Urteil des VG Aachen vom 04.11.2009

VG Aachen (kläger, höhere gewalt, förderung, verordnung, durchführung des gemeinschaftsrechts, gewalt, kommission, nummer, rückforderung, auszahlung)

Verwaltungsgericht Aachen, 6 K 2089/08
Datum:
04.11.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
6. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 K 2089/08
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger
kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in
Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte
zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d:
1
Der Kläger stellte am 21. Juni 2005 Grundantrag auf Förderung der markt- und
standortangepassten Landbewirtschaftung im Rahmen der Modulation in der Form der
Förderung der Weidehaltung von Milchvieh. Er gab dabei an, der durchschnittliche
jährliche Bestand im laufenden Wirtschaftsjahr im Betriebszweig Milchkühe -
Laufstallhaltung - betrage 122 Großvieheinheiten (GVE) . Der Kläger verpflichtete sich in
Ziff. 7 des Grundantrags, die in den Richtlinien über die Gewährung von Zuwendungen
für die Förderung einer markt- und standortangepassten Landbewirtschaftung im
Rahmen der Modulation vom 16. Juli 203 - Az. II-1-72.50.32 - in der für das Antragsjahr
2005 gültigen Fassung genannten Bedingungen einzuhalten, insbesondere die
Verpflichtungen für die Dauer von fünf Jahren, spätestens beginnend mit dem 1. Juli
2005 bis zum 31. Juni 2010. Ziff. 7.1.1 enthält die Verpflichtung, sämtlichen Milchkühen
zwischen dem 1. Juni und dem 1. Oktober - soweit Krankheit oder zu erwartende
Schäden des Tieres dem nicht entgegenstehen - täglich Weidegang mit freiem Zugang
zu einer Tränkvorrichtung zu ermöglichen. In Ziff. 8.3 des Grundantrages erklärte der
Kläger, die aktuell geltenden Richtlinien über die Gewährung von Zuwendungen für die
Förderung einer markt- und standortangepassten Landbewirtschaftung im Rahmen der
Modulation seien ihm bekannt.
2
Mit Zuwendungsbescheid vom 30. Dezember 2005 bewilligte der Beklagte dem Kläger
für die Dauer von fünf Jahren, und zwar für die Zeit vom 1. Juli 2005 bis zum 30. Juni
2010 eine maximale Gesamtzuwendung bis zu 42.700, EUR für die Durchführung der
Maßnahme Förderung der Weidehaltung von Milchvieh auf der Grundlage von 112
GVE, was einer Fläche von 61 Hektar und einer Prämie in Höhe von 140 EUR je Hektar
entspreche. Die jährliche Auszahlung belaufe sich auf maximal 8.540,- EUR. Auf der
Grundlage der Anträge auf Auszahlung sowie der Flächenverzeichnisse zum
Sammelantrag werde die Erfüllung der Zuwendungsvoraussetzungen jeweils neu
geprüft und die jährliche Zuwendung in genauer Höhe abschließend bewilligt. Die vom
3
Kläger im Antrag übernommenen Verpflichtungen und abgegebenen Erklärungen seien
als Nebenbestimmungen Bestandteil des Bescheides und Auflagen im Sinne des § 36
Abs. 2 Nr. 4 VwVfG NRW. Im Falle der Nichteinhaltung von Auflagen könne der
Zuwendungsbescheid ganz oder teilweise und auch mit Wirkung für die Vergangenheit
aufgehoben werden. Dies erfolge in Anwendung der Sanktionsregelung der Nr. 18.14
der Richtlinien. Die zu viel erhaltenen Zuwendungen seien dann zuzüglich Zinsen
zurück zu erstatten. Ferner wurde die Zuwendung für die gesamten fünf Jahre nur unter
der Auflage gewährt, dass der Antragsteller jedes Jahr einen Auszahlungsantrag stellt,
der gleichzeitig als Verwendungsnachweis für das Einhalten der Verpflichtungen dient.
Bereits ausgezahlte Zuwendungen würden für den gesamten Verpflichtungszeitraum
zuzüglich Zinsen zurückgefordert, wenn kein Antrag auf Auszahlung gestellt werde. Am
13. Juli 2006 stellte der Kläger Antrag auf Auszahlung der jährlichen Zuwendung für das
Wirtschaftsjahr 2005/2006. Auf der Grundlage der vom Kläger gemachten Angaben zu
seinem Viehbestand bewilligte der Beklagte dem Kläger mit Auszahlungsbescheid vom
2. November 2006 eine Beihilfe in Höhe von 7.813,40 EUR für 11,62 GVE. Am 2. Juli
2007 stellte der Kläger den Antrag auf Auszahlung der Zuwendung für das
Wirtschaftsjahr 2006/2007. Diese wurde ihm mit Auszahlungsbescheid vom 25. Oktober
2007 in Höhe von 8.454,60 EUR bewilligt. Unter dem 18. Juli 2008 wies der Beklagte
den Kläger darauf hin, dass für das Wirtschaftsjahr 2007/2008 ein Auszahlungsantrag
bislang nicht gestellt worden sei und die entsprechende Nachfrist am 31. Juli 2008
ende. Für den Fall, dass der Auszahlungsantrag nicht gestellt werde, werde die
Auszahlung für dieses Jahr abgelehnt und die bereits gezahlten Zuwendungen für die
Vorjahre zurückgefordert. Der Kläger bat daraufhin mit Schreiben vom 29. Juli 2008 um
Auflösung des Förderverhältnisses. Von einer Rückforderung der bereits gezahlten
Zuwendungen solle abgesehen werden. Im Jahre 2006 habe er mit dem Bau eines
neuen Boxenlaufstalls begonnen. Als im Jahr 2007 die Blauzungenkrankheit
ausgebrochen und teilweise die Stallhaltung empfohlen und gefördert worden sei, habe
er zunächst eine kleine Gruppe Kühe ganztägig in dem neuen Stall aufgestallt. Diese
Maßnahme habe zu einer enormen Leistungssteigerung der Tiere geführt. Daraufhin sei
der Stall im Winter 2007/208 komplett ausgebaut und fast alle Kühe dort untergebracht
worden. Die Weideperiode 2008 sei aufgrund der Blauzungenthematik bis auf weiteres
ausgesetzt worden. Er berufe sich insoweit auf die Ausnahme der Ziff. 7.1.1 des
Grundantrags. Der Beklagte teilte dem Kläger unter dem 15. August 2008 mit, dass ein
Fall höherer Gewalt, der einen vorzeitigen Ausstieg aus der Maßnahme rechtfertige,
wegen der Blauzungenkrankheit nicht gegeben sei. Das zuständige Ministerium habe
nach Rücksprache erklärt, dass die geforderte Weidehaltung von mindestens sechs
Stunden täglich ohne Weiteres tagsüber zwischen den Melkzeiten erbracht werden
könne, so dass die Tiere in der Dämmerungs- und Nachtzeit, also in der Zeit mit
erhöhter Infektionsgefahr, im Stall verbleiben könnten. Der Kläger erwiderte daraufhin
mit Schreiben vom 26. August 2008, die von ihm getroffenen Maßnahme biete ein
Höchstmaß an Sicherheit gegen die Blauzungenkrankheit. Er beantrage nochmals, von
der Rückforderung Abstand zu nehmen. Aus Ziff. 7.1.1 des Grundantrags folge für ihn
ein Vertrauensschutz, den er auch geltend mache. Mit Bescheid vom 22. September
2008 widerrief der Beklagte den Zuwendungsbescheid vom 30. Dezember 2005
rückwirkend zum 1. Juli 2005 und nahm die Auszahlungsbescheide vom 2. November
2006 und vom 25. Oktober 2007 zurück. Gleichzeitig forderte er die zu Unrecht
gewährten Fördermittel in Höhe von 16.268,-- EUR zuzüglich Zinsen zurück. Zur
Begründung trug der Beklagte vor, der Kläger habe sich mit dem Grundantrag
verpflichtet, die eingegangene Verpflichtung für die Dauer von mindestens 5 Jahren
einzuhalten. Dieser Verpflichtung sei der Kläger nicht nachgekommen. Er könne sich
auch nicht auf höhere Gewalt berufen. Mit dem Wegfall des Zuwendungsbescheides
entfalle die Rechtsgrundlage für den Auszahlungsbescheid und der Rechtsgrund für die
Auszahlung der Fördermittel. Am 18. Oktober 2008 hat der Kläger Klage erhoben. Zur
Begründung beruft er sich auf sein Vorbringen im Vorverfahren. Er macht ferner geltend,
die Weidehaltung sei aus Gründen des Klimaschutzes nicht mehr zeitgemäß. Der
Kläger beantragt sinngemäß,
den Widerrufs-, Rücknahme- und Rückforderungsbescheid des Beklagten vom 22.
September 2008 aufzuheben.
4
Der Beklagte beantragt,
5
die Klage abzuweisen.
6
Er beruft sich zur Begründung auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides.
7
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
8
Der Rechtsstreit ist zur Entscheidung auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin
übertragen worden.
9
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (1 Heft)
hingewiesen.
10
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
11
Das Gericht durfte aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2
VwGO ohne die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden.
12
Die zulässige Klage ist unbegründet.
13
Der Bescheid des Beklagten vom 22. September 2008 ist rechtmäßig und verletzt den
Kläger nicht in seinen Rechten, vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
14
Die tatbestandlichen Vorgaben für den Widerruf des Zuwendungsbescheides vom 29.
Dezember 2000 nach § 49 Abs. 3 Satz Nr. 2 VwVfG NRW lagen nach der Sach- und
Rechtslage in dem maßgeblichen Zeitpunkt der Behördenentscheidung vor. Dasselbe
gilt für die Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 VwVfG NRW für die Rücknahme des
Auszahlungsbescheides vom 21. November 2001 und für die Rückforderung des
gezahlten Betrages nach § 49 a Abs. 1 Satz 2 VwVfG NRW.
15
Der Kläger ist gem. Art. 71 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 817/2004 der Kommission
vom 29. April 2004 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr.
1257/1999 des Rates über die Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums durch
den Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL) zur
Rückzahlung zu Unrecht gezahlter Zuwendungen verpflichtet.
16
Nach Art. 71 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 817/2004 ist der Einzelbegünstigte einer
Maßnahme zur Entwicklung des ländlichen Raums im Fall von zu Unrecht gezahlten
Beträgen verpflichtet, diese Beträge gemäß den Bestimmungen von Art. 49 der
Verordnung (EG) Nr. 2419/2001 der Kommission vom 11. Dezember 2001 mit
17
Durchführungsbestimmungen zum mit der Verordnung (EWG) Nr. 3508/1992 des Rates
eingeführten integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystem für bestimmte
gemeinschaftliche Beihilferegelungen zurück zu zahlen.
Die Vorschrift des Art. 71 Abs. 2 VO (EG) Nr. 817/2004 ist in dem hier zu
entscheidenden Fall anwendbar.
18
Die Förderung der Weidehaltung von Milchvieh erfolgte auf der Grundlage der Richt-
linien über die Gewährung von Zuwendungen für die Förderung einer markt- und
standortangepassten Landbewirtschaftung im Rahmen der Modulation, Runderlass des
Ministeriums für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz vom
16. Juli 2003, II A 6-72.50.32 (Zuwendungsrichtlinie).
19
Die Zuwendungsrichtlinie gewährt Zuwendungen auf der Grundlage der Art. 22 ff. der
Verordnung (EG) Nr. 1257/1999 des Rates vom 17. Mai 1999 über die Förderung der
Entwicklung des ländlichen Raumes durch den Europäischen Ausrichtungs- und
Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL) in Verbindung mit der
Durchführungsverordnung (EG) Nr. 1750/1999 der Kommission vom 23. Juli 1999 sowie
deren Nachfolgeverordnungen (EG) Nr. 445/2002 der Kommission vom 26. Februar
2002 und (EG) Nr. 817/2004 der Kommission vom 29. April 2004.
20
Art. 71 Abs. 2 VO (EG) Nr. 817/2004 ist einschlägig, obwohl die VO (EG) Nr. 817/2004
insgesamt durch Art. 64 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1974/2006 der Kommission
vom 15. Dezember 2006 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr.
1698/2005 des Rates über die Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums durch
den Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Entwicklung des ländlichen
Raums (ELER) aufgehoben wurde. Sie gilt jedoch nach Art. 64 Abs. 2 VO (EG) Nr.
1974/2006 weiterhin für Maßnahmen, die vor dem 1. Januar 2007 genehmigt wurden.
Folgerichtig bestimmt Art. 65 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 1974/2006, dass diese Verordnung
erst für die Förderung der Gemeinschaft in dem ab dem 1. Januar 2007 beginnenden
Programmplanungszeitraum Anwendung findet.
21
Der Verweis des Art. 71 Abs. 2 VO (EG) Nr. 817/2004 auf Art. 49 der VO (EG) Nr.
2419/2001 ist infolge der Aufhebung der VO (EG) Nr. 2419/2001 in Art. 80 Abs. 1 Satz 1
der Verordnung (EG) Nr. 796/2004 der Kommission vom 21. April 2004 mit
Durchführungsbestimmungen zur Einhaltung anderweitiger Verpflichtungen, zur
Modulation und zum Integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystem gemäß den
Verordnungen (EG) Nr. 1782/2003 und (EG) Nr. 73/2009 des Rates sowie mit
Durchführungsbestimmungen zur Einhaltung anderweitiger Verpflichtungen gemäß der
Verordnung (EG) Nr. 479/2008 des Rates als Verweis auf die Vorschrift des Art. 73 der
VO (EG) Nr. 796/2004 zu lesen, vgl. Art. 80 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 796/2004 i.V.m.
ihrem Anhang III. Die VO (EG) Nr. 2419/2001 gilt ausschließlich noch für solche
Beihilfeanträge weiter, die sich auf vor dem 1. Januar 2005 beginnende Wirtschaftsjahre
oder Prämienzeiträume beziehen, vgl. Art. 80 Abs. 1 Satz 2 der VO (EG) Nr. 796/2004.
Dies ist hier nicht der Fall. Nach Art. 2 Nummer 24 der VO Nr. 796/2004 ist der
Prämienzeitraum der Zeitraum, auf den sich Beihilfeanträge beziehen, unabhängig vom
Zeitpunkt ihrer Einreichung, vgl. auch die wortgleiche Definition des Art. 2 Buchst. t) der
VO (EG) Nr. 2419/2001. Prämienzeitraum ist danach vorliegend der Zeitraum vom 1. Juli
2005 bis zum 30. Juni 2010.
22
Der in dem Bescheid vom 22. Januar 2009 erfolgte Widerruf des
23
Zuwendungsbescheides vom 29. Dezember 2000 ist rechtmäßig.
Der Beklagte ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass für den Widerruf des
Zuwendungsbescheides vom 29. Dezember 2009 grundsätzlich Landesrecht
anwendbar war. Die Anwendung des § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwVfG NRW ist weder
aus gemeinschaftsrechtlichen Gesichtspunkten ausgeschlossen, noch sind vorrangige
bundesrechtliche Regelungen einschlägig.
24
Das Gemeinschaftsrecht enthält keine Rechtsvorschriften, die die Befugnis der Behörde
regeln, Bewilligungsbescheide über landwirtschaftliche Subventionen, die in
Durchführung des Gemeinschaftsrechts gewährt worden sind, zurückzunehmen oder zu
widerrufen. Auch, soweit Zuwendungen - wie hier - auf der Grundlage von
Gemeinschaftsrecht gewährt und mitfinanziert werden, richtet sich die Aufhebung der
Zuwendungsbescheide grundsätzlich nach nationalem Recht, wobei jedoch die durch
das Gemeinschaftsrecht gezogenen Grenzen zu beachten sind.
25
Vgl. z.B: EuGH, Urteil vom 21. September 1983 - Rs. 205 bis 215/82 (Milchkontor) - Rn.
15ff., und Urteil vom 19. September 2002 - C-336/00 (Huber) -, Rn. 55; BVerwG, Urteil
vom 10. Dezember 2003 - 3 C 22/02 -, NVwZ-RR 2004, 413, und zuletzt vom 26. August
2009 - 3 C 15/08 -, juris, Rn. 30; m.w.N aus der obergerichtlichen Rechtsprechung: VGH
Mannheim, Urteil vom 19. März 2009 - 10 S 1578/98 -, juris, Rn. 20; VG Aachen, Urteil
vom 1. Februar 2008 - 6 K 301/07 -, juris, Rn.22ff.
26
Dies gilt auch, soweit das gemeinschaftsrechtliche integrierte Verwaltungs- und
Kontrollsystem seit der Änderungsverordnung (EWG) Nr. 1678/1998 der Kommission
vom 29. Juli 1998 genauere Regelungen über die Rückforderung zu Unrecht gezahlter
Beträge enthält, die weitgehend unverändert in Art. 49 der VO (EG) Nr. 2419/2001 und
Art. 73 der VO (EG) Nr. 796/2004 übernommen wurden.
27
Seither sind zwar einige wichtige Teilaspekte wie etwa der Vertrauensschutz - gerade
auch für kofinanzierte Maßnahmen - gemeinschaftsrechtlich geregelt. Die
gemeinschaftsrechtliche Regelung ist aber darüber hinaus unverändert nicht
abschließend. So begründen Art. 71 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 817/2004 und Art. 73 der
VO (EG) Nr. 796/2004 zwar die materiell-rechtliche Pflicht des Betriebsinhabers zur
Rückzahlung zu Unrecht gezahlter Beträge. Die Regelungen der VO (EG) Nr. 796/2004
enthalten jedoch keine verfahrensrechtliche Ermächtigung der nationalen Behörden zur
Aufhebung von Zuwendungsbescheiden und zum Erlass von
Rückforderungsbescheiden. Insoweit ist weiterhin auf nationales Recht zurückzugreifen.
28
Vgl. zuletzt BVerwG, Urteil vom 26. August 2009 - 3 C 15/08 -, juris, Rn. 30.
29
Die gegenteilige Auffassung,
30
vgl. VG Frankfurt, Urteil vom 22. März 2007 - 1 E 3984/06 -, juris, Rn. 13 und
nachfolgend VGH Kassel, Urteil vom 19. Mai 2009 - 10 A 100/08 -, juris, Rn. 28,
31
begegnet mit Blick auf den gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der
verfahrensrechtlichen Autonomie der Mitgliedstaaten durchgreifenden Bedenken.
32
Der Grundsatz der verfahrensrechtlichen Autonomie ist in der Rechtsprechung des
Gerichtshofs ausdrücklich anerkannt,
33
vgl. EuGH, Urteil vom 7. Januar 2002 - C-201/02 (Wells), Rn.65; der Sache nach schon:
Urteil vom 21. September 1983 - Rs. 205 bis 215/82 (Milchkontor) -, Leitsätze 2 und 3.
34
Er findet seinen Ausdruck darüber hinaus unter anderem auch in dem allgemeinen
Prinzip der begrenzten Ermächtigung des Art. 5 EU/Art. 7 Abs. 1 Satz 2 EG und dem
Subsidiaritätsprinzip des Art. 2 EU/Art. 5 EG.
35
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs gehen die nationalen Behörden bei der
Durchführung der Gemeinschaftsregelungen grundsätzlich nach den formellen und
materiellen Bestimmungen des nationalen Rechts vor, soweit das Gemeinschaftsrecht
einschließlich der allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze - wie etwa des
ausdrücklich genannten und im Ergebnis weitreichende Folgen auf das nationale
Verfahrensrecht zeitigenden Effektivitätsprinzips - hierfür keine gemeinsamen
Vorschriften enthält.
36
Gemeinschaftsrechtliche Einwirkungen auf das nationale Verfahrensrecht bedürfen
wegen des hohen Rangs dieses, das institutionelle System der Gemeinschaft
betreffenden Grundsatzes einer Rechtfertigung und sind nur innerhalb bestimmter
Grenzen zulässig.
37
Vgl. m.w.N: v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, Kapitel 3, F, S. 302ff.
38
Dies zu Grunde gelegt muss eine in die verfahrensrechtliche Autonomie der
Mitgliedstaaten eingreifende Ermächtigung an die Behörden des Mitgliedstaates zum
Erlass von Aufhebungs- und Rückforderungsbescheiden in den entsprechenden
gemeinschaftlichen Regelungen einen unzweideutigen Ausdruck finden. Daran fehlt es
hier, auch, wenn Art. 73 der VO (EG) Nr. 796/2004 in seinem Abs. 3 Satz 2 die
Rückforderung und in Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 Satz 2 den Rückforderungsbescheid
erwähnt. Diesen Vorschriften lässt sich nur entnehmen, dass der gemeinschaftliche
Verordnungsgeber, wie der deutsche Bundes- und Landesgesetzgeber in § 49 a Abs. 1
VwVfG (NRW), zwischen der (gemeinschaftlich geregelten) materiell-rechtlichen
Erstattungspflicht des Begünstigten und dem Rückforderungsbescheid unterscheidet.
39
Auch die Erwägungsgründe zur VO (EG) Nr. 796/2004 enthalten keine Hinweise darauf,
dass die Verordnung die verfahrensrechtliche Rückabwicklung der zu Unrecht
gezahlten Beträge ausnahmsweise abschließend auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene
regeln wollte. Nach dem Erwägungsgrund (72) der VO (EG) Nr. 796/2004 sollten bei der
Rückforderung zu Unrecht gezahlter Beträge (nur) die Voraussetzungen, unter denen
der Betroffene sich auf den Grundsatz des guten Glaubens berufen kann, festgelegt
werden. Eine darüber hinaus gehende Intention des Verordnungsgebers lässt sich den
Erwägungsgründen nicht entnehmen. Der Erwägungsgrund (74) geht vielmehr
ausdrücklich davon aus, dass die Mitgliedstaaten alle weiteren Maßnahmen treffen
sollten, die erforderlich sind, um die ordnungsmäße Durchführung der Verordnung
sicher zu stellen.
40
Das Bundesrecht enthält keine vorrangigen Bestimmungen über die Aufhebung des
Zuwendungsbescheides. § 10 MOG trifft zwar Regelungen über die Rücknahme von
begünstigenden Bescheiden in den Fällen des § 6 und § 8 MOG. Diese Fälle betreffen
jedoch nur Regelungen in Bezug auf Marktordnungswaren. Dies sind gemäß § 2 MOG
Erzeugnis oder Produkt bezogene Regelungen, nicht aber
41
produktionsverfahrensbezogene Regelungen.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 2003 - 3 C 22/02 -, NVwZ-RR 2004, 413; VGH
Mannheim, Urteil vom 19. März 2009 - 10 S 1578/98 -, DVBl 2009, 797 und OVG
Lüneburg, Urteil vom 21. Februar 2006 - 10 LB 45/03 -, juris, Rn. 27; VG Aachen, Urteil
vom 1. Februar 2008 - 6 K 301/07 -, juris, Rn.30ff.
42
Die Förderung der Weidehaltung von Milchvieh ist eine produktionsverfahrensbezogene
Regelung. Sie beruht auf Art. 22 und 23 VO (EG) Nr. 1257/1999. Die Regelungen der
VO (EG) Nr. 1257/1999 enthalten genau wie die Regelungen der Vorgängerverordnung
(EWG) Nr. 2078/1992 keine Erzeugnis bezogenen Regelungen. Bereits die
Vorgängerregelung stand nicht im Zusammenhang mit einem oder mehreren
bestimmten landwirtschaftlichen Erzeugnissen, sondern betraf ausschließlich die
Förderung weniger umweltschädigender und weniger intensiver Produktionsverfahren
sowie die Verbesserung des Gleichgewichts auf den Märkten.
43
Vgl. EuGH, Urteil vom 19. September 2002 - C-336/00 (Huber)-Rn. 4 unter Hinweis auf
die Erwägungsgründe (1), (5), (6) und (12) der VO (EWG) Nr. 2078/1992
44
Dies wird für die Agrarumweltmaßnahmen nach Art. 22ff. der VO (EG) Nr. 1257/1999
ausdrücklich in dem Erwägungsgrund (31) zu dieser Verordnung bestätigt. Danach soll
die Beihilferegelung für Agrarumweltmaßnahmen Landwirte weiterhin ermutigen, im
Dienste der gesamten Gesellschaft Produktionsverfahren einzuführen bzw.
beizubehalten, die der zunehmenden Notwendigkeit des Schutzes und der
Verbesserung der Umwelt, der natürlichen Ressourcen, der Böden und der genetischen
Vielfalt sowie des Erhalt der Landschaft und des ländlichen Lebensraums gerecht
werden. Dem entsprechen schließlich auch die Zielvorgaben in Art. 22 Abs. 1 Buchst. a)
bis f) der VO (EG) Nr. 1257/1999.
45
Die Voraussetzungen der nach alledem einschlägigen und vom Beklagten zu Recht in
Anspruch genommenen Regelung des § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwVfG NRW lagen nicht
vor. Danach darf ein rechtmäßiger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende
Geldleistung oder teilbare Sachleistung zur Erfüllung eines bestimmten Zweckes
gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist,
ganz oder teilweise mit Wirkung für die Vergangenheit nur widerrufen werden, wenn mit
dem Verwaltungsakt eine Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese nicht oder
nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat.
46
Der Kläger hat eine Auflage nicht erfüllt, die mit dem Zuwendungsbescheid vom 30.
Dezember 2005 verbunden war. Die vom Kläger im Grundantrag übernommenen
Verpflichtungen und Erklärungen Bestandteil des Zuwendungsbescheides vom 30.
Dezember 2005 und Auflagen im Sinne des § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG NRW. Damit in
Einklang bestimmt Nummer 9.6.1 der Zuwendungsrichtlinie, dass der
Zuwendungsbescheid ganz oder teilweise aufgehoben werden kann, wenn der Zuwen-
dungsempfänger die eingegangenen Verpflichtungen nicht einhält. Die zu viel
geleisteten Zuwendungen zuzüglich Zinsen seien dementsprechend zurück zu
erstatten.
47
Auch die im Grundantrag enthaltene Verpflichtung, die in der Zuwendungsrichtlinie
niedergelegten Bedingungen - hier insbesondere die in Ziff. 7.1.1. des Grundantrages
wiederholend aufgeführte Verpflichtung der Nummer 8.2.1 der Zuwendungsrichtlinie,
48
sämtlichen Milchkühen im Zeitraum zwischen dem 1. Juni und dem 1. Oktober täglich
Weidegang mit freiem Zugang zu einer Tränkevorrichtung zu ermöglichen - für die
Dauer von fünf Jahren einzuhalten, eine Auflage des Zuwendungsbescheides vom 30.
Dezember 2005.
Der Kläger ist dieser Auflage nicht nachgekommen. Er hat nach seinen eigenen
Angaben in dem Schreiben vom 29. Juli 2008 die Weideperiode 2008 bis auf weiteres
ausgesetzt.
49
Der Kläger war auch nicht von der Einhaltung der Verpflichtung zum täglichen
Weidegang deshalb entbunden, weil für alle Tiere seines Milchviehbestandes bei einem
täglichen Weidegang während der gesamten Weideperiode vom 1. Juni bis zum 1.
Oktober wegen des Ausbruchs der Blauzungenkrankheit Schäden zu erwarten waren.
50
Das Gericht lässt im Ergebnis offen, ob die in Nummer 8.2.1 der Zuwendungsrichtlinien
geregelte Ausnahme von der Weidepflicht überhaupt greift, wenn der Viehbestand -
jedenfalls aus der Sicht des Landwirts - insgesamt und dauerhaft von einer
Gefahrenlage betroffen ist. Es spricht allerdings Einiges für die Annahme, dass bei einer
derart massiven Gefahrenlage abschließend die Vorschriften in Nummer 9.5. der
Zuwendungsrichtlinie zur höheren Gewalt Anwendung finden.
51
Es waren nämlich aufgrund des hier allein in Betracht kommenden Ausbruchs der
Blauseuchenkrankheit keine Schäden zu gewärtigen. Das Gericht hat insoweit keinen
Anlass, die Einschätzung des Ministeriums für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen vom 4. September 2008, die
sich der Beklagte zu eigen gemacht hat, in Zweifel zu ziehen.
52
Das Ministerium geht davon aus, dass das Risiko einer Ansteckung der Milchkühe bei
einem täglichen Weidegang während der Tagzeiten nicht signifikant erhöht ist. Dies sei
deshalb der Fall, weil die Gnitzen (Stechmücken), die die Blauzungenkrankheit
übertrügen, vor allem in der Dämmerung aktiv seien. Die vermehrte
Insektenbekämpfung im jeweiligen Betrieb und die Behandlung der empfänglichen
Tiere in und außerhalb des Stalles mit entsprechenden Repellentien führte darüber
hinaus zu einer weiteren - auch wirksamen - Verminderung des Ansteckungsrisikos. Die
Beschränkung des Aufstallungsgebots für empfängliche Tiere im Gefährdungsgebiet auf
die Zeit von 18 Uhr bis 7 Uhr sei zwischenzeitlich aufgehoben worden. Eine dringende
Empfehlung von Tierärzten, empfängliche Tiere trotzdem aufzustallen, sei nicht bekannt.
Dass ein Weidegang während der sichereren Tagzeiten unter keinen Umständen in
Betracht käme, ist nicht ersichtlich, und zwar selbst, wenn der Auftrieb der Kühe - wie
der Kläger meint - während der kühleren Nacht- und Dämmerungszeiten vorzuziehen
wäre.
53
Der Kläger war bei dieser Sachlage auch nicht wegen des Vorliegens eines Falls
höherer Gewalt im Sinne der Nummer 9.5. der Zuwendungsrichtlinie an der Einhaltung
der Zuwendungsbedingungen gehindert. Unbeschadet besonderer Umstände des
Einzelfalls ist höhere Gewalt nach Nummer 9.5 der Zuwendungsrichtlinie u.a. bei
Seuchenbefall des Tierbestandes oder eines Teils davon anzunehmen. Dieser
ausdrücklich genannte Fall höherer Gewalt lag ersichtlich nicht vor. Mit Blick auf das
eingeschränkte Risiko einer Ansteckung der Tiere bei einem Weidegang zur Tagzeit, ist
jedoch auch das Vorliegen einer, dem ausdrücklich erwähnten Fall des tatsächlichen
Seuchenbefalls vergleichbaren Seuchengefahrensituation zu verneinen.
54
Der Kläger kann sich - selbst unterstellt, er hätte die Weidehaltung aus Gründen höherer
Gewalt wegen der Ansteckungsgefahr für seine Tiere aufgeben müssen -, auch nicht
(mehr) auf das Vorliegen höherer Gewalt berufen. Nach Nummer 9.5 Satz 3 der
Zuwendungsrichtlinie und Art. 72 der VO (EG) Nr. 796/2004 sind Fälle höherer Gewalt
der zuständigen Behörde nämlich schriftlich und mit entsprechenden Nachweisen
innerhalb von 10 Werktagen nach dem Zeitpunkt anzuzeigen, an dem der
Zuwendungsempfänger von dem Fall höherer Gewalt Kenntnis erlangt hat oder nach
den Umständen hätte Kenntnis erlangt haben müssen. Auch diese Anzeigepflicht ist als
Auflage Bestandteil des Zuwendungsbescheides geworden.
55
Der Kläger ist dieser Anzeigepflicht nicht nachgekommen. Der Kläger hat den täglichen
Weidegang seit Beginn der Weideperiode am 1. Juni 2008 ausgesetzt, weil er schon zu
diesem Zeitpunkt eine erhöhte Ansteckungsgefahr für seine Tiere angenommen hat.
Gründe dafür, dass der Kläger im Anschluss die zuständige Bewilligungsbehörde
hierüber nicht unverzüglich, jedenfalls aber innerhalb von 10 Werktagen in Kenntnis
gesetzt hat, hat der Kläger nicht vorgetragen. Die erstmalige schriftliche Anzeige in dem
Schreiben vom 29. Juli 2008, dass er wegen dieses - aus seiner Sicht gegebenen -
Falls der höheren Gewalt von der Einhaltung der Weidepflicht Abstand genommen hat,
ist deutlich verspätet.
56
Soweit der Kläger noch darauf hinweist, dass eine Aufstallung der Milchkühe aus
Gründen des Klimaschutzes sachgerechter sei als die Weidehaltung, ist schon nicht
ersichtlich, unter welchem rechtlichen Gesichtspunkt dieser Aspekt von der Einhaltung
der Förderbedingungen freistellt. Dies schon deshalb, weil Ziel der Förderung der
Weidehaltung nicht nur eine umweltgerechte, sondern auch eine artgerechte
Tierhaltung ist, vgl. Art. 22 der VO (EG) Nr. 1257/1999. Die Entscheidung darüber, ob
und wie die Belange des Klimaschutzes im Rahmen der landwirtschaftlichen Förderung
Berücksichtigung finden, obliegt im Übrigen auch nicht dem einzelnen Landwirt,
sondern den europäischen und nationalen Gesetzgebern.
57
Ermessensfehler im Sinne des § 114 VwGO sind nicht ersichtlich.
58
Erweist sich nach alledem der Widerruf des Zuwendungsbescheides vom 29. Dezember
2000 als rechtmäßig, begegnet auch die Rücknahme der Auszahlungsbescheide vom 2.
November 2006 und vom 25. Oktober 2007 nach § 48 VwVfG NRW und die
Rückforderung der überzahlten Beträge einschließlich der Zinsen nach § 49 a Abs. 1
Satz 2 VwVfG NRW i.V.m. Art. 71 Abs. 2 der VO 817/2004 und Art. 73 der VO Nr.
796/2004 keinen Bedenken.
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Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
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Die übrigen Nebenentscheidungen folgen aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708
Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.
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