Urteil des VG Aachen vom 22.08.2005

VG Aachen: bundesamt für migration, abschiebung, sachliche zuständigkeit, aussetzung, duldung, libyen, anerkennung, unterliegen, heimatstaat, vollziehung

Verwaltungsgericht Aachen, 3 L 538/05
Datum:
22.08.2005
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
3. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 L 538/05
Tenor:
1. Der Ausländerbehörde des Antragsgegners wird im Wege der
einstweiligen Anordnung untersagt, den Antragsteller abzuschieben,
bevor sie ihm die Abschiebung nicht dergestalt angekündigt hat, dass
die Monatsfrist des § 60a Abs. 5 Satz 4 des Aufenthaltsgesetzes gewahrt
wird.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf EUR 1.250,- festgesetzt.
Gründe:
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Der Antrag,
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den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem
Antragsteller für die Dauer von drei Monaten eine Duldung zu erteilen,
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hat in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht
auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn
ein Antragsteller glaubhaft macht, dass ihm ein Anspruch auf ein bestimmtes Handeln
zusteht (Anordnungsanspruch) und dieser Anspruch in der Weise gefährdet ist, dass er
durch eine gerichtliche Eilentscheidung gesichert werden muss (Anordnungsgrund), vgl.
§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 der Zivilprozessordnung (ZPO).
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Zunächst hat der in Abschiebehaft einsitzende Antragsteller einen Anordnungsgrund
glaubhaft gemacht, weil ihm nach den Angaben des Antragsgegners am kommenden
Donnerstag, den 25. August 2005, die Abschiebung in seinen Heimstaat Libyen droht.
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Mit Blick auf diese Abschiebung steht dem Antragsteller auch ein (Anordnungs-)
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Anspruch auf Aussetzung bzw. auf Duldung zu, weil es der Antragsgegner versäumt hat,
die geplante Abschiebung entsprechend § 60a Abs. 5 Satz 4 des Aufenthaltsgesetzes
(AufenthG) anzukündigen. Nach dieser Vorschrift ist einem Ausländer, der - wie der
Antragsteller - länger als ein Jahr geduldet war, die für den Fall des Erlöschens der
Duldung vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen.
Diese strikte Voraussetzung ("ist ... anzukündigen") des im Aufenthaltsgesetz geregelten
Vollstreckungsrechts hat der Antragsgegner nach Lage der Akten bisher nicht beachtet.
Ein auf einer Duldungsbescheinigung aufgebrachter Vermerk über die erfolgte
Abschiebungsankündigung, wie er nach der dem Gericht bekannten Verwaltungspraxis
des Antragsgegners üblich ist, lässt sich nicht feststellen, und zwar weder auf den bis
zum 31. März 2005 verlängerten Duldungsbescheinigungen alter Art (Bl. 53 R bzw. 75 R
der Ausländerakte) noch auf den - eher an ein Ausweispapier erinnernden -
Duldungsbescheinigungen neuer Art (Bl. 77, 80, 88 sowie Bl. 95 der Ausländerakte).
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Auch ergeben sich keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer so genannten
konkludenten Ankündigung der Abschiebung, wie sie die noch zum früheren
Ausländerrecht ergangene Rechtsprechung im Einzelfall als ausreichend angesehen
hat,
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vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein- Westfalen (OVG NRW), Beschluss
vom 18. November 2002 - 18 B 2289/02 -, juris.
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Dass der Antragsteller aufgrund der bis zum 25. Oktober 2005 angeordneten und derzeit
in C. vollzogenen Abschiebehaft mit einer baldigen Abschiebung rechnen musste,
ändert im Übrigen nichts daran, dass bis zur Nachholung der vom Gesetz geforderten
Abschiebungsankündigung die Abschiebung als aus "rechtlichen Gründen unmöglich"
(§ 60a Abs. 2 AufenthG) anzusehen und damit einstweilen auszusetzen ist.
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Allerdings ist ein über die tenorierte Aussetzung der Abschiebung hinausgehender
Duldungsanspruch "für drei Monate" nicht glaubhaft gemacht. Insoweit ist der gestellte
Antrag abzulehnen.
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Ohne Erfolg beruft sich der Antragsteller unter Vorlage verschiedener Schriftstücke
("Memorandum", "Press Release" und "A new case of enforced disappearance: Mr.
Rajab Barka") auf seine aktive Teilnahme an Konferenzen der libyschen Liga für
Menschenrechte. Mit dem daraus abgeleiteten Einwand, er habe in Anknüpfung an sein
exilpolitisches Engagement in seinem Heimatstaat Libyen Verfolgungsmaßnahmen zu
befürchten, trägt er außerhalb seines noch anhängigen Asylklageverfahrens (VG
Aachen - .............. -) Gesichtspunkte des so genannten zielstaatsbezogenen
Abschiebungsschutzes vor. Für die Beurteilung des zielstaatsbezogenen
Abschiebungsschutzes besitzt jedoch die hier in Anspruch genommene
Ausländerbehörde des Antragsgegners keine sachliche Zuständigkeit.
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Das dafür sachlich zuständige Bundesamt für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, nachfolgend: Bundesamt)
hat bereits mit Bescheid vom 11. August 2003 den Asylantrag des Antragstellers als
offensichtlich unbegründet abgelehnt und festgestellt, dass die Voraussetzungen des §
51 Abs. 1 des Ausländergesetzes (AuslG) offensichtlich nicht und
Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Ferner hat das angerufene
Gericht die Aussetzung der Vollziehung der im Asylbescheid vom 11. August 2003
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enthaltenen Abschiebungsandrohung abgelehnt (VG Aachen, Beschluss vom 30.
September 2003 - ................ -).
Daher besteht eine negative Entscheidung des Bundesamtes über den
zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutz, an die der Antragsgegner gemäß § 42 des
Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) gebunden ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 2 VwGO und lässt das
geringfügige Unterliegen des Antragstellers kostenmäßig außer Betracht.
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Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes in Höhe eines Viertels des
Auffangstreitwert beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes
(GKG). Mit Rücksicht auf den einstweiligen Charakter des vorliegenden Verfahrens
erscheint das auf Aussetzung der Abschiebung gerichtete Antragsinteresse in der
bestimmten Höhe ausreichend und angemessen berücksichtigt.
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