Urteil des VerfGH Berlin vom 15.03.2017

VerfGH Berlin: einstweilige verfügung, anspruch auf rechtliches gehör, vollstreckbares urteil, rechtskräftiges urteil, bewirtschaftung, gerichtliche zuständigkeit, verbotene eigenmacht, hauptsache

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
114/04
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 103 Abs 1 GG, Art 103 Abs
3 GG, Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs
1 GG, Art 3 Abs 1 GG
VerfGH Berlin: Keine Verletzung des Rechts auf freie Entfaltung
der Persönlichkeit, des Willkürverbots und des rechtlichen
Gehörs durch zivilgerichtliche Auferlegung eines Ordnungsgelds
aus vorläufig vollstreckbaren Urteil wegen Zuwiderhandlung
gegen eine Unterlassungspflicht - widersprechende
Vollstreckungssituation aufgrund verschiedener Urteile
Gründe
I.
Seit dem Jahre 1946 wurden zwischen der Beschwerdeführerin und der Beteiligten zu 3.
bzw. deren Rechtsvorgängern verschiedene Verträge geschlossen, welche die
Durchführung von Werbung im Bereich der Eisenbahn- bzw. S-Bahn-Flächen in Berlin
durch die Beschwerdeführerin zum Gegenstand hatten.
Im Dezember 2000 und August 2001 kündigten die Beteiligte zu 3. sowie deren
Tochterunternehmen, die ..., diese Verträge. Die Beschwerdeführerin erhob daraufhin
Klage bei dem Landgericht Berlin, mit der sie die Feststellung begehrte, dass die
Kündigungen unwirksam seien. Ferner verfolgte sie u. a. Besitzschutzansprüche gegen
die Beteiligte zu 3. und die ... Diese beantragten widerklagend u. a., die
Beschwerdeführerin zu verurteilen, gewerbliche Tätigkeiten auf bestimmten Bahnhöfen
und die Bewirtschaftung im Einzelnen bezeichneter Werbeträger und Werbungen zu
unterlassen.
Daneben verfolgte die Beschwerdeführerin ihre Besitzansprüche gegen die Beteiligte zu
3. auch in einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung. Mit Urteil vom 30.
November 2001untersagte das Kammergericht der Beteiligten zu 3., die Mitarbeiter der
Beschwerdeführerin an und bei der Bewirtschaftung (insbesondere bei der Entfernung
vorhandener Werbung, bei Reinigungs- und Reparaturarbeiten) an ihren - im Einzelnen
benannten - Werbeträgern zu behindern, insbesondere den zum Zwecke der
Bewirtschaftung notwendigen Zutritt zu verweigern.
Mit im Wesentlichen gleichlautenden Urteilen vom 1. November 2002 untersagte das
Kammergericht ferner der S. B. GmbH, einem weiteren Tochterunternehmen der
Beteiligten zu 3., in einem Verfügungs- und dem entsprechenden Hauptsacheverfahren,
den Besitz der Beschwerdeführerin an den benannten Werbeträgern zu stören.
Mit Urteil vom 29. September 2003wies das Landgericht die gegen die Beteiligte zu 3.
und die ... gerichtete Feststellungs- und Besitzschutzklage (Hauptsacheverfahren) der
Beschwerdeführerin ab und gab der - u. a. auf Unterlassung der Bewirtschaftung im
Einzelnen bezeichneter Werbeträger und Werbungen gerichteten - Widerklage der
Beteiligten zu 3. und der ... unter Androhung von Ordnungsgeldern für jeden Fall der
Zuwiderhandlung statt, wobei es das Urteil insoweit gegen Sicherheitsleistung in Höhe
von 4 Mio. EUR für vorläufig vollstreckbar erklärte.
Gegen dieses Urteil legte die Beschwerdeführerin Berufung ein. Die Sache wurde bei
dem Kammergericht zunächst beim 5. Senat eingetragen, von dort aber unter Hinweis
auf Randnummer 72 des Geschäftsverteilungsplanes 2003 an den 14. Senat abgegeben
und von diesem zum Geschäftszeichen 14 U 240/03 übernommen. Mit Schreiben vom
14. November 2003 wies die Beschwerdeführerin das Kammergericht darauf hin, dass
die Klage hauptsächlich Pachtverhältnisse zum Gegenstand habe, für die der 20. Senat
des Gerichts zuständig sei.
Nach Leistung einer Sicherheit in Höhe von 4 Mio. EUR beantragte die Beteiligte zu 3. im
November 2003 bei dem Landgericht u. a., gegen die Beschwerdeführerin
Ordnungsgelder wegen verschiedener Verstöße gegen die im Urteil vom 29. September
2003 ausgesprochenen Unterlassungsverpflichtungen zu verhängen.
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2003 ausgesprochenen Unterlassungsverpflichtungen zu verhängen.
Diesen Anträgen gab das Landgericht mit Beschluss vom 16. Februar 2004 im
Wesentlichen statt. Zur Begründung führte das Gericht u. a. an, die Zwangsvollstreckung
aus dem Urteil vom 29. September 2003 scheitere nicht daran, dass die
Beschwerdeführerin durch die einstweiligen Verfügungen des Kammergerichts vom 30.
November 2001 und vom 1. November 2002 zur Bewirtschaftung im Einzelnen
bezeichneter Werbeträger ermächtigt worden sei. Hinsichtlich der einstweiligen
Verfügung des Kammergerichts vom 1. November 2002 ergebe sich dies schon daraus,
dass die Beteiligte zu 3. an jenem Verfahren nicht beteiligt gewesen sei.
Das klägerische Recht aus der Entscheidung vom 30. November 2001 sei so lange nicht
durchsetzbar, als die Beteiligte zu 3. berechtigt sei, aus dem Urteil vom 29. September
2003 zu vollstrecken. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin sei die
Zwangsvollstreckung aus einem rechtskräftigen Urteil nicht vorrangig vor derjenigen aus
einem vorläufig vollstreckbaren Urteil, soweit die erforderliche Sicherheit geleistet sei.
Die Vollstreckung aus der einstweiligen Verfügung des Kammergerichts sei auch nicht
deshalb vorrangig, weil sie auf possessorischen Besitzschutzansprüchen der
Beschwerdeführerin beruhe. Denn derartige Ansprüche seien nachrangig, soweit im
Rechtsstreit zur Hauptsache die possessorische Besitzschutzklage aufgrund einer
petitorischen Widerklage zumindest vorläufig vollstreckbar abgewiesen worden sei. Da
die einstweilige Verfügung nur die Regelung eines vorläufigen Rechtszustandes
beinhalte, könne aus dieser bei widerstreitenden Hauptsachenentscheidungen soweit
und so lange nicht vollstreckt werden, als die Entscheidung zur Hauptsache
vollstreckungsfähig sei. Zwar verliere die einstweilige Verfügung nicht ohne weiteres jede
Wirkung, sondern bedürfe der Aufhebung nach § 927 ZPO. Dies gelte bei Vorliegen der
Vollstreckungsvoraussetzungen zweier widerstreitender Entscheidungen jedoch nur mit
den eingangs bezeichneten Einschränkungen. Die Beschwerdeführerin könne daher aus
der einstweiligen Verfügung des Kammergerichts vom 30. November 2001 erst und nur
dann vollstrecken, wenn die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Landgerichts vom
29. September 2003 eingestellt würde.
Hiergegen erhob die Beschwerdeführerin sofortige Beschwerde. Zu deren Begründung
trug sie u. a. vor, die Verhängung von Ordnungsgeldern sei rechtswidrig, da sie kein
Verschulden treffe. Der Besitz an den streitgegenständlichen Werbeträgern und das
Recht zur Bewirtschaftung derselben seien zu ihren Gunsten mit den rechtskräftigen
Urteilen des Kammergerichts vom 30. November 2001 und 1. November 2002
geschützt. In dem Termin zur mündlichen Berufungsverhandlung vom 9. November
2001 im Verfahren 14 U 186/01 habe der Vorsitzende des erkennenden Senats die
Beteiligten ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die im Rahmen des einstweiligen
Verfügungsverfahrens ergangenen und ergehenden Entscheidungen eine Regelung bis
zur Rechtskraft eines Hauptsacheurteils träfen; hierfür könne ihr
Verfahrensbevollmächtigter Zeugnis abgeben. Es könne ihr nun nicht vorgeworfen
werden, dass sie ihr Verhalten an diesen Erläuterungen ausgerichtet habe.
Mit Beschluss vom 11. Juni 2004 wies das Kammergericht - 14. Zivilsenat - die sofortige
Beschwerde im Wesentlichen zurück; die Rechtsbeschwerde ließ es nicht zu. Zur
Begründung führte das Gericht an, das Urteil des Landgerichts vom 29. September 2003
sei vorläufig vollstreckbar. Auch habe die Beteiligte zu 3. die Sicherheit geleistet.
Zutreffend habe das Landgericht daher den Anträgen auf der Grundlage des § 890 ZPO
stattgegeben. Es bestehe kein Konflikt mit den Urteilen des Kammergerichts vom 30.
November 2001 und 1. November 2002. Auf die zutreffenden Ausführungen im
angefochtenen Beschluss werde insoweit verwiesen. Das Urteil vom 30. November 2001
betreffe eine Besitzschutzregelung durch einstweilige Verfügung zu Gunsten der
Beschwerdeführerin, die durch das noch nicht rechtskräftige Urteil des Landgerichts im
anhängigen Verfahren aufgehoben und zu Gunsten der Beteiligten zu 3. auf petitorische
Widerklage abgeändert worden sei. Eine vorläufige Vollstreckung aus diesem Urteil zu
Gunsten der Beteiligten zu 3. sei ohne Bedenken möglich, weil sie die durch die
einstweilige Verfügung getroffene Besitzschutzregelung nicht beseitige, sondern nur auf
Grund der zwingenden gesetzlichen Vorschrift des § 709 ZPO bis zur Rechtskraft
vorläufig, gegebenenfalls mit der Folge des § 717 Abs. 2 ZPO, überlagere. Soweit die
vorläufige Vollstreckbarkeit der Entscheidung in der Hauptsache durch die Beteiligte zu
3. tatsächlich nicht ausgenutzt werde oder z. B. wegen nachträglichen Wegfalls der
Vollstreckungsvoraussetzungen nicht mehr ausgenutzt werden könne, habe es bis zur
Rechtskraft der Hauptsacheentscheidung mit der einstweiligen Verfügung sein
Bewenden, wobei die Verfügung bei entgegenstehendem rechtskräftigen Ergebnis dann
gegebenenfalls Gegenstand des Aufhebungsverfahrens nach § 927 ZPO sein könne.
Andererseits würden Vollstreckungsmaßnahmen auch bei Widerspruch zum Tenor der
früheren einstweiligen Verfügung keine dort nach § 890 ZPO zu behandelnden Verstöße
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früheren einstweiligen Verfügung keine dort nach § 890 ZPO zu behandelnden Verstöße
sein, da bei Durchführung der gesetzlich zulässigen vorläufigen Vollstreckung aus dem
Hauptsacheurteil mindestens das Verschuldenserfordernis entfalle. Alles dies
widerspreche sich somit nicht. Wegen dieser eindeutigen Rechtslage komme eine
Aufhebung der im angegriffenen Beschluss ausgesprochenen Ordnungsgelder aus dem
Gesichtspunkt fehlenden Verschuldens nicht in Betracht.
Mit der am 16. Juli 2004 eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt die
Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 7, Art. 10 Abs. 1, Art. 15 Abs. 1, 2, 3 und 5
Satz 2 der Verfassung von Berlin - VvB -.
Die Entscheidungen des Land- und des Kammergerichts verletzten ihre von Art. 7 VvB
geschützte freie Entfaltung der Persönlichkeit im wirtschaftlichen Bereich. Denn sie sei
unter Verstoß gegen rechtsstaatliche Prinzipien bestraft worden, obwohl sie an den
behaupteten Verstößen gegen das nicht rechtskräftige Urteil des Landgerichts vom 29.
September 2003 keine Schuld treffe. Sie sei davon ausgegangen und habe davon
ausgehen können, dass die Urteile des Kammergerichts vom 30. November 2001 und 1.
November 2002 die Bewirtschaftung der Werbeträger bis zum Eintritt der Rechtskraft
einer Entscheidung in der Hauptsache oder bis zur Aufhebung gemäß § 927 ZPO
schützten. Wenn das Kammergericht im Beschluss vom 11. Juni 2004 ihr nunmehr zum
Vorwurf mache, dass sie ihr Handeln an dem Tenor jener Urteile ausgerichtet habe,
missachte es auch den Grundsatz des Vertrauensschutzes.
Verfassungswidrig sei die von dem Kammergericht vorgenommene Auslegung des § 709
ZPO. Diese Vorschrift enthalte insbesondere keine Regelung zu der Frage, ob bei
objektivem Verstoß gegen ein vorläufig vollstreckbares Urteil eine schuldhafte
Verletzung vorliege, wenn die Verletzungshandlung gleichzeitig durch ein rechtskräftiges
Urteil geschützt sei.
Sie rüge darüber hinaus die Verletzung des Art. 10 Abs. 1 VvB. Denn es fehle an einem
sachlichen Grund dafür, dass das Kammergericht annehme, sie habe trotz der Urteile
vom 30. November 2001 und 1. November 2002 schuldhaft gehandelt, es andererseits
aber darauf hinweise, dass die Beteiligte zu 3. nicht schuldhaft handele, sofern sie aus
dem Urteil des Landgerichts vom 29. September 2003 vollstrecke.
Das Kammergericht habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Denn es habe
ihren Vortrag und Beweisantritt in der Beschwerdeschrift vom 18. März 2004 nicht
berücksichtigt, wonach der Vorsitzende des erkennenden Senats im Verfahren 14 U
186/01 ausdrücklich darauf hingewiesen habe, dass die im Rahmen des einstweiligen
Verfügungsverfahrens ergangenen und ergehenden Entscheidungen eine Regelung bis
zur Rechtskraft eines Hauptsacheurteils träfen.
Verletzt sei auch Art. 15 Abs. 2 VvB, der sicherstellen solle, dass der Normadressat
vorhersehen könne, welches Verhalten mit Strafe und Buße bedroht sei. Daran fehle es
hier.
Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidungen verstießen gegen
das Verbot der Doppelbestrafung und verletzten deshalb Art. 15 Abs. 3 VvB. Zum einen
hätten sowohl das Landgericht als auch das Kammergericht unberücksichtigt gelassen,
dass es sich bei den im Zusammenhang mit dem Bestrafungsantrag zu beurteilenden
Handlungen nicht um mehrere selbständige Verstöße handele, sondern sämtliche
Handlungen in einem Fortsetzungszusammenhang stünden. Zum anderen liege eine
Doppelbestrafung vor, weil für die Bewirtschaftung derselben Werbeträger mehrfach
Ordnungsgelder festgesetzt worden seien.
Schließlich sei auch der Anspruch auf den gesetzlichen Richter nach Art. 15 Abs. 5 Satz
2 VvB verletzt. Der 14. Senat des Kammergerichts sei nach den Regelungen des
Geschäftsverteilungsplanes 2003 nicht zuständig gewesen. Hierauf habe sie den Senat
auch mit zwei Schreiben vom 14. November 2003 hingewiesen. Dass dennoch eine
Abgabe an den allein zuständigen 20. Senat nicht erfolgt sei, stelle Willkür dar.
Die Beteiligten haben gemäß § 53 VerfGHG Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sie sich gegen den Beschluss des
Landgerichts vom 16. Februar 2004 richtet. Denn insoweit werden keine
Grundrechtsverletzungen gerügt, die nicht im Beschwerdeverfahren vor dem
Kammergericht hätten geheilt werden können.
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Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Kammergerichts vom
11. Juni 2004 richtet, ist sie, ihre Zulässigkeit unterstellt, jedenfalls unbegründet.
Ist - wie hier - eine gerichtliche Entscheidung Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde,
besteht eine Prüfungsbefugnis des Verfassungsgerichtshofs nur in engen Grenzen. Die
Verfahrensgestaltung, die Würdigung des Sachverhalts, die Auslegung und Anwendung
des einfachen Rechts durch die Fachgerichte im einzelnen Fall sind der Nachprüfung
grundsätzlich entzogen. Der Verfassungsgerichtshof kann auf eine
Verfassungsbeschwerde hin nur dann eingreifen, wenn Verfassungsrecht verletzt ist,
insbesondere Grundrechte eines Betroffenen in ihrer Bedeutung und Tragweite
grundsätzlich verkannt worden sind oder die fachgerichtliche Entscheidung auf Willkür
beruht (Beschlüsse vom 28. Juni 2001 - VerfGH 48/01, 48 A /01 - LVerfGE 12, 34 <38>
und vom 16. Mai 2002 - VerfGH 124/01, 124 A/01 - LVerfGE 13, 42 <51>; st. Rspr.; vgl.
zum Bundesrecht BVerfG, NJW 1996, 3071 <3072>). Gemessen an diesen Grundsätzen
lässt sich ein Grundrechtsverstoß nicht feststellen.
1. Dies gilt zunächst, soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres durch Art. 7
VvB geschützten Grundrechts auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit im wirtschaftlichen
Bereich darin sieht, dass das Kammergericht ein Verschulden hinsichtlich der Verstöße
gegen die Unterlassungsgebote des Urteils des Landgerichts vom 29. September 2003
angenommen hat.
Das Kammergericht hat Bedeutung und Tragweite von Art. 7 VvB bei Auslegung und
Anwendung des § 890 Abs. 1 ZPO nicht grundsätzlich verkannt. Das Gericht hat
ausdrücklich geprüft, ob die Beschwerdeführerin ein Verschulden trifft. Es hat damit
beachtet, dass eine Maßnahme nach § 890 Abs. 1 ZPO eine strafrechtsähnliche
Ahndung einer Tat darstellt, die ohne eine Schuld des Betroffenen rechtsstaatswidrig
wäre und diesen in seinem Grundrecht aus Art. 7 VvB verletzen könnte (vgl. zum
Bundesrecht BVerfGE 20, 323 <331>).
Auch sonst lässt die Anwendung des § 890 Abs. 1 ZPO einen Verstoß gegen Art. 7 VvB
nicht erkennen. Die Annahme des Kammergerichts, der Verstoß gegen das vorläufig
vollstreckbare Unterlassungsgebot sei schuldhaft gewesen, verstößt insbesondere weder
gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit noch überspannt sie die Anforderungen
an die Erkenntniskraft der Beschwerdeführerin.
Das gilt auch dann, wenn zu Gunsten der Beschwerdeführerin unterstellt wird, dass sie
sich im Hinblick auf die Entscheidung des Kammergerichts vom 30. November 2001 - die
Entscheidung vom 1. November 2002 betrifft nicht die Beteiligte zu 3. und kann die
Beschwerdeführerin ohnehin nicht entlasten - in einem Verbotsirrtum über die
Rechtmäßigkeit ihres Handels befunden hat. Ein etwaiger Verbotsirrtum war nämlich
vermeidbar. Die Beschwerdeführerin konnte nicht darauf vertrauen, dass das genannte
Urteil des Kammergerichts auch nach dem Erlass des Urteils des Landgerichts vom 29.
September 2003 für die Beurteilung der Rechtslage allein maßgeblich war.
Ein Schuldner muss davon ausgehen, dass ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil
tatsächlich vollstreckbar und damit durchsetzbar ist. Hält er die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit für falsch, muss er dies im Rechtsmittelverfahren
beanstanden (vgl. § 718 ZPO). Steht das Urteil in Widerspruch zu einer anderen, den
Schuldner begünstigenden Entscheidung, kann er nicht ohne weiteres darauf vertrauen,
dass er sein Verhalten ausschließlich an der zu seinen Gunsten ergangenen
Entscheidung ausrichten und seine Verurteilung in dem anderen Urteil ignorieren darf.
Bei unklarer Rechtslage muss der Schuldner vielmehr sachkundigen Rechtsrat eingeholt
und sich dem Rat entsprechend verhalten haben, wenn er einen unvermeidbaren
Verbotsirrtum geltend machen will (vgl. BGH, wistra 1984, 178). Hätte die
Beschwerdeführerin sachkundigen Rechtsrat eingeholt, hätte sie erkannt, dass es
jedenfalls vertretbar war, dem Urteil des Landgerichts vom September 2003 Vorrang vor
der Entscheidung des Kammergerichts vom 30. November 2001 einzuräumen und sie
bei einer Zuwiderhandlung gegen die vom Landgericht ausgesprochenen
Unterlassungsverpflichtungen deshalb mit der Verhängung der im Urteil angedrohten
Ordnungsmittel rechnen musste.
Hierfür spricht bereits, dass das Urteil des Kammergerichts vom 30. November 2001
ausweislich seines Tenors und seiner Begründung den Besitz der Beschwerdeführerin nur
vor verbotener Eigenmacht seitens der Beteiligten zu 3. schützte. Mit der Vollstreckung
aus dem Urteil des Landgerichts vom 29. September 2003 hat die Beteiligte zu 3. aber
keine verbotene Eigenmacht begangen, sondern aus einem zu ihren Gunsten
ergangenen Urteil vollstreckt.
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Aber auch dann, wenn man die Vollstreckungstitel als inhaltlich widersprechend ansieht,
hätten Überlegungen zum materiellen Recht verdeutlicht, dass es vertretbar ist, dem
Urteil des Landgerichts Vorrang vor der Entscheidung des Kammergerichts zu geben.
Die Besitzschutzansprüche der §§ 858 ff. BGB, welche hier Gegenstand des einstweiligen
Verfügungsverfahrens waren, erlöschen nach dem Wortlaut von § 864 Abs. 2 BGB zwar
erst, wenn durch rechtskräftiges Urteil festgestellt wird, dass demjenigen, der den Besitz
gestört hat (hier: die Beteiligte zu 3.), ein Recht an der Sache (im weiteren Sinne: vgl.
Joost, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 6, 4. Aufl. 2004, § 864 Rn. 7) zusteht,
vermöge dessen er die Herstellung eines seiner Handlungsweise entsprechenden
Besitzstandes verlangen kann (sog. petitorische Einwendung, vgl. Joost, a. a. O., § 863
Rn. 6). In der Kommentarliteratur wird zum Teil aber eine entsprechende Anwendung der
Vorschrift befürwortet, wenn ein nur vorläufig vollstreckbares Urteil über die petitorischen
Einwendungen des Störers ergeht. Um eine widersprechende Vollstreckungssituation zu
vermeiden, soll das vorläufig vollstreckbare Urteil dem in Abs. 2 geregelten Fall mit der
Folge gleichgestellt werden, dass die Besitzansprüche als derzeit unbegründet
anzusehen sind (so Stadler, in: Soergel, BGB, Bd. 14, 13. Aufl. 2002, § 864 Rn. 7;
Fritzsche, in: Bamberger/ Roth, BGB, Bd. 2, 3. Aufl. 2003, § 864 Rn. 9; Bund, in:
Staudinger, BGB, Bd. III, Neubearbeitung 2000, § 864 Rn. 7; vgl. auch BGHZ 73, 355
<358> unter Hinweis auf Hagen, JuS 1952, 124). Übertragen auf die hier gegebene
Vollstreckungssituation unterstützt diese Ansicht die Auffassung des Kammergerichts,
dass sein die Besitzansprüche der Beschwerdeführerin betreffendes Urteil vom
November 2001 infolge der - den petitorischen Einwendungen und Ansprüchen der
Beteiligten zu 3. stattgebenden - Entscheidung des Landgerichts vom 29. September
2003 als derzeit nicht vollstreckbar anzusehen ist.
Etwas anderes folgt auch nicht aus der Tatsache, dass hier - entgegen der Konstellation,
die die vorzitierte Rechtsprechung und Kommentarliteratur überwiegend behandelt -
eine durch Urteil bestätigte formell rechtskräftige (vgl. Stein/Jonas, ZPO, Bd. 9, 22. Aufl.
2002, vor § 935 ZPO Rn.15) einstweilige Verfügung bereits vorliegt und als grundsätzlich
zu beachtender staatlicher Hoheitsakt auch gewisse materielle Rechtskraftwirkungen
(vgl. Stein/Jonas, a. a. O., vor § 916 ZPO Rn. 14 ff.) zeitigt. Abgesehen davon, dass
einzelne ältere Stimmen in der Literatur annehmen, ein gegenläufiges Hauptsacheurteil
führe bereits ex lege zur Unwirksamkeit des Verfügungstitels (vgl. Pastor, Der
Wettbewerbsprozess, 3. Aufl. 1980, S. 471; Häsemeyer, Schadenshaftung im
Zivilrechtsstreit, 1979, S. 115), weil dieser gegenüber jenem eine nur "dienende
Funktion" besitze, ist jedenfalls die Rechtskraftwirkung durch die Beseitigungsmöglichkeit
nach § 927 ZPO sowie durch die Eigenart des Streitgegenstandes des
Verfügungsverfahrens erheblich eingeschränkt (Teplitzky, WRP 1986, 149 <150>). Sein
Streitgegenstand ist nicht der materielle Unterlassungsanspruch selbst, sondern allein
das einstweilige Sicherungsbegehren (OLG Frankfurt, WRP 1982, 422; OLG Karlsruhe,
WRP 1977, 272; Ahrens, Wettbewerbsverfahrensrecht, 1983, S. 264 <267>.; Jestaedt,
GRUR 1985, 480 <485>).
Unabhängig davon, ob man der Ansicht des Kammergerichts folgt, eine
widersprechende Vollstreckungssituation sei hier nicht vorhanden, ist jedenfalls im
Hinblick auf die Besonderheit des Streitgegenstandes des Verfügungsverfahrens und im
Hinblick darauf, dass dieses eine nur als vorläufige Maßnahme konzipierte und auf
summarischer Prüfung beruhende Regelung darstellt, sowie angesichts der
institutionellen Abhängigkeit der Verfügungsmaßnahme von dem Hauptsacheverfahren
die Annahme des Kammergerichts, dem vorläufig vollstreckbaren Unterlassungsgebot
des Landgerichts gebühre Vorrang vor der Verfügungsanordnung des Urteils vom
November 2001, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
2. Das Urteil des Kammergerichts stellt sich auch nicht als willkürlich dar. Ein Verstoß
gegen das in Art. 10 Abs. 1 VvB enthaltene Willkürverbot liegt erst vor, wenn eine
Entscheidung unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der
Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht (Beschlüsse vom 25.
April 1994 - VerfGH 34/94 - LVerfGE 2, 16 <18> und vom 20. August 1997 - VerfGH
46/97 - LVerfGE 7, 19 <24>). Die Auffassung des Kammergerichts, die in dem Urteil
vom November 2002 zu Gunsten der Beschwerdeführerin enthaltene
Besitzschutzregelung sei aufgrund der zwingenden gesetzlichen Vorschrift des § 709
ZPO "überlagert", kann schon aus den vorstehend dargelegten Gründen nicht als
unvertretbar bezeichnet werden.
Im Übrigen entbehrt es auch unabhängig von den vorgenannten Überlegungen nicht
jeden sachlichen Grundes, wenn das Kammergericht die in den einstweiligen
Verfügungen getroffene Besitzschutzregelung als von dem später erlassenen Urteil
"überlagert" ansieht, weil es nach der zwingenden Vorschrift des § 709 ZPO für vorläufig
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"überlagert" ansieht, weil es nach der zwingenden Vorschrift des § 709 ZPO für vorläufig
vollstreckbar zu erklären gewesen sei. Da auf der Ebene des Prozess- bzw.
Vollstreckungsrechts Regelungen fehlen, die in einer Konfliktsituation, wie der hier zu
beurteilenden, ein Rangverhältnis zwischen mehreren vollstreckbaren Titeln bestimmen,
ist es auch deswegen vertretbar, das zeitlich neuere Urteil als das maßgebliche
anzusehen, weil dem Gericht bei dessen Erlass die von ihm selbst vorher erlassene
einstweilige Verfügung bekannt war. Wenn es dennoch eine dieser widersprechende
Entscheidung trifft, spricht dies dafür, dass der Inhalt des neuen Urteils die derzeitige
Rechtslage wiedergibt. Daher ist es dann auch sachlich gerechtfertigt, diesem Urteil dem
alten Titel in vollstreckungsrechtlicher Hinsicht Vorrang zu geben.
Aus demselben Grunde lässt es entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin keine
Willkür erkennen, wenn das Kammergericht ausführt, Vollstreckungsmaßnahmen auf der
Grundlage des nur vorläufig vollstreckbaren Titels im Hauptsacheverfahren stellten
ihrerseits keinen Verstoß der Gläubigerin gegen die einstweilige Verfügung dar, weil der
Gläubigerin bei Durchführung der gesetzlich zulässigen Vollstreckung aus dem
Hauptsacheurteil kein Verschulden vorgeworfen werden könne.
3. Der Beschluss des Kammergerichts verletzt nicht den Anspruch der
Beschwerdeführerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 15 Abs. 1 VvB. Aus der
in Art. 15 Abs. 1 VvB enthaltenen - mit Art. 103 Abs. 1 GG inhaltsgleichen -
verfassungsrechtlichen Verbürgung des rechtlichen Gehörs folgt zunächst, dass ein
Gericht die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei
seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen hat (Beschluss vom 16. November 1995 -
VerfGH 48/94 - LVerfGE 3, 113 <117>; st. Rspr.). Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist
nicht verletzt, wenn ein Gericht aus Gründen des formellen oder des materiellen Rechts
das Vorbringen eines Beteiligten unberücksichtigt lässt. Die Nichtberücksichtigung eines
als erheblich angesehenen Beweisangebots verstößt nur dann gegen den Grundsatz des
rechtlichen Gehörs, wenn ihr das Prozessrecht keine Stütze bietet (Beschlüsse vom 17.
Dezember 1997 - VerfGH 112/96 - LVerfGE 7, 49 <56> und vom 18. Mai 2000 - VerfGH
117/98 -; vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 69, 141 <143 f.>; 145 <148>). Das Gericht
muss sich in den schriftlichen Entscheidungsgründen nicht mit jedem Einzelvorbringen
auseinandersetzen. Art. 15 Abs. 1 VvB schützt auch regelmäßig nicht davor, dass das
Gericht tatsächlichen Umständen nicht die richtige Bedeutung beimisst oder die
Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt (vgl. zum Bundesrecht BVerfGE 76, 93 <98>;
64, 1 <12>). Vielmehr ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das von
ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und
in Erwägung gezogen hat. Der Verfassungsgerichtshof kann einen Gehörsverstoß nur
dann feststellen, wenn sich dieser aus den Umständen des einzelnen Falles eindeutig
ergibt (Beschlüsse vom 16. November 1995 - VerfGH 48/94 - LVerfGE 3, 113 <116 f.>
und vom 22. Mai 1997 - VerfGH 34/97 - LVerfGE 6, 80 <82>; st. Rspr.; vgl. zum
Bundesrecht z. B. BVerfG, NJW-RR 1995, 1033 <1034>; ZMR 1997, 68 f.).
Ein derartiger Fall ist hier nicht gegeben. Es sprechen keine Umstände dafür, dass das
Kammergericht den unter Beweis gestellten Vortrag der Beschwerdeführerin, der
Vorsitzende des erkennenden Senats im Verfahren 14 U 186/01 habe erklärt, die im
Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens ergehenden Entscheidungen träfen
eine Regelung bis zur Rechtskraft eines Hauptsacheurteils, nicht zur Kenntnis
genommen oder aus Gründen, die im Prozessrecht keine Stütze finden, übergangen
hat. Näher liegt vielmehr die Annahme, dass es den Vortrag für unerheblich erachtet
hat, weil sich die Aussage des Vorsitzenden auf die Rechtskraft des Hauptsacheurteils
beschränkte und deshalb als richtig unterstellt werden konnte. Tatsächlich wäre die in
der einstweiligen Verfügung enthaltene Regelung für die Dauer des
Hauptsacheverfahrens (vgl. § 926 Abs. 1 ZPO) maßgeblich geblieben, wenn in diesem
Verfahren ausschließlich um die Besitzschutzansprüche der Beschwerdeführerin (und
ggf. um ihren Feststellungsantrag) gestritten worden wäre. Mit der Widerklage der
Beteiligten zu 3. waren aber weitere, über das Hauptsacheverfahren im Sinne des § 926
Abs. 1 ZPO hinausgehende Anträge anhängig geworden. Dass sich der Vorsitzende auch
dazu geäußert hat, wie sich ein Erfolg dieser Anträge auf die im einstweiligen
Verfügungsverfahren ergangenen Entscheidungen auswirken würde, ist nicht ersichtlich.
Die Beschwerdeführerin behauptet auch nicht, dass der Vorsitzende bei seiner Erklärung
die Möglichkeit eines späteren, dem Inhalt der einstweiligen Verfügung
widersprechenden und vorläufig vollstreckbaren Urteils bedacht habe.
4. Der Beschluss des Kammergerichts vom 11. Juni 2004 verletzt auch nicht Art. 15 Abs.
2 VvB, wonach eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich
bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Dabei kann offen bleiben, ob Art. 15 Abs.
2 VvB auf das Vollstreckungsverfahren gemäß § 890 ZPO möglicherweise schon deshalb
keine Anwendung findet, weil auf der Grundlage dieser Norm festgesetzte
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keine Anwendung findet, weil auf der Grundlage dieser Norm festgesetzte
Ordnungsgelder keine Strafen i. S. d. Art. 15 Abs. 2 VvB sind (so Driehaus, in: ders.
[Hrsg.], Verfassung von Berlin, 2. Aufl. 2005, Art. 15 Rn. 12; für das Bundesrecht:
Schulze-Fielitz, in: Dreier [Hrsg.], GG, Bd. III, 2000, Art. 103 III Rn. 22; im Ergebnis
ebenso, allerdings ohne Begründung: BVerfGE 84, 82 <89>, offengelassen von BVerfGE
20, 323 <329 f.>; BVerfG, Beschlüsse vom 16. Januar 1991 - 1 BvR 807/88 u. a. - und
15. März 1990 - 2 BvR 126/90 -; anders BVerfG, Beschlüsse vom 8. Mai 1991 - 2 BvR
1654/90 - und 30. November 1990 - 2 BvR 1353/90 -). Ebenso muss nicht entschieden
werden, ob Art. 15 Abs. 2 VvB allenfalls Maßstab der Prüfung der Bestimmtheit der
Unterlassungsgebote und der angedrohten Ordnungsmittel, nicht aber der Feststellung
der Zuwiderhandlung im Verfahren nach § 890 ZPO sein kann (so für das Bundesrecht
BVerfG, Beschluss vom 16. Januar 1991 - 1 BvR 807/88 -; anders BVerfG, Beschlüsse
vom 8. Mai 1991 - 2 BvR 1654/90 - und 30. November 1990 - 2 BvR 1353/90 -). Denn
jedenfalls ist nicht ersichtlich, dass das Kammergericht das Bestimmtheitsgebot
unbeachtet gelassen hätte. Soweit die Beschwerdeführerin die weitere Nutzung ihres
Besitzes trotz der bestehenden vorläufig vollstreckbaren Unterlassungsgebote für
erlaubt gehalten hat, hatte dies seinen Grund nicht in der fehlenden Bestimmtheit der
Unterlassungsgebote und der angedrohten Ordnungsmittel als solchen, sondern in ihrer
unzutreffenden Einschätzung der Rechtslage.
5. Ferner ist der mit Art. 103 Abs. 3 GG inhaltsgleiche Art. 15 Abs. 3 VvB nicht verletzt,
wonach niemand wegen derselben Tat aufgrund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals
bestraft werden darf. Dabei kann dahin stehen, ob - wie die Beschwerdeführerin meint -
sämtliche der geahndeten Handlungen im Fortsetzungszusammenhang stehen oder für
die Bewirtschaftung ein und desselben Werbeträgers mehrfach Ordnungsgelder
festgesetzt worden sind. Denn wie sich aus der Wendung "aufgrund der allgemeinen
Strafgesetze" ergibt, soll sich das Verbot des Art. 103 Abs. 3 GG nicht auf alle Arten von
Bestrafungen beziehen. Die Vorschrift greift nur ein, wenn die Verhängung einer weiteren
echten Kriminalstrafe in Frage steht (Driehaus, a. a. O., Art. 15 Rn. 16; vgl. zum
Bundesrecht BVerfGE 21, 378 <383 f.>; 27, 180 <184 f.>; 43, 101 <105>). Hierzu zählt
eine Maßnahme gemäß § 890 Abs. 1 ZPO ihrem Wesen nach nicht (Kunig, in: v.
Münch/Kunig [Hrsg.], GG, Bd. 3, 5. Aufl. 2003, Art. 103 Rn. 43; Schmidt-Aßmann, in:
Maunz-Dürig, GG, Bd. VI, Art. 103 [Stand: 1992] Rn. 290; Schulze-Fielitz, a. a. O., Art.
103 III Rn. 22; Stöber, in: Zöller, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 890 Rn. 7), auch wenn sie
strafrechtliche Elemente aufweist (vgl. BVerfGE 20, 323 <332 ff.>; 84, 82 <87>).
Während das Strafrecht die Störung des allgemeinen Rechtsfriedens sanktioniert (vgl.
BVerfGE 32, 40 <48>), beziehen sich Maßnahmen nach § 890 Abs. 1 ZPO auf
besondere Rechte und Pflichten; es geht dort um die Durchsetzung privatrechtlicher
Verpflichtungen in einem Verfahren zwischen privaten Parteien (BVerfGE 84, 82 <88>;
vgl. auch Schulze-Fielitz, a. a. O.).
6. Schließlich verletzt der angegriffene Beschluss die Beschwerdeführerin nicht in ihrem
Grundrecht aus Art. 15 Abs. 5 Satz 2 VvB, wonach niemand seinem gesetzlichen Richter
entzogen werden darf. Das Recht auf den gesetzlichen Richter kann dadurch verletzt
werden, dass ein Gericht seine Zuständigkeit zu Unrecht bejaht oder verneint und
dadurch ein Abweichen von der gesetzlichen Zuständigkeit im Einzelfall bewirkt (vgl. zum
Bundesrecht BVerfGE 3, 359 <364>; 29, 45 <48>). Für die Annahme eines Verstoßes
gegen Art. 15 Abs. 5 Satz 2 VvB reicht die bloße Verletzung verfahrensrechtlicher
Zuständigkeitsregelungen jedoch nicht aus. Die fehlerhafte Auslegung und Anwendung
von Vorschriften über die gerichtliche Zuständigkeit - falls sie vorgelegen haben sollten -
verstoßen erst dann gegen Art. 15 Abs. 5 Satz 2 VvB, wenn sie willkürlich sind (so zu Art.
101 Abs. 1 Satz 2 GG BVerfGE 87, 282 <284 f.> m. w. N.).
Das ist hier nicht der Fall. Die Zuständigkeit des 14. Senats des Kammergerichts für die
angegriffene Entscheidung im Beschwerdeverfahren 14 W 14/04 steht im Hinblick auf
das bei Eingang der Beschwerde bereits anhängige Berufungsverfahren 14 U 240/03
nicht ernsthaft in Frage. Denn nach Nr. 2.4 des Geschäftsverteilungsplanes (Rn. 36) des
Kammergerichts 2004 bleibt die Zuständigkeit eines Senats auch dann bestehen, wenn
nach Eingang des ersten Rechtsmittels in derselben Sache Ansprüche aus anderen
Sachgebieten an das Kammergericht gelangen.
Ob ein Verstoß gegen Art. 15 Abs. 5 Satz 2 VvB im Berufungsverfahren auf das hier in
Frage stehende Verfahren der sofortigen Beschwerde gleichsam "durchschlagen"
könnte, bedarf keiner Entscheidung. Denn auch hinsichtlich des Berufungsverfahrens 14
U 240/03 lässt sich Willkür nicht feststellen. Es ist vertretbar, die Zuständigkeit des 14.
Senats aus Nr. 16 (Rn. 72) des Geschäftsverteilungsplanes des Kammergerichts 2003
herzuleiten. Danach ist ein Senat auch für die Hauptsache zuständig, wenn bei ihm eine
Verfügungssache anhängig war; dasselbe gilt für die Ansprüche aus dem
Rechtsverhältnis, das dem Verfügungsverfahren zugrunde liegt. Es ist nicht willkürlich,
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Rechtsverhältnis, das dem Verfügungsverfahren zugrunde liegt. Es ist nicht willkürlich,
wenn der 14. Senat des Kammergerichts hieraus seine Zuständigkeit hergeleitet hat, da
er mit den Besitzschutzansprüchen der Beschwerdeführerin gegen die Beteiligte zu 3.,
die u. a. Streitgegenstand des Klageverfahrens 14 U 240/03 waren, bereits im
Verfügungsverfahren 14 U 186/01 befasst war. Zwar stellt Nr. 2.2 des
Geschäftsverteilungsplans 2003 (Rn. 29 ff.) eine Rangfolge für den Fall auf, dass der
Kläger mehrere Ansprüche geltend macht hat, woraus sich die Zuständigkeit des 20.
Senats ergeben könnte. Dass diese Regelung diejenige der Nr. 16 verdrängt, wird von
dem Geschäftsverteilungsplan 2003 jedoch weder ausdrücklich bestimmt noch zwingen
Sinn und Zweck der Regelungen zu einer solchen Annahme.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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