Urteil des VG Aachen vom 01.04.2005

VG Aachen: politische verfolgung, syrien, die post, aufenthalt im ausland, bundesamt für migration, auskunft, ausreise, wahrscheinlichkeit, amnesty international, drohende gefahr

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Verwaltungsgericht Aachen, 9 K 993/02.A
01.04.2005
Verwaltungsgericht Aachen
9. Kammer
Urteil
9 K 993/02.A
Die Beklagte wird unter Aufhebung von Nummer 2. bis 4. des Bescheids
des Bundesamts vom 22. März 2002 - soweit er den Kläger zu 1. betrifft -
verpflichtet festzustellen, dass für den Kläger zu 1. ein
Abschiebungsverbot vorliegt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 1. trägt die Beklagte zur
Hälfte. Die Kläger tragen die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu
80%. Im Übrigen tragen die Beteiligten ihre außergerichtlichen Kosten
selbst. Etwaige durch die Verweisung des Rechtsstreits an das
erkennende Gericht entstandene Mehrkosten werden den Klägern
auferlegt. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige
Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung
in Höhe des Vollstreckungsbetrags abwenden, wenn nicht der jeweilige
Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher
Höhe leistet.
Tatbestand:
Die Kläger sind syrische Staatsangehörige kurdischer Volks- und yezidischer
Religionszugehörigkeit.
Zur Begründung ihrer im Oktober 2000 gestellten Asylanträge gaben sie bei ihrer - nach
Verlust des Anhörungsprotokolls vom 25. Oktober 2000 erneut durchgeführten - Anhörung
durch das damalige Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute:
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge; im Folgenden: Bundesamt) im Januar 2002 an,
der Kläger zu 1. habe in seiner Heimat einen Personalausweis, ein Wehrdienstheft,
Heiratsurkunde sowie nationalen und internationalen Führerschein besessen. Auf
Empfehlung des Schleppers habe er diese Dokumente bei seiner Ausreise
zurückgelassen. Er habe in Syrien zwei Wohnsitze gehabt. Überwiegend habe er sich im
Dorf L. K. , B. /B1. , aufgehalten. Darüber hinaus habe er in B1. unter der Anschrift C. C1. ,
Nr. 17, eine Eigentumswohnung besessen. Seine Kinder seien in B1. zur Schule
gegangen. Mit seiner Frau, der Klägerin zu 2., sei er seit 1985 standesamtlich verheiratet.
Sein im Jahre 1985 verstorbener Vater sei Landwirt gewesen. Seine Mutter lebe weiterhin
im Dorf L. K. . Im Bundesgebiet lebten vier Brüder. Er habe drei Jahre lang die Schule
besucht. Im Schuljahr 1969/70 habe er die Schule verlassen. Er könne lediglich etwas
rechnen und unterschreiben, im Übrigen sei er Analphabet. Er sei selbstständig gewesen.
Von 1979 bis 1983 habe er Militärdienst geleistet. Seit 1983 sei er angelernter Lkw-Fahrer.
Hiermit sei er in alle arabischen Länder sowie die Türkei gereist. Er habe überwiegend
öffentliche Transportleistungen erbracht. Die Transportagentur habe ihm Aufträge gegeben,
die er erfüllt habe. Oftmals habe er Vieh nach Saudi Arabien befördert. Gemessen an den
Verhältnissen seiner Heimat sei seine finanzielle Situation sehr gut gewesen. Nachdem er
sich im September 2000 nach T. begeben habe, seien seine Frau und die Kinder Anfang
Oktober des Jahres hinzugekommen. Gemeinsam seien sie in das Dorf T1. gereist. Sie
hätten die syrisch-türkische Grenze illegal überquert. In der Türkei habe ein Schlepper sie
nach Ankara gebracht. Dort hätten sie sich bis zum 19. Oktober 2000 aufgehalten. Der
Schlepper habe zwei türkische Reisepässe besorgt. Die Kinder seien im Pass seiner Frau
eingetragen gewesen. Dort hätten sich auch die Fotos ihrer Personen befunden. Die Pässe
seien dunkelblau gefärbt gewesen. Auf ihnen habe sich das türkische Staatsemblem
befunden. Mittels Direktflugs seien sie am 19. Oktober 2000 in Begleitung des Schleppers
von Ankara nach Köln geflogen. Der Abflug sei gegen 18.30 Uhr türkischer Ortszeit erfolgt.
Gegen 22.40 Uhr türkischer Zeit seien sie in Köln angekommen. Sie hätten problemlos die
Kontrollen passiert. Vereinbarungsgemäß hätten sie sämtliche Flugunterlagen an den
Schlepper übergeben müssen. Dieser habe seinen Bruder I. N. angerufen. Er habe sie
dann abgeholt. Er besitze keine Nachweise bezüglich der Luftwegeinreise. Das Flugzeug
habe lediglich einen Mittelgang gehabt. Sie hätten im hinteren Drittel des Flugzeugs, nicht
ganz hinten, gesessen. Man habe nicht rauchen können. Dies Stewardessen hätten
irgendetwas erklärt. Das habe er nicht richtig verstanden. Später sei Essen gereicht
worden. Vom Flugzeug zum Flughafengebäude seien sie mit einem Zubringerbus gefahren
worden. Er sei nicht Mitglied einer politischen Partei oder Organisation. Er habe aber mit
der Hizb Itihad Al Sha'ab und auch für diese Partei gearbeitet. Er sei nicht verurteilt worden.
Zweimal habe man ihn aber inhaftiert. Eine Inhaftierung sei im April/Mai 1997 erfolgt. Dabei
habe man Videos, Flugblätter der Partei sowie gespendete Lebensmittel gefunden. Ihn
habe man vom Lkw gestoßen. Dabei habe er sich den rechten Oberschenkel und Oberarm
gebrochen. Vor diesem Hintergrund habe man ihn lediglich zehn Stunden auf der
politischen Sicherheitspolizeistation festhalten können. Danach habe man ihn ins
Krankenhaus gebracht. Dort sei er operiert worden. Erst nach zwei Jahren habe er wieder
gut gehen können. In dieser Zeit sei er arbeitsunfähig gewesen. Er habe von Erspartem
gelebt. Anschließend habe die Großfamilie ihn unterstützt. Am 2. Juli 2000 sei er erneut
festgenommen worden. Bei seiner Ladung hätten sich zwei Säcke mit syrischer Währung,
Publikationen der Partei und Videomaterial befunden. Daher sei er festgenommen worden.
Bei dem Geld habe es sich um Spenden der Partei gehandelt. Wegen dieser Inhaftierung
vom 2. Juli bis 15. August 2000 sei er ausgereist. Seine Brüder und Parteifreunde hätten
eine Menge Bestechungsgeld gesammelt. Man habe ihn unter der Auflage freigelassen, er
solle sich alle zwei Wochen beim politischen Geheimdienst in B. melden. Er habe für die
vergangenen zwei Wochen jeweils alles berichten sollen. Bereits bei seiner ersten
Verhaftung habe seine Familie allerhand in die Wege geleitet, damit es keine weiteren
Folgen gebe. Wegen seiner schweren Verletzung habe man seinerzeit die Geschichte
ruhen lassen können. Im Krankenhaus hätten einen ganzen Monat lang zwei Polizisten vor
seinem Krankenhauszimmer gestanden. Auch zu Hause sei er immer wieder vom
politischen Geheimdienst vernommen worden. Man habe ihn damals deswegen so streng
bewacht, weil er in einem regulären Krankenhaus, nicht in einem Gefängniskrankenhaus,
gelegen habe. Das Gesetz schreibe die Bewachung vor. Im Anschluss an die erste
Verhaftung sei er fünf- beziehungsweise sechsmal zu Hause vernommen worden. Bei der
zweiten Inhaftierung habe er nicht zugegeben, woher das Geld und die anderen Sachen
stammten. Damals habe er Gemüse geladen gehabt. Er habe behauptet, die Beladenden
hätten diese Gegen- stände mit verladen. Man habe alle zwei Wochen wieder nachgehakt.
Dies habe ein Problem für die Partei dargestellt. Parteifreunde hätten ihm geraten, Syrien
zu verlassen. Möglicherweise habe man ihn jetzt missverstanden: Nach seiner zweiten
Entlassung habe er täglich zum politischen Geheimdienst gehen und Bericht erstatten
müssen. Nach Bemerken durch Parteifreunde habe er sein Einverständnis zum Verlassen
Syriens erklärt. Die Parteifreunde hätten ihn dann nach T. verbracht. Er sei sozusagen
verschwunden. Der politische Sicherheitsdienst sei des Öfteren zu ihm nach Hause
gekommen. Man habe auch das Haus durchsucht. Den Lkw habe man bei der zweiten
Inhaftierung sichergestellt. Sein Bruder habe ihn durch Bestechungszahlungen aber wieder
freibekommen und den Lkw sodann verkauft. Auf den Transport derart gefährlicher Dinge
habe er sich eingelassen, weil die Partei gemeint habe, er sei insgesamt ein unauffälliger
Mensch. Er sei schließlich ständig unterwegs gewesen. Dies sei unauffällig. Er habe
sicherlich an die einhundertmal Gegenstände für die Partei transportiert. Auch wenn er
Vater von vier Kindern sei, sie er eigentlich kein politischer Mann. Er habe die Partei
unterstützt. Er habe Angst gehabt, sich zurückzuziehen. Darüber hinaus habe er Angst um
sich selbst, die Brüder und die Familie gehabt. Gegebenenfalls hätte die Partei ihn im Stich
gelassen und etwas unternommen. Er sei gleichsam Geheimnisträger für die Partei
geworden. Er habe eine ganze Menge Leute gekannt. Darüber hinaus habe er gewusst,
wofür die Partei zuständig sei. Die Parteipost habe sich zwischen dem Gemüse befunden.
Sein Bruder I. N. sei auch politisch tätig. Die Kurierfahrten habe er 1994 übernommen. Die
Parteifreunde habe er seit 1990 von einer Olivenpresse im Dorf gekannt. Man habe sich
untereinander gekannt. Sie hätten die Vorzüge als Lkw- Fahrer nutzen wollen. Er habe
lediglich die Kurierfahrten gemacht und für die Partei gespendet. Man habe ihn über
Bestechung freigelassen. Dazu müsse man einen Offizier kennen. Dieser suche einen zu
Hause auf. In seinem Fall hätten die Brüder I1. N. und N1. N. sich um die Verbindung
bemüht. I1. habe den Offizier Aziz Skef gekannt. Er habe des Weiteren viele Leute gekannt,
die auf diesen Einfluss nehmen könnten. Beim ersten Inhaftierungsvorfall sei es jedenfalls
über vorerwähnten Offizier gelaufen. Ob es beim zweiten Mal genauso gewesen sei,
entziehe sich seiner Kenntnis. Sein Bruder habe ihm gesagt, er habe im ersten Fall
300.000 bis 400.000 syrische Lira bezahlt. Angesprochen auf die Ziele der Hizb Itihad Al
Sha'ab könne er angeben, dass sie Frieden, Demokratie und die Rechte des kurdischen
Volkes verfolge. Die Partei wolle legal arbeiten. Sie habe sich dafür eingesetzt, dass die
kurdische Sprache verwendet und an den Schulen Kurdisch gelehrt wird. Im Grunde gebe
es kaum Unterschiede zwischen dieser und anderen kurdischen Parteien. Seine Tätigkeit
habe er ehrenamtlich wahrgenommen. Er habe als Kurde etwas für sein Volk tun wollen.
Für sein tägliches Erscheinen bei der politischen Abteilung habe es allerlei Gründe
gegeben: Man habe ihn unter Kontrolle bringen wollen. Man habe täglich wissen wollen,
was er tue. Außerdem habe man sicherlich Geld kassieren wollen. Schließlich habe man
ihn letztlich zu einem Fehler bringen wollen. Die Übernahme von Parteimaterial sowie die
Übergabe seien jeweils abgesprochen gewesen. In B. seien zwei beziehungsweise drei
Personen zuständig gewesen. Er habe sich auf offener Strecke außerhalb der Stadt
aufgehalten. Sie seien jeweils mit einem Traktor oder Pick-up gekommen. Sie hätten
Parteipost geholt oder gebracht. Er habe sich darum gekümmert, ob Verdächtige in der
Nähe gewesen seien. In B. habe er beispielsweise Post nach B2. übernommen. Er selbst
habe immer genau gewusst, wo die Post deponiert gewesen sei. Die Leute hätten die Post
von sich aus herausgefischt. Das habe etwa zehn Minuten gedauert. Er habe davon gehört,
dass ihn der Sicherheitsdienst nach wie vor suche. Man frage zu Hause nach ihm. Seine
Brüder N1. und I1. seien des Öfteren vom Sicherheitsdienst kurz vernommen worden. Sie
könnten sich immer gegen Bezahlung freikaufen. Man frage nach seinem Bruder I. N. sowie
seiner Person. Andere Ausreisegründe besitze er nicht. Ihm sei bekannt, dass man Druck
auf seine Frau ausübe, Informationen über ihn preiszugeben. Bei einer Rückkehr würde
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man ihn festnehmen und foltern. Er besitze eine Narbe am Kopf. Im Gefängnis habe man
ihn mit dem Kopf an die Wand geschlagen. Man habe ihn gefoltert, weil man die Herkunft
des Materials habe erfahren wollen. Er habe aber nichts gesagt.
Die Klägerin zu 2. gab an, im achten Monat schwanger zu sein. Bis zur Türkei habe sie
ihren Personalausweis dabeigehabt. Man habe ihnen aber gesagt, sie dürften keinerlei
Dokumente mitführen. Bis zu ihrer Ausreise hätten sie zwei Wohnungen, nämlich in L. K. ,
B. /B1. , sowie in B1. unter der Anschrift C. C1. , Nr. 17, unterhalten. Dort hätten sie sich bis
zur Ausreise aufgehalten. Sie habe die Schule ebenfalls nur drei Jahre lang besucht. Sie
sei Analphabetin. Sie könne lediglich unterschreiben. Sie sei immer Hausfrau gewesen.
Ihre Ausreise habe sich in der Form zugetragen, dass sie an einem Freitag aus Syrien
ausgereist seien. Nachts habe man sie abgeholt. Ihr Mann sei bereits vorgereist gewesen.
Sie habe ihren Mann dann im Dunkeln getroffen. Dies sei in einem Dorf in der Nähe der
türkischen Grenze erfolgt. Ihr Schwager N1. N. habe sie von B1. aus mitgenommen.
Gemeinsam seien sie zur Grenze gefahren. Mit Hilfe eines Schleppers hätten sie die
Grenze illegal überquert. Sie seien dann einer großen Stadt der Türkei angekommen.
Angaben ihres Mannes zufolge sei dies Ankara gewesen. Das genaue Datum wisse sie
nicht mehr. Bei ihrer weiteren Reise hätten sie türkische Pässe besessen. Die Namen der
Inhaber kenne sie nicht. Die Kinder seien in ihrem Pass aufgeführt gewesen. Die Maschine
sei gegen 18.30 Uhr gestartet. Gegen 22.40 Uhr seien sie in Köln angekommen. In
Deutschland habe der Schlepper ihren Schwager angerufen. Dann sei er verschwunden.
Er habe die Reisepässe, Flugtickets und alles mitgenommen. Herr I. N. habe sie dann am
Flughafen abgeholt. Seine Frau, ihre Schwester, sei auch dabei gewesen. Vom Flugzeug
habe ein Zubringerbus sie zum Flughafengebäude gebracht. Sie habe sich weder politisch
betätigt noch sei sie verhaftet worden. Allerdings hätten Sicherheitsbeamte sie zu Hause
vernommen. Ihr Mann sei zweimal festgenommen worden. Das erste Mal sei er nicht so
lange im Gefängnis geblieben. Er sei verletzt gewesen und ins Krankenhaus gebracht
worden. Das zweite Mal - im Jahr der Ausreise geschehen - sei er ungefähr einen Monat
und dreizehn/vierzehn Tage festgenommen worden. Das erste Mal müsse es, gerechnet
vom Zeitpunkt der Anhörung, vier oder fünf Jahre her gewesen sein. Damals habe man ihn
täglich im Krankenhaus besucht. Es habe dabei immer Schwierigkeiten gegeben: Zwei
Polizisten hätten vor der Tür gestanden. Sie habe mit ihnen zwecks Einlass verhandeln
müssen. Nach einmonatigem Krankenhausaufenthalt habe ihr Mann etwa zwei Jahre lang
nicht arbeiten können. Beide Male habe ihr älterer Schwager, Herr I1. N. , sie von den
Verhaftungen unterrichtet. Um die Freilassung hätten sich ihre Schwäger gekümmert. Sie
hätten versucht, Beziehungen herzustellen. Sie hätten für die Freilassung eine Menge Geld
bezahlt. Nach der zweiten Freilassung sei ihr Mann nicht länger als zwei Wochen
beziehungsweise fünfzehn Tage zu Hause geblieben. Er habe auch morgens immer um
acht Uhr nach B. fahren müssen. Gegen Mittag sei er zurückgekehrt. Sie seien lediglich
wegen der Probleme des Ehemanns ausgereist. Bei einer Rückkehr befürchte sie, häufig
vernommen zu werden. Sie schließe nicht aus, inhaftiert zu werden, solange ihr Mann fort
sei.
Unter dem 8. Februar 2002 teilte die Turkish Airlines dem Bundesamt mit, dass im Flug TK
1685 am 19. Oktober 2000 ein B. N. an Bord gewesen sei. Diesem Schreiben ist die
Passagierliste beigefügt.
Mit Bescheid vom 22. März 2002 lehnte das Bundesamt die Anträge auf Anerkennung als
Asylberechtigte ab. Zugleich stellte es fest, dass weder die Voraussetzungen eines
Abschiebungsverbots noch Abschiebungshindernisse vorlägen. Schließlich forderte es die
Kläger zur Ausreise aus dem Bundesgebiet binnen eines Monats nach Bekanntgabe der
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Entscheidung auf. Für den Fall der Nichteinhaltung der gesetzten Ausreisefrist drohte es
ihnen die Abschiebung nach Syrien an. Dabei wies es darauf hin, dass die Abschiebung
auch in einen anderen aufnahmebereiten oder -verpflichteten Staat erfolgen könne.
Die Kläger haben am 27. März 2002 beim Verwaltungsgericht Köln Klage erhoben. Dieses
hat den Rechtsstreit durch Beschluss vom 13. Mai 2002 an das erkennende Gericht
verwiesen.
Die Kläger tragen in Vertiefung ihres Vorbringens aus dem Verwaltungsverfahren vor, sie
seien aus einer unmittelbar bevorstehenden Verfolgungssituation geflüchtet. Bei Verbleib
in Syrien hätten sie mit Verhaftung durch den staatlichen Geheimdienst sowie Folter
rechnen müssen. Darüber hinaus werte der syrische Staat das Stellen eines Asylantrags im
Ausland als regimegegnerisches Verhalten und bedrohe es teilweise mit hohen
Sanktionen. Frau X. L1. , syrische Staatsangehörige, habe anlässlich eines Besuchs in
Deutschland erklärt, die klägerische Familie seit ihrer Kindheit zu kennen. Wegen der
weiteren Einzelheiten des diesbezüglichen Vortrags wird auf das Schreiben vom 28.
November 2002 Bezug genommen. Aus ihren Angaben ergebe sich, dass im Falle einer
Rückkehr nach Syrien staatliche Verfolgungsmaßnahmen drohten. Im Übrigen habe Frau
L1. die Richtigkeit ihrer Angaben eidesstattlich versichert. Mit Schreiben vom 15. Januar
2003 ließ der Kläger zu 1. auf seine exilpolitische Betätigung hinweisen. Er befinde sich im
Kampf gegen die syrische Regierung. Er sei der Partei der Kurdischen Volksunion
beigetreten. Dies ergebe sich aus der Bescheinigung vom 6. Januar 2003. Darüber hinaus
sei er der yezidischen Glaubensgemeinschaft beigetreten. Einzelheiten ergäben sich aus
der Bescheinigung der Yezidischen Glaubensgemeinschaft - Zentrum im Ausland e. V.,
Hannover. Des Weiteren nehme er laufend an Veranstaltungen und Demonstrationen teil.
So habe er am 29. Januar 2003 in Brüssel für die Demokratie von Kurden in Syrien
demonstriert. Am 24. März 2003 habe er in Aachen Flugblätter verteilt. Dies ergebe sich
auch aus Fotos. Darüber hinaus belege ein Video, dass er im Bundesgebiet, in den
Niederlanden und in Belgien demonstriert habe. Fotos exilpolitischer Tätigkeiten
dokumentierten seine Engagements ebenfalls.
Die Kläger beantragen,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamtes vom 22. März 2002 zu
verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen sowie das Vorliegen eines
Abschiebungsverbotes festzustellen,
hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungshindernisse im
Sinne des § 60 Abs. 2 bis 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Sie nimmt auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung Bezug.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands, insbesondere hinsichtlich
des Vorbringens des Klägers zu 1. in der mündlichen Verhandlung, wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie des von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgangs Bezug
genommen. Die Erkenntnisse der Kammer zum Herkunftsland Syrien sind - ebenso wie die
im Terminsprotokoll, auf das verwiesen wird, aufgeführten Erkenntnismittel - in das
Verfahren eingeführt worden.
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Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
Der Kläger zu 1. kann die Verpflichtung der Beklagten beanspruchen, ein
Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG festzustellen. Insoweit sind die
entgegenstehenden Entscheidungen im streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamts
aufzuheben (Nr. 2. bis 4.). Im Übrigen stehen den Klägern die geltend gemachten
Ansprüche - namentlich diejenigen auf Anerkennung als Asylberechtigte - nicht zu, und die
die Kläger zu 2. bis 6. betreffende Abschiebungsandrohung ist rechtmäßig (vgl. § 113 Abs.
5 Satz 1 und Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Der Kläger zu 1. hat mit Blick auf Art. 16 a Abs. 2 GG in Verbindung mit § 26 a Abs. 1 Sätze
1 und 2, Abs. 2 in Verbindung mit der Anlage I zum AsylVfG keinen Anspruch auf
Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16 a Abs. 1 GG. Nach Art. 16 a Abs. 2 Satz 1
GG kann sich auf Art. 16 a Abs. 1 GG nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der
Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die
Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention
zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten
außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Art. 16 a
Abs. 2 Satz 1 GG zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates
bedarf, bestimmt (Art. 16 a Abs. 2 Satz 2 GG). Demgemäß bestimmt § 26 a Abs. 1 Satz 1,
Satz 2 des AsylVfG, dass ein Ausländer, der aus einem Drittstaat im Sinne des Art. 16 a
Abs. 2 Satz 1 GG (sicherer Drittstaat) eingereist ist, sich nicht auf Art. 16 a Abs. 1 GG
berufen kann und nicht als Asylberechtigter anerkannt werden kann. Sichere Drittstaaten
sind gemäß § 26 a Abs. 2 AsylVfG außer den Mitgliedstaaten der Europäischen
Gemeinschaften die in der Anlage I zum AsylVfG bezeichneten Staaten.
Da die Bundesrepublik Deutschland von sicheren Drittstaaten umgeben ist, ist das
Asylrecht bei einer Einreise auf dem Landweg grundsätzlich ausgeschlossen. Eine
Anerkennung als Asylberechtigter kommt mithin in der Regel nur bei einer Einreise des
Asylbewerbers in die Bundesrepublik Deutschland auf dem Luft- oder auf dem Seeweg in
Betracht. Ob ein Asylantragsteller auf dem Land-, dem Luft- oder Seeweg in die
Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, ist eine in Ausübung tatrichterlichen Ermessens
von Amts wegen durch das Gericht aufzuklärende Tatsache (vgl. § 86 Abs. 1 VwGO). Das
Gericht hat im Rahmen seiner Überzeugungsbildung alle Umstände zu würdigen (vgl. §
108 Abs. 1 VwGO). Dabei hat es auch zu berücksichtigen, dass und aus welchen Gründen
die nach § 15 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 5, Abs. 3 Nr. 3 und Nr. 4 AsylVfG nicht zuletzt hinsichtlich
seiner Angaben zum Reiseweg gesetzlich vorgesehene Mitwirkung des Asylbewerbers bei
der Feststellung des Reiseweges unterblieben ist. Insbesondere kann frei gewürdigt
werden, dass und aus welchen Gründen der Asylbewerber mit falschen Papieren nach
Deutschland eingereist ist. Gleiches gilt für den Gesichtspunkt, dass und warum er
Reiseunterlagen, die für die Feststellung seines Reiseweges bedeutsam sind, nach seiner
Ankunft in Deutschland aus der Hand gegeben hat. Zu berücksichtigen ist schließlich, dass
und weshalb der Betreffende gegebenenfalls den Asylantrag nicht bei seiner Einreise an
der Grenze (vgl. § 18 a AsylVfG), sondern erst Tage und Wochen später an einem anderen
Ort gestellt hat.
Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 29. Juni 1999 - 9 C 36.98 - , Amtliche
Entscheidungssammlung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE) 109, 174 ff.
Der Tatrichter hat das Vorbringen des Asylbewerbers gerade in den Fällen besonders
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kritisch und sorgfältig zu prüfen, in denen der Asylbewerber die Weggabe wichtiger
Beweismittel behauptet, also in den Fällen einer selbst geschaffenen Beweisnot. Den
Asylsuchenden trifft insoweit keine Beweisführungspflicht. Das Gericht kann aber bei der
Feststellung des Reiseweges die behauptete Weggabe von Beweismitteln wie bei einer
Beweisvereitelung zu Lasten des Asylbewerbers würdigen. Dies mag um so näher liegen,
je weniger plausibel die Gründe erscheinen, die für das beweiserschwerende Verhalten
angeführt werden. So kann etwa das Vorbringen, der Schleuser habe die Dokumente zur
Wahrung seiner Interessen - namentlich zum Schutz vor Enttarnung und Bestrafung -
wieder an sich genommen, regelmäßig weder erklären, weshalb der Flüchtling nach dem
Passieren der Passkontrolle, also gleichsam unter den Augen der deutschen
Grenzbehörden, zu seinem Nachteil Beweismittel aus der Hand gegeben hat, noch warum
er sich nicht wenigstens ohne Papiere unverzüglich bei der Grenzbehörde im Flughafen
gemeldet und dort um den begehrten asylrechtlichen Schutz nachgesucht hat. Der
pauschale Vortrag der Weggabe von Flugunterlagen kann danach ebenso wie eine
Weigerung oder das Unvermögen, mit der Flugreise im Zusammenhang stehende Fragen -
etwa nach dem Namen in den benutzten gefälschten Pässen - zu beantworten, den
Schluss rechtfertigen, dass die Einreise über einen Flughafen nur vorgespiegelt wird.
Einen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass niemand eine illegale Einreise mit
gefälschten Ausweispapieren unternimmt, ohne sich zumindest Name, Anschrift, Geburtsort
oder Geburtsdatum der Person einzuprägen, als die er einreisen will, gibt es allerdings
nicht.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Juni 1999, a.a.O.
Ist das Gericht bei alledem nicht davon überzeugt, dass der Asylbewerber
behauptungsgemäß auf dem Luftweg eingereist ist, kann es gleichzeitig aber auch nicht die
Überzeugung gewinnen, dass er auf dem Landweg eingereist ist, und sieht es keinen
Ansatzpunkt für eine weitere Aufklärung des Reisewegs, hat es die Nichterweislichkeit der
behaupteten Einreise auf dem Luftweg ("non liquet") festzustellen und eine
Beweislastentscheidung zu treffen. Bleibt der Einreiseweg unaufklärbar, trägt der
Asylbewerber die materielle Beweislast für seine Behauptung, ohne Berührung eines
sicheren Drittstaates nach Art. 16 a Abs. 2 GG, § 26 a AsylVfG auf dem Luft- oder Seeweg
nach Deutschland eingereist zu sein.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Juni 1999 - 9 C 36.98 -, BVerwGE 109, 174 ff.; OVG NRW,
Urteil vom 1. Juli 2002 - 9 A 4142/01.A -, NVwZ 2002, Beilage Nr. I/10, 108.
Ausgehend hiervon steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger zu 1.
auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist. Den vergleichsweise
genauen Angaben des Klägers zu 1. über die behauptete Luftwegeinreise steht die im
Tatbestand wiedergegebene Auskunft der Turkish Airlines vom 8. Februar 2002 entgegen.
Hiernach ist im Flug TK 1685 am 19. Oktober 2000 ein B. N. an Bord gewesen. Der
beigefügten Passagierliste lässt sich nicht entnehmen, dass der Kläger zu 1. (unter
welchem Namen?) mitgeflogen ist. Die vor diesem Hintergrund zu treffende eine
Beweislastentscheidung geht zu seinen Ungunsten aus. Insbesondere konnte der Kläger
zu 1. weder die bei seinem behaupteten Flug von Ankara nach Köln am 19. Oktober 2002
benutzten Reiseunterlagen noch den vorgeblich bei der Einreise verwendeten türkischen
Pass vorlegen. Die Erklärung, die Unterlagen dem Schlepper zurück gegeben haben zu
müssen, überzeugt in ihrer Allgemeinheit nicht. Zu berücksichtigen ist insoweit vor allem,
dass sich der Kläger zu 1. auch nicht unmittelbar nach der behaupteten Luftwegeinreise zu
den zuständigen Stellen des Staates begeben hat, um dessen Schutz es ihm geht. Eine
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abweichende Bewertung ist nicht mit Blick auf § 26 a Abs. 1 Satz 3 AsylVfG geboten.
Hiernach gilt § 26 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG in bestimmten Fällen nicht. Die
Voraussetzungen hierfür sind nicht erfüllt.
Der Kläger zu 1. hat jedoch einen Anspruch auf die Feststellung, dass die
Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorliegen.
Nach dieser Vorschrift darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem
sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner
Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen
Überzeugung bedroht ist. Für die Anforderungen an die Bejahung einer politischen
Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG gilt in Bezug auf
Verfolgungshandlung, geschütztes Rechtsgut und politischen Charakter der Verfolgung
grundsätzlich dasselbe wie bei Art. 16 a Abs. 1 GG. Auch die Unterscheidung der
Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe gilt entsprechend.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 18. Februar 1992 - 9 C 59.91 -, DVBl. 1992, 843, vom 26.
Oktober 1993 - 9 C 50.92 u. a. -, NVwZ 1994, 500, und vom 18. Januar 1994 - 9 C 48.92 -,
DVBl. 1994, 531.
Nach Art. 16 a Abs. 1 GG genießen politisch Verfolgte Asylrecht. Verfolgt im Sinne dieser
Vorschrift ist derjenige, dessen Leib, Leben oder persönliche Freiheit in Anknüpfung an
seine politische Überzeugung, an seine religiöse Grundentscheidung oder an für ihn
unverfügbare Merkmale, die sein Anderssein prägen (asylerhebliche Merkmale), gefährdet
oder verletzt werden. Es muss sich um gezielte staatliche oder jedenfalls dem Staat
zuzurechnende Rechtsverletzungen handeln, die den Einzelnen ihrer Intensität nach aus
der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Die
Verfolgungsmaßnahme kann dem Einzelnen oder einer durch ein asylerhebliches Merkmal
gekennzeichneten Gruppe - und dort allen Gruppenmitgliedern oder dem Einzelnen wegen
seiner Gruppenzugehörigkeit - gelten.
Vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschlüsse vom 5. August 1998 - 2 BvR 153/96 -,
Deutsches Verwaltungsblatt (DVBl.) 1998, 1178, sowie vom 10. Juli 1989 - BvR 502, 1000,
961/86 -, Amtliche Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) 80,
315, 333 ff., und vom 23. Januar 1991 - BvR 902/85 und 515, 1827/89 -, BVerfGE, 83, 216.
Die Gefahr eigener politischer Verfolgung kann sich dann aus gegen Dritte gerichteten
Maßnahmen ergeben, wenn letztere wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt
werden, das der Antragsteller mit ihnen teilt, und er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit
und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet. Die Verfolgungshandlungen
müssen nach ihrer Art jedem einzelnen Mitglied der Gruppe das Gefühl geben, es werde
allein wegen seiner Gruppenzugehörigkeit politisch verfolgt und sei bisher eher zufällig von
konkreten Maßnahmen verschont geblieben. In einer solchen Lage kann die Gefahr
eigener politischer Verfolgung auch aus fremdem Schicksal abgeleitet werden.
Asylerhebliche Rechtsverletzungen sind Eingriffe in Leib, Leben und physische Freiheit, da
sie generell die asylrechtlich erforderliche Intensität und Schwere haben. Maßnahmen, die
andere Rechtsgüter treffen, sind dann Verfolgung, wenn sie nach ihrer Intensität und
Schwere in die Menschenwürde des Opfers eingreifen und über das hinausgehen, was die
Bewohner des Verfolgerstaates aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein
hinzunehmen haben. Eingriffe, die unterschiedliche Schutzgüter mit jeweils nicht
asylerheblicher Intensität treffen (Vielzahl diskriminierender Nadelstiche), sind auch in ihrer
Gesamtheit keine Verfolgung im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG.
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Gezielt ist der Eingriff, wenn die Rechtsverletzung "wegen" eines asylerheblichen
Merkmals erfolgt. Ob eine in dieser Weise spezifizierte Zielrichtung vorliegt, ist anhand
ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu
beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden leiten.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. August 1998 - 2 BvR 153/96 -, DVBl. 1998, 1178.
Dabei ist es grundsätzlich unerheblich, ob die Verfolgungsmaßnahmen unmittelbar vom
Staat ausgehen oder durch Dritte erfolgen; derartige Handlungen Dritter sind als politische
Verfolgung zu werten, wenn sie dem jeweiligen Staat zuzurechnen sind, weil er etwa die
Handlungen unterstützt, einvernehmlich duldet oder nicht bereit ist bzw. sich nicht in der
Lage sieht, die ihm an sich verfügbaren Mittel im konkreten Fall gegenüber den
Verfolgungsmaßnahmen Dritter einzusetzen. Der eingetretenen Verfolgung steht eine
unmittelbar drohende Gefahr gleich.
Derjenige, der von nur regionaler oder örtlich begrenzter Verfolgung
- vgl. zum Begriff und zur Abgrenzung BVerwG, Urteile vom 30. April 1996 - 9 C 171.95 -,
BVerwGE 101, 135, 139 ff. und vom 9. September 1997 - 9 C 43.96 -, DVBl. 1998, 274 ff. -
betroffen ist, ist erst dann politisch Verfolgter im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG, wenn er
auch in anderen Teilen seines Heimatlandes keine zumutbare Zuflucht finden kann (sog.
inländische Fluchtalternative)
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. November 1989 - 2 BvR 403, 1501/84 -, DVBl. 1990, 201;
BVerwG, Urteil vom 15. Mai 1990 - 9 C 17.89 -, DVBl. 1990, 1064 ff. -
und dadurch landesweit in eine ausweglose Lage versetzt wird.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Oktober 1987 - 9 C 19.86 -, Buchholz, Sammel- und
Nachschlagewerk des Bundesverwaltungsgerichts, Ordnungs-Nr.: 402.25 § 1 AsylVfG Nr.
71 mit Nachweisen, sowie Beschluss vom 25. Januar 1996 - 9 B 591.95 -.
Nach dem durch den Zufluchtgedanken geprägten, also auf dem Ursachenzusammenhang
Verfolgung-Flucht-Asyl beruhenden gesetzlichen Leitbild des Asylgrundrechts gelten
schließlich für die Beurteilung, ob ein Antragsteller den Schutz des Asylrechts einfordern
kann, unterschiedliche Maßstäbe je nachdem, ob er seinen Heimatstaat auf der Flucht vor
eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder ob er
unverfolgt in die Bundesrepublik Deutschland gekommen ist. Im erstgenannten Fall ist Asyl
zu gewähren, wenn der Asylsuchende vor erneuter Verfolgung nicht hinreichend sicher
sein kann. Das gilt entsprechend in den Fällen einer landesweiten oder regionalen
Gruppenverfolgung, die erst nach der Flucht eingesetzt hat.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 30. April 1996 und 9. September 1997, jeweils a.a.O.
Andernfalls kann ein Asylantrag nur Erfolg haben, wenn dem Asylbewerber bei seiner
Rückkehr politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 10. Juli 1989 - BvR 502, 1000, 961/86 -, a.a.O., S. 345 f.
Der Asylsuchende hat bei alledem wegen seiner prozessualen Mitwirkungspflicht die
Gründe für eine politische Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er muss unter
Angabe genauer Einzelheiten einen zusammenhängenden, in sich stimmigen Sachverhalt
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betreffend sein persönliches Verfolgungsschicksal schildern, der nicht in wesentlicher
Hinsicht in unauflösbarer Weise widersprüchlich ist und aus dem sich - als wahr unterstellt -
bei verständiger Würdigung die behauptete Verfolgung ergibt. In Bezug auf Vorgänge im
Heimatland des Asylsuchenden ist für die Überzeugungsbildung des Gerichts zu fordern,
dass die Asylgründe glaubhaft gemacht sind. Soweit die asylbegründenden Tatsachen auf
dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland eingetreten sind, hat der Asylsuchende
demgegenüber den vollen Beweis zu führen.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. April 1985 - 9 C 109.84 -, BVerwGE 71, 180.
Gemessen an diesen Maßstäben hat der Kläger zu 1. im maßgeblichen Zeitpunkt der
mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) glaubhaft gemacht, Syrien auf
der Flucht vor eingetretener politischer Verfolgung verlassen zu haben. Dies ergibt sich zur
Überzeugung des Gerichts aus seinen auf Nachfragen eingehenden, anschaulichen und in
sich stimmigen Ausführungen. Hiernach hat er sich als Sympathisant für die Hizb Itihad Al
Sha'ab betätigt, ohne Parteimitlied zu sein. Im Anschluss an eine im April/Mai 1997 erfolgte
Inhaftierung hat er auf Bitten von Parteifreunden seine Tätigkeit für die Partei im Jahre 2000
wieder aufgenommen. Er hat mit seinem Lastkraftwagen unter anderem Videos und
Flugblätter transportiert. Im Juli 2000 hat man erneut Veröffentlichungen der Partei und
Videomaterial in seinem Lkw gefunden. Man hat ihn vom 2. Juli bis zum 15. August 2000
inhaftiert. Er ist - erneut - durch Bestechung und unter Auflagen freigekommen.
Dieser Sachverhalt ist glaubhaft. Der Kläger zu 1. beantwortete sämtliche Nachfragen des
Gerichts jeweils - sowohl bezüglich des Kern- als auch hinsichtlich des Randgeschehens -
spontan und bereitwillig. Er kannte den (auch kurdischen) Namen der von ihm unterstützten
Partei sowie deren wesentliche geschichtliche Entwicklung. Darüber hinaus war ihm die
von der Partei in Syrien herausgegebene Zeitung geläufig. Zugleich zeigte er sich über die
Hintergründe kurdischer Parteien in Syrien unterrichtet. Ausschlaggebendes Gewicht für
die Bewertung seiner Angaben als glaubhaft misst das Gericht der Tatsache bei, dass der
Kläger zu 1. auch nach längerer Befragung das Geschehen bezüglich seiner zweiten
Inhaftierung anschaulich und detailliert sowie den Ablauf danach gleichbleibend
geschildert hat. Insbesondere überzeugten die Angaben des Klägers zu 1. zu seinen
diesbezüglichen Empfindungen bzw. Wahrnehmungen und zu den Tagesabläufen. Das
gesamte Vorbringen ist weder durch Widersprüche noch durch Ungereimtheiten
gekennzeichnet. Dies gilt namentlich für die Erklärung des Klägers zu 1., warum die Partei
erneut auf ihn zurückgegriffen hat.
Vor diesem Hintergrund ist es glaubhaft, dass der Kläger zu 1. - zumal in einem Zeitpunkt,
in dem die Übernahme des Amtes des syrischen Staatspräsidenten durch Bashar Al-Assad
noch nicht allzu lange zurücklag und er seine eigene Herrschaft erst festigen musste, so
dass auf (vermutetes) regimekritisches Verhalten von Seiten der Sicherheitsbehörden
besonders sensibel reagiert wurde - in das Blickfeld der syrischen Sicherheitsbehörden
geraten konnte.
Vgl. in diesem Zusammenhang AA, Auskunft vom 24. April 2003 an das VG Aachen; vgl.
auch AA, Auskunft vom 24. Januar 2005 an das VG Schleswig; Deutsches Orient-Institut
(DOI), Auskunft vom 31. Januar 2005 an das VG Schleswig.
Innerstaatliche Ausweichmöglichkeiten im Falle staatlicher Repressionen bestanden und
bestehen in Syrien nicht.
Vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Syrien (Lagebericht)
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vom 13. Dezember 2004 (Stand: November 2004), S. 17.
Die mit Blick auf vorstehend beschriebene Vorverfolgung des Klägers zu 1. nach dem
herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab erforderliche Feststellung, dass er bei
Rückkehr nach Syrien vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist, lässt sich nicht
treffen. Insbesondere ist eine Verhaftung seiner Person bei Rückkehr nach Syrien mit der
Gefahr von Folterungen im Zuge der dann durchgeführten Vernehmungen vor dem
Hintergrund seines glaubhaft vorgetragenen Vorfluchtschicksals nicht mit hinreichender
Sicherheit auszuschließen. Bei der Wiedereinreise würde der Kläger zu 1. vielmehr am
Flughafen bzw. Grenzübergang eingehenden, gegebenenfalls mehrtägigen Verhören
durch die syrischen Sicherheitskräfte unterzogen. Sollten bei diesem Einreiseverhör über
den infolge der Asylantragstellung regelmäßig bestehenden "Anfangsverdacht" hinaus
Verdachtsmomente für die Annahme bestehen, dass sich die Rückkehrer vor ihrer Ausreise
aus Syrien politisch oppositionell gegen den syrischen Staat betätigt haben, ist die
Verbringung in ein Haft- und Verhörzentrum wahrscheinlich, in dem grundsätzlich die
Gefahr der Anwendung von Folter und sonstiger menschenrechtswidriger Behandlung
droht.
Vgl. AA, Lagebericht, S. 21. f.; vgl. auch AA, Auskunft vom 4. August 2004 an das VG
Stade.
Das Gericht sieht entsprechend § 31 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG von einer Entscheidung
über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen ab. Die Klage des Klägers zu 1. hat mit
dem Hauptantrag im zuvor dargestellten Umfang Erfolg. Die ihn betreffende
Abschiebungsandrohung in Nummer 4. des streitgegenständlichen Bescheids des
Bundesamts ist aufzuheben. Sie erweist sich im Hinblick auf die ausgesprochene
Verpflichtung der Beklagten, ein Abschiebungsverbot festzustellen, als rechtswidrig (§§ 34
und 38 Abs. 1 AsylVfG in Verbindung mit §§ 59 Abs. 3, 60 Abs. 10 AufenthG).
Vgl. Urteil der Kammer vom 17. September 2004 - 9 K 996/01.A -.
Die Klage der Kläger zu 2. bis 6. ist unbegründet. Soweit der Bescheid des Bundesamtes
vom 21. Mai 2001 sie betrifft, ist er rechtmäßig.
Aus den zum Kläger zu 1. geschilderten Gründen scheitert ein Anspruch auf Anerkennung
als Asylberechtigte bereits an der fehlenden Überzeugung des Gerichts von der
behaupteten Luftwegeinreise der Kläger. Die Kläger zu 2. bis 6. können auch nicht die
Verpflichtung der Beklagten beanspruchen, ein Abschiebungsverbot festzustellen. Sie sind
nach ihrem Vorbringen aus dem Verwaltungs-und Klageverfahren nicht vorverfolgt aus
Syrien ausgereist. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung haben sie
nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung durch ihren Heimatstaat zu
befürchten.
Was zunächst eine etwaige Vorverfolgung ihrer Personen angeht, so hat namentlich die
Klägerin zu 2. bei ihrer Anhörung durch das Bundesamt keine Angaben zu einer ihr selbst
drohenden geschweige denn eingetretenen Verfolgung durch den syrischen Staat
gemacht. Gleiches gilt für ihr Vorbringen in der mündlichen Verhandlung, sie habe keine
weiteren Ausführungen zu machen. Die mithin unverfolgt ausgereisten Kläger zu 2. bis 6.
haben bei einer Rückkehr nach Syrien auch nicht mit der erforderlichen beachtlichen
Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung durch ihren Heimatstaat zu befürchten.
Allein der Aufenthalt im Ausland - meist im Rahmen eines Asylverfahrens - zieht für
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syrische Staatsangehörige nach den der Kammer vorliegenden Erkenntnissen in aller
Regel nicht asylrechtlich erhebliche Maßnahmen nach sich. Es ist von der Kenntnis
syrischer Behörden davon auszugehen, dass die Aufenthaltnahme in Deutschland vielfach
nur auf der Grundlage eines entsprechenden Vorbringens behaupteter politischer
Verfolgung möglich ist, ohne dass dieser Umstand allein Anlass für Repressionen seitens
des syrischen Staates böte.
Vgl. AA, Lagebericht S. 21 f. sowie Auskunft vom 13. Januar 1997 an das VG Sigmaringen;
DOI, Auskunft vom 28. Februar 1997 an das VG Sigmaringen.
Zur Grundlage für mögliche Verfolgungsmaßnahmen können das Asylvorbringen und die in
diesem Zusammenhang erhobenen Vorwürfe allerdings dann gemacht werden, wenn sie
öffentlichkeits- bzw. medienwirksam werden und deshalb von den Heimatbehörden als
Schädigung syrischer Interessen bewertet werden. Alle zurückkehrenden Asylbewerber
werden bei ihrer Wiedereinreise in Syrien einer strengen Kontrolle durch die syrischen
Sicherheitsbehörden unterzogen und in diesem Rahmen ausführlich befragt, da für die
Heimatbehörden insofern regelmäßig eine Art "Anfangsverdacht" besteht.
Vgl. AA, Lagebericht, a.a.O.; amnesty international (ai), Auskunft vom 24. Juni 1998 an das
VG Karlsruhe.
Insoweit ist für die Annahme einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden
Verfolgungsgefahr jedoch das Hinzutreten weiterer, besonderer Umstände erforderlich.
Diese müssen auf eine regimefeindliche Aktivität schließen lassen. Erst wenn der
regelmäßig bestehende "Anfangsverdacht" infolge Asylantragstellung durch weitere
Umstände verstärkt wird, ist eine Inhaftierung mit anschließender Verbringung in ein
Verhörzentrum, in dem dann mit Folter und sonstiger menschenrechtswidriger Behandlung
zu rechnen ist, zu erwarten. Dies entspricht auch der Rechtsprechung des
Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein- Westfalen.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 21. April 1998 - 9 A 6597/95.A -; so auch
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 6. September 2001 - A 2 S
2249/98 -; vgl. auch ai, Auskunft vom 24. Juni 1998 an das VG Karlsruhe.
Solche besonderen Umstände, die eine Verbringung in ein Verhörzentrum mit
anschließender Folter und sonstiger menschenrechtswidriger Behandlung nach sich
ziehen könnten, sind für die Kläger zu 2. bis 6. bei einer Rückkehr nach Syrien nicht
gegeben. Das gilt insbesondere für die Kinder der Klägerin zu 2., aber auch für sie selbst.
Es fehlt an einem greifbaren Anhaltspunkt für einen Zugriff der Sicherheitsbehörden auf
ihre Personen.
Demgemäß droht den Klägern zu 2. bis 6. im Falle ihrer Rückkehr nach Syrien auch nicht
mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Sippenhaft. Nach den vorliegenden
Erkenntnissen wird in Syrien eine systematische Sippenhaft nicht praktiziert. Eine solche
findet selbst gegenüber nahen Angehörigen eines als gefährlich eingestuften
Regimegegners nur ausnahmsweise statt. Voraussetzung ist etwa, dass die
Geheimdienste den Eindruck gewinnen, Informationen würden zurückgehalten. Sie droht
mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nur Familienangehörigen solcher Personen, die
öffentlichkeitswirksam oppositionspolitisch in Erscheinung getreten sind oder zum Beispiel
als politische Aktivisten etwa in einer führenden Position tätig und dabei in ein Netzwerk
oppositioneller Gruppierungen bzw. Betätigungen eingebunden und solchermaßen in das
Visier der syrischen Behörden geraten sind.
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Vgl. AA, Auskunft vom 24. November 2003 an das VG Wiesbaden; DOI, Auskunft vom 27.
Mai 2003 an das VG Magdeburg; Urteile der Kammer vom 16. Februar 2004 - 9 K
2665/00.A - , S. 31 des Entscheidungsabdrucks, vom 9. Februar 2004 - 9 K 265/04.A - , S.
16 f. des Entscheidungsabdrucks.
Ausgehend hiervon sind die Kläger zu 2. bis 6. bei einer Rückkehr nach Syrien mangels
entsprechender Tatsachengrundlage nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von
Sippenhaft bedroht. Insbesondere kann nicht angenommen werden, dass die Klägerin zu 2.
dem syrischen Staat im Hinblick auf ihren Ehemann als so bedeutend oder gefährlich
erscheinen könnte, dass dieser es mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit für angezeigt halten
könnte, gerade sie zu inhaftieren, um von ihr zurückgehaltene Informationen - welcher Art
auch immer - zu erlangen.
Ein Anspruch der Kläger zu 2. bis 6. auf Familienabschiebungsschutz scheidet aus. Es
fehlt jedenfalls an der erforderlichen Unanfechtbarkeit der Feststellung eines
Abschiebungsverbots für den Kläger zu 1. als Stammberechtigter (§ 26 Abs. 4 Satz 1
AsylVfG in der Fassung des Zuwanderungsgesetzes vom 5. August 2004, BGBl. I S. 1950;
vgl. zum In-Kraft-Treten Art. 15 Abs. 3 des Zuwanderungsgesetzes, a.a.O.).
Die Klage der Kläger zu 2. bis 6. hat auch nicht mit hilfsweise geltend gemachten Begehren
Erfolg, die Beklagte zu verpflichten, für sie ein im vorliegenden Verfahren allein
berücksichtigungsfähiges zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis festzustellen. Aus
den zuvor dargelegten Gründen spricht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit,
vgl. zu diesem Maßstab BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1995 - 2 BvR 384/95 -, DVBl.
1996, 196,
dafür, dass den Klägern zu 2. bis 6. die konkrete Gefahr von Folter oder einer gegen die
Menschenrechtskonvention verstoßenden Behandlung droht oder dass sie konkreten
Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit aus individuellen Gründen ausgesetzt sind.
Gleiches gilt hinsichtlich konkreter Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit aus individuellen
Gründen in einem Grade, bei dessen Vorliegen trotz Fehlens eines Erlasses im Sinne von
§ 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG die Gewährung von Abschiebungsschutz geboten ist.
Vgl. zum bisher geltende § 54 AuslG BVerwG, Urteile vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9.95 -,
NVwZ 1996, 199, und vom 4. Juni 1996 - 9 C 134.95 -, NVwZ-Beilage 1996, 89.
Es ist nicht erkennbar, dass die Kläger zu 2. bis 6. bei einer Ausreise nach Syrien
Verhältnisse zu gewärtigen haben, die den Anforderungen der Konvention zum Schutz der
Menschenrechte und Grundfreiheiten nicht entsprechen. Die Asylantragstellung, auch
wenn sie mit einem mehrjährigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland verbunden
ist, wird von syrischer Seite - wie bereits ausgeführt - nicht als Ausdruck einer illoyalen oder
gar regimefeindlichen Gesinnung angesehen. Allerdings ist bekannt, dass sich
abgeschobene Asylbewerber bei einer Rückkehr bzw. Ausreise nach Syrien einer zum Teil
auch intensiven Befragung stellen müssen. Maßnahmen, die auf ein mögliches
Abschiebungshindernis führen, insbesondere eine Verbringung in ein Verhörzentrum mit
der gesteigerten Gefahr der Folter, sind erst dann zu erwarten, wenn sich bei der Befragung
über die bloße Asylantragstellung hinaus der Verdacht oppositioneller Betätigung ergibt.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 21. April 1998 - 9 A 6597/95.A -, mit zahlreichen weiteren
Nachweisen.
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Die die Kläger zu 2. bis 6. betreffende Abschiebungsandrohung in Nummer 4. des
streitgegenständlichen Bescheids des Bundesamts begegnet mit Blick auf die §§ 34 und
38 Abs. 1 AsylVfG, 59 AufenthG keinen rechtlichen Bedenken.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 1, 159 Satz 1 VwGO, 100
Abs. 1 ZPO, § 83 b AsylVfG, § 17 b Abs. 2 Satz 2 GVG. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1, Abs. 2 VwGO in Verbindung mit
den §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.