Urteil des VG Aachen vom 28.08.2009

VG Aachen (antragsteller, mitarbeit, versetzung, französisch, anordnung, verwaltungsgericht, zeugnis, hauptsache, antrag, prüfung)

Verwaltungsgericht Aachen, 9 L 327/09
Datum:
28.08.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
9. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
9 L 327/09
Tenor:
1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung
verpflichtet, den Antragsteller vorläufig in die Jahrgangsstufe 12
(Schuljahr 2009/2010) zu versetzen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
G r ü n d e: Der Antrag ist zulässig.,
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Insbesondere ist von einem Rechtsschutzinteresse auszugehen, weil gegen das
Zeugnis rechtzeitig Widerspruch erhoben worden ist. Zwar ist das anwaltliche
Schreiben vom 7. Juli 2009 nicht ausdrücklich als Widerspruch gekennzeichnet. Daraus
ergibt sich aber, dass gegen das Zeugnis vom 1. Juli 2009 auch in der Hauptsache
vorgegangen werden sollte.
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Der Antrag ist auch begründet.
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Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur
Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis
treffen, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass ihm der geltend gemachte
Anspruch zusteht (Anordnungsanspruch) und es der sofortigen Durchsetzung seines
Anspruchs mittels gerichtlicher Entscheidung bedarf, weil ihm ansonsten unzumutbare
Nachteile entstehen (Anordnungsgrund), § 123 Abs. 1 und 3 VwGO in Verbindung mit
§§ 920 Abs. 2, 294 ZPO. Das ist vor allem dann der Fall, wenn die Aussichten des
Antragstellers, in einem Hauptsacheverfahren zu obsiegen, nach summarischer
Betrachtung höher sind als die Wahrscheinlichkeit, dort zu unterliegen. Daneben muss
der Erlass der einstweiligen Anordnung für den Antragsteller dringlich sein, d.h., es darf
ihm nicht zugemutet werden können, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens
abzuwarten. Lässt sich die Erfolgsaussicht des Hauptsacheverfahrens nicht beurteilen
und sind Fragen des Grundrechtsschutzes betroffen, verpflichtet der in Art. 19 Abs. 4
Satz 1 Grundgesetz (GG) verankerte Anspruch des Bürgers auf eine tatsächlich und
rechtlich wirksame Kontrolle die Gerichte, bei ihrer Entscheidungsfindung die Folgen
abzuwägen, die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes für den Bürger
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verbunden sind. Je schwerer die sich daraus ergebenden Belastungen wiegen, um so
weniger darf das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend
gemachten Rechtsposition zurückgestellt werden. Es kann dann eine Entscheidung auf
der Grundlage einer Folgenabwägung ohne Berücksichtigung der Erfolgsaussichten in
der Hauptsache erfolgen.
Vgl. Bundesverfassungsgericht , Kammerbeschlüsse vom 25. Juli 1996 - 1 BvR 638/96 -
und vom 20. Februar 2009 - 1 BvR 120/09 -, beide nachgewiesen in juris.
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So liegt der Fall hier.
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Nach der im gerichtlichen Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung lässt sich
nicht hinreichend deutlich beurteilen, ob das Hauptsacheverfahren Aussicht auf Erfolg
hat.
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Der Antragsteller macht einen Anordnungsanspruch auf vorläufige Versetzung in die
Jahrgangsstufe 12 (Schuljahr 2009/2010) geltend.
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Aus § 9 Abs. 4 APO-GOSt ergibt sich, dass eine Versetzung nicht möglich ist, wenn in
einem versetzungswirksamen Kurs, wie hier Französisch, die Note "ungenügend" erteilt
worden ist. Zwar ist die Notengebung für das Gericht aufgrund des
Beurteilungsspielraumes nur dahingehend überprüfbar, ob Verfahrensfehler oder
Verstöße gegen anzuwendendes Recht vorliegen, ob die Lehrer von einem unrichtigen
Sachverhalt ausgegangen sind, gegen allgemeine Bewertungsgrundsätze verstoßen
haben, sich von sachfremden Erwägungen haben leiten lassen, oder sonst willkürlich
gehandelt haben. Abgesehen davon, dass das Zeugnis vom 1. Juli 2009 die Note
"ungenügend" nicht enthält, sondern zum Fach Französisch "nicht bewertbar" vermerkt
ist, vermag die Kammer die Bewertungsgrundlagen für diese Note, die nach dem
Konferenzbeschluss vom 18. Juni 2009 vergeben werden sollte, - derzeit - nicht
nachzuvollziehen. Bendenken ergeben sich daraus, dass die schriftlichen Leistungen
im 2. Schulhalbjahr 2008/2009 mit "mangelhaft" und "mangelhaft minus" benotet worden
sind. Die sonstige Mitarbeit wurde nach den Leistungszwischenberichten Nr. 3 und Nr. 4
mit "4" und "4-" bewertet. Nach der Stellungnahme der Französischlehrerin vom 27.
August 2009 war die sonstige Mitarbeit "mangelhaft", wobei es selten tendenziell
bessere mündliche Leistungen gab. In ihrer Aktennotiz vom 25. August 2009 ist von
einer ansatzweisen ausreichenden Mitarbeit im Mündlichen die Rede. Zwar hat die
Französischlehrerin als weiteres Kriterium die erhebliche Zahl von Fehlzeiten in Höhe
von ca. 43 % ihrer Unterrichtsstunden, auf die auch die Lehrerkonferenz (mit über 25 %)
abgestellt hat, angeführt und erläutert, dass der Antragsteller den versäumten Stoff nicht
nachgeholt habe und seine Leistungseinbrüche so groß geworden seien, dass sich
seine Leistung zur Note "ungenügend" entwickelt habe. Letztlich kann offen bleiben, ob
die beiden Stunden am 20. April 2009, die ausweislich des Arbeitsberichts ausgefallen
sind, berücksichtigt werden dürfen, weil sich der Prozentsatz lediglich auf 41,30 %
verringern würde. Des Weiteren kann dahinstehen, ob entschuldigte Fehlzeiten
berücksichtigt werden dürfen; verneinendenfalls beliefe sich der Anteil der Fehlzeiten
auf ca. 30 %. Vor dem Hintergrund des mitgeteilten Notenbildes der schriftlichen
Leistungen und der sonstigen Mitarbeit ist nämlich nicht hinreichend dokumentiert, wann
und inwiefern die Leistungseinbrüche eine Entwicklung zur Note "ungenügend"
ergaben. Auch dem zeitlichen Element kommt deshalb Bedeutung zu, weil die
Fehlzeiten nach der Fehlstatistik in dem Zeitraum der Leistungszwischenberichte Nr. 3
und Nr. 4 liegen, in dem die sonstige Mitarbeit mit "4" und "4-" bewertet worden ist. Zwar
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können sich die Leistungen des Antragstellers auch nach dem letzten
Leistungszwischenbericht während des noch verbliebenen Unterrichtszeitraumes von
einem Monat verschlechtert haben. Jedoch liegen Benotungen von Einzelleistungen
aus diesem Zeitraum für den Bereich sonstige Mitarbeit der Kammer bislang nicht vor.
Dem Arbeitsbericht ist insoweit lediglich zu entnehmen, dass der Antragsteller am 19.
Mai 2009 ein Referat halten sollte und am 26. Mai 2009 einen Vortrag zu einem anderen
Thema gehalten hat.
Was die zivilrechtlich zu beurteilenden Kündigungen des Schulverhältnisses anbetrifft,
stehen diese einem Anordnungsanspruch nicht entgegen. Schon ein "mangelhaft" in
Französisch schlösse die Versetzung nicht aus, weil diese Note nach § 9 Abs. 4 Satz 3
APO-GOSt ausgeglichen wäre. Auch im Falle der Wirksamkeit der Kündigung wäre der
Antragsteller zu versetzen, auch wenn er die Schule verlassen müsste.
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Im Übrigen kann dem Anordnungsanspruch ebenfalls vorläufig nicht die sich aus § 2
Abs. 1 Satz 1 APO-GOSt ergebende Höchstverweildauer entgegengehalten werden.
Denn bei einer vorläufigen Versetzung in die Jahrgangsstufe 12 ist selbst ausgehend
von einer Wiederholung der Jahrgangsstufe 11 die Zulassung zur Abiturprüfung
innerhalb der Vierjahresfrist erreichbar.
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Schließlich fällt im Rahmen der Folgenabwägung bezüglich der weiteren Schullaufbahn
des Antragstellers nicht entscheidend ins Gewicht, dass er nicht über die Berechtigung
zum Besuch der gymnasialen Oberstufe (§ 3 Abs. 1 APO-GOSt) verfügt. Denn nach § 3
Abs. 4 APO-GOSt kann die obere Schulaufsichtsbehörde eine Ausnahme erteilen. Eine
nähere Prüfung ist dem Verfahren zur Hauptsache vorzubehalten.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 1 und 2 des
Gerichtskostengesetzes. Der hälftige Ansatz des Auffangstreitwertes trägt dem
summarischen Charakter des Eilverfahrens Rechnung.
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