Urteil des VerfGH Rheinland-Pfalz vom 11.05.2006

VerfGH Rheinland-Pfalz: freiheit der person, recht auf freiheit, öffentliche gewalt, verfassungsbeschwerde, vorführung, haftbefehl, grundrecht, haftprüfungsverfahren, rüge, unverzüglich

VerfGH
Rheinland-Pfalz
11.05.2006
VGH B 6/06
Verfassungsrecht, Strafprozessrecht
Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz
Beschluss
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Haufs-Brusberg & Kollegen, Böhmerstr. 10a, 54290 Trier,
gegen 1. die Eröffnung des Haftbefehls des Amtsgerichts Koblenz vom
14. Dezember 2005 am 19. Dezember 2005 - 2050 Js 59795/04 -
2. den Beschluss des Landgerichts Koblenz vom 11. Januar 2006 ‑ 10 Qs 02/06 -
3. den Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz vom 6. Februar 2006 - 2 Ws 84/06 -
hat der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom 11. Mai 2006, an
der teilgenommen haben
Präsident des Verfassungsgerichtshofs Prof. Dr. Meyer
Präsident des Oberlandesgerichts Dr. Bamberger
Präsident des Oberlandesgerichts Dury
Vizepräsident des Oberverwaltungsgerichts Steppling
Universitätsprofessor Dr. Dr. Merten
Kreisverwaltungsdirektorin Kleinmann
Präsidentin des Verwaltungsgerichts Dr. Freimund-Holler
Landrätin Röhl
Rechtsanwalt Schnarr
beschlossen:
Die Eröffnung des Haftbefehls des Amtsgerichts Koblenz vom 14. Dezember 2005 - 2050 Js 59795/04 -
am 19. Dezember 2005 sowie die Beschlüsse des Landgerichts Koblenz vom 11. Januar 2006 - 10 Qs
02/06 - und des Oberlandesgerichts Koblenz vom 6. Februar 2006 ‑ 2 Ws 84/06 - verletzen den
Beschwerdeführer in seinem Grundrecht der Freiheit der Person (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 2 LV).
Dem Beschwerdeführer sind die durch das Verfassungsbeschwerdeverfahren verursachten notwendigen
Auslagen aus der Staatskasse zu erstatten. Die notwendigen Auslagen des einstweiligen Anordnungs-
verfahrens - VGH A 5/06 - sind ihm wegen des nur teilweisen Erfolgs zur Hälfte zu erstatten.
A.
Der Beschwerdeführer erstrebt die Feststellung, sein Grundrecht der Freiheit der Person gemäß Art. 5 Abs.
1 Satz 1 der Verfassung für Rheinland-Pfalz - LV - sei durch die Eröffnung des gegen ihn am 14.
Dezember 2005 erlassenen Haftbefehls durch das Amtsgericht Koblenz am 19. Dezember 2005 sowie die
Entscheidungen des Landgerichts und des Oberlandesgerichts Koblenz über seine hiergegen ein-
gelegten Rechtsmittel verletzt worden.
I.
Der Beschwerdeführer wurde aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Koblenz vom 14. Dezember
2005 wegen falscher Versicherung an Eides Statt, Bankrotts und Steuerverkürzung am 19. Dezember
2005 um 8:15 Uhr verhaftet. Die Polizei informierte seinen Verteidiger, dessen Kanzlei sich in Trier
befindet, um 10:11 Uhr, der Beschwerdeführer werde um 11:30 Uhr dem zuständigen Richter beim
Amtsgericht Koblenz vorgeführt. Der Verteidiger erklärte, er werde den Termin wahrnehmen. Zugleich bat
er, mit der Vorführung ca. 15 Minuten zu warten, da er – auch wegen eines Schneeeinbruchs in Trier –
nicht pünktlich erscheinen könne. Zudem ließ er über sein Büro beim Amtsgericht Koblenz seine
voraussichtlich viertelstündige Verspätung ankündigen.
Die Vorführung des Beschwerdeführers begann pünktlich um 11:30 Uhr. Nach vorheriger Belehrung
gemäß §§ 115, 136 der Strafprozessordnung - StPO - erklärte er, sich erst nach Rücksprache mit seinem
Verteidiger äußern zu wollen. Sodann machte er kurze Angaben zur Sache. Als sein Verteidiger um 11:47
Uhr eintraf, war der Vorführungstermin bereits beendet. Der Beschwerdeführer wurde unmittelbar in Haft
genommen.
Gegen den Haftbefehl legte der Beschwerdeführer am 20. Dezember 2005 unter anderem mit der
Begründung Beschwerde ein, seinem Verteidiger habe die Teilnahme an der Eröffnung des Haftbefehls
ermöglicht werden müssen.
Das Landgericht Koblenz verwarf die Beschwerde mit Beschluss vom 11. Januar 2006 als unbegründet.
Es stehe fest, dass gegen den Beschwerdeführer ein dringender Tatverdacht sowie Flucht- und
Verdunkelungsgefahr bestehe. Auch seien das Verhalten der Haftrichterin im Vorführungstermin am 19.
Dezember 2005 und der Terminsablauf nicht zu beanstanden.
Die hiergegen gerichtete weitere Beschwerde verwarf das Oberlandesgericht Koblenz mit Beschluss vom
6. Februar 2006 als unbegründet. Es könne dahinstehen, ob eine Verpflichtung bestanden habe, mit der
Verkündung des Haftbefehls bis zum Eintreffen des Verteidigers zu warten. Auch im Falle der Bejahung
einer Wartepflicht habe ein Verstoß keine Auswirkungen auf den Bestand des Haftbefehls. In Betracht
käme allenfalls ein Verwertungsverbot betreffend die Angaben des Beschuldigten im Rahmen der
richterlichen Vernehmung. Der Beschwerdeführer habe indes lediglich eine kurze Erklärung abgegeben
und sich in der Folge über seinen Verteidiger umfassend schriftsätzlich eingelassen. Die
Beschwerdekammer des Landgerichts sowie der Senat hätten die Einlassung zur Kenntnis genommen
und gewürdigt. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs liege mithin nicht vor.
Auf Antrag des Beschwerdeführers ordnete der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz mit Beschluss
vom 22. Februar 2006 - VGH A 5/06 - einstweilen an, den Beschwerdeführer unverzüglich unter
Teilnahme seines Verteidigers dem zuständigen Richter gemäß § 115 Abs. 1 StPO vorzuführen. Seinen
weitergehenden Antrag, den gegen ihn erlassenen Haftbefehl aufzuheben, lehnte der Verfassungs-
gerichtshof ab.
Daraufhin wurde der Beschwerdeführer in Anwesenheit seines Verteidigers am 24. Februar 2006 erneut
dem zuständigen Ermittlungsrichter beim Amtsgericht Koblenz vorgeführt. Aufgrund eines Beschlusses
vom gleichen Tag blieb der Haftbefehl vom 14. Dezember 2005 aufrechterhalten und in Vollzug.
II.
Mit seiner am 20. Februar 2006 eingelegten Verfassungsbeschwerde rügte der Beschwerdeführer
ursprünglich einen Verstoß gegen sein Recht auf Freiheit der Person gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 i.V.m.
Satz 2 LV aufgrund der Eröffnung des gegen ihn erlassenen Haftbefehls vom 14. Dezember 2005 durch
das Amtsgericht Koblenz am 19. Dezember 2005 sowie der Beschlüsse des Landgerichts und des
Oberlandesgerichts Koblenz vom 11. Januar und 6. Februar 2006.
Nach seiner erneuten Vorführung und der Aufrechterhaltung des Haftbefehls durch Beschluss des
Amtsgerichts Koblenz vom 24. Februar 2006 erstrebt der Beschwerdeführer nunmehr die Feststellung der
Verfassungswidrigkeit der ursprünglich angefochtenen Entscheidungen. Zur Begründung führt er im
Wesentlichen aus: Die zuständige Ermittlungsrichterin sei am 19. Dezember 2006 rechtzeitig von der
Absicht seines Verteidigers in Kenntnis gesetzt worden, den Vorführungstermin wahrzunehmen. Eine
Kanzleimitarbeiterin habe sich in seinem Auftrag mit der zuständigen Geschäftsstelle in Verbindung
gesetzt und seine wegen der Witterungsverhältnisse um etwa 15 Minuten verspätete Ankunft angekündigt.
Ein unmittelbares Gespräch mit der zuständigen Richterin sei trotz eines entsprechenden Wunsches nicht
zustande gekommen. Auch habe die seine Verhaftung leitende Polizeibeamtin im Vorführungstermin der
Ermittlungsrichterin erklärt, sein Verteidiger sei unterwegs und er werde sich voraussichtlich um eine
Viertelstunde verspäten. Schließlich habe er selbst auf das angekündigte verspätete Erscheinen seines
Verteidigers hingewiesen. Gleichwohl sei der Vorführungstermin wie angekündigt um 11:30 Uhr durch die
Ermittlungsrichterin ohne weiteres Zuwarten durchgeführt worden. Diese Vorgehensweise stehe mit Art. 5
Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 2 LV nicht in Einklang. Die Richterin sei im Hinblick auf eine allenfalls zu
erwartende unwesentliche Verzögerung des Verfahrens gehalten gewesen, das Erscheinen seines
Verteidigers abzuwarten.
Als Beleg für die von ihm gemachten Angaben zum tatsächlichen Geschehensablauf hat der
Beschwerdeführer selbst eine entsprechende eidesstattliche Versicherung abgegeben sowie eine seine
Angaben bestätigende eidesstattliche Versicherung einer Kanzleimitarbeiterin seines Bevollmächtigten
vorgelegt.
III.
Das Ministerium der Justiz hat sich zu der Verfassungsbeschwerde wie folgt geäußert: Es könne nicht
ausgeschlossen werden, dass durch einen Übermittlungsfehler innerhalb der Justiz die
Ermittlungsrichterin keine Kenntnis davon gehabt habe, der Verteidiger werde sich lediglich um eine
Viertelstunde verspäten. Eine bewusste Verkürzung der Rechte des Beschuldigten könne daher nicht fest-
gestellt werden. Darüber hinaus sei dem Beschwerdeführer vorzuhalten, er habe es unterlassen, seinen
Anspruch auf mündliche Haftprüfung gemäß §§ 117 Abs. 1, 118 Abs. 1StPO geltend zu machen. Auch sei
es möglich gewesen, im Beschwerdeverfahren gegen den Haftbefehl auf seinen Antrag hin in mündlicher
Verhandlung zu entscheiden. Hiervon habe der Beschwerdeführer aber keinen Gebrauch gemacht. Der
subsidiären Funktion der Verfassungsbeschwerde laufe es jedoch zuwider, sie anstelle oder gleichsam
wahlweise neben einem möglicherweise zulässigen Rechtsbehelf zuzulassen.
Die Ermittlungsakten des Ausgangsverfahrens haben dem Verfassungsgerichtshof vorgelegen.
B.
Die Verfassungsbeschwerde mit dem Ziel, die Verfassungswidrigkeit der Eröffnung des Haftbefehls durch
das Amtsgericht Koblenz sowie der Beschlüsse des Landgerichts und Oberlandesgerichts Koblenz
festzustellen, ist zulässig.
I.
Der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz ist gemäß § 44 Abs. 2 Satz 2 VerfGHG befugt, die
Durchführung des bundesprozessrechtlich geregelten Verfahrens der Gerichte an den Grundrechten der
Landesverfassung zu messen, soweit diese den gleichen Inhalt wie entsprechende Rechte des
Grundgesetzes haben (vgl. VerfGH RP, AS 29, 89 [91 f. m.w.N.]). Das hier geltend gemachte Grundrecht
der Freiheit der Person gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 LV ist inhaltsgleich mit den Gewährleistungen des Art. 2
Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes - GG -. Seine verfahrensrechtliche Absicherung gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz
2 und Abs. 2 - 5 LV entspricht den Gewährleistungen der Art. 2 Abs. 2 Satz 3 und 104 GG.
II.
Trotz Erledigung des ursprünglichen Rechtsschutzziels des Beschwerdeführers aufgrund seiner erneuten
Vorführung vor den zuständigen Richter gemäß § 115 Abs. 1 StPO in Anwesenheit seines Verteidigers am
24. Februar 2006 verfügt der Beschwerdeführer über das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für die
Aufrechterhaltung seines Rechtsschutzantrages beim Verfassungsgerichtshof. Denn sein Interesse an der
Feststellung der Rechtslage ist in besonderer Weise schutzwürdig.
Ein derartiges Bedürfnis ist zu bejahen, wenn anderenfalls die Klärung einer verfassungsrechtlichen
Frage von grundsätzlicher Bedeutung unterbliebe und der gerügte Grundrechtseingriff besonders schwer
wiegt (vgl. BVerfGE 99, 129 [138]). Beide Voraussetzungen sind hier gegeben. Die
Verfassungsbeschwerde betrifft die wichtige Frage, ob das Recht eines Beschuldigten, im Rahmen seiner
Vorführung vor den zuständigen Richter gemäß § 115 Abs. 1 StPO einen Verteidiger hinzuzuziehen, dem
gemäß § 168c Abs. 1 StPO die Teilnahme am Termin gestattet ist, zu den bedeutsamen
Verfahrensgarantien gehört, deren Beachtung Art. 5 Abs. 1 Satz 2 LV fordert und mit grundrechtlichem
Schutz versieht. Darüber hinaus ist von der Rüge eines schwerwiegenden Grundrechtseingriffs auszu-
gehen, wenn die Landesverfassung selbst – wie in den Fällen der Art. 5 Abs. 2 und 3 und Art. 7 Abs. 2 LV
– einen solchen Eingriff unter Richtervorbehalt stellt (vgl. BVerfGE 104, 220 [233]). Dies gilt auch im
Hinblick auf die verfassungsgemäße Durchführung einer freiheitsentziehenden Maßnahme im Sinne des
Art. 5 Abs. 1 LV.
III.
Dem Beschwerdeführer kann nicht vorgehalten werden, er hätte den von ihm behaupteten
Verfassungsverstoß – Missachtung des Anwesenheitsrechts seines Verteidigers (§ 168 c Abs. 1 StPO)
anlässlich des Vorführungstermins vom 19. Dezember 2005 – erfolgreich im fachgerichtlichen
Rechtsschutzverfahren geltend machen können.
Zwar war er gemäß dem allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde gehalten,
die ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu ergreifen, um eine Korrektur der geltend gemachten
Grundrechtsverletzung zu erwirken (VerfGH RP, NVwZ 2001, 193 [194]; vgl. BVerfGE 70, 180 [186]). Für
ihn bestand jedoch keine anderweitige Möglichkeit, dieses Ziel ohne Inanspruchnahme des
Verfassungsgerichtshofs zu erreichen (vgl. BVerfGE 93, 165 [171]).
Allerdings hat es der Beschwerdeführer unterlassen, einen Antrag auf Haftprüfung nach § 117 Abs. 1
StPO zu stellen, bei deren Durchführung der Haftrichter gemäß § 118 Abs. 1 StPO verpflichtet gewesen
wäre, einem Gesuch nach mündlicher Verhandlung zu entsprechen. Auch hat er nicht gemäß § 118 Abs. 2
StPO in den von ihm betriebenen Verfahren der Beschwerde bzw. weiteren Beschwerde gegen den
Haftbefehl des Amtsgerichts Koblenz vom 14. Dezember 2005 die Durchführung einer mündlichen
Verhandlung beantragt, worüber das Gericht in Ausübung seines Ermessens hätte entscheiden müssen
(Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl. 2005, § 118 Rn. 1; Boujong, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Aufl.
2003, § 118 Rn. 2). Der Verweis auf die aufgezeigten fachgerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten ist
aber nicht geeignet, die Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde zu begründen.
Für den Verweis auf die Möglichkeit einer Haftprüfung gemäß § 117 Abs. 1 StPO gilt dies schon deshalb,
weil ein solcher Antrag den Beschwerdeführer gezwungen hätte, verfahrensrechtliche Nachteile bewusst
in Kauf zu nehmen. Ein Antrag auf Haftprüfung führt nämlich gemäß § 117 Abs. 2 Satz 1 StPO zur
Unzulässigkeit einer von ihm eingelegten Haftbeschwerde nach § 304 Abs. 1 StPO bzw. einer weiteren
Beschwerde gemäß § 310 Abs. 1 StPO (Meyer-Goßner, a.a.O., 48. Aufl. 2005, § 117 Rn. 14; Boujong,
a.a.O., § 117 Rn. 6). Ein zulässiger Haftprüfungsantrag hat Vorrang und schließt die Beschwerde aus. Der
Verzicht auf den von ihm bereits eingelegten Rechtsbehelf der Haftbeschwerde war dem Beschwerde-
führer aber nicht ohne weiteres zuzumuten (vgl. BVerfGE 95, 163 [172 m.w.N.]).
Der Beschwerdeführer kann auch nicht auf die weitere Möglichkeit verwiesen werden, einen Antrag auf
Durchführung einer mündlichen Verhandlung in dem von ihm betriebenen Haftbeschwerdeverfahren zu
stellen. Eine mündliche Verhandlung hätte nämlich von dem Landgericht als Beschwerdegericht bzw.
dem Oberlandesgericht als Gericht der weiteren Beschwerde gemäß § 118 Abs. 2 StPO bereits von Amts
wegen zur Behebung des behaupteten Verfassungsverstoßes durchgeführt werden müssen. Zu einer
entsprechenden Prüfung waren beide Gerichte aufgrund der Ausführungen in den jeweiligen
Beschwerdebegründungen, die ausdrücklich eine Rüge der unterbliebenen Teilnahme des Verteidigers
am Vorführungstermin vom 19. Dezember 2005 beinhalteten, in besonderem Maße veranlasst. Verneint
aber ein Gericht bei einem derartigen Vortrag die sich ihm aufdrängende Frage, ob eine mündliche
Verhandlung gemäß § 118 Abs. 2 StPO durchzuführen ist, um die Teilnahme des Verteidigers eines
Beschuldigten zu ermöglichen, kann einem Beschwerdeführer nicht vorgehalten werden, er hätte einen
dahingehenden förmlichen Antrag stellen müssen.
Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sowohl im
Rahmen eines Haftprüfungs- als auch eines Haftbeschwerdeverfahrens übereinstimmend eine
zusätzliche Verschlechterung der verfahrensrechtlichen Position des Beschwerdeführers als
Beschuldigter bewirkt hätte. Eine weitere mündliche Verhandlung im Haftprüfungsverfahren kann nämlich
ein Beschuldigter gemäß § 118 Abs. 3 StPO nicht verlangen, wenn die Untersuchungshaft bereits einmal
im Haftprüfungs- oder Haftbeschwerdeverfahren nach mündlicher Verhandlung aufrechterhalten worden
ist und danach nicht mindestens drei Monate und seit der letzten mündlichen Verhandlung nicht
mindestens zwei Monate gedauert hat (Meyer-Goßner, a.a.O., § 118 Rn. 2; Boujong, a.a.O., § 118 Rn. 3).
Der Beschwerdeführer hätte sich daher aufgrund der Durchführung einer mündlichen Verhandlung in
einem im Ergebnis erfolglosen Haftprüfungs- oder Haftbeschwerdeverfahren der Möglichkeit begeben,
jederzeit einen erstmaligen Antrag auf mündliche Verhandlung in einem Haftprüfungsverfahren gemäß §
117 Abs. 1 StPO zu stellen, dem gemäß § 118 Abs. 1 StPO zwingend Folge zu leisten gewesen wäre. Die
Inkaufnahme eines solchen Rechtsverlusts, der bei verfassungsgemäßer Durchführung des Vorfüh-
rungstermins vom 19. Dezember 2005 nicht eingetreten wäre, kann ihm als Voraussetzung für die
Zulässigkeit seiner Verfassungsbeschwerde nicht abverlangt werden.
C.
Die Verfassungsbeschwerde ist auch begründet.
I.
1. Die Freiheit der Person ist gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 LV unverletzlich. Eine Beeinträchtigung oder
Entziehung der persönlichen Freiheit durch die öffentliche Gewalt ist nur aufgrund von Gesetzen und in
den von diesen vorgeschriebenen Formen zulässig (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 LV). Die formellen
Gewährleistungen der Freiheit in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 LV stehen mit der materiellen Freiheitsgarantie des
Art. 5 Abs. 1 Satz 1 LV in unlösbarem Zusammenhang. Die maßgebliche Regelung erhebt neben der
Forderung nach einem "förmlichen" freiheitsbeschränkenden Gesetz auch die Pflicht zum
Verfassungsgebot, dessen Formvorschriften zu beachten. Verstöße gegen die durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2
LV gewährleisteten Voraussetzungen und Formen freiheitsbeschränkender Gesetze stellen daher stets
auch eine Verletzung der Freiheit der Person dar (vgl. BVerfGE 58, 208 [220]; BVerfG [1. Kammer des 2.
Senats], NStZ 2002, 157 [158]).
Das durch § 137 Abs. 1 Satz 1 StPO gewährleistete Recht eines Beschuldigten, im Rahmen seiner
Vorführung vor den zuständigen Richter gemäß § 115 Abs. 1 StPO einen Verteidiger hinzuzuziehen, dem
gemäß § 168c Abs. 1 StPO bei der Vernehmung die Anwesenheit gestattet ist, zählt zu den bedeutsamen
Verfahrensgarantien, deren Beachtung Art. 5 Abs. 1 Satz 2 LV fordert und mit grundrechtlichem Schutz
versieht (vgl. BbgVerfG, NJW 2003, 2009 [2010]).
Diese Einschätzung wird bestätigt durch die Regelung des § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO, wonach der
Beschuldigte unter anderem darauf hinzuweisen ist, es stehe ihm frei, auch schon vor seiner ersten
Vernehmung einen Verteidiger zu befragen. Verlangt der Beschuldigte nach entsprechender Belehrung,
vor der Vernehmung einen Verteidiger zu sprechen, so ist die Vernehmung deshalb zu diesem Zweck
sogleich zu unterbrechen. Anderenfalls sind Angaben des Beschuldigten nicht verwertbar. Dadurch wird
sichergestellt, dass der Beschuldigte nicht nur Objekt des Strafverfahrens ist, sondern zur Wahrung seiner
Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Strafverfahrens Einfluss nehmen kann (BGH, NJW 1993, 338
[339]).
Vergleichbares gilt, wenn ein von dem Beschuldigten bereits beigezogener Verteidiger von seinem Recht
gemäß § 168c Abs. 1 StPO Gebrauch machen will, bei der richterlichen Vernehmung des Beschuldigten
anwesend zu sein. So ist er gemäß § 168c Abs. 5 Satz 1 StPO von einem bevorstehenden Vernehmungs-
termin zu unterrichten. Unterbleibt eine solche Benachrichtigung und äußert sich der Beschuldigte in
Abwesenheit seines Verteidigers zur Sache, ist seine Einlassung nicht verwertbar (BGH, NStZ 1989, 282).
Dem Verteidiger ist daher seine Anwesenheit im Rahmen der Beschuldigtenvernehmung zu ermöglichen.
Es entspricht unter diesen Umständen darüber hinaus der Fürsorgepflicht gegenüber dem Beschuldigten,
den Terminsbeginn hinauszuschieben, sofern dadurch die strikt zu wahrende Frist des § 115 Abs. 2 StPO,
wonach der ergriffene Beschuldigte dem Richter unverzüglich, spätestens am nächsten Tag, vorzuführen
ist, nicht überschritten wird (Meyer-Goßner, a.a.O., § 115 Rn. 8; Boujong, a.a.O., § 115 Rn. 11). Dabei wird
teilweise von mehrstündigen Wartepflichten ausgegangen (Boujong, a.a.O., § 115 Rn. 11; Hilger, in:
Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Auflage 2004, § 115 Rn. 16; Paeffgen, in: Systematischer Kommentar zur
StPO, § 115 Rn. 9). Steht jedenfalls nur eine unwesentliche Verzögerung des Ablaufs zu besorgen, ist von
Verfassungs wegen die Anwesenheit des Verteidigers zu ermöglichen und gegebenenfalls auf sein
Eintreffen zu warten (BbgVerfG, a.a.O. [2010]).
2. Gemessen daran hält die Entscheidung des Amtsgerichts Koblenz, den Vorführungstermin vom 19.
Dezember 2005 durchzuführen, ohne auf das angekündigte Erscheinen des Verteidigers des
Beschwerdeführers angemessene Zeit zu warten, verfassungsrechtlicher Prüfung nicht stand.
Die zuständige Ermittlungsrichterin beim Amtsgericht Koblenz musste bei Terminsbeginn um 11:30 Uhr
schon aufgrund der entsprechenden Erklärungen des Beschwerdeführers wie auch der anwesenden
Polizeibeamtin, die seine Verhaftung vorgenommen hatte, davon ausgehen, der Verteidiger des
Beschwerdeführers werde aufgrund der dargelegten und im Übrigen offenkundigen zeitlichen und
witterungsbedingten Zwänge etwa eine Viertelstunde später erscheinen. Jedenfalls diesen Zeitraum hatte
sie abzuwarten. Entgegenstehende Belange eines geordneten Verfahrensablaufs waren und sind nicht
ersichtlich. Nachfolgende Vorführungstermine mussten gegebenenfalls im Rahmen des Zulässigen
verschoben werden.
Es kommt deshalb nicht darauf an, ob die Ermittlungsrichterin wegen eines Übermittlungsfehlers innerhalb
des Gerichts vorab keine Kenntnis davon hatte, der Verteidiger werde sich lediglich um eine Viertelstunde
verspäten. Hierzu ist vorgetragen worden, die Geschäftsstelle habe ihr nur mitgeteilt, der Verteidiger
wünsche eine Verlegung des Termins. Allerdings steht aufgrund der vorgelegten eidesstattlichen
Versicherung seiner Kanzleimitarbeiterin, deren Wahrheitsgehalt nicht in Zweifel gezogen worden ist, fest,
dass sie die zuständige Geschäftsstelle des Amtsgerichts zutreffend über das verspätete Erscheinen des
Verteidigers und seiner Gründe unterrichtet hatte. Damit hatte der Verteidiger des Beschwerdeführers das
ihm Mögliche und von ihm zu Verlangende getan, um eine Durchführung des Vorführungstermins in
seiner Anwesenheit zu erreichen. Sollte eine korrekte Übermittlung der vorliegenden Informationen
seitens der Geschäftsstelle an die zuständige Ermittlungsrichterin unterblieben sein, fällt dieses Ver-
säumnis in den Verantwortungsbereich des Gerichts und rechtfertigt nicht eine Beeinträchtigung der dem
Beschwerdeführer zustehenden Rechte.
Hiernach war die Entscheidung der Ermittlungsrichterin, den Vorführungstermin am 19. Dezember 2006
pünktlich um 11:30 Uhr ohne weiteres Zuwarten auf das Erscheinen des Verteidigers des
Beschwerdeführers durchzuführen, nicht mit den Anforderungen des § 168c Abs. 1 StPO und damit auch
nicht mit den verfassungsrechtlichen Gewährleistungen des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 2 LV vereinbar.
Hätte die Ermittlungsrichterin hingegen zumindest eine Viertelstunde verstreichen lassen, um das
angekündigte Erscheinen des Verteidigers abzuwarten, wäre die Vorführung des Beschwerdeführers
voraussichtlich in verfassungsgemäßer Form erfolgt, da sein Verteidiger jedenfalls um 11:47 Uhr im
Gericht eingetroffen war.
3. Indem das Landgericht Koblenz und das Oberlandesgericht Koblenz in ihren Beschlüssen vom 11.
Januar und 6. Februar 2006 die Durchführung des Vorführungstermins für unbedenklich erachteten,
haben sie den festgestellten Verfahrens- und zugleich Verfassungsverstoß perpetuiert. Eine Anhörung
des Beschwerdeführers in Anwesenheit seines Verteidigers, wie sie § 118 Abs. 2 StPO ermöglicht hätte,
ist sowohl im Beschwerdeverfahren als auch im Verfahren der weiteren Beschwerde unterblieben. Die
getroffenen Beschwerdeentscheidungen stehen daher gleichfalls nicht in Einklang mit Art. 5 Abs. 1 Satz 1
i.V.m. Satz 2 LV.
II.
Das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ist kostenfrei (§ 21 Abs. 1 VerfGHG). Der Ausspruch über
die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 21 a Abs. 1 Satz 1 VerfGHG.
gez. Prof. Dr. Meyer gez. Dr. Bamberger gez. Prof. Dr. Dr. Merten