Urteil des VerfGH Berlin vom 15.03.2017

VerfGH Berlin: verfassungsbeschwerde, ablauf der frist, wohnung, räumung, absicht, subsidiarität, zwangsvollstreckung, ausnahme, link, sammlung

1
2
3
4
5
6
7
Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
68/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 535 BGB, § 49 Abs 2 S 1
VGHG BE, § 544 Abs 1 ZPO, §
26 Nr 8 S 1 ZPOEG
VerfGH Berlin: Wegen Nichterhebung des Rechtsmittels der
Nichtzulassungsbeschwerde iSv § 544 Abs 1 ZPO iVm § 26 Nr 8 S
1 EGZPO aus Subsidiaritätsgründen unzulässige
Verfassungsbeschwerde gegen Räumungs- und
Schadensersatzurteil im Mietrechtsprozess -
Subsidiaritätsgrundsatz steht nicht zur Disposition des
Beschwerdeführers
Gründe
I.
Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer zur Zahlung von 16.250,96 EUR
sowie dazu, eine Wohnung geräumt an die Klägerin des Ausgangsverfahrens
(nachfolgend: Klägerin) herauszugeben. Das Landgericht wies die hiergegen gerichtete
Berufung des Beschwerdeführers durch ein ihm am 16. Februar 2006 zugestelltes Urteil
zurück.
Mit der am 16. April 2006 eingelegten Verfassungsbeschwerde hat der
Beschwerdeführer zunächst seine Verurteilung insgesamt angegriffen und beantragt, die
Urteile des Amts- und des Landgerichts aufzuheben. Auf den Hinweis des
Verfassungsgerichtshofs, dass die Verfassungsbeschwerde mangels Erschöpfung des
Rechtswegs unzulässig sein dürfte, weil gegen das Berufungsurteil die
Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof statthaft war, hat der
Beschwerdeführer mit Schriftsätzen vom 18. Mai und 18. Juni 2006 die
Verfassungsbeschwerde zurückgenommen, soweit sie sich gegen die Verurteilung zur
Räumung der Wohnung richtete. Er habe - so die Begründung - von vorneherein
beabsichtigt, die Verfassungsbeschwerde auf die Verurteilung zur Zahlung zu
beschränken, was zunächst versehentlich unterblieben sei. Die Verurteilung zur
Räumung habe sich erledigt, weil er für eine Weitervermietung an Dritte bzw. für die
Räumung der Wohnung Sorge getragen habe und die für eine
Nichtzulassungsbeschwerde notwendige Beschwer deshalb nicht mehr erreicht gewesen
sei. Er habe die Wohnung zum 30. April 2006 an die J.-B.-Stiftung herausgegeben;
hiervon sei die Klägerin benachrichtigt worden.
Die streitgegenständliche Wohnung ist am 2. August 2006 durch den Gerichtsvollzieher
geräumt und an die Klägerin zurückgegeben worden.
Der Beteiligten ist Gelegenheit zur Stellungnahme gemäß § 53 Abs. 2 VerfGHG gegeben
worden.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nach § 49 Abs. 2 Satz 1 VerfGHG unzulässig, weil sie
dem Erfordernis der Rechtswegerschöpfung nicht genügt.
1. Gegen das mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Berufungsurteil des
Landgerichts war die Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof statthaft (§
544 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO), weil der Beschwerdeführer durch das
Urteil mit mehr als 20.000 EUR beschwert war. Die gemäß § 8 ZPO zu bemessende
Beschwer aus der Verurteilung zur Räumung (vgl. BGH NJW-RR 1999, 1385; NJW-RR 2005,
867) überstieg, wie der Beschwerdeführer nicht in Abrede stellt, 3.750 EUR und
begründete in Anwendung von § 5 ZPO (vgl. dazu BGH MDR 2005, 1431) zusammen mit
der Verurteilung zur Zahlung von 16.250,96 EUR eine Beschwer von mehr als 20.000
EUR.
2. Die bloße Absicht des Beschwerdeführers, die Verurteilung zur Räumung weder mit
der Nichtzulassungsbeschwerde noch mit der Verfassungsbeschwerde anzugreifen, führt
8
9
10
11
12
der Nichtzulassungsbeschwerde noch mit der Verfassungsbeschwerde anzugreifen, führt
nicht zur Erschöpfung des Rechtswegs. Zwar ist es einem Beschwerdeführer
unbenommen, ein ihm ungünstiges Urteil teilweise hinzunehmen und nur im Übrigen mit
dem insoweit zulässigen Rechtsbehelf anzugreifen. Andererseits verbietet es der
Grundsatz der Subsidiarität, die Verfassungsbeschwerde wahlweise neben
fachgerichtliche Rechtsbehelfe zu stellen (vgl. BVerfGE 1, 97 <103>).
Eine solche unzulässige Wahlmöglichkeit wäre gegeben, wenn ein Beschwerdeführer, der
ein ihm zur Verfügung stehendes, von einer bestimmten Beschwer abhängiges
fachgerichtliches Rechtsmittel ungenutzt gelassen hat, dem Subsidiaritätsgrundsatz
durch die bloße Erklärung genügen könnte, die für das Rechtsmittel erforderliche
Beschwer sei nicht erreicht gewesen, weil er einen Teil seiner Verurteilung
(stillschweigend) akzeptiert habe. Der Beschwerdeführer könnte sich auf diese Weise
nämlich die Möglichkeit offen halten, entweder das fachgerichtliche Rechts-mittel oder
eine - wenn auch in ihrem Umfang beschränkte - Verfassungsbeschwerde einzulegen.
Der Rechtsweg ist in einem solchen Fall daher grundsätzlich nur dann als erschöpft
anzusehen, wenn der Wille des Beschwerdeführers, die ihn belastende Entscheidung
teilweise hinzunehmen, nicht nur nachträglich behauptet wird, sondern in einer Weise
zum Ausdruck gekommen ist, die dem fachgerichtlichen Rechtsmittel den Boden
entzieht. Neben der Erklärung eines Rechtsmittelverzichts kommt insoweit insbesondere
die freiwillige teilweise Erfüllung des Urteils während der Rechtsmittelfrist in Betracht, da
sie in diesem Umfang die Beschwer entfallen lässt und damit zur (teilweisen)
Unzulässigkeit des Rechtsmittels führt (vgl. Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 26. Aufl. 2006,
vor § 511 Rn. 27).
Hiernach hat der Beschwerdeführer den Rechtsweg nicht erschöpft. Die Erhebung einer
Nichtzulassungsbeschwerde war ihm innerhalb der bis zum 16. März 2006 laufenden
Einlegungsfrist (§ 544 Abs. 2 ZPO) jederzeit möglich, da er weder einen teilweisen
Rechtsmittelverzicht erklärt noch seine Räumungsverpflichtung erfüllt hat. Seine bloße
Absicht, die Verurteilung zur Räumung der Wohnung weder mit der
Nichtzulassungsbeschwerde noch mit der Verfassungsbeschwerde anzugreifen, genügt -
wie dargelegt - grundsätzlich nicht, um dem Grundsatz der Subsidiarität der
Verfassungsbeschwerde Rechnung zu tragen.
Ob und inwieweit hiervon im Einzelfall Ausnahmen geboten sein können, bedarf keiner
Entscheidung. Für eine solche Ausnahme besteht hier schon deshalb kein Anlass, weil
der Umstand, dass die Klägerin die Räumungsverpflichtung im Wege der
Zwangsvollstreckung durchsetzen musste - mit der Übergabe der Wohnung an einen
Dritten Ende April 2006 war die Räumungsverpflichtung selbstverständlich nicht erfüllt -,
es mehr als zweifelhaft erscheinen lässt, dass der Beschwerdeführer bereits bei Ablauf
der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde Mitte März 2006 entschlossen
war, seine Verurteilung zur Räumung der Wohnung hinzunehmen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum