Urteil des VerfGH Berlin vom 15.03.2017

VerfGH Berlin: rechtliches gehör, verfassungsbeschwerde, grundstück, eigentumsgarantie, duldungspflicht, grundrecht, gartenanlage, gewährleistung, abfallverwertung, quelle

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
147/93
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 3 Abs 2 S 3 AbfG, Art 6 Verf
BE, Art 15 Abs 1 Verf BE, Art 62
Verf BE, § 8 Abs 1 S 3 AbfG BE
VerfGH Berlin: Abfallrechtliche Duldungspflicht zur Aufstellung
von getrennten Abfallbehältern auf Privatgrundstück verletzt
nicht die Eigentumsgarantie - kein Verstoß gegen rechtliches
Gehör wegen Absehen einer Beweisaufnahme bei
fachgerichtlicher Unterstellung des Parteivortrags
Gründe
I.
Die Beschwerdeführer wenden sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen ein mit der
Berufung nicht anfechtbares Urteil des Amtsgerichts Spandau vom 24. November 1993,
mit dem ihre gegen die Berliner Stadtreinigungs-Betriebe gerichtete Klage auf
Entfernung der auf ihrem Grundstück in Berlin-Spandau aufgestellten Wertstoffbehälter
(Pappe, Papier, Glas) und auf Unterlassung künftiger Eigentumsbeeinträchtigungen
abgewiesen worden ist. Sie sind der Meinung, das Urteil verletze die Art. 3, 14 und 19
des Grundgesetzes, die Art. 6, 15 und 16 der Verfassung von Berlin (VvB) und allgemein
das Grundrecht auf rechtliches Gehör, da es eine Pflicht des Grundstückseigentümers,
das Aufstellen von Wertstoffbehältern zu dulden, generell bejahe und in ihrem Fall, ohne
das Grundstück in Augenschein genommen zu haben, für zumutbar halte.
Die Beschwerdeführer beantragen,
1. das Urteil des Amtsgerichts Spandau vom 24. November 1993 - 3 C 140/93 -
aufzuheben und
2. die Berliner Stadtreinigungsbetriebe zu verurteilen, Eigentumsstörungen durch
Aufstellen von Wertstoffbehältern auf ihrem Grundstück in Berlin-Spandau zu
unterlassen.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise unzulässig und im übrigen unbegründet.
1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit mit ihr die Verletzung von
Grundrechten des Grundgesetzes geltend gemacht wird. Denn nach § 49 Abs. 1
VerfGHG kann mit der Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof des Landes
Berlin nur die Verletzung von Rechten gerügt werden, die sich aus der Verfassung von
Berlin ergeben. Die Verfassungsbeschwerde ist ferner unzulässig, soweit die Verletzung
des Art. 16 VvB gerügt wird, der den Mißbrauch wirtschaftlicher Macht für rechtswidrig
erklärt. Denn die Beschwerdeführer haben nicht in einer den Anforderungen des § 50
VerfGHG genügenden Weise dargelegt, durch welche Handlung der Berliner
Stadtreinigungs-Betriebe sie in einem ihnen aus Art. 16 VvB zustehenden Recht verletzt
worden sind. Ihr Vorbringen beschränkt sich insoweit auf den Hinweis, daß soweit § 11 a
des Stadtreinigungsgesetzes (StRG) ein Entsorgungsmonopol für die Stadtreinigungs-
Betriebe begründe, "Art. 16 VvB durchgreifen dürfte". Dies genügt als Begründung nicht.
Es kann deshalb dahinstehen, ob Art.16 VvB überhaupt geeignet ist, Rechte eines
Einzelnen zu begründen, deren Verletzung mit der Verfassungsbeschwerde gerügt
werden kann. Ebenso kann unerörtert bleiben, ob der Zulässigkeit der
Verfassungsbeschwerde insoweit auch entgegensteht, daß § 11 a StRG durch Gesetz
vom 21. Dezember 1993 (GVBl. S. 651) mit Wirkung ab dem 1. Januar 1994 aufgehoben
und durch die allerdings teilweise gleichlautende Vorschrift des § 8 Abs. 1 Satz 3 des
Landesabfallgesetzes (LAbfG) ersetzt worden ist. Unzulässig wegen nicht hinreichender
Begründung (§ 50 VerfGHG) ist die Verfassungsbeschwerde ferner, soweit die Verletzung
des Gleichheitssatzes des Art. 6 VvB gerügt wird. Der Satz, es "dürfte Rechtswidrigkeit
gemäß Art. 6 VvB vorliegen", wenn "einerseits mit kommunalem Entsorger
Anschlußzwang, bei Privatentsorger dagegen nicht" bestehe, so daß eine aus § 11 a
StRG hergeleitete Verpflichtung nicht alle Grundstücke in Berlin in gleicher Weise treffe,
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StRG hergeleitete Verpflichtung nicht alle Grundstücke in Berlin in gleicher Weise treffe,
genügt nicht den Anforderungen des § 50 VerfGHG. Insbesondere ist nicht hinreichend
konkret dargetan, in welcher Weise die Beschwerdeführer gegenüber anderen
Eigentümern von tatsächlich und rechtlich vergleichbaren Grundstücken ungleich
behandelt worden seien, so daß das mit der Verfassungsbeschwerde angefochtene
Urteil des Amtsgerichts Spandau den Gleichheitssatz verletzte. Bedenken begegnet
schließlich die Zulässigkeit des Antrages zu 2), da der Verfassungsgerichtshof zwar
aussprechen kann, daß die Wiederholung einer beanstandeten Maßnahme gegen die
Verfassung von Berlin verstößt (§ 54 Abs. 2 S. 2VerfGHG), zu Verurteilungen der von den
Beschwerdeführern begehrten Art jedoch nicht befugt ist. Ob der gestellte Antrag zu 2)
in einen Antrag nach § 54 Abs. 2 S. 2 VerfGHG umgedeutet werden kann, mag
dahinstehen, da auch dieser Antrag aus den nachfolgend zu erörternden Gründen
keinen Erfolg haben könnte.
2. Soweit die Verfassungsbeschwerde die Verletzung der in Art. 15 VvB enthaltenen
Eigentumsgarantie und des Grundrechts auf rechtliches Gehör rügt, ist sie zulässig, aber
nicht begründet.
Nach Art. 15 Abs. 1 VvB wird das Eigentum gewährleistet. Sein Inhalt und seine
Schranken, so heißt es weiter, ergeben sich aus dem Gesetz. Nach dem durch Gesetz
vom 27. September 1990 (GVBl. S. 2114) geschaffenen und mit Wirkung ab dem 1.
Januar 1994 aufgehobenen § 11 a StRG haben die Eigentümer bebauter Grundstücke die
Aufstellung von getrennten Abfallbehältern zu dulden, soweit ihnen dies möglich und
zumutbar ist. Diese Bestimmung regelt Inhalt und Schranken des Eigentums. Sie
aktualisiert die auch der Eigentumsgewährleistung des Art. 15 Abs. 1 VvB immanente
Sozialpflichtigkeit des Eigentums, da sie eine Duldungspflicht begründet, die geschaffen
ist, um das bundesrechtlich in § 3 Abs. 2 Satz 3 des Abfallgesetzes vom 27. August
1986 (BGBl. III 2192-15) aus Gründen des Umweltschutzes, insbesondere der
Abfallvermeidung begründete Gebot der Abfallverwertung zu erfüllen. Die von den
Beschwerdeführern geltend gemachten Bedenken gegen das dem Abfallgesetz des
Bundes zugrundeliegende Verwertungskonzept sind nicht geeignet, eine
Verfassungswidrigkeit des § 3 Abs. 2 Satz 3 AbfG zu begründen, die den
Verfassungsgerichtshof veranlassen müßte, gemäß Art. 100 Abs. 1 GG eine
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen.
3. Auch soweit die Beschwerdeführer sich dagegen wenden, daß das Amtsgericht
Spandau die Aufstellung der Wertstoffbehälter auf ihrem Grundstück ohne
Ortsbesichtigung als zumutbar angesehen hat, ist die Verfassungsbeschwerde nicht
begründet. Es ist nicht die Aufgabe des Verfassungsgerichtshofs, das Urteil eines
Fachgerichts auf seine generelle Richtigkeit zu überprüfen. Seine Prüfungskompetenz
beschränkt sich nach § 49 Abs. 1 VerfGHG auf die Frage, ob die Entscheidung des
Fachgerichts Rechte der Beschwerdeführer, die sich aus der Verfassung von Berlin
ergeben, verletzt. Das Grundrecht auf rechtliches Gehör, das sich nach der ständigen
Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshof als landesverfassungsrechtliche
Gewährleistung aus Art. 62 VvB ergibt und auf das sich die Beschwerdeführer inhaltlich
berufen haben, ist nicht verletzt. Die Beschwerdeführer haben als Kläger vor dem
Amtsgericht Spandau insoweit vorgetragen, das Aufstellen der Wertstoffbehälter
entziehe ihnen Grundstücksteile und den Kindern Spielfläche, beeinträchtige erheblich
die ästhetische Funktion der Gartenanlage und verursache Lärmimmissionen durch
Glaseinwurf, die für das bereits durch Fluglärm belastete Grundstück nicht
hingenommen würden. Es ist angesichts dieses nur wenig substantiierten Vortrags
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Amtsgericht Spandau, diesen
Vortrag gewissermaßen als richtig unterstellend, gleichwohl das Aufstellen der
Wertstoffbehälter als zumutbar angesehen hat. Für diese auf der Grundlage des eigenen
Vortrags der Kläger/Beschwerdeführer vorgenommene Bewertung war eine
Ortsbesichtigung verfahrensrechtlich nicht geboten, da das zivilprozessuale Verfahren
keine Amtsermittlung kennt, sondern eine Beweisaufnahme nur vorsieht, um streitige
und entscheidungserhebliche Tatsachen aufzuklären.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus den §§ 33, 34 VerfGHG.
Dieser Beschluß ist unanfechtbar.
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