Urteil des VG Aachen vom 08.10.2003

VG Aachen: grundstück, arztpraxis, gemeinde, wohnung, kreis, schwimmbad, ausnahme, winter, vorverfahren, fahrzeugverkehr

Verwaltungsgericht Aachen, 3 K 1207/02
Datum:
08.10.2003
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
3. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 K 1207/02
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Den Klägern werden als Gesamtschuldner die Kosten des Verfahrens
auferlegt mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der
Beigeladenen, die diese selbst zu tragen hat.
T a t b e s t a n d:
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Die Kläger begehren die Aufhebung einer der Beigeladenen erteilten Baugenehmigung
für eine Arztpraxis mit zwei Wohneinheiten, Schwimmbad und acht Stellplätzen.
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Die Kläger und die Beigeladene sind Grundstücksnachbarn.
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Die Beigeladene ist Eigentümerin des G1., das im Flächennutzungsplan als Fläche für
die Land- und Forstwirtschaft dargestellt ist. Es liegt an der ca. vier Meter breiten Straße
"E. ", die halbkreisförmig westlich um den Ortsteil E. verläuft. Östlich der Straße sind
vereinzelt Wohnhäuser, unter anderem dasWohnhaus der Kläger errichtet. Westlich der
Straße sind die Grundstücke bis kurz vor dem Einmündungsbereich zur
Haupterschließungsstraße des Ortsteils unbebaut und als Grünland genutzt. Das
Grundstück der Beigeladenen liegt im Geltungsbereich der Ordnungsbehördlichen
Verordnung über die Landschaftsschutzgebiete im Kreis F. von 12. Dezember 1984 (im
folgenden: Landschaftsschutzverordnung). Die Gemeinde I. hat durch Ratsbeschluss
vom 31. August 2000 ein Verfahren auf Erlass einer Abrundungssatzung gemäß § 34
Abs. 4 des Baugesetzbuches eingeleitet, von dem auch das Grundstück der
Beigeladenen erfasst werden solle. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen.
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Unter dem 06. September 2000 stellte die Beigeladene eine Bauvoranfrage für eine
Arztpraxis mit zwei Wohneinheiten und Schwimmbad von 50 qm auf dem
vorbeschriebenen Grundstück G1. Nachdem die Gemeinde I. ihr Einvernehmen und die
Bezirksregierung L. ihre Zustimmung zu dem Vorhaben erteilt hatten sowie die Untere
Landschaftsbehörde die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung von den
Verbotsvorschriften der Landschaftsschutzverordnung in Aussicht gestellt hatte, erteilte
der Beklagte mit Bescheid vom 23. Januar 2001 den beantragten Bauvorbescheid.
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Unter dem 21. März 2001 beantragte die Beigeladene die Erteilung einer
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Baugenehmigung für eine Arztpraxis für Chirotherapie, Naturheilverfahren und
medizinische Dienste auf ihrem Grundstück. Nach der dem Bauantrag beigefügten
Betriebsbeschreibung sollen insgesamt vier Arbeitnehmer beschäftigt werden. Die
Praxis soll in der Zeit von 9.00 Uhr bis 18.00 Uhr betrieben werden. Die Praxis im
Erdgeschoss hat eine Grundfläche von 129,30 qm und enthält unter anderem ein
Besprechungszimmer und drei Behandlungsräume. Im Erdgeschoss ist eine Wohnung
von 84,2 qm vorgesehen. Im Untergeschoss hat der Schwimmbadbereich eine Größe
von 96,51 qm. Daneben ist eine Wohnung mit einer Wohnfläche von 125,56 qm geplant.
Für das Vorhaben sind insgesamt acht straßennah anzulegende Parkplätze
vorgesehen, von denen sechs auf die Praxis entfallen und zwei weitere für die
Wohneinheiten bestimmt sind.
Die Gemeinde I. erteilte mit Schreiben vom 05. April 2001 ihr Einvernehmen zu dem zur
Genehmigung gestellten Vorhaben. Mit Bescheid vom 04. April 2001 genehmigte die
Abteilung Umwelt und Planung "Team Umweltschutz" für das Vorhaben eine Ausnahme
von den Verbotsvorschriften der Landschaftsschutzgebietsverordnung.
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Mit Bescheid vom 12. April 2001 erteilte der Beklagte der Beigeladenen die
nachgesuchte Baugenehmigung im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach § 68
der Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen.
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Mit dem hiergegen gerichteten Widerspruch machten die Kläger geltend, der Ortsteil E.
sei als reines Wohngebiet einzustufen. Da die chiropraktische Praxis der Beigeladenen
nicht den Bedürfnissen der nur 140 Einwohner des Ortsteils diene, sondern in erster
Linie Patienten aus der weiteren Umgebung, könne sie aus planungsrechtlichen
Gründen auch nicht ausnahmsweise an dem genehmigten Standort zugelassen werden.
Zudem verstoße das Vorhaben gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Auf dem
eigenen Grundstück habe die Beigeladene nicht in ausreichendem Umfang Parkplätze
angelegt, so dass von den auf der Straße parkenden Fahrzeugen von Patienten und
Personal unzumutbare Belästigungen ausgingen. Sie befürchteten eine Erweiterung
des Praxisangebots um Massage und Krankengymnastik im Souterrainbereich der im
Erdgeschoss befindlichen Wohnung, wodurch der Fahrzeugverkehr noch weiter
zunehmen könne.
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Den Widerspruch der Kläger wies die Bezirksregierung L. durch Widerspruchsbescheid
vom 13. Mai 2002 als unbegründet zurück. Das Vorhaben liege innerhalb des im
Zusammenhang bebauten Ortsteils E. der Gemeinde I. . Eine Arztpraxis könne in dem
als allgemeines Wohngebiet zu qualifizierenden Gebiet als Anlage für gesundheitliche
Zwecke ausnahmsweise zugelassen werden.
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Der Kläger haben am 13. Juni 2002 Klage erhoben. Zur Begründung wiederholen und
vertiefen sie ihren Vortrag aus dem Vorverfahren. Sie sind der Auffassung, ihr
Grundstück sei durch den mit dem Betrieb der Arztpraxis verbundenen
Kraftfahrzeugverkehr erheblich entwertet worden. Der fließende Verkehr werde ebenso
wie der Fußgängerverkehr auf der nur vier Meter breiten Straße durch am unbefestigten
Straßenrand parkende Autos stark beeinträchtigt. Räum- und Streudienste könnten im
Winter die Straße nicht im erforderlichen Umfang von Schnee und Eis befreien. Das
Vorhaben der Beigeladenen sei in dem ausschließlich durch Wohnbebauung geprägten
Ortsteil E. auch nicht ausnahmsweise zulässig, weil der ganz überwiegende Teil der
Patienten nicht aus E. komme.
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Die Kläger beantragen,
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die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung des Beklagten vom 12. April 2001 und
den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung L. vom 13. Mai 2002 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung bezieht er sich auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide.
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Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
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Die Berichterstatterin hat als beauftragte Richterin die Örtlichkeit besichtigt. Wegen des
Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift vom 30. Juli 2003 Bezug
genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und der
Bezirksregierung L. verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Die Kläger haben keinen Anspruch auf Aufhebung der der Beigeladenen erteilten
Baugenehmigung des Beklagten vom 12. April 2001 und des Widerspruchsbescheides
der Bezirksregierung L. vom 13. Mai 2002, § 113 Abs. 5 der
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Diese Bescheide verletzen keine
nachbarschützenden Bestimmungen des Bauplanungs- oder Bauordnungsrechts.
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Dabei kann dahinstehen, ob sich die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens
der Beigeladenen nach der Vorschrift des § 34 oder § 35 des Baugesetzbuches
(BauGB) bestimmt, da sich die Kläger als Grundstücksnachbarn ohnehin nur auf eine
mögliche Verletzung des in beiden Vorschriften (gleichermaßen) enthaltenen
drittschützenden Gebots der Rücksichtnahme berufen können. Das
Rücksichtnahmegebot ist verletzt, wenn nach Abwägung der widerstreitenden
Interessen des Bauherrn und des Nachbarn die nachteilige Wirkung des streitigen
Bauwerks dem Nachbarn billigerweise nicht zugemutet werden kann. Eine Verletzung
des Rücksichtnahmegebots kann die Kammer nicht feststellen. Die von den Klägern
beklagten Verkehrsbeeinträchtigungen sind nicht auf eine rechtswidrige
Baugenehmigung, sondern auf ein verkehrswidriges Verhalten der Kraftfahrzeugführer
zurückzuführen. Nach der der Beigeladenen erteilten Baugenehmigung sind sechs
Parkplätze auf dem Baugrundstück vorgesehen. Soweit die Kläger beklagen, diese
Parkplätze würden aus Bequemlichkeit von den Patienten nicht angenommen, kann
dies nicht der Beigeladenen angelastet werden, die Parkplätze auf ihrem Grundstück
vorhält, die nach dem der Kammer vermittelten Ergebnis der Ortsbesichtigung auch
objektiv erreichbar und anfahrbar sind.
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Auch der Einwand der Kläger, der Gebietscharakter des durch reine Wohnbebauung
geprägten des Ortsteils E. werde durch die Zulassung der Arztpraxis zu ihrem Nachteil
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verändert, vermag der Klage nicht zum Erfolg zu verhelfen. Der Sache nach machen die
Kläger damit - zumindest sinngemäß - einen Schutzanspruch auf Bewahrung der
Gebietsart geltend, der über das Rücksichtnahmegebot hinausgeht,
vgl.: Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 16. September 1993 - 4 C 28.01 -,
Baurechtssammlung (BRS) 55 Nr. 110.
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Ein solcher Abwehranspruch wird grundsätzlich bereits durch die Zulassung eines mit
einer faktischen Gebietsausweisung (im Sinne von § 34 Abs. 2 BauGB) seiner Art nach
unvereinbaren Vorhabens ausgelöst, weil hierdurch das nachbarliche
Austauschverhältnis gestört und eine Verfremdung des Gebietes eingeleitet wird,
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vgl.: BVerwG, Urteil vom 16. September 1993, a.a.O.
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Diese Voraussetzungen sind hier aber nicht erfüllt. Zwar entspricht die Ortslage E. , in
der außer dem hier streitgegenständlichen Vorhaben ausschließlich Wohnbebauung
anzutreffen ist, einem reinen Wohngebiet im Sinne von § 3 der Baunutzungsverordnung
(BauNVO). Entgegen der Auffassung der Kläger richtet sich aber die Zulässigkeit des
Vorhabens der Beigeladenen nicht nach der Vorschrift des § 3 Abs. 2 BauNVO, in der
die ausnahmsweise zulässigen Vorhaben geregelt sind, sondern nach der diese
Ausnahmen erweiternden Vorschrift des § 13 BauNVO. Danach sind (unter anderem) in
den Baugebieten nach §§ 2 bis 4 Räume für die Berufsausübung freiberuflich Tätiger
zulässig. Unzweifelhaft gehört der von der Beigeladenen ausgeübte Arztberuf zu den
freiberuflichen Tätigkeiten. Innerhalb eines reinen Wohngebietes können daher Räume
in Gebäuden, hier etwa ein Drittel der Gesamtnutzfläche des zur Genehmigung
gestellten Vorhabens, in zulässiger Weise als Arztpraxis genutzt werden.
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Die Kläger können sich ferner nicht mit Erfolg darauf berufen, das Antragsgrundstück sei
für den umfangreichen Praxisbetrieb der Beigeladenen nicht ausreichend wegemäßig
erschlossen. Denn die Vorschrift des § 4 BauO NW soll ausschließlich im öffentlichen
Interesse eine ordnungsgemäße Benutzung des Baugrundstücks sichern und
ordnungswidrige Zustände verhindern, die durch eine fehlende wegemäßige
Erschließung hervorgerufen werden. Dabei gehören die Grundstücksnachbarn nicht
zum Kreis der durch die Vorschrift des § 4 BauO NW Begünstigten, d.h. diese Vorschrift
ist nicht drittschützend mit der Folge, dass sich die Kläger auf eine behauptete
Verletzung dieser Vorschriften nicht mit Erfolg berufen können,
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vgl. Mampel, Nachbarschutz im öffentlichen Baurecht, Randziffern 1054 bis 1058 mit
zahlreichen Nachweisen zur Rechtsprechung.
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Soweit die Kläger vortragen, Wanderergruppen und Familien mit Kindern würden bei
ihren Spaziergängen durch das Verkehrsaufkommen und ordnungswidrig parkende
Fahrzeuge gestört oder gar gefährdet, machen sie schon keine Verletzung eigener
Rechte geltend.
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Eine etwa von den Klägern befürchtete Erweiterung der Praxis wird von der hier
streitgegenständlichen Baugenehmigung nicht umfasst. Auch insoweit ist eine
Verletzung der Kläger in eigenen Rechten ausgeschlossen.
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Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2, 162 Abs. 3 und
154 Abs. 3 VwGO. Da die Beigeladene keinen Antrag gestellt und sich damit nicht dem
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Risiko ausgesetzt hat, Kosten zu tragen, waren ihre außergerichtlichen Kosten für nicht
erstattungsfähig zu erklären.