Urteil des VerfGH Berlin vom 15.03.2017

VerfGH Berlin: anspruch auf rechtliches gehör, verfassungsbeschwerde, distorsion, diagnose, befund, fahrzeug, beweisantrag, geschwindigkeit, zustand, beweiswert

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
121/03
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 10 Abs 1 Verf BE, Art 15
Abs 1 Verf BE, § 49 Abs 1
VGHG BE, § 50 VGHG BE, § 522
Abs 2 ZPO
(Keine) Verletzung des rechtlichen Gehörs - angebotener
Zeugenbeweis ungeeignet
Leitsatz
Art. 15 Abs. 1 VerfBE ist nicht verletzt, wenn das Gericht einen von der Partei angebotenen
Zeugenbeweis als ungeeignet ansieht, weil die Beweisfrage ihrer Art nach nur durch einen
Sachverständigen beantwortet werden kann
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.
Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe
I.
1. Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die
Abweisung einer auf Zahlung von Schmerzensgeld gerichteten Klage.
Der Beschwerdeführer erlitt am 29. Dezember 2001 mit seinem Pkw einen
Verkehrsunfall, weil ein am Straßenrand abgestellter Plananhänger des Beteiligten zu 2
aufgrund eines Sturms auf die Fahrbahn geweht wurde und mit dem Fahrzeug des
Beschwerdeführers kollidierte. Der Beteiligte zu 2 sowie dessen
Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung (die Beteiligte zu 3) regulierten den entstandenen
Sachschaden. Mit der beim Amtsgericht Mitte erhobenen Klage begehrte der
Beschwerdeführer von den Beteiligten zu 2 und 3 darüber hinaus die Zahlung eines
angemessenen Schmerzensgeldes in einer Größenordnung von 1.000 EUR. Zur
Begründung führte der Beschwerdeführer an, der Beteiligte zu 2 habe den Unfall
verschuldet, weil er den Anhänger in Kenntnis des zu erwartenden Sturms nicht
genügend gesichert habe. Die Geschwindigkeit des vom Beschwerdeführer geführten
Fahrzeugs habe bei der Kollision etwa 50 km/h, die des auf die Fahrbahn getriebenen
Plananhängers mindestens 20 km/h betragen, so dass bei dem seitlichen Aufprall von
einer Geschwindigkeitsänderung von mindestens 15 km/h auszugehen sei. Der Kopf des
Beschwerdeführers sei dadurch hin und her geschleudert worden und gegen die Scheibe
auf der Fahrerseite geprallt. Bei der Kollision habe er eine Verletzung der Halswirbelsäule
(„HWS-Distorsion“ oder HWS-Schleudertrauma) erlitten, aufgrund derer er etwa vier
Wochen arbeitsunfähig gewesen sei. Als Beleg für die behauptete Verletzung reichte der
Beschwerdeführer den Durchgangsarztbericht vom 29. Dezember 2001 ein, wonach er
sich an diesem Tag mit Schmerzen im Nackenbereich vorgestellt habe. Als Befund ist u.
a. angegeben: „… Druck- und Bewegungsschmerz lateral links der distalen HWS; keine
äußeren Verletzungszeichen...“. Als Röntgenergebnis ist vermerkt: „Röntgen: HWS in 2
Ebenen: Steilstellung, keine Fraktur“ und im Feld: „Diagnose (wenn schon einwandfrei zu
stellen): HWS Distorsion“. Dem Beschwerdeführer wurden das Tragen einer
Schanz’schen Krawatte sowie Medikamente verordnet.
Ferner reichte der Beschwerdeführer ein ärztliches Attest des Chirurgen und
Durchgangsarztes Dr. L. vom 24. Januar 2003 ein, wonach er in der Zeit vom 2. bis 28.
Januar 2002 wegen einer HWS-Distorsion in ambulanter Behandlung und bis zum 27.
Januar 2002 arbeitsunfähig gewesen sei.
Mit Urteil vom 14. März 2003 wies das Amtsgericht Mitte die Klage mit der Begründung
ab, es sei nicht erwiesen, dass der Beschwerdeführer bei dem Unfall verletzt worden sei.
Der ärztliche Bericht der Charité und das Attest des Dr. L. enthielten keinerlei objektive,
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Der ärztliche Bericht der Charité und das Attest des Dr. L. enthielten keinerlei objektive,
spezifisch auf eine HWS-Distorsion hindeutende Befunde. Die festgestellte Steilstellung
der Halswirbelsäule sei, soweit sie nicht nur auf die Position beim Röntgen
zurückzuführen sei, kein Befund, der zwangsläufig im Zusammenhang mit dem
Unfallgeschehen stehe, sondern könne eine Vielzahl unfallunabhängiger Ursachen
haben. Der Beschwerdeführer könne sich nicht im Anschluss auf das an Weltfremdheit
nicht zu überbietende Urteil des OLG Bamberg (vom 5. Dezember 2000 - 5 U 195/99 -,
DAR 2001, 121) darauf berufen, dass allein die ärztlichen Atteste zum Beweis für eine
unfallbedingte Verletzung ausreichten. Auch aus den objektiven Umständen des Unfalls
ergebe sich das erforderliche hohe Maß an Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen der
behaupteten Verletzung hier nicht. Nach naturwissenschaftlich gesicherter Erkenntnis
seien Verletzungen der Halswirbelsäule nur dann wahrscheinlich, wenn die
Geschwindigkeitsänderung beim Zusammenstoß eine Grenze von 10 bis 13 km/h bei
einem Heckanstoß und etwa 18 km/h bei einem seitlichen Anstoß übersteige. Daran
fehle es. Die Behauptung des Beschwerdeführers, die Kollisionsgeschwindigkeit habe
mindestens 20 km/h betragen, sei frei aus der Luft gegriffen. Die geringe Eindringtiefe
des Schadens an der rechten Seite des Fahrzeugs des Beschwerdeführers deute so
eindeutig auf eine unter 15 km/h liegende Kollisionsgeschwindigkeit hin, dass es hierzu
weder einer Zeugenvernehmung noch der Einholung eines Sachverständigengutachtens
bedürfe. Wenn man weiter die unterschiedlichen Massen des Fahrzeugs und des
Anhängers berücksichtige, komme man auf eine unterhalb der biomechanischen
Belastbarkeitsgrenze liegende Geschwindigkeitsänderung.
Der Beschwerdeführer legte gegen das Urteil Berufung ein. Mit Schreiben vom 5. Juni
2003 wies das Landgericht den Beschwerdeführer gemäß § 522 Abs. 2 ZPO darauf hin,
dass es beabsichtige, die Berufung aus den zutreffenden Gründen der erstinstanzlichen
Entscheidung zurückzuweisen. Die Kammer folge insbesondere der Würdigung des
Amtsgerichts, dass dem Durchgangsarztbericht vom 29. Dezember 2001 kein
Beweiswert in Bezug auf die unfallbedingte Verletzung zukomme, da es trotz
eingehender Untersuchung des Beschwerdeführers an einem medizinisch-
wissenschaftlich objektivierbaren Befund fehle. Ein Arzt könne nicht selbst feststellen, ob
der Beschwerdeführer Druck- oder Bewegungsschmerz verspüre; er könne nur die
entsprechenden Angaben seiner Patienten für die Diagnose verwerten. Durch die
Röntgenaufnahmen habe sich nur die beim Beschwerdeführer vorhandene Steilstellung
ergeben, die kein unfallspezifisches Merkmal darstelle. Die von dem behandelnden Arzt
Dr. L. gestellte Diagnose „HWS-Distorsion“ beruhe ausschließlich auf Angaben des
Beschwerdeführers und sei nicht geeignet zum Beweis für das Erleiden einer
unfallkausalen Verletzung. Der Umstand, dass der Kläger unmittelbar nach dem Unfall
Schmerzen verspürte, spreche sogar gegen eine Verursachung durch den Unfall. Es sei
nämlich gerichtsbekannt, dass die Schmerzen eines HWS-Schleudertraumas ersten
Grades - um welches es hier ausschließlich gehe - nicht im unmittelbaren Anschluss an
den Unfall aufträten, sondern in der Regel erst ein oder zwei Tage später. Aufgrund
dieser Beweisschwierigkeiten werde dem Geschädigten nach ständiger Rechtsprechung
der Kammer eine Beweiserleichterung dahin gewährt, dass es ausreiche, wenn
nachgewiesen sei, dass ein objektiv verletzungsgeeigneter Anstoß auf ihn eingewirkt
habe, nämlich ein solcher, der zu einer Geschwindigkeitsänderung von mehr als 10 km/h
bei einem Heckanstoß geführt habe. Bei einem seitlichen Anstoß gegen die
Beifahrerseite sei sogar eine erheblich höhere Geschwindigkeitsänderung erforderlich,
um bei einem nicht vorgeschädigten Menschen eine HWS-Verletzung auszulösen. Der
Kammer sei bewusst, dass diese Werte wissenschaftlich umstritten seien und es in
Einzelfällen auch bei geringeren Geschwindigkeiten zu HWS-Verletzungen kommen
könne. Der Beschwerdeführer müsse konkret darlegen und beweisen, dass der erlittene
Anstoß objektiv geeignet gewesen sei, die behauptete Verletzung hervorzurufen. Hierzu
sei es erforderlich, die nötigen Anknüpfungstatsachen vorzutragen, aus denen ein
Sachverständiger die behauptete Kollisionsgeschwindigkeit ermitteln können solle.
Derartige Tatsachen seien nicht vorgetragen, weshalb die Beauftragung eines
Sachverständigen zur Ermittlung der Kollisionsgeschwindigkeit eine unzulässige
Ausforschung darstelle. Die Angabe einer Geschwindigkeit von 20 km/h sei - wie das
Amtsgericht zutreffend festgestellt habe - eine nicht belegte Behauptung ins Blaue
hinein. Auch die Kammer sei aufgrund ihrer Sachkenntnis der Überzeugung, dass die
Aufprallgeschwindigkeit des Plananhängers aufgrund des geringen Schadens am
Fahrzeug des Beschwerdeführers erheblich unter 20 km/h gelegen habe.
Mit Schriftsatz vom 18. Juni 2003 nahm der Beschwerdeführer hierzu Stellung und trug u.
a. vor, es sei bedenklich, wenn die Diagnose „HWS-Distorsion“ in Zweifel gezogen werde,
ohne den von ihm als Zeugen benannten behandelnden Durchgangsarzt Dr. L. gehört
zu haben. Dr. L. habe ihn eingehend untersucht, was die Kammer nicht in Zweifel ziehe.
Anhaltspunkte für eine Gefälligkeitsdiagnose lägen nicht vor. Es sei eine unzulässige
Verallgemeinerung, wenn die Kammer argumentiere, die Schmerzen einer HWS-
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Verallgemeinerung, wenn die Kammer argumentiere, die Schmerzen einer HWS-
Verletzung träten in der Regel erst ein oder zwei Tage später auf.
Mit Beschluss vom 2. Juli 2003 wies das Landgericht die Berufung des Beschwerdeführers
gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurück und nahm zur Begründung Bezug auf das
Hinweisschreiben vom 5. Juni 2003. Aus dem Schriftsatz des Beschwerdeführers vom 18.
Juni 2003 ergäben sich keine neuen Gesichtspunkte, die zu einer anderen Beurteilung
führten. Seine Behauptung, er habe im Zeitpunkt des Unfalls eine instabile Sitzhaltung
eingenommen und es sei zu einer schreckhaften Gegenreaktion gekommen, sei
erstinstanzlich nicht vorgetragen worden und deshalb gemäß § 531 Abs. 2 ZPO nicht zu
berücksichtigen. Die sog. Harmlosigkeitsgrenze, die bei 10 - 15 km/h liege, habe die
Kammer aus einer Vielzahl von Sachverständigengutachten entnommen, die sie in
ähnlichen Fällen eingeholt habe, sie werde auch von anderen Verkehrsgerichten
entsprechend angewendet. Die hierzu vom Kläger zitierte Entscheidung des
Bundesgerichtshofs vom 28. Januar 2003 (DAR 2003, 218), die nur den ohnehin
bekannten Grundsatz wiederhole, dass im Einzelfall auch unterhalb der 10 km/h eine
Verletzung an der Halswirbelsäule entstehen „ kann “, führe zu keiner anderen
Beurteilung. Ob dies beim Kläger so sei, habe er zu beweisen. Die von ihm
vorgetragenen Tatsachen genügten aber nicht, um die Kammer davon zu überzeugen,
dass er durch den Unfall tatsächlich eine HWS-Distorsion erlitten habe.
2. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung des
Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß Art. 15 Abs. 1 der Verfassung von Berlin - VvB -
sowie des Willkürverbots aus Art. 10 Abs. 1 VvB durch das Landgericht.
Zu Unrecht habe das Landgericht seine Entscheidung darauf gestützt, der von dem
Durchgangsarzt Dr. L. gestellten Diagnose „HWS-Distorsion“ komme kein Beweiswert
zu, weil sie ausschließlich auf seinen Angaben beruhe. Diese Feststellung sei unhaltbar
und objektiv willkürlich. Abgesehen davon, dass die Angaben im Durchgangsarztbericht
vom 29. Dezember 2001 hinreichende Anhaltspunkte für einen objektivierbaren Befund
enthielten, hätte das Landgericht eine sachliche Beurteilung nur durch Vernehmung des
Dr. L., der ihn eingehend untersucht habe, vornehmen können. Das Landgericht sei
einem entsprechenden Beweisangebot jedoch ohne sachlichen Grund nicht
nachgekommen und habe ihm dadurch die Möglichkeit der Beweisführung genommen.
Das verletze auch seinen Anspruch auf rechtliches Gehör. Mangels medizinischer
Sachkenntnis habe das Landgericht nicht selbst - und ohne Vernehmung des Dr. L, -
sicher feststellen können, dass die beim Beschwerdeführer durch nach dem Unfall
angefertigte Röntgenaufnahmen belegte Steilstellung nicht auf den Unfall
zurückzuführen sei. Ferner gehe das Landgericht ohne sachliche Begründung davon aus,
dass die Schmerzen einer HWS-Distorsion in der Regel erst ein oder zwei Tage nach dem
Unfall einträten. In medizinischen Fachkreisen sei hingegen anerkannt, dass es bei
Verletzung der Halswirbelsäule keine feststehenden Krankheitsverläufe gebe. Es sei
auch nicht erkennbar, dass das Landgericht den Sachvortrag zum weiteren
Behandlungsverlauf sachlich und objektiv bewertet habe. So habe er vorgetragen, dass
ihm sowohl das Tragen einer Schanz’schen Krawatte als auch die Einnahme
verschreibungspflichtiger Medikamente verordnet worden seien under bis zum 27. Januar
2002 arbeitsunfähig und in physiotherapeutischer Behandlung gewesen sei. Hiermit
habe sich das Landgericht nicht auseinandergesetzt. Das Landgericht sei zu Unrecht
auch dem Beweisangebot auf Vernehmung des Beifahrers A. M. nicht nachgekommen,
wonach er mit etwa 50 km/h gefahren sei, als der Plananhänger mit ca. 20 km/h seitlich
gegen sein Fahrzeug geprallt sei, wobei es zu einer Geschwindigkeitsänderung von ca.
15 km/h gekommen sei. Ein weiterer Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör
liege darin, dass das Landgericht den Vortrag, es sei vor dem Unfall zu schreckhaften
Gegenreaktionen gekommen, mit der unrichtigen Begründung zurückgewiesen habe,
dies sei erstinstanzlich nicht vorgetragen worden. Mit Schriftsatz vom 18. Februar 2003
habe er schon vor dem Amtsgericht vorgetragen, dass schreckhafte Gegenreaktionen
des Geschädigten vor dem erwarteten Zusammenstoß dazu führen könnten, dass
Verletzungen entgegen der Stoßrichtung des auffahrenden Fahrzeugs verursacht
werden könnten.
Den Beteiligten ist gemäß § 53 Abs. 1 und 2 VerfGHG Gelegenheit zur Stellungnahme
gegeben worden.
II.
Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist teils unzulässig, teils unbegründet.
1. Die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde setzt gemäß § 49 Abs. 1 und § 50 des
Gesetzes über den Verfassungsgerichtshof – VerfGHG – voraus, dass sich der
Beschwerdeführer auf Rechte beruft, die ihm die Verfassung von Berlin gewährt, und sich
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Beschwerdeführer auf Rechte beruft, die ihm die Verfassung von Berlin gewährt, und sich
aus seinem Vorbringen hinreichend deutlich und nachvollziehbar ergibt, dass das
beanstandete Verhalten der öffentlichen Gewalt auf einer Verletzung dieser Rechte
beruhen kann (vgl. Beschluss vom 7. September 1994 – VerfGH 69/94 – LVerfGE 2, 64
<66>). Diesen Anforderungen wird die Verfassungsbeschwerde in einem Teil der mit ihr
vorgebrachten Rügen nicht gerecht.
a) Eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs ist nicht schlüssig
dargelegt, soweit der Beschwerdeführer geltend macht, das Landgericht habe das
Vorbringen im Schriftsatz vom 18. Juni 2003, es sei im Zeitpunkt des Unfalls zu einer
schreckhaften Gegenreaktion gekommen, zu Unrecht als verspätet zurückgewiesen. Der
Hinweis des Beschwerdeführers, er habe bereits mit Schriftsatz vom 18. Februar 2003
vor dem Amtsgericht vorgetragen, dass „schreckhafte Gegenreaktionen von
Geschädigten unmittelbar vor dem erwarteten Zusammenstoß dazu führen, dass
Verletzungen entgegen der „Stoßrichtung“ des auffahrenden Fahrzeugs verursacht
werden“ (Blatt 22 d. A.), enthält nur allgemeine, abstrakte Ausführungen ohne Bezug zu
dem konkreten Unfallgeschehen und ist daher nicht geeignet, den behaupteten Verstoß
darzutun.
b) Ebenfalls unzulässig ist die Verfassungsbeschwerde, soweit sie eine Verletzung des
Anspruchs auf rechtliches Gehör durch das Landgericht darin sieht, dass es dem
Beweisangebot auf Vernehmung des Beifahrers zum Unfallhergang, insbesondere zur
Kollisionsgeschwindigkeit, nicht nachgekommen sei. Der Beschwerdeführer hat
zutreffend darauf verwiesen, dass er einen entsprechenden Beweisantrag in der ersten
Instanz vor dem Amtsgericht (Schriftsatz vom 18. Februar 2003) gestellt hat. Dem
Anhörungs- und Hinweisschreiben des Landgerichts vom 5. Juni 2003 musste der
Beschwerdeführer jedoch entnehmen, dass die Frage der Kollisionsgeschwindigkeit aus
der Sicht des Berufungsgerichts zwar ungeklärt war, es aber gleichwohl eine
Beweiserhebung durch Vernehmung des Beifahrers nicht beabsichtigte, vielmehr den
damit verbundenen Vortrag, der Plananhänger sei mit einer Geschwindigkeit von 20
km/h gegen sein Fahrzeug geprallt, wie das Amtsgericht als Behauptung ins Blaue hinein
bewertete und demgemäß den Beweisantrag als unzulässig ansah. Der
Beschwerdeführer hätte daher Anlass gehabt, auf das Hinweisschreiben mit einem
neuen Beweisantrag (entweder auf Vernehmung des Zeugen unter weiterer
Konkretisierung des Beweisantrags oder auf Einholung eines
Sachverständigengutachtens) zu reagieren, um sich so das nunmehr vermisste
rechtliche Gehör vor dem Landgericht doch noch zu verschaffen. Das gebietet auch der
Grundsatz der Subsidiarität gemäß § 49 Abs. 2 Satz 1 VerfGHG. Danach hat ein
Beschwerdeführer zunächst alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden und ihm
zumutbaren prozessualen Möglichkeiten zu ergreifen, um vor Anrufung des
Verfassungsgerichts eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu
erwirken bzw. eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (Beschluss vom 31. Juli 1998 -
VerfGH 80/97 - LVerfGE 9, 33 <35>; vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 63, 77 <78>; 85
<86>).
2. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet.
a) Das Landgericht hat den Anspruch des Beschwerdeführers auf Gewährung rechtlichen
Gehörs nicht dadurch verletzt, dass es davon abgesehen hat, den behandelnden Arzt
Dr. L. als (sachverständigen) Zeugen zu vernehmen.
Zwar ist es mit Art. 15 Abs. 1 VvB unvereinbar, wenn ein Gericht ein Beweisangebot zu
einer von ihm als erheblich erachteten Behauptung nicht berücksichtigt, ohne dass sich
im Prozessrecht eine Stütze hierfür findet (Beschluss vom 20. August 2008 – VerfGH
204/04, 204 A/04 – juris, Rn. 39; zum Bundesrecht: BVerfG, NJW-RR 2001, 1006 <1007>
m. w. N.). So verhält es sich hier indessen nicht. Die Annahme des Landgerichts, die
beantragte Vernehmung des Arztes Dr. L. sei zum Beweis einer unfallbedingten
Verletzung des Beschwerdeführers ungeeignet, ist prozessrechtlich möglich und daher
von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.
Die Erhebung eines Beweises kann abgelehnt werden, wenn das angebotene
Beweismittel zur Bildung der richterlichen Überzeugung ungeeignet ist (vgl. Greger, in:
Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, Vor § 284, Rn. 10a). Zeugen sind ein ungeeignetes
Beweismittel, wenn die Beweisfragen ihrer Art nach nur durch einen Sachverständigen
beantwortet werden können (BGH NJW 2007, 2122 <2124>; Stein/Jonas/Leipold, ZPO,
22. Aufl. 2008, § 284, Rn. 65). Bei der Feststellung, ob ein Verkehrsunfall für die von dem
Geschädigten geltend gemachten Beschwerden ursächlich ist, handelt es sich um eine
solche Beweisfrage. Denn für deren Beantwortung kommt es nach der Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs grundsätzlich allein auf die Beurteilung durch Sachverständige,
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des Bundesgerichtshofs grundsätzlich allein auf die Beurteilung durch Sachverständige,
nicht dagegen auf die Aussagen von Zeugen an (BGH, VersR 2008, 1133 <1134> Rn.
11; NJW 2008, 2845 <2846> Rn. 10; VersR 2000, 372 <373>; ebenso KG, NZV 2006,
146 <147 zu e>; 2005, 521, <522 zu b>; OLG München, Urteil vom 28. Juli 2006 – 10 U
1684/06 – juris, Rn. 28). Nur bei Hinzutreten weiterer Umstände kann dies im Einzelfall
anders sein (vgl. BGH, NJW 2008, 2845 <2846> Rn. 11).
Der medizinischen Erstuntersuchung nach einem Unfall wird dagegen ein nur geringer
Beweiswert beigemessen, der zudem in erster Linie den Zustand des Geschädigten
nach dem Unfall betrifft (BGH, VersR 2008, 1133 <1134> Rn. 11; NJW 2008, 2845
<2846> Rn.11). Begründet wird dies damit, dass die Befunde häufig unspezifisch sind
oder allein auf der Schilderung des Geschädigten beruhen; ferner fällt ins Gewicht, dass
der Arzt, der einen Unfallgeschädigten untersucht und behandelt, diesen nicht aus der
Sicht eines Gutachters betrachtet, sondern ihn als Therapeut behandelt, weshalb die
Benennung der Diagnose für ihn zunächst von untergeordneter Bedeutung ist (so BGH
VersR 2008, 1133 <1134> Rn. 11). Im Regelfall wird das Ergebnis einer solchen
Untersuchung deshalb nur als eines unter mehreren Indizien für den Zustand des
Geschädigten nach dem Unfall Berücksichtigung finden können (BGH, VersR 2008, 1133
<1134> Rn. 11; NJW 2008, 2845 <2846> Rn. 11). Inwieweit dieser Zustand auf den
Unfall zurückzuführen ist, muss deshalb mit anderen Mitteln, unter Beachtung der
strengen Anforderungen des Vollbeweises (§ 286 ZPO; vgl. BGH, VersR 2008 <1133>
Rn. 7), zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen werden. Im Regelfall ist hierfür nach
der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wie dargelegt, nur eine Beurteilung durch
Sachverständige geeignet.
Das Landgericht durfte demnach die von dem Beschwerdeführer für den
Ursachenzusammenhang zwischen seinen Beschwerden und dem Unfall angebotene
Vernehmung des Arztes Dr. L. ablehnen. Dass diese im Hinblick auf Besonderheiten des
Einzelfalls ausnahmsweise geeignet gewesen sein könnte, dem Gericht die volle
Überzeugung zu vermitteln, dass der Unfall für die geschilderten Beschwerden des
Beschwerdeführers ursächlich war, legt die Verfassungsbeschwerde nicht dar. Das gilt
auch unter Berücksichtigung des röntgenologischen Befunds einer Steilstellung der
Halswirbelsäule. Ein solcher Befund wird von der höchstrichterlichen Rechtsprechung als
nicht verletzungstypisch angesehen (BGH, VersR 2008, 1133 <1134> Rn. 12 a. E.) und
musste deshalb von dem Landgericht nicht besonders gewürdigt werden.
Entsprechendes gilt für den weiteren Behandlungsverlauf, dessen Nichtberücksichtigung
der Beschwerdeführer ebenfalls rügt. Auch ihn durfte das Gericht als ungeeignet
ansehen, um den Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfall und den Beschwerden
des Beschwerdeführers zu beweisen. Demgemäß musste es sich mit dem
diesbezüglichen Vortrag des Beschwerdeführers nicht ausdrücklich auseinandersetzen.
Die Einholung eines biomechanischen oder medizinischen Sachverständigengutachtens
ist von dem Beschwerdeführer zu keiner Zeit beantragt worden; dass das Landgericht
hierzu von Amts wegen verpflichtet gewesen sein könnte, macht er mit der
Verfassungsbeschwerde nicht geltend.
b) Die mit einem Verstoß gegen das Willkürverbot begründete Rüge, das Landgericht sei
ohne sachlichen Grund davon ausgegangen, die Schmerzen einer HWS-Verletzung
träten in der Regel erst ein bis zwei Tage nach dem Unfallereignis auf, ist unbegründet,
weil es sich hierbei lediglich um eine ergänzende Erwägung des Landgerichts handelt,
auf der die angefochtene Entscheidung nicht beruht.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG.
Die Entscheidung ist mit 7 zu 2 Stimmen ergangen.
Mit dieser Entscheidung ist das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof
abgeschlossen.
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