Urteil des VerfGH Berlin vom 15.03.2017

VerfGH Berlin: subjektives recht, verfassungsbeschwerde, verfügung, öffentliche gewalt, unechte rückwirkung, ausschreibung, notariat, befristung, bedürfnis, rechtspflege

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
163/01
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 17 Verf BE, Art 18 Verf BE,
Art 19 Abs 2 Verf BE, § 4 S 1
BNotO, § 51 Abs 2 VGHG BE
(VerfGH Berlin: Unzulässige Verfassungsbeschwerde gegen rein
verwaltungsintern wirkende Verwaltungsvorschrift zur
Zulassung zum Anwaltsnotariat - Selbstbindung der Verwaltung
nur bei Anspruch auf Gleichbehandlung - kein subjektives Recht
von potenziellen Bewerbern auf Notarstelle oder auf
Beibehaltung bisheriger Regelungen aus Verf BE Art 19 Abs 2)
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.
Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe
Die Beschwerdeführer, die seit März 1997 (Beschwerdeführerin zu 1.) bzw. September
1991 (Beschwerdeführer zu 2.) als zugelassene Rechtsanwälte tätig sind und seit einigen
Jahren die Bestellung zum Notar anstreben, wenden sich mit ihrer am 3. November 2001
eingegangenen Verfassungsbeschwerde gegen die Änderung von Regelungen der von
der Senatsverwaltung für Justiz auf der Grundlage von § 4 BNotO erlassenen
Allgemeinen Verfügung über Angelegenheiten der Notare (AVNot) vom 22. April 1996
(ABl. S. 1741) durch die Verwaltungsvorschriften zur Änderung der Allgemeinen
Verfügung über Angelegenheiten der Notare (AVNot) vom 13. Oktober 2000 (ABl. 4226).
Die AVNot vom 22. April 1996 (ABl. S. 1741) i.d.F. vom 30. Oktober 1998 (ABl. S. 4525)
lautete auszugsweise:
I. Bestellung von Notaren
1.
(1) Die Bestellung von Notaren richtet sich — abgesehen von den Fällen des § 48 c
BNotO — nach den Erfordernissen einer geordneten Rechtspflege (§ 4 Satz 1 BNotO).
Dabei wird insbesondere
- das Bedürfnis nach einer angemessenen Versorgung der Rechtsuchenden mit
notariellen Leistungen und
- die Wahrung einer geordneten Altersstruktur des Notarberufs berücksichtigt.
(2) Ein Bedürfnis für die Bestellung von Notaren besteht, wenn der Jahresdurchschnitt
der Urkundsgeschäfte der Notare im Bezirk des Kammergerichts unter Berücksichtigung
der zu errichtenden Notarstellen in den vergangenen zwei Jahren mindestens 250
Notariatsgeschäfte erreicht oder überschreitet. [..]
(3) Zur Wahrung einer geordneten Altersstruktur des Notarberufs wird ein nach Absatz 2
grundsätzlich bestehender Bedarf an Notarstellen nicht in einem Zuge, sondern über
mehrere Jahre verteilt gedeckt, soweit die Zahl der neu zu besetzenden Notarstellen ein
Fünfundzwanzigstel der nach Absatz 2 berechneten Höchstzahl an Notaren übersteigt.
Die Berechnung nach Satz 1 wird jährlich unter Berücksichtigung der Entwicklung der
Notariatsgeschäfte wiederholt.
Ausweislich der Übergangs- und Schlussbestimmungen der AVNot vom 22. April 1996
(Abschnitt XVIII Nr. 43 Abs. 1 Satz 2) und vom 30. Oktober 1998 (II. Nr. 1 Satz 2) sollten
die Verwaltungsvorschriften mit Ablauf des 31. Mai 2006 außer Kraft treten.
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Am 3. November 2000 veröffentlichte die Senatsverwaltung für Justiz im Amtsblatt von
Berlin (ABl. S. 4226) folgende Verwaltungsvorschriften zur Änderung der Allgemeinen
Verfügung über Angelegenheiten der Notare (AVNot) vom 13. Oktober 2000:
I.
Abschnitt I Nr. 1 der Allgemeinen Verfügung über Angelegenheiten der Notare (AVNot)
vom 22. April 1996 (ABl. S. 1741), zuletzt geändert durch Verwaltungsvorschriften vom
30. Oktober 1998 (ABl. S. 4525), wird wie folgt geändert:
Absatz 2 Satz 1 erhält folgende Fassung:
„Ein Bedürfnis für die Bestellung von Notaren besteht, wenn der Jahresdurchschnitt der
Urkundsgeschäfte der Notare im Bezirk des Kammergerichts unter Berücksichtigung der
zu errichtenden Notarstellen in den vergangenen zwei Jahren mindestens 325
Notariatsgeschäfte erreicht oder überschreitet.”
2. Absatz 3 wird aufgehoben.
II.
3. Für die Besetzung der am 31. März 2000 im Amtsblatt für Berlin, S. 1091
ausgeschriebenen Notarstellen gelten die bisherigen Vorschriften.
III.
4. Diese Verwaltungsvorschriften treten am Tage nach der Veröffentlichung im Amtsblatt
für Berlin in Kraft.
Zuvor hatte die Senatsverwaltung für Justiz durch Pressemitteilung (Nr. 82/2000) vom
23. Oktober 2000 mitgeteilt, die jüngste Entwicklung des Urkundsaufkommens bei den
Berliner Notaren mache es erforderlich, die Bedürfnisregelung in Abschnitt I Nr. 1 der
AVNot zu überarbeiten und so zu fassen, dass sie weiterhin die Gewähr für eine
ordnungsgemäße Betreuung der Rechtsuchenden biete. Derzeit gelinge es nach den
Berichten des Präsidenten des Landgerichts Berlin nicht einmal der Hälfte der 1185
zugelassenen Notare in Berlin, das bislang auf 250 Urkundsgeschäfte pro Jahr
festgelegte Urkundsaufkommen zu erreichen. Ein Drittel der Notare tätige weniger als
150 Beurkundungen und etwa 15 % weniger als 50 Beurkundungen im Jahr. Bei
derartigen Kleinstnotariaten sei zu besorgen, dass aus Rentabilitätsgründen auf
qualifiziertes Personal verzichtet werde und es an der erforderlichen Routine für die
Bearbeitung des Notariats fehle. Hiermit hänge zusammen, dass jedem amtierenden
Notar zur Erfüllung seiner öffentlichen Aufgabe ein Mindestmaß an wirtschaftlicher
Unabhängigkeit zu gewährleisten sei. Aus diesen Gründen werde die Bedürfniszahl auf
325 heraufgesetzt. Entbehrlich werde in diesem Zusammenhang die bislang in Abschnitt
I Nr. 1 Abs. 3 getroffene Altersstrukturregelung. Es würden nun entsprechend dem
jeweiligen Urkundsaufkommen und der Zahl der ausscheidenden Notare neue Notare
bestellt werden.
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde erstreben die Beschwerdeführer die
Nichtigkeitserklärung der Ziffer I, hilfsweise der Ziffer II und III der AVNot vom 13. Oktober
2000, sowie die Feststellung, dass die Ausschreibung von Notarstellen für das Jahr 2002
aufgrund der AVNot in der Fassung vom 30. Oktober 1998 zu erfolgen habe.
Die Verfassungsbeschwerde sei zulässig, insbesondere sei ein vor Erhebung der
Verfassungsbeschwerde zu erschöpfender Rechtsweg nicht gegeben. Ein Verwaltungsakt
aufgrund der Änderung der AVNot sei bisher nicht erlassen worden und auch nicht zu
erwarten. Da auf die Ausschreibung von Notarstellen kein Rechtsanspruch bestehe, sei
eine hierauf gerichtete Leistungsklage unstatthaft.
Die Verfassungsbeschwerde sei auch begründet. Die angegriffene, auf der Grundlage
von §§ 4, 6 BNotO erlassene, norminterpretierende Verwaltungsvorschrift genüge weder
den Anforderungen der Norm, die sie konkretisiere, noch den Grundrechten der
Bewerber.
Die Beschwerdeführer seien durch die Änderung der AVNot vom 13. Oktober 2000
unmittelbar in ihren verfassungsmäßig garantierten Grundrechten aus Art. 18 VvB —
Freiheit der Berufsausübung —, Art. 10 Abs. 1 VvB — Gleichheitssatz —, Art. 36, 66 VvB
— Gesetzmäßigkeit der Verwaltung —, Art. 19 VvB — Leistungsprinzip. bei der Vergabe
öffentlicher Ämter —, und Art. 23 VvB — Schutz des Eigentums — betroffen. Ferner
seien die Prinzipien der Rechtssicherheit und der Gerechtigkeit im Einzelfall, die ebenfalls
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seien die Prinzipien der Rechtssicherheit und der Gerechtigkeit im Einzelfall, die ebenfalls
Verfassungsrang hätten, verletzt. Die Beschwerdeführer hätten im Vertrauen auf die bis
zum Jahr 2006 befristete AVNot in der Fassung vom 30. Oktober 1998 im Herbst 1999
durch den Besuch von Fortbildungsveranstaltungen die Vorbereitung auf die Zulassung
zum Anwaltsnotariat in Berlin aufgenommen, da sie sich im Frühjahr 2002 um die
entsprechende Zulassung hätten bewerben wollen. Nach dem für die Auswahl der
Bewerber bestehenden Punktesystem hätten sie mit ihren Ergebnissen damit rechnen
können, zum Anwaltsnotariat zugelassen zu werden. Da jedoch durch die Änderung der
AVNot vom 13. Oktober 2000 weder im Jahr 2002 noch in den folgenden Jahren Notare in
Berlin bestellt würden, hätten sie ihre Aufwendungen zumindest gegenwärtig vergeblich
erbracht. Zudem führe die Änderung der AVNot dazu, dass die Bewerber um die
Notarstellen in Berlin für einige Jahre „aufliefen”, so dass das für die Zulassung
erforderliche Punkteniveau erheblich ansteigen werde. Daher sei es im Hinblick auf die
maximal erreichbare Punktzahl der Beschwerdeführer unwahrscheinlich, dass sie
überhaupt je zum Notariat zugelassen würden. In diesem Falle hatten sie die
Aufwendungen nicht nur derzeit, sondern gänzlich vergeblich erbracht. Die kurzfristige
Änderung der AVNot könne mithin zum dauerhaften Scheitern ihrer Bewerbung um die
Zulassung zum Notariat führen, ohne dass dies, wie die Beschwerdeführer im einzelnen
ausführen, durch den Zweck der Zulassungsregelung gedeckt sei. Die Bewerber für ein
Notaramt müssten zumindest für den Zeitraum von Beginn der Vorbereitung auf die
Bewerbung bis zur Bewerbung selbst in ihrem Vertrauen auf den Bestand der Norm
geschützt werden. Insoweit müsse eine Vorbereitungszeit von mindestens zwei Jahren
zugrundegelegt werden. Die Änderung der AVNot ohne Übergangsfrist greife in
Vorgänge ein, die im Vertrauen auf die bestehende Regelung in Gang gesetzt und noch
nicht abgeschlossen worden seien; sie enthalte mithin zumindest unechte Rückwirkung.
Seit 1996 enthalte die AVNot eine Befristung bis zum Jahr 2006, und diese Befristung sei
von den folgenden, fast jährlichen Änderungen der AVNot nicht betroffen gewesen.
Dementsprechend hätten die Beschwerdeführer davon ausgehen können, dass diese
Regelung den Sinn und Zweck verfolge, zumindest in den wesentlichen Punkten bis 2006
aufrechterhalten zu werden. Durch die Neuregelung hätten die Beschwerdeführer
unmittelbar einen Schaden erlitten, der in den bereits erbrachten Investitionen messbar
sei.
Die Senatsverwaltung für Justiz hält die Verfassungsbeschwerde für unzulässig, da die
angefochtene Allgemeine Verfügung den Beschwerdeführern kein subjektives Recht
gewähre. Bei der Errichtung von Notarstellen handele es sich um einen
verwaltungsinternen Akt staatlichen Organisationsgewalt, der nicht in die durch Art 12
GG, Art. 17 VvB geschützte Berufsfreiheit eingreife. Die Berufsfreiheit des
Notarbewerbers beschränke sich vielmehr gemäß Art. 33 GG auf das Recht des gleichen
Zugangs. Jedenfalls wäre zweifelhaft, ob die Beschwerdeführer durch die Regelung der
Allgemeinen Verfügung unmittelbar und gegenwärtig in ihren Rechten betroffen seien. Es
sei ihnen zumutbar, einen Umsetzungsakt herbeizuführen, indem sie auch ohne
Ausschreibung einen Antrag auf Zulassung zum Notariat stellten und gegen dessen
Zurückweisung den Rechtsweg beschritten (§ 111 BNotO), was bislang ein Bewerber
auch getan habe.
Die Verfassungsbeschwerde erscheine im Übrigen auch unbegründet, da die
Heraufsetzung der Bedürfniszahl auf 325 Urkundsgeschäfte und die Aufhebung der
Altersstrukturregelung sachgerecht und nicht ermessensfehlerhaft sei. Die
vorgenommenen Änderungen der AVNot verstießen auch nicht gegen das Verbot der
Rückwirkung, da die bloße Erwartung potenzieller Notarbewerber hinsichtlich künftiger
Stellenausschreibungen keinen verfassungsrechtlich geschützten Vertrauenstatbestand
darstelle. Die Zahl der auszuschreibenden Stellen werde jährlich unter Berücksichtigung
des - nicht vorhersehbaren — Urkundsaufkommens neu errechnet, so dass potenzielle
Bewerber nicht darauf vertrauen könnten, ob und in welchem Umfang in Zukunft
Notarstellen ausgeschrieben würden. Auch die in Abschnitt XVIII Nr. 43 Abs. 1 AVNot
vom 22. April 1996 getroffene Regelung über das Außerkrafttreten diene nicht dem
Vertrauensschutz des Notarbewerbers. Grundlage für die Begrenzung der
Geltungsdauer der AVNot sei § 6 Abs. 5 des Gesetzes über die Zuständigkeiten in der
allgemeinen Berliner Verwaltung. Durch die Befristung der Geltungsdauer von
Allgemeinverfügungen solle sichergestellt werden, dass sie nach angemessener Zeit auf
ihre Erforderlichkeit überprüft würden. Zudem diene die Befristung auch dazu, die
Übersicht über erlassene Allgemeinverfügungen zu erhalten. Das Vertrauen in den
Bestand werde dadurch nicht geschützt.
Am 8. Februar 2003 traten die Verwaltungsvorschriften zur Änderung der Allgemeinen
Verfügung über Angelegenheiten der Notare vom 23. Januar 2003 (ABl. S. 406) in Kraft,
die die Allgemeine Verfügung über Angelegenheiten der Notare vom 22. April 1996,
zuletzt geändert durch Verwaltungsvorschriften vom 26. Juli 2002, wie folgt änderten:
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In Abschnitt 1 Nr. 1 wird folgender Absatz 3 eingefügt:
Zur Wahrung einer geordneten Altersstruktur des Notarberufs werden in ungeraden
Kalenderjahren zwanzig Notarstellen ausgeschrieben. Ein nach Absatz 2 bestehender
Bedarf an Notarstellen wird darauf angerechnet. [...]
Dementsprechend erfolgte im Jahr 2003 die Ausschreibung von 20 Notarstellen.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist im Haupt- sowie im Hilfsantrag unzulässig.
Gemäß § 49 Abs. 1 VerfGHG kann jedermann Verfassungsbeschwerde mit der
Behauptung erheben, durch die öffentliche Gewalt des Landes Berlin in einem seiner in
der Verfassung von Berlin enthaltenen subjektiven Rechte verletzt zu sein. Richtet sich
die Verfassungsbeschwerde gegen eine Rechtsvorschrift oder gegen einen sonstigen
Hoheitsakt, gegen den ein Rechtsweg nicht offen steht, kann sie nur binnen eines Jahres
seit dem Inkrafttreten der Rechtsvorschrift oder dem Erlass des Hoheitsaktes erhoben
werden (§ 51 Abs. 2 VerfGHG). Ferner ist die Verfassungsbeschwerde nur zulässig, wenn
der Beschwerdeführer geltend machen kann, durch die Norm selbst, gegenwärtig und
unmittelbar in seinen Rechten verletzt zu sein. In der Begründung der Beschwerde sind
das Recht, das verletzt sein soll, und die Handlung oder Unterlassung des Organs oder
der Behörde, durch die der Beschwerdeführer sich verletzt fühlt, zu bezeichnen (§ 50
VerfGHG). Ist gegen die behauptete Verletzung der Rechtsweg zulässig, kann die
Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden (§ 49
Abs. 2 VerfGHG).
Unter Zugrundelegung dieser Anforderungen ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig,
da es der von den Beschwerdeführern angegriffenen AVNot am Charakter der
Rechtsvorschrift oder des sonstigen Hoheitsaktes im Sinne des § 51 Abs. 2 VerfGHG
fehlt (1.) und zudem eine Beeinträchtigung der Beschwerdeführer in einem ihrer in der
Verfassung von Berlin enthaltenen subjektiven Rechte nicht möglich erscheint (2.).
1. Die Allgemeine Verfügung über Angelegenheiten der Notare vom 22. April 1996 mit
späteren Änderungen ist eine Verwaltungsvorschrift und beruht auf § 4 BNotO in der
Fassung des Gesetzes zur Änderung des Berufsrechts der Notare und Rechtsanwälte
vom 29. Januar 1991 (BGBl. 1 S. 150), wonach so viele Notare bestellt werden, wie es
den Erfordernissen einer geordneten Rechtspflege, entspricht (Satz 1), wobei
insbesondere das Bedürfnis nach einer angemessenen Versorgung der Rechtsuchenden
mit notariellen Leistungen und die Wahrung einer geordneten Altersstruktur des
Notarberufs zu berücksichtigen ist (Satz 2). § 4 BNotO räumt der jeweils zuständigen
Landesjustizverwaltung das Organisationsermessen ein, Notarstellen im Rahmen
staatlicher Bedarfsplanung zu errichten bzw. die Anzahl der zu bestellenden Notare nach
den Bedürfnissen einer geordneten Rechtspflege zu bestimmen. Von diesem
Organisationsermessen haben verschiedene Landesjustizverwaltungen, so auch die
Senatsverwaltung für Justiz in Berlin, in Form von Allgemeinen Verfügungen Gebrauch
gemacht.
Allgemeine Verwaltungsvorschriften sind allenfalls dann mit einer
Verfassungsbeschwerde angreifbar, wenn sie Auswirkungen entfalten, d.h. insbesondere
in Form der Selbstbindung der Verwaltung, mithin in Fällen, in denen die
Verwaltungsbehörden im Einzelfall nach den Verwaltungsvorschriften verfahren (vgl. zum
Bundesrecht: BVerfGE 2, 139 <141 f.>; 40, 237 <254 ff.>; 41, 88<105>). In derartigen
Fällen fehlt es allerdings häufig an der unmittelbaren Betroffenheit durch die allgemeine
Verwaltungsanordnung selbst, da die Selbstbindung der Verwaltung regelmäßig zu
einem Umsetzungsakt führt, gegen den zunächst der fachgerichtliche Rechtsweg zu
beschreiten ist (vgl. BVerfGE 1, 82 <83 f.>; 2, 139 <142>; 2, 237 <242>; 18, 1 <15>;
BVerwGE 34, 278 <281 f.>). Denn so wie die Befugnis zur letztverbindlichen Auslegung
des objektiven Rechts nicht der Verwaltung, sondern durch Art. 19 Abs. 4 GG den
Gerichten übertragen ist, steht auch die in Verwaltungsvorschriften enthaltene
Rechtsauslegung unter dem Vorbehalt, dass sie Billigung durch die Rechtsprechung
findet (BVerwGE 34, 278 <282 ff.>). Ob vorliegend die Beschwerdeführer trotz der
Tatsache, dass ein nach § 111 BNotO (fach-)gerichtlich überprüfbarer Verwaltungsakt
aufgrund der AVNot vom 13. Oktober 2000 nicht ergangen ist und auch nicht ergehen
konnte, da aufgrund der genannten Änderung der AVNot für das Jahr 2002 keine
Ausschreibung von Notarstellen erfolgt ist, mittels einer allgemeinen, auf Vornahme
einer Ausschreibung gerichteten Leistungsklage — ebenso wie dies weitere potenzielle
Notariatsbewerber getan haben (hierzu vgl. etwa Kammergericht, Beschluss vom 11. Juli
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Notariatsbewerber getan haben (hierzu vgl. etwa Kammergericht, Beschluss vom 11. Juli
2002 — Not 7/01 — sowie BGH, Beschluss vom 31. März 2003 - NotZ 26/02 —) den
Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten hätten beschreiten können und müssen, sei
dahingestellt. Jedenfalls entfalten die AVNot keine Außenwirkungen in Form der
Selbstbindung der Verwaltung.
Die Selbstbindung der Verwaltung beruht nicht auf einer normativen
Allgemeinverbindlichkeit der Verwaltungsvorschriften, die ihnen im Gegensatz zu Gesetz
und Rechtsverordnung als Quellen des objektiven Rechts nicht zukommt, sondern auf
dem Gleichheitssatz des Art. 3 GG bzw. Art. 10 VvB. Er verlangt, dass die Verwaltung ihr
Ermessen gleichmäßig ausübt. Richtet sie ihre Ermessensentscheidungen in Anwendung
von Verwaltungsvorschriften regelmäßig an den in diesen enthaltenen
Vergleichsmaßstäben aus, so verstößt sie gegen den Gleichheitssatz, wenn sie nicht alle
dem Vergleichsmaßstab entsprechenden Einzelfälle gleichmäßig entscheidet. Allerdings
kann die Verletzung des Gleichheitssatzes mit Erfolg nur rügen, wer nach der
maßgebenden objektiven Rechtslage einen Anspruch auf die von ihm begehrte
Gleichbehandlung hat (vgl. BVerwGE 34, 278 <283 f.>).
Im Bereich der Notarzulassung wird das Recht des allgemeinen Gleichheitssatzes (in
Verbindung mit dem Recht auf freie Berufswahl), der den subjektiven Anspruch auf
fehlerfreie Ermessensausübung (mit-)begründet, überlagert durch das Verfassungsrecht
des öffentlichen Dienstes, insbesondere den auf den Zugang zu den bestehenden
Ämtern beschränkten besonderen Gleichheitssatz des Art. 33 Abs. 2 GG bzw. Art. 19
Abs. 2 VvB. Denn der Notar übt als Träger eines öffentlichen Amtes einen staatlich
gebundenen, nach seinem Wesen und nach der Art der Aufgaben dem öffentlichen
Dienst angenäherten Beruf aus, und Zulassungsbeschränkungen greifen nicht in die
Freiheit der Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 GG bzw. Art. 17 VvB) ein, da diese nur nach
Maßgabe der vom Staat zur Verfügung gestellten Ämter besteht (BVerfGE 73, 280
<292>; 80, 257 <263>; BVerfG, DNotZ 1964, 424 <429>; BGH, Beschluss vom 31.
März 2003 — NotZ 26/02 —; BGH, NJW 1996, 123 <124> und NJW 1993, 131 <132>).
Dementsprechend dient die durch die AVNot geregelte Ermessensbindung der
Verwaltung nicht dazu, die Berufsaussichten der Interessenten am Notaramt rechtlich
abzusichern, sondern ausschließlich dem Interesse der Allgemeinheit am Funktionieren
der vorsorgenden Rechtspflege (BVerfG, DNotZ 1987, 121 <123>; BGH, Beschluss vom
31. März 2003 — NotZ 26/02 — m.w.N.). Bei der Feststellung der Zahl der zu
besetzenden Notarstellen (§ 4 BNotO) und der anschließenden Ermittlung der Bewerber
durch Ausschreibungen (§ 6b BNotO) handelt die Verwaltung in Ausübung ihrer
Organisationsgewalt, und der Verpflichtung der Justizverwaltung, ihr Ermessen fehlerfrei
auszuüben, steht kein subjektives Recht von potenziellen Bewerbern auf eine Notarstelle
oder gar auf eine Beibehaltung bisheriger Regelungen entgegen (BGH, NJW 1996, 123
<124>; BGH, Beschluss vom 31. März 2003 - NotZ 26/02 -; Bohrer, Das Berufsrecht der
Notare, 1991, Rdnrn. 22, 24, 259 ff.; Vetter in: Schippel, Bundesnotarordnung, 7. Aufl.
2000, § 4 Rdnr. 2; Schmitz-Valckenberg in: Eylmann-Vaasen, Bundesnotarordnung,
Beurkundungsgesetz, 2000, § 4 Rdnrn. 1, 3). Insbesondere auf einen Bestandsschutz
können sich potenzielle Bewerber unter keinem denkbaren Gesichtspunkt berufen. Eine
Behörde ist nicht gehindert, ihre Praxis für die Zukunft zu ändern, wenn sie künftig alle
Betroffenen gleich (schlechter) behandelt - wie durch die Änderung der AVNot — und
diese Änderung nicht willkürlich ist (BVerwG, NJW 1980, 75 <75>; BGH, DNotZ 1985, 507
<508 f.>). Bewerber können grundsätzlich nicht darauf vertrauen, die Vorschriften über
den Zugang zum Notariat würden sich nicht zu ihren Lasten ändern (BGH, DNotZ 1985,
504 <506>).
Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer ergibt sich auch aus Aufbau und Wortlaut
der AVNot vom 22. April 1996 kein Anhaltspunkt dafür, dass sich die Justizbehörden
gegenüber potenziellen Bewerbern für die Zukunft binden wollten. Insbesondere enthält
Abschnitt XVIII Nr. 43 Abs. 1 der AVNot vom 22. April 1996, wie bereits das
Kammergericht in seinem den Beteiligten bekannten Beschluss vom 11. Juli 2002 — Not
7/01 —, bestätigt durch Beschluss des BGH vom 31. März 2003 — NotZ 26/02 -,
ausführlich und zutreffend dargelegt hat, keine Selbstverpflichtung, die Kriterien für die
Bedürfnisprüfung in der AVNot bis zum Jahr 2006 nicht zu verändern. Hierdurch wurde
lediglich ein gesetzlicher Auftrag (§ 6 Abs. 5 AZG) zur Befristung von
Verwaltungsvorschriften umgesetzt. Weder aus dem Wortlaut noch aus dem Zweck der
Regelung ergibt sich eine Bindung der Verwaltung, den Inhalt der Verfügung vor dem 31.
Mai 2006 nicht zu verändern. Für eine solche Regelung bestand auch keine
Veranlassung, da ein Bewerber — wie bereits ausgeführt — grundsätzlich nicht darauf
vertrauen kann, die Vorschriften über den Zugang zum Notariat würden sich nicht zu
seinen Lasten verändern. Vielmehr ergibt sich unmittelbar aus Abschnitt I Nr. 1 Abs. 3
Satz 2 und Abschnitt I Nr. 1 Abs. 4 i.V.m. Abschnitt XIV Nr. 36 Abs. 1 Satz 3 AVNotO vom
22. April 1996, dass die Justizverwaltung aufgrund der Justizstatistik, d.h. unter
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22. April 1996, dass die Justizverwaltung aufgrund der Justizstatistik, d.h. unter
Berücksichtigung der Entwicklung der Notariatsgeschäfte, die Zahl der
auszuschreibenden Stellen jährlich neu ermittelt, und die Senatverwaltung für Justiz hat,
wie sie mitgeteilt hat, Anfragen nach dem Weiterbestand der bestehenden Bedarfszahl
und der Altersstrukturregelung stets mit dem Hinweis auf die Verwaltungsvorschrift
beantwortet.
Daher konnten potenzielle Notariatsbewerber nicht darauf vertrauen, dass sich über zwei
Jahre hinweg – die Zeit, die nach Angaben der Beschwerdeführer für eine Vorbereitung
auf ein Anwaltsnotariat erforderlich ist – die Grundsätze der Bedarfsermittlung nicht
verändern, und dementsprechend ist auch die Ansicht der Beschwerdeführer, die
Justizverwaltung hätte die Änderung der Verwaltungsvorschriften mit einer
Übergangsregelung versehen müssen, unzutreffend (hierzu vgl. KG a.a.O.).
Mithin kommen den von den Beschwerdeführern angegriffenen Änderungen der AVNot
keine mit der Verfassungsbeschwerde angreifbaren rechtlichen Außenwirkungen zu.
2. Ferner erscheint eine Beeinträchtigung der Beschwerdeführer in einem ihrer in der
Verfassung von Berlin enthaltenen subjektiven Rechte nicht möglich.
Soweit die Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 19 VvB rügen, machen sie zwar
hinsichtlich des Art. 19 Abs. 2 VvB, der den Zugang zu öffentlichen Ämtern
gewährleistet, ein mit der Verfassungsbeschwerde rügbares subjektives Recht geltend
(Driehaus in: ders. [Hrsg.], Verfassung von Berlin, 2002, Art. 19 Rdnr. 7). Eine
Beeinträchtigung dieses subjektiven Rechts durch die Änderung der AVNot vom 13.
Oktober 2000 ist jedoch – wie bereits dargelegt - aus keinem denkbaren Gesichtspunkt
möglich, da Art. 19 Abs. 2 VvB weder ein subjektives Recht auf die Einrichtung und
Ausschreibung einer bestimmten Anzahl an Notarstellen noch eine Selbstbindung der
Verwaltung gegenüber späteren potenziellen Bewerbern begründet.
In diesem Zusammenhang ist im Übrigen, in Anlehnung an den den Beteiligten
bekannten Beschluss des BGH vom 31. März 2003 – NotZ 26/02 –, darauf hinzuweisen,
dass die Beschwerdeführer durch den Besuch von Fortbildungskursen auf
notarspezifischen Rechtsgebieten (Abschnitt III Nr. 12 Abs. 2 Buchst. c AVNot i.d.F. vom
22. April 1996) nicht eine Ausbildung zum Notar – eine solche ist in der
Bundesnotarordnung nicht vorgesehen — begonnen hätten, die durch die Änderung der
AVNot im Jahr 2000 abgebrochen worden wäre oder hätte abgebrochen werden müssen.
Denn die von den Beschwerdeführern getätigten Aufwendungen dienten und dienen
dazu, ihnen bei der Auswahl unter den Geeigneten nach § 6 Abs. 3 BNotO eine
verbesserte Position zu verschaffen, und eine Verbesserung der Konkurrenzsituation ist
den Beschwerdeführern durch die Änderung der Verwaltungsvorschriften nicht entzogen
worden. Da das Punktesystem zur Bemessung des Grades der Eignung im Vergleich zu
Mitbewerbern fortbesteht, kommen die erworbenen Eignungspunkte den
Beschwerdeführern bei künftigen Bewerbungen zugute. Dass die Beschwerdeführer
allerdings ggfs. die jeweils erforderliche Punktezahl nicht erreichen, ist ausschließlich in
ihrer Sphäre begründet, und dass die Änderung der AV im Jahr 2000 zu einer gegenüber
früheren Punktezahlen weitaus höheren Punktzahl in der Folgezeit geführt hat, haben die
Beschwerdeführer nicht substanziiert dargelegt.
Die von den Beschwerdeführern darüber hinaus angeführten Art. 36 und 66 VvB sind
Vorschriften objektiven Rechts, auf die eine Verfassungsbeschwerde nicht gestützt
werden kann (LVerfGE 7, 3 <8>; 8, 62 <68>). Mit der Verfassungsbeschwerde
unmittelbar nicht rügefähig sind ferner „die Prinzipien der Rechtssicherheit und der
Gerechtigkeit im Einzelfall” (LVerfGE 1, 81 <84>).
Ebenso beschreibt Art. 18 VvB lediglich ein Staatsziel, will jedoch keinen einklagbaren
Individualanspruch begründen und gewährt mithin auch kein mit der
Verfassungsbeschwerde rügbares subjektives Recht (LVerfGE 7, 3 <8>).
Soweit die Beschwerdeführer ferner die Verletzung von Art. 23 VvB rügen, fehlt es an
einer ausreichenden Darlegung, woraus sich die konkrete Möglichkeit der Verletzung
ihres Eigentumsrechts ergeben soll. Dass sie ein vermögenswertes Recht etwa in Form
einer Anwartschaft auf eine spätere Notarzulassung erworben hätten, tragen sie selbst
nicht vor und könnten sie auch nicht mit Erfolg geltend machen, abgesehen davon, dass
insoweit Art. 19 Abs. 2 VvB vorrangig wäre. Aufwendungen unterfallen demgegenüber
nicht dem Schutzbereich des Art. 23 VvB.
Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 10 Absatz 1 VvB wiederum ist gegenüber dem
besonderen Gleichheitsrecht des Art. 19 (hier Absatz 2) VvB subsidiär.
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Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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