Urteil des VerfGH Berlin vom 26.12.1984

VerfGH Berlin: libanon, verfassungsbeschwerde, schutz der familie, eltern, ausweisung, emrk, menschenwürde, subsidiarität, verbannung, besitz

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
30/06, 30 A/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 6 Verf BE, Art 7 Verf BE, Art
12 Abs 1 Verf BE, § 146 Abs 4
VwGO, § 47 Abs 2 AuslG
Kein Verfassungsverstoß bei Entscheidung über Ausweisung
eines "faktischen Inländers" im vorläufigen
Rechtsschutzverfahren
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Damit erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.
Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer ist am 26. Dezember 1984 als Sohn palästinensischer
Volkszugehöriger aus dem Libanon, die seit 1978 in Deutschland leben und die deutsche
Staatsangehörigkeit besitzen, in Cloppenburg geboren worden. Er hat sechs
Geschwister, von denen fünf ebenfalls deutsche Staatsangehörige sind. Die Familie lebt
seit Juli 2000 in Berlin. Der Beschwerdeführer besuchte zunächst bis zur 8. Klasse eine
Schule für Lernhilfe in Cloppenburg und nach seinem Umzug nach Berlin bis Juli 2002 die
1. Berufsschule Pankow; einen Schulabschluss erreichte er nicht. Eine
Aufenthaltserlaubnis wurde ihm zuletzt bis zum 26. Dezember 2002 erteilt.
Strafrechtlich trat der Beschwerdeführer erstmals im Jahr 1999 in Erscheinung. Wegen
versuchten Diebstahls wurde er durch Urteil des Amtsgerichts Cloppenburg vom 1.
November 1999 - 4 Ds 271 Js 31081/99 (183/99) - verwarnt. Durch Urteil des
Amtsgerichts Tiergarten vom 31. Mai 2001- (423) 80 Js 1520/00 Ls (5/01) - erhielt er
wegen schweren Raubes und versuchten schweren Raubes die Auflage zur Ableistung
von 60 Stunden Freizeitarbeit. Durch weiteres Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom
24. Oktober 2002 - (423) 80 Js 797/02 Ls (80/02) - wurde er wegen schwerer räuberischer
Erpressung in vier Fällen, schweren Raubes, Raubes in vier Fällen, Hausfriedensbruchs
und unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Jugendstrafe von zwei
Jahren verurteilt. Unter Einbeziehung der letzteren beiden Urteile wurde er durch Urteil
des Landgerichts Berlin vom 30. Mai 2003 - (507) 80 Js 11/03 Ls Ns (20/03) - wegen
Diebstahls zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Der
Beschwerdeführer befand sich vom 1. März 2003 bis zum 6. Dezember 2004 in Strafhaft.
Mit Beschluss vom 1. November 2004 hat das Amtsgericht Tiergarten Führungsaufsicht
für die Dauer von zwei Jahren angeordnet.
Unter Hinweis auf die begangenen Straftaten wies das Landeseinwohneramt Berlin den
Beschwerdeführer nach Anhörung mit vom 30. September 2004 datierenden Bescheid in
der Gestalt des Änderungsbescheides vom 5. November 2004 aus der Bundesrepublik
Deutschland aus. Zugleich lehnte es die Erteilung einer weiteren
Aufenthaltsgenehmigung ab, drohte ihm die Abschiebung unmittelbar mit der
Haftentlassung an und forderte ihn unter Anordnung der sofortigen Vollziehung auf, das
in seinem Besitz befindliche Reisedokument (Document de voyage) herauszugeben.
Den Antrag des Beschwerdeführers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der von
ihm gegen diesen Bescheid erhobenen Klage lehnte das Verwaltungsgericht Berlin mit
Beschluss vom 4. Oktober 2005 (VG 15 A 324.04) ab. Zur Begründung führte es aus,
soweit der Antrag zulässig sei, bestünden keine ernstlichen Zweifel an der
Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides. Der Antragsgegner habe die
Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung ohne rechtliche Fehler unter Verweis auf die
verfügte Ausweisung versagt. Durch seine Verurteilung zu einer Jugendstrafe von zwei
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verfügte Ausweisung versagt. Durch seine Verurteilung zu einer Jugendstrafe von zwei
Jahren und drei Monaten habe der Beschwerdeführer den Regelausweisungsgrund des §
47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG verwirklicht. Da er zum maßgeblichen Zeitpunkt des
Bescheiderlasses noch Heranwachsender gewesen und in der Bundesrepublik
Deutschland aufgewachsen sei sowie mit seinen Eltern in häuslicher Gemeinschaft
gelebt habe, habe er gemäß § 48 Abs. 2 Satz 2, § 47 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Satz 2 AuslG
nur nach Ermessen ausgewiesen werden dürfen. Dieses habe der Antragsgegner ohne
Fehler ausgeübt. Angesichts der Verurteilung des Beschwerdeführers zu immerhin zwei
Jahren und drei Monaten Jugendstrafe, der Vielzahl und Schwere der zugrunde liegenden
Straftaten und des Umstandes, dass er sich seine Verurteilung zu sechzig Stunden
Freizeitarbeit durch Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 31. Mai 2001 nicht habe zur
Warnung dienen lassen, habe der Antragsgegner ohne weiteres davon ausgehen dürfen,
dass die Ausweisung des Beschwerdeführers erforderlich sei, um weitere Straftaten
durch ihn zu verhindern.
Der Antragsgegner habe auch nicht die durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
und die gebotene Berücksichtigung von Art. 8 EMRK bzw. Art. 6 Abs. 1 GG gezogenen
Grenzen seines Ermessens überschritten. Nach der Rechtsprechung des EGMR könne
eine Ausweisung von „Ausländern der zweiten Generation“ den Schutzbereich von Art. 8
EMRK berühren. Beziehungen zwischen Erwachsenen unterfielen nicht ohne weiteres
dem Schutz des Art. 8 EMRK, vielmehr müssten zusätzliche Abhängigkeitsaspekte
nachgewiesen werden, welche über die „üblichen gefühlsmäßigen Bindungen“
hinausgingen. Der Beschwerdeführer sei zwar in Cloppenburg geboren und dort bzw. in
Berlin groß geworden. Er habe so sein gesamtes Leben mit seinen Eltern und
Geschwistern in Deutschland verbracht. Allerdings habe er weder einen Schulabschluss
erlangt noch eine Ausbildung absolviert, einer Erwerbstätigkeit sei er nie nachgegangen.
Zum Zeitpunkt der Ausweisung sei er lediglich im Besitz einer befristeten
Aufenthaltserlaubnis gewesen, eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis bei Vollendung des
16. Lebensjahres habe ihm nicht zugestanden. Eine eigene Familie habe er nicht
gegründet. Wenngleich nichts dafür spreche, dass er sich tatsächlich häufiger als zu
Ferienaufenthalten im Libanon aufgehalten habe, erscheine es wenig wahrscheinlich,
dass ihm die dortigen Lebensverhältnisse und die arabische Sprache gänzlich fremd
seien. Denn die Eltern des Beschwerdeführers seien lediglich wenige Jahre vor seiner
Geburt nach Deutschland gekommen, und der Beschwerdeführer besitze nach seinen
Angaben in Berlin zahlreiche Verwandte. Es könne ihm deshalb zugemutet werden, sich
im Libanon eine neue Existenz aufzubauen, zumal er auch bei einem Verbleib in
Deutschland noch erhebliche Integrationsleistungen zu erbringen hätte.
Gegen diesen Beschluss erhob der Beschwerdeführer Beschwerde, die vom
Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg mit Beschluss vom 5. Dezember 2005 (OVG
3 S 78/05) zurückgewiesen wurde. Der Beschwerdeführer zeige keine Umstände auf, die
die Auffassung rechtfertigten, seine Ausweisung sei ermessensfehlerhaft erfolgt. Dass
seine Straffälligkeit, wie die Beschwerde ausführe, durch Probleme bei seiner
Persönlichkeitsentwicklung in einem gesellschaftlich schwierigen Umfeld in einer
Metropole wie Berlin nach einer von ihm nicht gewünschten Umsiedlung aus einem
ländlichen Lebensraum bedingt gewesen sein solle, sei für die anzustellende
Gefahrenprognose ohne Belang. Zum einen sei der Beschwerdeführer bereits vor der
Umsiedlung wegen Diebstahls - also einschlägig - verwarnt worden, zum anderen lasse
sich der Beschwerde kein Anhaltspunkt dafür entnehmen, seine
Persönlichkeitsentwicklung sei nunmehr dahin abgeschlossen, dass von ihm keine
weiteren Straftaten zu besorgen seien. Vielmehr werde die ungünstige Legalprognose
durch den Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 1. November 2004 zum Eintritt
der Führungsaufsicht nach vollständiger Vollstreckung der Jugendstrafe bekräftigt.
Mit der Beschwerde werde auch nicht aufgezeigt, dass die Ausweisung mit Art. 6 Abs. 1
GG und Art. 8 EMRK nicht vereinbar sei, weil der Beschwerdeführer aufgrund seiner
Geburt in der Bundesrepublik Deutschland faktisch als Deutscher anzusehen sei. Der
Beschwerdeführer beanstande zwar die Erwägungen des angefochtenen Beschlusses zu
den verbliebenen Bindungen an die Lebensverhältnisse und zu den Möglichkeiten einer
Integration im Libanon, behaupte jedoch selbst nicht, dass diese auf unrichtigen
Annahmen beruhten.
Mit seiner am 9. Februar 2006 eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der
Beschwerdeführer gegen den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-
Brandenburg und macht eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 6, 7 und 12 Abs. 1
der Verfassung von Berlin - VvB - geltend. Zugleich beantragt er den Erlass einer
einstweiligen Anordnung.
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Aufgrund seiner Lebensentwicklung und seiner ausschließlich in Deutschland
absolvierten Sozialisation sei er faktisch als Deutscher anzusehen. Er besitze keinerlei
Bindungen oder gar nur Beziehungen zu dem Herkunftsland seiner Eltern, dem Libanon,
wobei auch seine Eltern nicht libanesische Staatsangehörige, sondern palästinensische
Volkszugehörige seien, denen vom Libanon kein Bleibe- bzw. Aufenthaltsrecht gewährt
werde. Er selbst habe nicht die Möglichkeit, sich im Libanon eine Existenzgrundlage
aufzubauen; er sei darüber hinaus der arabischen Sprache - abgesehen von einzelnen
Wörtern oder Floskeln - nicht mächtig, so dass er auch zu Sozialkontakten nicht in der
Lage sei. Eine Verbringung in den Libanon bedeute unter diesen Umständen eine Art
„Verbannung“ aus seinem Heimatland Deutschland und stelle einen
unverhältnismäßigen Eingriff in den Kernbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
und der Menschenwürde sowie in den Schutzbereich der Familie dar. Die
schützenswerten Interessen der Allgemeinheit hätten wegen der Intensität und Schwere
dieses Eingriffs zurückzustehen, wobei es nicht entscheidend darauf ankomme, dass ein
Rückgriff auf den Führungsaufsichtsbeschluss des Amtsgerichts Tiergarten wegen des
auch im Strafrecht geltenden Rückwirkungsverbotes verwehrt sei. Ein Regelungsgrund
für die begehrte einstweilige Anordnung ergebe sich aus der ihm drohenden
Abschiebung in den Libanon.
Entsprechend § 53 Abs. 1 und 2 VerfGHG ist dem Landesamt für Bürger- und
Ordnungsangelegenheiten und dem Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Berlin-
Brandenburg Gelegenheit gegeben worden, sich zu der Verfassungsbeschwerde und
dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu äußern. Der Beteiligte zu 1. hat
in seiner Stellungnahme vom 26. April 2006 darauf hingewiesen, dass
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bis auf weiteres nicht in Betracht kämen. Der
Beschwerdeführer sei nach Mitteilung der Justizvollzugsanstalt Berlin Moabit am 29. März
2006 in Untersuchungshaft genommen worden und gegenwärtig auch nicht im Besitz
eines gültigen Reisedokuments.
II.
Es kann dahinstehen, ob der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin gemäß § 49
VerfGHG für Verfassungsbeschwerden gegen Entscheidungen des
Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg zuständig ist, was voraussetzt, dass das
Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg ein Teil der öffentlichen Gewalt des Landes
Berlin ist (ablehnend: Finkelnburg, in: Festschrift für Driehaus, 2005, S. 452 (461 f.)),
denn unabhängig davon kann die Verfassungsbeschwerde keinen Erfolg haben.
Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.
1. Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1
und Art. 7 i. V. m. Art. 6 VvB geltend macht, entspricht bereits die Begründung seiner
Verfassungsbeschwerde nicht den gesetzlichen Erfordernissen. § 49 Abs. 1 und § 50
VerfGHG setzen voraus, dass der Beschwerdeführer die konkrete Möglichkeit darlegt, er
könne durch die beanstandete Maßnahme der öffentlichen Gewalt des Landes Berlin in
einem seiner Rechte verletzt sein. Von dem Beschwerdeführer ist der
Lebenssachverhalt, aus dem die vermeintliche Verletzung eines subjektiven Rechts
hergeleitet wird, aus sich heraus verständlich wiederzugeben und die ursächliche
Verknüpfung zwischen dem beanstandeten Verhalten des Hoheitsträgers und dem
geltend gemachten Rechtsnachteil konkret und nachvollziehbar darzulegen (st. Rspr.;
vgl. Beschlüsse vom 23. Februar 1993 - VerfGH 43/92 - LVerfGE 1, 68 (71); 7.
September 1994 - VerfGH 69/94 - LVerfGE 2, 64 (65 f.) und 25. April 1996 - VerfGH
21/95 - LVerfGE 4, 46 (49)).
Diesen Voraussetzungen genügt die Verfassungsbeschwerde in Bezug auf die Rüge der
Verletzung des Art. 12 Abs. 1 VvB, der Ehe und Familie unter den besonderen Schutz
der Verfassung stellt, nicht. Der zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses bereits volljährige,
unverheiratete Beschwerdeführer hat keine familiären Bindungen dargetan, die vom
Oberverwaltungsgericht mit der angegriffenen Entscheidung unter Verstoß gegen die
wertentscheidende Grundsatznorm des Art. 12 Abs. 1 VvB missachtet worden sein
können. Da die - vom Oberverwaltungsgericht berücksichtigte - Regelung des § 48 AuslG
bereits einen besonderen Ausweisungsschutz im Hinblick auf Art. 12 VvB bzw. Art. 8
EMRK konkretisiert, reicht allein der Hinweis des Beschwerdeführers auf sein
Zusammenleben mit Eltern und Geschwistern in häuslicher Gemeinschaft nicht aus. Bei
einer Familiengemeinschaft zwischen Eltern und ihrem erwachsenen Kind können sich
weitergehende Schutzwirkungen nur dann ergeben, wenn ein Familienmitglied auf die
Lebenshilfe des anderen angewiesen ist und diese Hilfe sich nur in der Bundesrepublik
Deutschland erbringen lässt, die Familie somit im Kern die Funktion einer
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Deutschland erbringen lässt, die Familie somit im Kern die Funktion einer
Beistandsgemeinschaft erfüllt (vgl. Beschlüsse vom 21. Dezember 2000 - VerfGH 138/00
und 138 A/00 - und 22. Februar 2001 - VerfGH 103/00 und 103 A/00; im Anschluss an
BVerfGE 80, 81 (94 f.)). Derartige Umstände sind jedoch nicht dargelegt. Es ist bei
volljährigen Straftätern wie dem Beschwerdeführer anders als bei Minderjährigen auch
nicht ohne weiteres davon auszugehen, dass sie in besonderem Maße auf den
Familienschutz angewiesen sind, um in ein Leben ohne Straftaten zurückzufinden (vgl.
BVerwG, NVwZ 2003, 217 (219) m. w. N.).
Mit dem Vortrag, seine zwangsweise Verbringung in den Libanon bedeute eine Art
„Verbannung“ aus seinem Heimatland Deutschland, erfüllt der Beschwerdeführer auch
im Hinblick auf die gerügte Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht die
Darlegungserfordernisse der § 49 Abs. 1, § 50 VerfGHG. Unter welchem rechtlichen
Gesichtspunkt dieser Umstand einen Eingriff in das - anerkanntermaßen durch Art. 7 i.
V. m. Art. 6 VvB geschützte (vgl. Beschluss vom 21. März 2003 - VerfGH 112/02 -
LVerfGE 14, 74 (79)) - allgemeine Persönlichkeitsrecht darstelle und in welcher Weise die
angegriffene Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts hierfür ursächlich sei, führt der
Beschwerdeführer nicht aus.
Sollte sein Verweis auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht indessen dahin ausgelegt
werden können, dass eine Verletzung des - durch Art. 7 VvB geschützten - Rechts auf
freie Entfaltung der Persönlichkeit gerügt werden soll, erscheint ebenfalls die Möglichkeit
einer Rechtsverletzung durch die angefochtene Gerichtsentscheidung nicht hinreichend
konkret dargelegt. Zwar ist anerkannt, dass aufenthaltsrechtliche Maßnahmen
gegenüber Ausländern in den Schutzbereich des Grundrechts der allgemeinen
Handlungsfreiheit fallen können (vgl. zu Art. 2 Abs. 1 GG: BVerfGE 35, 382 (399); 49, 168
(180)). Fraglich ist jedoch bereits, ob für einen Rückgriff auf das Auffanggrundrecht des
Art. 7 VvB Raum wäre, weil das Recht, den gegenwärtigen Lebenskreis beizubehalten, d.
h. nicht wegziehen zu müssen, als Kehrseite der positiven Freizügigkeit durch die
Verfassung des Landes Berlin - im Gegensatz zum Grundgesetz - auch für Ausländer
unmittelbar durch Art. 17 VvB geschützt wird (vgl. Beschluss vom 12. Juli 1994 - VerfGH
94/93 - LVerfGE 2, 19 (24)). Auf den Gesichtspunkt der Freizügigkeit geht der
Beschwerdeführer nicht näher ein.
Soweit der Beschwerdeführer schließlich die Verletzung seines Grundrechts auf Wahrung
der Menschenwürde aus Art. 6 VvB rügt, bestehen ebenfalls erhebliche Zweifel an der
Erfüllung der Darlegungserfordernisse nach § 49 Abs. 1, § 50 VerfGHG. Indem er sich
gegen den „untauglichen Versuch eines argumentativen Konstruktes“, den Eindruck
einer vermeintlich tatsächlichen Grundlage für eine menschenwürdige Existenz im
Libanon zu vermitteln, wendet, bezieht er sich erkennbar auf einzelne Feststellungen in
der zugrunde liegenden Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin, nicht jedoch auf
den Wortlaut des mit der Verfassungsbeschwerde ausdrücklich allein angegriffenen
Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg. Auch die von ihm geltend
gemachte „Verbannung“ in den Libanon als Ergebnis der Entscheidung des
Oberverwaltungsgerichts vermag für sich genommen nicht die Möglichkeit einer
Verletzung seiner Menschenwürde konkret zu begründen. Die Wahrung der
Menschenwürde verbietet es, einen Menschen einer Behandlung auszusetzen, die ihn
zum bloßen Objekt degradiert und seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt (vgl.
Beschlüsse vom 12. Januar 1993 - VerfGH 55/92 - LVerfGE 1, 56 (64) und 12. Januar
1994 - VerfGH 134/93 -; zum Bundesrecht vgl. BVerfGE 27, 1 (6); 30, 1 (26)). Dass sich
die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts in diesem Sinne nicht ernsthaft und
respektvoll mit seiner Person, seinem Vorbringen und seinem Interesse an einem
Verbleib in Deutschland auseinander gesetzt hätte, legt der Beschwerdeführer nicht dar;
vielmehr wendet er sich lediglich gegen die von seiner Auffassung abweichende
Würdigung der Sach- und Rechtslage durch das Gericht.
2. Ob die Anforderungen in § 49 Abs. 1, § 50 VerfGHG im Hinblick auf eine Verletzung
des Rechts aus Art. 7 VvB auf freie Entfaltung der Persönlichkeit sowie der durch Art. 6
VvB geschützten Menschenwürde gewahrt sind, kann letztlich jedoch offen bleiben. Denn
der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht insoweit auch der in § 49 Abs. 2
VerfGHG zum Ausdruck kommende Grundsatz der Subsidiarität entgegen.
Der Grundsatz der Subsidiarität verlangt von dem Beschwerdeführer, vor einer Anrufung
des Verfassungsgerichtshofs alle ihm bei den Fachgerichten zur Verfügung stehenden
Möglichkeiten zu ergreifen, um auf diese Weise eine Korrektur des geltend gemachten
Verfassungsverstoßes zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (st.
Rspr., vgl. Beschluss vom 16. Dezember 1993 - VerfGH 104/93 - LVerfGE 1, 199 (201);
Urteile vom 31. Oktober 1996 - VerfGH 54/96 - LVerfGE 5, 49 (53) und 12. Juli 2001 -
VerfGH 152/00 - LVerfGE 12, 40 (55)). Die mit der Anrufung der Fachgerichte
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VerfGH 152/00 - LVerfGE 12, 40 (55)). Die mit der Anrufung der Fachgerichte
verbundene umfassende gerichtliche Vorprüfung soll bewirken, dass dem
Verfassungsgerichtshof in der Regel nicht nur die abstrakte Rechtsfrage und der
Sachvortrag des Beschwerdeführers, sondern ein regelmäßig in mehreren Instanzen
geprüftes Tatsachenmaterial unterbreitet und ihm die Fallanschauung und
Rechtsauffassung der Fachgerichte vermittelt werden. Bei der Rechtsanwendung durch
die fachlich zuständigen und insoweit sachnäheren Gerichte können - aufgrund deren
besseren Sachverstands - möglicherweise für die verfassungsrechtliche Prüfung
erhebliche Tatsachen zutage gefördert werden, die dem Verfassungsgerichtshof bei
unmittelbarer Anrufung verschlossen blieben (vgl. zum Bundesrecht BVerfGE 69, 122
(125 f.); 77, 381 (401); 86, 382 (386 f.)).
Dahin gestellt bleiben kann, ob vor diesem Hintergrund der Grundsatz der Subsidiarität
der Verfassungsbeschwerde ihrer Zulässigkeit hier bereits insoweit entgegensteht, als
der Beschwerdeführer auf fachgerichtlichen Rechtsschutz durch die Durchführung des
Klageverfahrens vor den Verwaltungsgerichten verwiesen werden kann.
Denn jedenfalls ergibt sich die Unzulässigkeit einer auf Art. 6, 7 VvB gestützten
Verfassungsbeschwerde aus einem anderen Aspekt des Subsidiaritätsgrundsatzes. Mit
dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde ist es nämlich auch
unvereinbar, wenn im Instanzenzug ein verfassungsrechtlicher Mangel deshalb nicht
nachgeprüft werden konnte, weil er nicht oder nicht in ordnungsgemäßer Form gerügt
worden war (vgl. Beschlüsse vom 18. Juni 1998 - VerfGH 56/97 - LVerfGE 8, 59 (62), 29.
August 2001 - VerfGH 115/00 - GE 2001, 1332 (1334) und 23. August 2004 - VerfGH
114/98 -; vgl. zum Bundesrecht BVerfGE 16, 124 (127); 54, 53 (65); 74, 102 (114)).
So liegen die Dinge hier. Denn der Beschwerdeführer hat mit seiner gegen die
erstinstanzliche Entscheidung gerichteten Beschwerde die Feststellungen des
Verwaltungsgerichts zum Umfang seiner Bindungen an das Herkunftsland seiner Eltern
und zu den Möglichkeiten seiner Integration im Libanon zwar beanstandet, sie aber nicht
substanziiert bestritten. Das Oberverwaltungsgericht brauchte demnach in seiner
Entscheidung nicht davon auszugehen, dass die Feststellungen auf unrichtigen
Annahmen beruhten, und hatte sich demzufolge nicht eingehender mit etwaigen
Verletzungen des Beschwerdeführers in seinen Grundrechten auseinander zu setzen, als
dies im Hinblick auf den Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK
geschehen ist. Der Umfang der Überprüfung durch das Oberverwaltungsgericht folgte
insofern den für Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes geltenden Anforderungen des
§ 146 Abs. 4 VwGO, nach dessen Satz 6 nur die in der Beschwerde dargelegten Gründe
zu prüfen sind. Es ist nicht ersichtlich, dass das Oberverwaltungsgericht damit die dem
Beschwerdeführer obliegende Beibringungslast überspannt hat; dies ist im Übrigen vom
Beschwerdeführer auch nicht geltend gemacht worden. Somit kommt es nicht darauf an,
ob bei Erfüllung der Substanziierungspflicht für das Oberverwaltungsgericht
Anhaltspunkte für eine andere Einschätzung der Rechtslage hätten bestehen können.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 33, 34 VerfGHG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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