, weil der
Hilfeempfänger einen gewöhnlichen Aufenthalt in E. begründet habe und weil die
Hilfeeinstellung im November 2005 pflichtwidrig gewesen sei.
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Die Klägerin bewilligte den Eltern mit Bescheiden vom 24.08.2006 Hilfe zur Erziehung
in stationärer Form. Sie nahm Bezug auf entsprechende, von den Eltern am 16.08.2006
gestellte Anträge. S. fand ab dem 09.09.2006 Aufnahme in einer stationären
Jugendhilfemaßnahme, die aber wegen erheblicher Regelverstöße bereits am
27.09.2006 wieder beendet wurde. S. kehrte in den Haushalt seiner Mutter zurück.
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Mit Schreiben vom 23.10.2006 informierte die Klägerin die Beklagte über die ab dem
09.08.2006 eingeleitete Hilfegewährung und meldete einen Kostenerstattungsanspruch
gemäß § 89 c des Sozialgesetzbuches - 8. Buch: Kinder- und Jugendhilfe - (SGB VIII)
an. Das Schreiben enthält den handschriftlichen Hinweis, dass die Hilfe am 27.09.2006
eingestellt worden sei.
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Ab dem 09.11.2006 befand sich S. auf Kosten der Klägerin im E1. W. -heim , aus dem er
am 13.11.2006 wegen eines nicht tragbaren Verhaltens in die Schutzstelle der Stadt E.
entlassen wurde. Seit dem 27.11.2006 hielt er sich wieder bei seiner Mutter auf. In der
Folgezeit bemühte sich die Klägerin eine für S. geeignete Einrichtung, die auch die
Möglichkeit einer inzwischen von den Eltern befürworteten geschlossenen
Unterbringung bot, zu finden. Seit dem 01.03.2007 hält sich S. mit Einverständnis der
Eltern und auf Kosten der Klägerin in der Jugendhilfeeinrichtung "B1. " auf.
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Nachdem das Jugendamt der Klägerin den Vorgang im Oktober 2006 hinsichtlich der
Klärung der örtlichen Zuständigkeit dem städtischen Rechtsamt vorgelegt hatte, wandte
sich dieses mit Schreiben vom 09.05.2008 an die Beklagte und führte aus, dass diese
für die Gewährung der von S. benötigten stationären Jugendhilfe örtlich zuständig sei.
Die Klägerin sei nach § 86 d SGB VIII nur vorläufig tätig geworden und die
entstandenen Kosten seien von der Beklagten nach § 89 c SGB VIII zu erstatten. Die
Beklagte antwortete unter dem 03.06.2008 und verwies auf ihr Schreiben vom
07.08.2006.
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Die Klägerin hat am 18.12.2009 Klage erhoben. Sie trägt vor, dass sie seit dem
09.09.2006 vorläufig gemäß § 86 d SGB VIII stationäre Hilfe zur Erziehung für S.
erbringe, weil die Beklagte sich trotz ihrer örtlichen Zuständigkeit für den Hilfefall, die
aus § 86 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII folge, weigere, die Hilfeleistung zu übernehmen.
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Maßgeblich für die Zuständigkeitsbestimmung sei, dass die Elternteile verschiedene
gewöhnliche Aufenthalte hätten und das S. seinen gewöhnlichen Aufenthalt vor Beginn
der Leistung bei seinem Vater in I. gehabt habe. Die Kindesmutter habe sich am
23.11.2005 schriftlich damit einverstanden erklärt, dass S. dauerhaft im Haushalt des
Vaters verbleibe. S. habe sich zwar immer wieder auch bei seiner Mutter in E.
aufgehalten, doch habe es sich hierbei um Besuchskontakte gehandelt. Ein dauerhafter
Verbleib von S. in E. sei von den Elternteilen zu keiner Zeit beabsichtigt oder geplant
gewesen. Auch die Unterbrechung der Hilfeleistung in dem Zeitraum vom 13.11.2006
bis zum 02.03.2007 ändere nichts an der Tatsache der örtlichen Zuständigkeit der
Beklagten.
Die Klägerin beantragt,
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1. die Beklagte zu verurteilen, ihr - der Klägerin - die in dem Hilfefall S. in der Zeit vom
09.09.2006 bis 13.11.2006 und in der Zeit vom 01.03.2007 bis 31.10.2009 angefallenen
Jugendhilfekosten in Höhe von 151.182,38 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 18.12.2009 zu erstatten und
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2. die Beklagte zu verurteilen, ihr - der Klägerin - die in dem Hilfefall S. ab dem
01.11.2009 bis zur Übernahme des Jugendhilfefalles durch die Beklagte entstehenden
Kosten in Höhe von 154,00 EUR Pflegesatz täglich zuzüglich 1,34 EUR
Bekleidungsgeld täglich zuzüglich 56,10 EUR Taschengeld monatlich abzüglich
Kindergeld in der gesetzlichen Höhe monatlich zu erstatten.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung ihres Antrags macht die Beklagte geltend, dass die Klägerin die
stationäre Jugendhilfe für S. im November 2005 keinesfalls hätte einstellen dürfen.
Daher hätte es auch für die weitere Gewährung von Jugendhilfe keiner neuen
Zuständigkeitsprüfung bedurft. Noch in dem Hilfeplangespräch vom 05.12.2005 seien
die Beteiligten überein gekommen, dass ein weiterer Verbleib von S. in der Einrichtung
auf Grund seiner akuten rückläufigen Entwicklung einhergehend mit Selbst- und
Fremdgefährdung notwendig sei. Außerdem habe man prognostiziert, dass eine
Beendigung der Hilfe nicht absehbar sei. Daher hätte die Einstellung der Hilfe im
November 2005 und die Entlassung des Kindes in den Haushalt des Vaters keinesfalls
vorgenommen werden dürfen. Bei dieser Sachlage komme es nach der Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit auf eine
Gesamtbetrachtung der gewährten Jugendhilfe an. Hiervon abgesehen müsse nach den
vorliegenden Fakten davon ausgegangen werden, dass S. seinen gewöhnlichen
Aufenthalt im Zeitpunkt vor Beginn der Hilfe im September 2006 bei seiner Mutter in E.
gehabt habe, denn in deren Wohnung habe er sich überwiegend aufgehalten.
Schließlich stehe der Klageforderung die Regelung in § 111 SGB X entgegen. Die
Klägerin habe zu keinem Zeitpunkt bekannt gegeben, dass sie für S. auch nach dem
27.09.2006 stationäre Jugendhilfe erbracht habe. Auch in dem Schreiben vom
09.05.2008 habe die Klägerin einen Zeitraum der Hilfegewährung nicht genannt und
insbesondere die Wiederaufnahme der Hilfe nicht mitgeteilt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten
im übrigen wird auf den Inhalt der Verfahrensakte sowie der beigezogenen
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Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
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Die Klage hat keinen Erfolg.
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Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte aus § 89 c Abs. 1 Satz 2 des
Sozialgesetzbuches - 8. Buch: Kinder- und Jugendhilfe - (SGB VIII) auf Erstattung der in
dem Hilfefall S. in der Zeit ab dem 09.09.2006 aufgewandten Jugendhilfekosten.
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Gemäß § 89 c Abs. 1 Satz 2 SGB VIII sind Kosten, die ein örtlicher Träger im Rahmen
einer Verpflichtung nach § 86 d SGB VIII aufgewendet hat, von demjenigen örtlichen
Träger zu erstatten, dessen Zuständigkeit durch den gewöhnlichen Aufenthalt nach §§
86, 86 a und 86 b SGB VIII begründet wird. § 86 d SGB VIII betrifft die Verpflichtung zum
vorläufigen Tätigwerden desjenigen Jugendhilfeträgers, in dessen Bereich sich das
Kind oder der Jugendliche tatsächlich aufhält. Diese Verpflichtung zum vorläufigen
Tätigwerden tritt ein, wenn die örtliche Zuständigkeit nicht feststeht oder wenn der
zuständige örtliche Träger nicht tätig wird.
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Hier ist die Klägerin aber bei der Gewährung der stationären Jugendhilfe für S. ab dem
09.09.2006 nicht auf der Grundlage des § 86 d SGB VIII wegen der Untätigkeit des
tatsächlich zuständigen örtlichen Trägers aktiv geworden. Die Prüfung der örtlichen
Zuständigkeit ergibt vielmehr, dass diese gemäß § 86 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII bei der
Klägerin selbst lag.
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§ 86 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII setzt voraus, dass die gemeinsam sorgeberechtigten
Elternteile schon im Zeitpunkt des Beginns der Leistung verschiedene gewöhnliche
Aufenthaltsorte haben und dass das Kind vor Beginn der Leistung seinen gewöhnlichen
Aufenthalt bei einem der beiden Elternteile hatte. Der Aufenthaltsort dieses Elternteils ist
dann für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit maßgeblich.
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Nach dem auch im Jugendhilferecht anzuwendenden § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I hat
jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die
erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend
verweilt. Entscheidend ist, ob die Absicht besteht, einen bestimmten Ort bis auf weiteres,
also nicht nur vorübergehend oder besuchsweise, zum Mittelpunkt der
Lebensbeziehungen zu machen, und ob diese Absicht auch verwirklicht wird. Bei einem
Minderjährigen kommt der Festlegung des Aufenthaltsorts durch den zur Bestimmung
des Aufenthaltsorts Berechtigten maßgebliche Bedeutung zu, hinter der der Wille des
Minderjährigen, sich tatsächlich an einem anderen Ort aufzuhalten, zurücktritt. Der
Versuch des Minderjährigen, etwa durch Entweichen aus dem Elternhaus sich der
Bestimmung seines Aufenthaltes durch den Personensorgeberechtigten zu entziehen,
führt daher erst dann zur Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts des
Minderjährigen an seinem tatsächlichen Aufenthaltsort, wenn der
Personensorgeberechtigte sein Bemühen aufgibt, seine Aufenthaltsbestimmung
durchzusetzen, und es dem Minderjährigen gelingt, für einen erheblichen Zeitraum den
eigenen Willen zu verwirklichen.
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Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom
13.06.2002 - 12 A 3177/00 -, JURIS; Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom
15.05.1986 - 5 C 68/84 -, in: BVerwG-Entscheidungen (BVerwGE) 74, S. 206 (208 f.).
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Ausgehend hiervon hatte S. nach der Beendigung der stationären Jugendhilfe im
November 2005 zunächst einen gewöhnlichen Aufenthalt in I. im Haushalt seines
Vaters begründet. Denn die Eltern hatten im November 2005 gemeinsam beschlossen,
dass S. zukünftig bei seinem Vater in I. leben und dort erzogen werden sollte. Dies
ergibt sich aus den Aussagen der Eltern anlässlich der Hilfeplanung vom 23.11.2005
sowie aus der schriftlichen Erklärung, die die Mutter an diesem Tag abgegeben hat und
in der sie ausdrücklich ihre Zustimmung dazu gibt, dass ihr Sohn S. dauerhaft in den
Haushalt des Vaters nach I. wechselt. Dieser Übereinkunft der Eltern entsprechend ist
S. dann im November 2005 nach I. zu seinem Vater gezogen und hat dort eine Schule
für Erziehungshilfe besucht.
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In der Folgezeit hielt er sich dann aber tatsächlich immer häufiger bei seiner Mutter in E.
auf, ohne dass die Eltern etwas unternahmen, um die Übereinkunft durchzusetzen, die
sie im November 2005 hinsichtlich von S. gewöhnlichem Aufenthalt in I. getroffen hatten.
Im Gegenteil hatte sich bei dem Vater zunehmend die Erkenntnis durchgesetzt, dass ein
weiterer Verbleib von S. bei ihm in I. nicht möglich war. Zum Ausdruck kommt dies in
den Erklärungen, die der Vater am 04.05.2006 vor dem Jugendamt I. und am 28.07.2006
vor dem Jugendamt E. abgab. Danach gab es einen unüberwindlichen Konflikt
zwischen S. und der Ehefrau des Vaters. S. lehnte ein Zusammenleben mit dieser Frau
in einem Haushalt ab und er hatte einen Verbleib in I. davon abhängig gemacht, dass
der Vater sich von seiner Ehefrau trenne. Dies aber kam für den Vater nicht in Frage.
Der Vater hatte ferner wegen der vielfältigen, im Zusammenleben mit S. aufgetretenen
Probleme die Wiederaufnahme von S. in eine stationäre Jugendhilfemaßnahme
beantragt. Diese Probleme betrafen auch den Besuch der I. Schule für Erziehungshilfe,
den S. eigenmächtig immer weiter reduzierte und schließlich ganz einstellte, bis das
Schulamt I. mit Bescheid vom 03.07.2006 das Ruhen der Schulpflicht aussprach. Mit
Blick auf diese in I. aufgetretenen schulischen und häuslichen Konflikte waren die
Beziehungen von S. zu diesem Ort, die im November 2005 die Grundlage für die
Übereinkunft seiner Eltern gebildet hatten, praktisch vollständig entfallen. Eine
zusätzliche Bestätigung hierfür ergibt sich aus Aussagen, die die E1. Polizei im Juli
2006 im Zusammenhang mit einem Einsatz in der Wohnung von Roberts Mutter in E.
aufnahm. Ausweislich der Protokolle der Polizei hatte die Mutter angegeben, dass sich
S. seit Februar 2006 ganz überwiegend in E. aufhielt. Ein als Zeuge gehörter Nachbar
der Mutter bestätigte dies, indem er angab, dass S. seit Januar hauptsächlich in E. bei
der Mutter gewesen sei.
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Trotz dieser Entwicklungen, die sich nach der Übereinkunft der von Roberts Eltern im
November 2005 hinsichtlich seines Aufenthalts ergeben hatten, haben die Eltern keinen
Versuch unternommen, eine neue Übereinkunft darüber zu treffen, wo S. seinen
gewöhnlichen Aufenthaltsort haben soll. Offenbar aus der Erkenntnis fehlender
Einflussmöglichkeiten heraus haben sie nichts dagegen unternommen, dass er sich
ganz überwiegend in E. bei seiner Mutter aufhielt. Vor diesem Hintergrund gewann S.
eigener Wille für die Bestimmung seines gewöhnlichen Aufenthaltsortes zunehmend an
Bedeutung.
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Legt man ausgehend hiervon S. eigene Willensentschließung und sein eigenes
Verhalten zu Grunde, so ist festzustellen, dass er jedenfalls ab Februar 2006 einen
gewöhnlichen Aufenthalt in E. bei seiner Mutter hatte. Er hat sich in E. nicht nur
vorübergehend oder besuchsweise, sondern ab Februar 2006 dauerhaft mit nur kurzen
Unterbrechungen aufgehalten und hat diese Stadt zum Mittelpunkt seiner
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Lebensbeziehungen gemacht. Der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts in E.
steht nicht entgegen, dass sowohl S. selbst als auch seine Eltern eine neue stationäre
Maßnahme wünschten. Denn zur Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts ist ein
dauerhafter oder längerer Verbleib nicht erforderlich. Daher kann von einem Aufenthalt
"bis auf weiteres" auch dann gesprochen werden, wenn schon im Zeitpunkt der
Aufenthaltsnahme feststeht, dass eine stationäre Hilfemaßnahme notwendig ist und
diese bald eingeleitet werden soll.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 07.11.2003 - 12 A 3187/01 -, in: FEVS 55, S. 495 f..
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Mit Rücksicht auf diese Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts durch S. in E. steht
fest, dass die Klägerin die Hilfe zur Erziehung ab dem 09.09.2006 als gemäß § 86 Abs.
2 Satz 2 SGB VIII örtlich zuständige Trägerin der Jugendhilfe erbracht hat. Eine auf § 89
d SGB VIII begründete Erstattungspflicht der Beklagten scheidet daher aus.
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An dieser örtlichen Zuständigkeit der Klägerin hat sich auch nachfolgend nichts
geändert. Zwar ergaben sich in der Leistungsgewährung mehrere Unterbrechungen, die
auf die Schwierigkeiten zurückzuführen waren, eine für das bei S. gegebene
Störungsbild geeignete stationäre Heimeinrichtung zu finden. Dennoch ist von einer
einheitlichen Jugendhilfemaßnahme auszugehen, weshalb nach den
Leistungsunterbrechungen keine neue Prüfung der örtlichen Zuständigkeit zu erfolgen
hatte. Denn der im September 2006 eingeleitete Hilfeprozess zielte von Anfang an auf
die Abdeckung eines einheitlichen und während der Dauer der Maßnahme im
wesentlichen unverändert fortbestehenden Hilfebedarfs ab.
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Vgl. hierzu: BVerwG, Urteil vom 29.01.2004 - 5 C 9/03 -, in: FEVS 55, S. 310 f.
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Selbst wenn man sich aber auf den Standpunkt stellte, dass zumindest nach der über
dreimonatigen Hilfeunterbrechung vom 27.11.2006 bis zum 01.03.2007 eine
Neubestimmung der örtlichen Zuständigkeit hätte erfolgen müssen, so hätte eine solche
Neubestimmung wiederum zur örtlichen Zuständigkeit der Klägerin geführt. S. hielt sich
nämlich während dieser Hilfeunterbrechung ebenfalls in E. bei seiner Mutter auf.
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Die Klage ist daher mit der sich aus § 154 Abs. 1 VwGO ergebenden Kostenfolge
abzuweisen. Die übrigen Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 167 der
Zivilprozessordnung (ZPO) in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Ferner hat die Kammer ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter
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beschlossen:
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Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes (GKG) auf
205.929,98 EUR festgesetzt, weil dies der Höhe der von der Klägerin in dem Hilfefall S.
bis zum 01.11.2010 aufgewandten Kosten entspricht.
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