Urteil des VG Aachen vom 16.06.2005

VG Aachen: fristlose entlassung, fälschung von ausweisen, soldat, fahrausweis, dienstverhältnis, datum, verfügung, vorrang, urkundenfälschung, dienstpflicht

Verwaltungsgericht Aachen, 1 K 3296/04
Datum:
16.06.2005
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 3296/04
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger
kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in
Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die
Beklagte Sicherheit in dieser Höhe leistet.
T a t b e s t a n d :
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Der 23-jährige Kläger wendet sich gegen seine Entlassung aus dem Soldatenverhältnis
auf Zeit.
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Er wurde zum 2. Juli 2001 zum Grundwehrdienst einberufen, an den sich ein 14-
monatiger zusätzlicher freiwilliger Dienst des Klägers anschloss. Unter dem 19. Mai
2003 verpflichtete sich der Kläger für weitere vier Jahre als Soldat auf Zeit. Er leistete
seinen Dienst in der Stabskompanie des Logistikregiments 46, Diez, und war
überwiegend in der Wartung und Pflege von Funk- und Fernsprechgeräten tätig. Seine
letzte dienstliche Stellung war diejenige eines Hauptgefreiten.
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Am 7. Juni 2003 benutzte er gemeinsam mit seiner Freundin ohne gültigen Fahrausweis
einen Zug der Bundesbahn von Düren nach Aachen. Gegenüber seinen
Dienstvorgesetzten schilderte er den Vorfall wie folgt: Er habe versucht, an einem
Kartenautomat im Bahnhof Düren einen entsprechenden Fahrausweis zu lösen. Da der
Automat seinen 50,00-EUR-Schein jedoch nicht angenommen habe, habe er bei dem
Zugbegleiter einen Fahrausweis lösen wollen. Letzteres habe der Zugbegleiter
abgelehnt und ihn sowie seine Freundin übel beschimpft.
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Am 6. Oktober 2003 benutzte er gegen 7.53 Uhr den Bundesbahnzug von Köln nach
Koblenz ebenfalls ohne gültigen Fahrausweis. Bei einer Kontrolle durch den
Zugbegleiter legte er einen Berechtigungsausweis (Nr. 002899503), ausgestellt für
Familienheimfahrten von Diez nach Düren, vor, in welchem er das Gültigkeitsdatum "31.
Mai 2002" durchgestrichen und stattdessen als Datum den "31. Juli 2004" eingesetzt
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hatte. Zusätzlich hatte er das neue Datum unleserlich unterschrieben. Tatsächlich war er
nicht mehr berechtigt, unentgeltliche Familienheimfahrten in Anspruch zu nehmen. Bei
seiner Vernehmung räumte er die Manipulation an dem Berechtigungsschein ein. Er
gab an, er habe an diesem Tag verschlafen und gemerkt, dass er zu spät zum Dienst in
die Kaserne kommen würde. Er habe dann bei seiner Einheit angerufen und seine
voraussichtliche Verspätung gemeldet. Da er nicht im Besitz von Bargeld gewesen sei
und wegen finanzieller Probleme auch nur in seinem Heimatdorf bei der dortigen
Bankfiliale habe Geld abheben können, habe er den Berechtigungsausweis manipuliert,
um noch einigermaßen rechtzeitig zum Dienst zu erscheinen.
Mit rechtskräftigem Strafbefehl vom 6. Januar 2004 setzte das Amtsgericht Düren - 12
Cs 602 Js 931/03 - gegen den Kläger wegen Erschleichens von Leistungen und
versuchten Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung für die Straftaten vom 7. Juni
und 6. Oktober 2003 insgesamt eine Geldstrafe von 35 Tagessätzen zu je 40,00 EUR ( =
1.400,00 EUR) fest.
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Bei seiner Anhörung zur beabsichtigten fristlosen Entlassung aus dem
Soldatenverhältnis gab der Kläger an, er selbst sei am 6. Oktober 2003 erkrankt
gewesen und habe deshalb ein starkes Schmerz- und Schlafmittel genommen, sodass
er sich verschlafen habe. Außerdem habe ihm seine Freundin an diesem Tag mitgeteilt,
dass sie im dritten Monat schwanger sei. Nur so sei seine unbedachte Handlung der
Manipulation des Berechtigungsausweises zu erklären.
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Mit Bescheid vom 30. März 2004 entließ das Wehrbereichskommando IV den Kläger
gemäß § 55 Abs. 5 des Soldatengesetzes (SG) mit Ablauf des Tages, an welchem ihn
die Verfügung ausgehändigt wurde, aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit.
Zur Begründung ist ausgeführt, dass der Kläger durch sein Verhalten schuldhaft seine
Dienstpflicht, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen, verletzt (§ 7 SG) und
gegen seine Gehorsamspflicht (§ 11 Abs. 1 Satz 1 SG) verstoßen habe. Außerdem habe
er gegen seine Wahrheitspflicht gemäß § 13 Abs. 1 SG und gegen die Dienstpflicht, sich
außer Dienstes und außerhalb der dienstliche Unterkünfte und Anlagen so zu verhalten,
dass er die Achtung und das Vertrauen, das seine dienstliche Stellung erfordere, nicht
ernsthaft beeinträchtige, in hohem Maße verstoßen (§ 17 Abs. 2 SG). Neben der
fristlosen Entlassung verliere der Kläger gemäß § 56 Abs. 2 SG seinen Dienstgrad und
den Anspruch auf Bezüge und Versorgung.
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Entlassungsverfügung wies das
Streitkräfteunterstützungskommando mit Beschwerdebescheid vom 3. Juni 2004,
zugestellt am 8. Juni 2004, zurück. Ergänzend ist ausgeführt, dass ein weiteres
Verbleiben des Klägers als Soldat auf Zeit die militärische Ordnung ernstlich gefährden
würde. Insbesondere die Manipulation des Berechtigungsscheines und das dadurch
zutage getretene wiederholte Erschleichen von Leistungen habe eine Neigung des
Klägers zur Disziplinlosigkeit gezeigt, welche das in ihn gesetzte Vertrauen zutiefst
erschüttert habe. Daher könne ihm nicht mehr in dem Umfang vertraut werden, wie es für
die Funktionstüchtigkeit der Streitkräfte notwendig sei. Entscheidend sei, dass es sich
bei den von ihm begangenen Dienstpflichtverletzungen um ein Verhalten handele, das
typisch für eine allgemeine und schwer zu bekämpfende Erscheinung sei, die nur durch
Anwendung aller zur Verfügung stehender Mittel eingedämmt werden könne. Das so
genannte "Schwarzfahren", insbesondere mit gefälschten Ausweisen für
Familienheimfahrten, werde zum Teil auch innerhalb der Bundeswehr fälschlicherweise
als minderschweres Vergehen angesehen und die daraus resultierenden Schäden
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würden verkannt. Dies bedeute eine große Gefahr für das Ansehen der Bundeswehr in
der Öffentlichkeit. Die Einlassung des Klägers, er habe die Fälschung und Benutzung
des Fahrausweises für Familienheimfahrten aus einer Notlage heraus vorgenommen,
überzeuge nicht. Ein geeignetes Mittel zur Lösung seiner Probleme hätte etwa in der
Meldung an seinen Disziplinarvorgesetzten zur Verfügung gestanden. Dass die fristlose
Entlassung die Lebensplanung des Klägers gravierend beeinträchtige, werde nicht
verkannt. Dennoch sei den Belangen der militärischen Ordnung der Vorrang
einzuräumen, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass ein solch gravierendes
Fehlverhalten für das Dienstverhältnis ohne Folgen bleibe.
Der Kläger hat am 8. Juli 2004 Klage erhoben. Er verweist darauf, dass er sich in der
Vergangenheit innerhalb der Bundeswehr nichts habe zuschulden kommen lassen, was
sich u. a. daraus ergebe, dass in seinem Disziplinarbuch keine Eintragungen vorhanden
seien.
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Der Kläger beantragt,
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den Entlassungsbescheid des Wehrbereichskommandos IV vom 30. März 2004 und den
Beschwerdebescheid des Streitkräfteunterstützungskommandos vom 3. Juni 2004
aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie verweist insbesondere darauf, dass ein Verbleiben des Klägers im Dienstverhältnis
von anderen Soldaten leicht missverstanden werden könne. Es könnte dadurch Anreiz
für andere sein, ebenfalls Schwarzfahrten zu begehen. Dies gelte es zu verhindern, weil
die Öffentlichkeit zu Recht hohe Anforderungen an die Integrität der Bundeswehr als
einer Wehrpflichtarmee stelle.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtene Entlassungsverfügung ist
rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
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Gemäß § 55 Abs. 5 SG kann ein Soldat auf Zeit während der ersten vier Dienstjahre
fristlos entlassen werden, wenn er seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt hat und sein
Verbleiben in seinem Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Ansehen der
Bundeswehr ernstlich gefährden würde. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser
Vorschrift sind erfüllt.
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Zum einen wurde die fristlose Entlassung des Klägers innerhalb der Vier-Jahres- Frist
des § 55 Abs. 5 SG verfügt. Seit der Einberufung des Klägers zum Grundwehrdienst ab
dem 2. Juli 2001 und erst recht seit der (Weiter-)Verpflichtung am 19. Mai 2003 sind mit
der Entlassungsverügung vom 30. März 2004 weniger als vier Dienstjahre vergangen.
Zum anderen hat der Kläger mit dem zweimaligen Schwarzfahren und insbesondere mit
der Urkundenfälschung bei dem zweiten Delikt am 6. Oktober 2003 seine
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Dienstpflichten in erheblichem Maße verletzt. Er hat gegen die nach § 17 Abs. 2 SG
bestehende Pflicht verstoßen, sich innerhalb und außerhalb des Dienstes so zu
verhalten, dass der Soldat der Achtung und dem Vertrauen gerecht wird, die sein Dienst
erfordern. Auch ist der Tatbestand des Betruges, der sich vorliegend gerade gegen und
zum Nachteil der Bundeswehr ausgewirkt hätte, eine Verletzung der Pflicht zum treuen
Dienen gemäß § 7 SG.
Die angeführten Dienstpflichten hat der Kläger schuldhaft verletzt. Was die erste
Schwarzfahrt am 7. Juni 2003 gemeinsam mit seiner Freundin anbetrifft, so entlastet es
ihn nicht, dass er den auf dem Bahnsteig wartenden Zug unbedingt erreichen wollte und
darauf vertraute, noch im Zug einen Fahrschein lösen zu können. Mit seiner
diesbezüglichen Behauptung und Schilderung macht der Kläger deutlich, dass ihm die
Regelung zum Benutzen der Deutschen Bundesbahn eindeutig bewusst war. Ihm war
klar, dass das Lösen eines Fahrscheines im Zug nur dann folgenlos ist, wenn ein
vorheriges Lösen eines Fahrscheines am Schalter oder an einem Automaten nicht
möglich ist. Beides war nach der Einlassung des Klägers aber nur deshalb nicht
gegeben, weil er zu spät zum Bahnhof gekommen war und den 50,- EUR nicht mehr
rechtzeitig wechseln konnte. Die Folgen seiner Handlungsweise hat allein der Kläger zu
verantworten.
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Während diese Straftat möglicherweise noch als minderschwer einzustufen ist, wenn
man der Einlassung des Klägers folgt, er habe im Zug einen Fahrschein lösen wollen,
ist die Manipulation des Berechtigungsausweises am 6. Oktober 2003 eine Handlung,
die von einer erheblichen kriminellen Energie geprägt ist. Sie ist bei einem Soldaten
nicht mehr hinnehmbar. Der Beklagte hat zu Recht darauf verwiesen, dass die
Manipulation bzw. Fälschung von Ausweisen für Familienheimfahrten, die dem
Ansehen der Bundeswehr in der Öffenlichkeit erheblich schaden, nur schwer zu
bekämpfen sind. Das System der Ausweise für Familienheimfahrten funktioniert im
Interesse der Soldaten und der Bundeswehrverwaltung nur dann, wenn sich alle
Beteiligte ohne nähere Prüfung auf die Gültigkeit der Ausweise verlassen können. Dies
zeigt, dass die Handlungsweise des Klägers von erheblichem strafrechtlichen Gewicht
ist. Sie ist entgegen seiner Ansicht auch nicht deshalb zu vernachlässigen, weil es die
Bundeswehrverwaltung versäumt hat, den ungültigen Ausweis einzuziehen, und somit
erst die Fälschung durch den Kläger ermöglicht hat. Die fehlende Rückforderung eines
Ausweises, dessen Gültigkeitsdauer abgelaufen ist, führt unter keinem rechtlichen
Gesichtspunkt dazu, den Aussteller in die Verantwortung für die Fälschung des
Ausweises durch den Inhaber einzubeziehen. Ebenso wenig entlastet es den Kläger,
dass er die Fälschung nur vorgenommen hat, um möglichst pünktlich zum Dienst zu
erscheinen. Der drohende Eintritt eines Dienstvergehens - Nichterscheinen zum
Dienstbeginn - berechtigt den Kläger nicht zu strafrechtlichem Handeln.
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Die Ermessensüberlegungen des Beklagten sind nicht zu beanstanden. Das dem
Dienstherrn in § 55 Abs. 5 SG eingeräumte Ermessen ist vor dem Hintergrund des
ausschließlich den Schutz der Bundeswehr betreffenden Zwecks der Vorschrift im
Sinne einer "intendierten Entscheidung" gesetzlich auf die Entlassung hin vorgeprägt.
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Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom
20. Januar 2005 - 1 B 2009/04 -.
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Dem entsprechen die Ausführungen in dem Beschwerdebescheid vom 3. Juni 2004, in
welchem u.a. die Folgen der fristlosen Entlassung mit der Lebensplanung des Klägers
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abgewogen worden sind. Wenn die Beklagte den Belangen der militärischen Ordnung
den Vorrang eingeräumt, so ist dies nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr.
11, 711 ZPO.
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