Urteil des VG Arnsberg vom 28.11.2001

VG Arnsberg: sozialhilfe, klinikum, schutzwürdiges interesse, medizinische betreuung, unterbringung, schiedsstelle, gefahr, unzumutbarkeit, wirtschaftlichkeit, satzung

Verwaltungsgericht Arnsberg, 9 K 1248/00
Datum:
28.11.2001
Gericht:
Verwaltungsgericht Arnsberg
Spruchkörper:
Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 K 1248/00
Tenor:
1. Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin für die Zeit vom 1. Januar
1995 bis zum 31. Juli 2001 Hilfe zur Pflege durch Übernahme der
Kosten der Unterbringung, Pflege und Betreuung in den Einrichtungen
der Klinik X. zu gewähren, und zwar für die Zeit vom 1. Januar 1995 bis
zum 31. Dezember 1995 in Höhe von 253,64 DM täglich, vom 1. Januar
1996 bis zum 31. Dezember 1999 in Höhe von 263,61 DM täglich, vom
1. Januar 2000 bis zum 31. Dezember 2001 in Höhe von 255,74 DM
täglich, jeweils abzüglich geleisteter Abschlagszahlungen des
Beklagten.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten
nicht erhoben werden.
T a t b e s t a n d :
1
Die im Jahre 1921 geborene Klägerin lebt seit 1932 wegen einer Geistesschwäche und
psychischen Erkrankung in Anstalten. Seit 1948 ist sie in den "X. 'schen Anstalten",
deren Trägerin seit 1993 die "Klinikum X. " ist, in T. untergebracht. Sie erhält dort Hilfe
zur Pflege in einer offenen Abteilung des Langzeitbereichs.
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Aufgrund einer Kostenzusage aus dem Jahre 1976 übernahm der sachlich zuständige
Träger der Sozialhilfe, handelnd durch den Beklagten als örtlich zuständigem Träger der
Sozialhilfe, die Kosten in der Vergangenheit aus Sozialhilfemitteln entweder aufgrund
von Abschlagszahlungen oder entsprechend dem zwischen dem Einrichtungsträger und
dem Land Niedersachsen vereinbarten Pflegesatz. Die Schiedsstelle nach § 94 des
Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) für das Land Niedersachsen beim
Niedersächsischen Sozialministerium setzte für das Jahr 1995 den vorläufigen
Pflegesatz auf 187,56 DM (180,20 DM je Pflegetag und 7,36 DM für die medizinische
Betreuung je Pflegetag), für die Zeit ab dem 1. März 1996 auf vorläufig 190,90 DM pro
Pflegetag fest. Für den Zeitraum vom 28. November 1997 bis 31. Dezember 1997
erfolgte eine Festsetzung durch die Schiedsstelle auf einen Betrag von 192,81 DM pro
Pflegetag; ab dem 1. Januar 1998 gilt ein vorläufiger Pflegesatz von täglich 194,72 DM.
Eine rechtskräftige Entscheidung über die Höhe der Pflegesätze für die Zeit ab 1995 ist -
3
soweit ersichtlich - noch nicht erfolgt.
Mit Unterbringungs- und Versorgungsvertrag vom 3. August 1995 vereinbarte die
Klägerin mit dem Klinikum X. ein heimtägliches Entgelt von 253,64 DM, für die Zeit ab
dem 1. Januar 1996 bis zum 31. Dezember 1999 wurde ein tägliches Heimentgelt in
Höhe von 263,61 DM vereinbart, ab dem 1. Januar 2000 wurde der tägliche Pflegesatz
auf 255,74 DM reduziert. Auf der Grundlage der vereinbarten Heimentgelte übersandte
das Klinikum X. der Klägerin ab 1996, jeweils zu Beginn eines Jahres, Rechnungen für
das zurückliegende Jahr unter Berücksichtigung der vom Beklagten getätigten
Abschlagszahlungen.
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Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 19. November 1999 wies die
Klägerin darauf hin, dass zwischen ihr und dem Klinikum X. ein heimvertragliches
Entgelt von 253,64 DM für das Jahr 1995 und für die Zeit ab 1. Januar 1996 in Höhe von
263,61 DM vereinbart worden sei. Hierauf seien lediglich Abschläge in Höhe von
148,40 DM für die Zeit vom 1. Januar 1995 bis 29. Februar 1996, in Höhe von 190,90
DM für die Zeit vom 1. März 1996 bis 27. November 1997, in Höhe von 192,81 DM für
die Zeit vom 28. November 1997 bis 31. Dezember 1997 und in Höhe von 194,72 DM
seit dem 1. Januar 1998 gezahlt worden. Die Klägerin begehrte die Übernahme des
vereinbarten Heimentgeltes abzüglich der geleisteten Abschläge sowie Ausgleich der
aufgelaufenen Rückstände. Zur Begründung verwies sie auf eine Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Oktober 1994 - 5 C 28.91 - sowie Entscheidungen
des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom 29. Januar 1999 - 6 A 8/95 - und des
Verwaltungsgerichts Münster vom 19. April 1999 - 5 K 1549/95 -. Auf dieses Schreiben
reagierte der Beklagte nicht.
5
Am 31. März 2000 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung macht sie unter
Hinweis auf weitere gerichtliche Entscheidungen geltend, dass der Sozialhilfeträger
verpflichtet sei, das zwischen ihr und dem Klinikum X. vereinbarte Heimentgelt in voller
Höhe zu übernehmen. Zwischen der Behinderteneinrichtung Klinikum X. und dem O.
Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben als dem zuständigen überörtlichen Träger der
Sozialhilfe sei es seit 1994 zu keinen Vereinbarungen nach § 93 BSHG mehr
gekommen. Trotz des Nichtvorliegens einer Pflegesatzvereinbarung sei der Beklagte
als örtlich zuständiger Sozialhilfeträger zur Übernahme des vereinbarten Heimentgelts
in Entsprechung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts am 20. Oktober
1994 dann verpflichtet, wenn er der Klägerin eine gleichermaßen geeignete,
kostengünstigere und zumutbare alternative Unterbringungsmöglichkeit konkret nicht
angeboten habe. Die §§ 93 ff. BSHG regelten lediglich das Rechtsverhältnis zwischen
der Einrichtung und dem Sozialhilfeträger, ließen aber die individualrechtlichen
Ansprüche des einzelnen Hilfebedürftigen auf Sozialhilfe unberührt.
6
Die Klägerin beantragt,
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den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin Sozialhilfe durch Übernahme des vollen,
von ihr mit der Klinikum X. vereinbarten Heimentgeltes von pflegesatztäglich DM 253,64
für das Jahr 1995, DM 263,61 ab dem 1. Januar 1996 bis 31. Dezember 1999, DM
255,74 ab dem 1. Januar 2000 bis einschließlich 31. Juli 2001 abzüglich geleisteter
Abschläge zu gewähren.
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Der Beklagte beantragt,
9
die Klage abzuweisen.
10
Zur Begründung trägt er vor, dass das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.
Oktober 1994 auf der seinerzeit gültigen Fassung des § 93 BSHG basiere, diese
Vorschrift jedoch mittlerweile in wesentlichen Punkten geändert worden sei. Ferner
verweist er auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 4. Juni
1998 - 3 A 3051/95 -.
11
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der
Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
13
Die Klage ist gemäß § 75 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) als
Verpflichtungsklage in Form der Untätigkeitsklage zulässig. Dies gilt für den Zeitraum
vom 1. Januar 1995 bis zu einem drei Monate vor der mündlichen Verhandlung
liegenden Zeitraum (hier: 31. Juli 2001). Der Klägervertreter hat in der mündlichen
Verhandlung die Klage, die sich zunächst zulässigerweise nur auf einen Zeitraum
richtete, der mehr als drei Monate vor Klageerhebung lag, gemäß § 91 VwGO mit
Einwilligung der Beklagtenvertreterin dahin erweitert, dass er auch weitere, während der
Dauer des Klageverfahrens abgelaufene Zeiträume erfassen will.
14
Vgl. zu dieser Problematik: Oberverwaltungsgericht Münster (OVG NW), Beschluss vom
27. Mai 1994 - 24 E 908/93 -, Fürsorgerechtliche Entscheidungen der Verwaltungs- und
Sozialgerichte (FEVS) 45, S. 377; Verwaltungsgerichtshof Baden- Württemberg,
Beschluss vom 16. November 1995 - 6 S 3171/94 -, Verwaltungsblätter Baden-
Württemberg 1996 S. 150.
15
Die Frist, vor deren Ablauf nach § 75 Satz 2 VwGO nicht zulässigerweise Klage
erhoben werden kann, war im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung für den
vorgenannt skizzierten Zeitraum verstrichen. Denn der Beklagte hat über den mit
Schreiben vom 19. November 1999 gestellten Antrag der Klägerin, ihr Sozialhilfe in
Höhe der mit dem Einrichtungsträger vereinbarten Pflegesätze zu gewähren, ohne
zureichenden Grund nicht entschieden.
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Die Klage ist gegen die nach § 78 Abs. 1 Ziffer 2 VwGO in Verbindung mit § 5 Abs. 2
des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung (AG VwGO) zuständige
Behörde gerichtet. Denn gemäß der Satzung des M. über die Heranziehung der
örtlichen Träger der Sozialhilfe zur Durchführung von Aufgaben des überörtlichen
Trägers der Sozialhilfe vom 10. Juli 1974 führt der Beklagte als örtlicher Träger der
Sozialhilfe gemäß § 1 Ziffer 1 der Satzung die Hilfe zur Pflege einschließlich der
Leistungen gemäß § 100 Abs. 2 BSHG durch und entscheidet im eigenen Namen.
17
Für die Klage besteht im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auch
das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Dies ist dann gegeben, wenn der jeweilige
Kläger ein schutzwürdiges Interesse an der begehrten Entscheidung des Gerichts hat
und das Gericht nicht für unnütze oder unlautere Zwecke in Anspruch nimmt.
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Vgl. Kopp, VwGO, Vorbemerkung vor § 40 Rdziff. 30 m.w.N..
19
Der sozialhilferechtliche Bedarf der Klägerin, der auf die Hilfe zur Pflege in einer
Einrichtung gerichtet ist, ist im maßgeblichen Zeitpunkt zwar tatsächlich gedeckt worden
und seit Jahrzehnten aufgrund der tatsächlichen Zahlung bzw. abschlagsweisen
Zahlung der anerkannten Pflegesätze auch gesichert. Die Gefahr des Verlustes des
Heimplatzes besteht für die Klägerin nicht, von dem Heimträger wird auch die
zivilrechtliche Durchsetzung der behaupteten Ansprüche aus dem Unterbringungs- und
Versorgungsvertrag nicht betrieben.
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Es ist vorliegend aber ausreichend, dass die Klägerin einen Rechtsanspruch auf
Übernahme der von ihr - nach ihrem Vorbringen - eingegangenen privatrechtlichen
Verpflichtungen gegenüber dem Heimträger im Wege der Verpflichtungsklage geltend
macht und das Bestehen des behaupteten Anspruchs möglich ist.
21
Die Klage ist begründet. Die Klägerin kann gegenüber dem Beklagten beanspruchen,
dass die Kosten ihrer Unterbringung und Betreuung in dem Klinikum X. für die Zeit vom
1. Januar 1995 bis zum 31. Juli 2001 in der mit dem Einrichtungsträger vereinbarten
Höhe abzüglich der vom Beklagten geleisteten Zahlungen übernommen werden.
22
Für den Zeitraum vom 1. Januar 1995 bis zum 31. Dezember 1998 ergibt sich der
Anspruch der Klägerin aus § 68 Abs. 1 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) in
Verbindung mit § 93 Abs. 2 Satz 1 BSHG in der Fassung der Bekanntmachung vom 23.
März 1994 (BGBl I S. 646, 662). Nach dieser Vorschrift ist der Träger der Sozialhilfe zur
Übernahme von Aufwendungen für die Hilfe in einer Einrichtung nur verpflichtet, wenn
mit dem Träger der Einrichtung oder seinem Verband eine Vereinbarung über Inhalt,
Umfang und Qualität der Leistungen sowie über die dafür zu entrichtenden Entgelte
besteht; in anderen Fällen soll er die Aufwendungen übernehmen, wenn dies nach der
Besonderheit des Einzelfalles geboten ist. Für den vorgenannten Zeitraum ist eine
Vereinbarung zwischen dem Träger der Sozialhilfe und dem Träger der Einrichtung
nicht abgeschlossen worden; es ist auch für die Zeit davor weder eine Vereinbarung
geschlossen noch eine Entscheidung der Schiedsstelle getroffen worden, die nach § 93
Abs. 4 Satz 4 BSHG in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. März 1994 fortgelten
könnte.
23
Vgl. hierzu: VG Braunschweig, Urteil vom 4. Juni 1998 - 3 A 3051/95 -.
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Mangels bestehender Vereinbarung zwischen dem Träger der Sozialhilfe und dem
Träger der Einrichtung sind die Aufwendungen nach § 93 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz
BSHG nur dann zu übernehmen, wenn dies nach den Besonderheiten des Einzelfalles
geboten ist. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Das
Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 20. Oktober 1994 - 5 C 28.91 - zu §
93 Abs. 2 Satz 1 BSHG in der bis zum 30. Juni 1994 geltenden Fassung maßgeblich
darauf abgestellt, dass § 93 Abs. 2 BSHG das Vorhandensein einer Alternative zur
Deckung des sozialhilferechtlichen Bedarfs voraussetzt. Hieraus folgert das
Bundesverwaltungsgericht, dass die Übernahme der Kosten einer Heimunterbringung
unter Berufung auf die Unvereinbarkeit des Heimentgeltes mit den Grundsätzen der
Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit oder Leistungsfähigkeit (§ 93 Abs. 2 Satz 2 BSHG
Fassung 1984) nur abgelehnt werden dürfe, wenn der Sozialhilfeträger dem
Hilfesuchenden eine konkrete, zur Behebung seiner Notlage ebenfalls geeignete
anderweitige Hilfemöglichkeit nachweise und wenn dem Hilfesuchenden die
Wahrnehmung dieser Möglichkeit auch zuzumuten sei.
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Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 20. Oktober 1994 - 5 C 98.91 -,
Fürsorgerechtliche Entscheidungen der Verwaltungs- und Sozialgerichte (FEVS) 45, S.
353 ff..
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Entgegen der Auffassung des Beklagten ist an dieser Auslegung auch für den
streitbefangenen Zeitraum bis zum 31. Dezember 1998 festzuhalten. Der Wegfall des
Wunschrechts des Hilfeempfängers in der seit dem 1. Juli 1994 geltenden Neufassung
des § 93 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz BSHG lässt die Verpflichtung des Trägers der
Sozialhilfe, dem Hilfesuchenden unter dem Gesichtspunkt des sozialhilferechtlichen
Bedarfsdeckungsgrundsatzes die Leistung zu gewähren, die zur Behebung der Notlage
notwendig ist, nicht entfallen. Es gilt auch weiterhin, dass einem Hilfesuchenden das
aus sozialhilferechtlicher Sicht Benötigte zu gewähren ist und dass auch das Gebot der
Sparsamkeit diesen Grundsatz zu beachten hat. Hieraus folgt für den skizzierten
Zeitraum, dass der Träger der Sozialhilfe die Übernahme tatsächlich entstandener
notwendiger Kosten nur dann ablehnen darf, wenn er eine kostengünstigere
Unterbringungsalternative anbieten kann und dem Hilfeempfänger zugemutet werden
kann, in diese andere Einrichtung zu wechseln.
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Vgl. hierzu: Verwaltungsgericht Münster, Urteil vom 19. April 1999 - 5 K 1549/95 -.
28
Der Beklagte hat der Klägerin bereits nicht angeboten, Hilfe zur Pflege in einer anderen
als der von ihr besuchten Einrichtung in Anspruch zu nehmen; es ist auch nicht
erkennbar, dass eine andere geeignete Einrichtung die Unterbringung und Betreuung
der Klägerin hätte übernehmen können. Der Klägerin konnte darüber hinaus ein
Wechsel der Einrichtung im streitbefangenen Zeitraum nicht zugemutet werden. Die
Zumutbarkeit eines Heimwechsels kann nach der Besonderheit des Einzelfalles vom
Gesundheitszustand des Hilfeempfängers, seinem Alter, der Intensität und dem Ausmaß
seiner durch die bisherige Dauer des Aufenthalts im Heim erzielten Integration und der
Gefahr einer ernsthaften Verschlechterung seines psychischen Zustandes als Folge
eines Heimwechsels und eines Wechsels seines persönlichen Umfelds abhängen.
29
Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 1994 - 5 C 28.91 -, aa0..
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Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der Klägerin ein Heimwechsel nicht zuzumuten.
Sie ist mittlerweile 80 Jahre alt und hält sich seit mehr als 50 Jahren in der Einrichtung
in T. auf. Unter Beachtung ihres fortgeschrittenen Alters und der Dauer ihres bisherigen
Aufenthaltes, kommt für sie ein Heimwechsel nicht in Betracht.
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Dem Anspruch der Klägerin auf Übernahme des mit dem Einrichtungsträger
vereinbarten Heimentgelts steht für das Jahr 1995 auch nicht entgegen, dass dem
Beklagten erstmals mit der Rechnung vom 8. Januar 1996 Kenntnis darüber verschafft
worden sein dürfte, dass von seiten des Einrichtungsträgers für die Unterbringung und
Betreuung der Klägerin ein Tagespflegesatz in der vorliegend geltend gemachten Höhe
zugrundegelegt wurde. Dieser Umstand betrifft lediglich die Höhe der für ihre
Unterbringung und Betreuung erforderlichen Aufwendungen, lässt aber im Übrigen ihren
sozialhilferechtlichen Bedarf, der in der sozialhilferechtlichen Gewährung von Hilfe zur
Pflege zu sehen ist, unberührt. Der zu deckende Bedarf der Klägerin an Hilfe zur Pflege
besteht in der Bereitstellung bzw. Übernahme der für ihre Unterbringung, Betreuung und
Versorgung im Klinikum X. benötigten finanziellen Mittel, wie sie sich aus den zwischen
der Klägerin und dem Einrichtungsträger geschlossenen Unterbringungs- und
Versorgungsvertrag ergeben. Es fehlen hinreichende Anhaltspunkte, die Anlass geben,
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an der Wirksamkeit dieses Vertragswerkes vom 3. August 1995 zu zweifeln. Allein der
Umstand, dass der Einrichtungsträger bisher gegen die Klägerin nicht zivilrechtlich
vorgegangen ist, rechtfertigt eine derartige Annahme nicht. Denn angesichts der
Einkommens- und Vermögenslosigkeit der Klägerin erschiene ein derartiges Vorgehen
von seiten des Einrichtungsträgers wenig sinnvoll. Es ist auch nicht ersichtlich, dass das
vereinbarte Heimentgelt betragsmäßig unter den Vorbehalt gestellt wurde, dass nur der
Pflegesatz zu zahlen ist, zu deren Zahlung der Sozialhilfeträger eventuell durch
verwaltungsgerichtliche Entscheidung verpflichtet wird bzw. sich verpflichtet. Die
Kammer sieht sich auch nicht in der Lage, die Höhe des vereinbarten Heimentgelts in
Zweifel zu ziehen, da - soweit ersichtlich - eine Beanstandung des vereinbarten
Heimentgelts auf der Grundlage des Heimgesetzes bisher weder durch den Beklagten
noch durch einen Dritten erfolgt ist.
Für die Zeit ab dem 1. Januar 1999 kann die Klägerin ebenfalls die Übernahme des
vollen Heimentgelts durch den Beklagten beanspruchen. Anspruchsgrundlage sind
insoweit § 68 Abs. 1 BSHG iVm § 93 Abs. 3 BSHG in der seit dem 1. Januar 1999
gültigen Fassung. Danach kann der Träger der Sozialhilfe, wenn eine der in § 93 Abs. 2
BSHG genannten Vereinbarungen nicht abgeschlossen ist, Hilfe durch diese
Einrichtung nur gewähren, wenn dies nach der Besonderheit des Einzelfalles geboten
ist (Satz 1). Hierzu hat der Träger der Einrichtung ein Leistungsangebot vorzulegen, das
die Voraussetzungen des § 93 a Abs. 1 BSHG erfüllt, und sich schriftlich zu verpflichten,
Leistungen entsprechend diesem Angebot zu erbringen (Satz 2). Vergütungen dürfen
nur bis zu der Höhe übernommen werden, die der Sozialhilfeträger am Ort der
Unterbringung oder in seiner nächsten Umgebung für vergleichbare Leistungen nach
den nach Abs. 2 geschlossenen Vereinbarungen mit anderen Einrichtungen trägt (Satz
3). Für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Leistungen gelten die
Vereinbarungsinhalte des Sozialhilfeträgers mit vergleichbaren Einrichtungen
entsprechend (Satz 4). Der Sozialhilfeträger hat die Einrichtung über Inhalt und Umfang
dieser Prüfung zu unterrichten (Satz 5).
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Einem Anspruch der Klägerin ab dem 1. Januar 1999 steht zunächst nicht § 3 Abs. 2
Satz 2 BSHG in der seit dem 1. Januar 1999 maßgeblichen Fassung entgegen. Dem
dort normierten Wunschrecht der Heimunterbringung soll zwar u.a. nur entsprochen
werden, wenn mit der Anstalt, dem Heim oder der gleichartigen Einrichtung
Vereinbarungen nach Abschnitt 7 bestehen. Hierauf kommt es aber vorliegend nicht an.
Denn angesichts einer fehlenden Unterkunftsalternative sowie auch der Unzumutbarkeit
eines Heimwechsels ist vorliegend ein Ausnahmefall gegeben. Eine Bindung des
Sozialhilfeträgers besteht daher nicht.
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Im Hinblick auf die fehlende Unterbringungsalternative sowie die bestehende
Unzumutbarkeit eines Heimwechsels ist vorliegend die Hilfe durch die Einrichtung in T.
nach der Besonderheit des Einzelfalles geboten und die Heimpflege der Klägerin durch
diese Einrichtung sicherzustellen. Unter dem Gesichtspunkt des sozialhilferechtlichen
Bedarfsdeckungsgrundsatzes ist es hierzu erforderlich, dass der Sozialhilfeträger das
volle, dem Hilfesuchenden von dem Einrichtungsträger in Rechnung gestellte und von
dem Hilfesuchenden auch geschuldete Heimentgelt übernimmt, ohne dass es darauf
ankommt, ob die in den §§ 93 Abs. 3 Satz 2 bis Satz 5 BSHG normierten weiteren
Voraussetzungen erfüllt sind. Denn diese Bestimmungen regeln ersichtlich das
Verhältnis zwischen dem Träger der Einrichtung und dem Träger der Sozialhilfe, ihnen
kommt aber nicht die Qualität zu, sozialhilferechtliche Individualansprüche eines
Hilfeempfängers anspruchsvernichtend oder - einschränkend einzugrenzen. Denn es
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liegt außerhalb der Möglichkeiten eines Sozialhilfeempfängers, in das Verhältnis
Einrichtungsträger und Sozialhilfeträger einzugreifen, dieses Verhältnis kann er weder
beeinflussen noch gestalten. Es kann daher nicht zu Lasten seines
sozialhilferechtlichen Individualanspruchs gehen, wenn vom Gesetzgeber aufgestellte
Maßstäbe im Verhältnis Sozialhilfeträger und Einrichtungsträger nicht erfüllt sind.
Vgl. hierzu: Verwaltungsgericht Freiburg, Urteil vom 24. Juli 2001 - 8 K 924/00 -.
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Der Umstand, dass der Träger der Einrichtung, in der die Klägerin lebt, und der für diese
Einrichtung zuständige Träger der Sozialhilfe über den Abschluss einer
Pflegesatzvereinbarung streiten, beeinträchtigt ebenfalls die sozialhilferechtlichen
Ansprüche der Klägerin nicht. Denn es ist zwischen den Voraussetzungen für den
Abschluss einer Pflegesatzvereinbarung und den Voraussetzungen für die Bewilligung
von Sozialhilfe zu differenzieren, beide Regelungsbereiche stehen eigenständig
nebeneinander.
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Vgl. hierzu: Verwaltungsgericht Münster, Urteil vom 19. April 1999 - 5 K 1549/95 - unter
Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 1. Dezember 1998 - 5 C 17.97 -.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit des
Verfahrens folgt aus § 188 Satz 2 VwGO.
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Rechtsmittelbelehrung:
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Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zugelassen wird. Die
Zulassung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim
Verwaltungsgericht Arnsberg (Jägerstraße 1, 59821 Arnsberg, Postanschrift:
Verwaltungsgericht Arnsberg, 59818 Arnsberg) zu beantragen. Der Antrag muss das
angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die
Berufung zuzulassen ist, darzulegen.
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Vor dem Oberverwaltungsgericht muss sich jeder Beteiligte, soweit er einen Antrag
stellt, durch einen Rechtsanwalt oder Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule als
Bevollmächtigten vertreten lassen. Das gilt auch für den Antrag auf Zulassung der
Berufung. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich
auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie
Diplomjuristen im höheren Dienst vertreten lassen.
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Der Antragsschrift sollen möglichst Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt
werden.
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