Urteil des VerfGH Berlin vom 15.03.2017

VerfGH Berlin: rechtliches gehör, einstellung des verfahrens, verfassungsbeschwerde, anhörung, strafprozessordnung, hauptsache, rechtswegerschöpfung, krankenversicherung, absendung, freispruch

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
43/03
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 15 Abs 1 Verf BE, § 46 Abs
1 OWiG, § 47 Abs 2 OWiG, § 33a
StPO, § 304 StPO
Keine Rechtswegerschöpfung bei Möglichkeit der Beschwerde
nach § 304 StPO i.V.m. § 46 Abs 1 OWiG gegen Ablehnung der
Nachholung rechtlichen Gehörs nach § 33a StPO aus
verfahrensrechtlichen Gründen
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.
Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer war als Außendienstmitarbeiter zur Nutzung eines Pkw berechtigt,
dessen Halterin die U. Krankenversicherung AG war. Mit Schreiben vom 10. Juni 2002
hörte der Polizeipräsident in Berlin die U. Krankenversicherung zu dem Vorwurf an, am
23. April 2002 um 18.40 Uhr das Rotlicht der Ampel an der Kreuzung Altonaer
Straße/Bartningallee in Berlin nicht beachtet zu haben. Nachdem die U.
Krankenversicherung die Personalien des Beschwerdeführers benannt hatte, ordnete der
Polizeipräsident unter dem 19. Juni 2002 dessen Anhörung an. Mit Anhörungsschreiben
vom 14. August 2002 wurde daraufhin dem Beschwerdeführer mitgeteilt, als Fahrer des
Pkw benannt worden zu sein, und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Der
Beschwerdeführer beantragte über seinen Prozessbevollmächtigten zunächst
Akteneinsicht.
Am 5. September 2002 erließ der Polizeipräsident in Berlin einen Bußgeldbescheid
gegenüber dem Beschwerdeführer, der dessen Prozessbevollmächtigten ausweislich des
Empfangsbekenntnisses am 20. September 2002 zuging. Hiergegen legte der
Beschwerdeführer mit Schreiben vom selben Tag Einspruch mit der Begründung ein, er
sei nicht gefahren, und bot als Beweis Zeugnis durch Herrn L. T. an. Er beantragte
zugleich, das Verfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO i. V. m. § 46 OWiG einzustellen und die
Kosten des Verfahrens nebst seinen notwendigen Auslagen der Staatskasse
aufzuerlegen. Nach weiteren ergebnislosen Ermittlungen gab der Polizeipräsident in
Berlin die Akten am 5. Dezember 2002 über die Amtsanwaltschaft Berlin an das
Amtsgericht Tiergarten mit der Bitte um Entscheidung über den Einspruch ab.
Mit Verfügung vom 27. Dezember 2002, die am 7. Januar 2003 zur Absendung kam,
teilte das Amtsgericht Tiergarten dem Beschwerdeführer seine Absicht mit, das
Verfahren gemäß § 47 Abs. 2 OWiG auf Kosten der Landeskasse Berlin einzustellen; der
Beschwerdeführer solle jedoch die notwendigen Auslagen selbst tragen. Ihm wurde
Gelegenheit zur Stellungnahme binnen einer Woche gegeben. Zwischenzeitlich wies der
Beschwerdeführer mit Telefax vom 3. Januar 2003 auf die geänderte Anschrift des von
ihm benannten Zeugen L. T. hin und bat um dessen Ladung zum Termin. Mit Telefax
vom 8. Januar 2003 widersprach er ferner einer Einstellung nach § 47 Abs. 2 OWiG mit
der Begründung, die Hauptverhandlung werde erweisen, dass er nicht gefahren sei. Eine
Einstellung gegen seinen Willen sei in diesem Fall ermessensfehlerhaft. Er erklärte sich
lediglich mit einer Einstellung gemäß § 170 Abs. 2 StPO oder aber gemäß § 47 OWiG
unter der Voraussetzung, dass die Auslagen der Landeskasse auferlegt würden,
einverstanden. Er habe nicht zu vertreten, dass die Polizei das Verfahren bis zum
Gericht fortgeführt habe, obwohl er im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde
Entlastungszeugen benannt habe.
Mit Beschluss vom 8. Januar 2003, abgesandt am 23. Januar 2003, stellte das
Amtsgericht Tiergarten das Verfahren gemäß § 47 Abs. 2 OWiG ein und stellte fest, dass
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Amtsgericht Tiergarten das Verfahren gemäß § 47 Abs. 2 OWiG ein und stellte fest, dass
die Kosten des Verfahrens der Kasse des Landes Berlin zur Last fielen; dieser würden
jedoch nicht die notwendigen Auslagen des Betroffenen auferlegt.
Gegen diesen Beschluss erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 24. Januar
2003 Gegenvorstellung mit dem Antrag, den Beschluss aufzuheben und Termin zur
Hauptverhandlung zu bestimmen oder aber das Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO
einzustellen, hilfsweise die Auslagenentscheidung abzuändern und die notwendigen
Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen. Abgesehen davon, dass der
Beschluss nicht begründet worden sei, sei ihm kein rechtliches Gehör gewährt worden.
Obwohl das Gericht mit Schreiben vom 27. Dezember 2002 - zugegangen am 8. Januar
2002 - zur Stellungnahme aufgefordert habe, habe seine umfassende Stellungnahme
offenbar keinen Eingang in die Entscheidung des Gerichts gefunden. Davon sei
auszugehen, weil jene Stellungnahme erst am 8. Januar 2002 um 17.45 Uhr an das
Gericht gefaxt worden sei. Da im Ergebnis keine Anhörung erfolgt sei, könne das Gericht
im Verfahren nach § 33a StPO auch die Auslagenentscheidung noch ändern. Er müsse
sich nicht den Vorwurf gefallen lassen, er habe nicht schon auf Nachfrage der Polizei im
Anhörungsverfahren den Fahrer mitgeteilt, denn zu diesem Zeitpunkt sei die Tat gegen
jeden anderen, nicht bekannten Betroffenen bereits verjährt gewesen. Im Übrigen sei die
Einstellung nach § 47 Abs. 2 OWiG subsidiär. Komme eine Einstellung nach § 170 Abs. 2
StPO oder ein Freispruch in Betracht, so habe dies Vorrang.
Unter dem 29. Januar 2003 vermerkte das Gericht in den Akten, dass es bei der
Entscheidung verbleibe, und teilte dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom selben Tag
mit, dass die Entscheidung nicht anfechtbar sei.
Mit seiner am 17. März 2003 eingegangenen Verfassungsbeschwerde macht der
Beschwerdeführer eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 15 Abs. 1 der Verfassung
von Berlin - VvB - geltend und begehrt die Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts
Tiergarten vom 8. Januar 2003, soweit dieser die Auslagenentscheidung betrifft.
Das Amtsgericht habe trotz Einräumung einer Frist zur Stellungnahme bezüglich der
beabsichtigten Einstellung des Ordnungswidrigkeitsverfahrens seine dann erfolgte
fristgemäße Stellungnahme nicht abgewartet und durch Beschluss das Verfahren
eingestellt. Die Frist zur Stellungnahme binnen einer Woche, die durch das Gericht mit
Schreiben vom 27. Dezember 2002 gesetzt worden sei, könne erst am 8. Januar 2003,
dem Datum des Eingangs bei seinem Verfahrensbevollmächtigten, begonnen haben.
Diese Frist habe er mit seiner Stellungnahme vom gleichen Tage eingehalten. Das
Gericht habe folglich sein Recht auf rechtliches Gehör verletzt, indem es seine
Stellungnahme nicht bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt habe.
Die Gehörsverletzung sei auch nicht aufgrund seiner Gegenvorstellung geheilt worden.
Denn das Gericht habe nach eigenen Angaben mit Schreiben vom 29. Januar 2003 unter
Hinweis auf die mangelnde Anfechtbarkeit des Beschlusses keine Möglichkeit gesehen,
rechtliches Gehör zu gewähren und bei einer etwaigen Entscheidungsfindung zu
berücksichtigen. Zwar begünstige ihn die Einstellung des Ordnungswidrigkeitsverfahrens
vordergründig, mit dem Beschluss gehe jedoch eine belastende Kostenfolge einher, da
er seine notwendigen Auslagen selbst zu tragen habe. Das Amtsgericht habe verkannt,
dass es gemäß § 33a StPO seine Kostenentscheidung auch nachträglich wegen der
Gehörsverletzung hätte abändern können.
Die Ermessenseinstellung nach § 47 Abs. 2 OWiG sei im vorliegenden Fall auch
unzulässig gewesen. Denn es sei zu erwarten gewesen, dass der in seinem Schreiben
vom 3. Januar 2003 benannte Zeuge bestätigen würde, dass er, der Beschwerdeführer,
das Fahrzeug nicht geführt habe. Infolge dessen hätte mangels hinreichenden Verdachts
einer Verkehrsordnungswidrigkeit allenfalls eine Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO i. V.
m. § 46 Abs. 1 OWiG oder ein Freispruch erfolgen können. Die zwingende Folge wäre
nach § 467 Abs. 1 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG das Tragen der notwendigen Auslagen
durch die Landeskasse gewesen.
Entsprechend § 53 Abs. 1 VerfGHG ist dem Präsidenten des Amtsgerichts Gelegenheit
gegeben worden, sich zu der Verfassungsbeschwerde zu äußern. Dieser hat in seiner
Stellungnahme vom 15. November 2004 ausgeführt, ausweislich der in der Akte
befindlichen Vermerke und Eingangsstempel habe die Akte seit dem 7. Januar 2003 der
Richterin vorgelegen. Der Schriftsatz des Beschwerdeführers vom 8. Januar 2003 sei am
9. Januar 2003 auf der Geschäftsstelle eingegangen. Die Akte sei von der Richterin
ebenfalls am 9. Januar 2003 in die Geschäftsstelle gelangt und mit dem Schriftsatz vom
8. Januar 2003 und dem Gerichtsbeschluss vom selben Tage dem Rechtspfleger
vorgelegt worden. Nach dessen Verfügung vom 10. Januar 2003 sei die Akte am 13.
Januar 2003 in die Kanzlei gebracht worden. Offenbar sei der Schriftsatz vom 8. Januar
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Januar 2003 in die Kanzlei gebracht worden. Offenbar sei der Schriftsatz vom 8. Januar
2003 der Richterin vor Absendung des Beschlusses nicht mehr vorgelegt worden.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Ihrer Zulässigkeit steht zwar nicht entgegen,
dass sie sich allein gegen die im angegriffenen Beschluss des Amtsgerichts getroffene
Auslagenentscheidung richtet (1.). Sie scheitert jedoch an dem Gebot der Erschöpfung
des Rechtsweges (2.).
1. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht bereits deshalb unzulässig, weil der
Beschwerdeführer die Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts Tiergarten vom 8.
Januar 2003 lediglich insoweit begehrt, als es die Entscheidung betrifft, seine
notwendigen Auslagen nicht der Staatskasse aufzuerlegen. Zwar ist eine
Verfassungsbeschwerde gegen eine Gerichtsentscheidung grundsätzlich unzulässig,
wenn der Beschwerdeführer nicht (mehr) durch die Entscheidung in der Hauptsache,
sondern nur noch durch die Nebenentscheidung über die Kosten belastet wird (vgl.
grundlegend zum Bundesrecht BVerfGE 33, 247 (256 ff.); 74, 78 (89 f.)). Von diesem
Grundsatz kann aber dann eine Ausnahme zu machen sein, wenn sich die Entscheidung
zur Hauptsache und die Kostenentscheidung voneinander trennen lassen oder wenn sich
der behauptete Verfassungsverstoß ausschließlich auf die Kostenentscheidung bezieht
(Beschluss vom 22. November 2005 - VerfGH 215/04 -; vgl. BVerfGE a. a. O.; BVerfGE
17, 265 (268) zu einer Kostenentscheidung nach § 91 a ZPO). So liegt es hier. Die
Entscheidung des Amtsgerichts über die Pflicht des Beschwerdeführers, seine
notwendigen Auslagen selbst zu tragen, folgte nicht zwangsläufig aus der Einstellung des
Ordnungswidrigkeitsverfahrens in der Hauptsache, sondern stellte eine selbstständige
Ermessensentscheidung gemäß § 467 Abs. 1, 4 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG dar (vgl.
Seitz, in: Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, 14. Aufl. 2006, § 47 Rn. 43 f.)
2. Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht indessen die mangelnde
Erschöpfung des Rechtsweges entgegen. Nach § 49 Abs. 2 Satz 1 VerfGHG kann die
Verfassungsbeschwerde erst erhoben werden, wenn gegen die behauptete Verletzung
der Rechtsweg zulässig ist. Der Rechtsweg ist nicht erschöpft, wenn der
Beschwerdeführer die Möglichkeit hat oder hatte, vor den Gerichten des zuständigen
Gerichtszweigs die Beseitigung des Hoheitsaktes zu erreichen, dessen
Grundrechtswidrigkeit er geltend macht (Beschluss vom 29. Januar 2004 - VerfGH
25/00 -).
a) Um eine Aufhebung der ihn belastenden Auslagenentscheidung zu erreichen, hat der
Beschwerdeführer zwar von dem zum Rechtsweg im Sinne des § 49 Abs. 2 Satz 1
VerfGHG gehörenden Rechtsbehelf nach § 33a Satz 1 StPO Gebrauch gemacht (vgl.
Beschluss vom 15. Juni 1993 - VerfGH 18/92 - LVerfGE 1, 81 (84); zum Bundesrecht vgl.
BVerfGE 33, 192 (194 f.); 42, 243 (247 ff.)). Seine an das Amtsgericht gerichtete
„Gegenvorstellung“ mit Schreiben vom 24. Januar 2003 war als Antrag auf Durchführung
des Nachverfahrens im Sinne des § 33a StPO auszulegen, zumal der Beschwerdeführer
darin auf die „im Verfahren nach § 33a StPO“ bestehende Möglichkeit verwiesen hatte,
die Auslagenentscheidung zu ändern.
Der Rechtsbehelf des § 33a StPO war im vorliegenden Fall auch statthaft. Gemäß
§ 46 Abs. 1 OWiG gilt die Bestimmung entsprechend im Bußgeldverfahren (vgl. BVerfG,
Beschluss vom 20. April 2004, NStZ-RR 2004, 372) und ist auch in der hier
maßgeblichen, vor Änderung durch das Anhörungsrügengesetz (Art. 2 des Gesetzes
vom 9. Dezember 2004, BGBl I S. 3220) geltenden Fassung dahingehend auszulegen,
dass die gebotene Anhörung nicht auf Tatsachen und Beweisergebnisse beschränkt ist,
sondern über den Wortlaut hinaus jeden Verstoß gegen das Grundrecht auf rechtliches
Gehör im Beschlussverfahren erfasst (vgl. BVerfGE 42, 243 (250 f.); 42, 252 (255)).
Entgegen der vom Amtsgericht in dessen Vermerk vom 29. Januar 2003 und der
Mitteilung an den Beschwerdeführer vom selben Tag zum Ausdruck gebrachten
Auffassung eröffnet § 33a StPO auch die Möglichkeit, eine im Rahmen eines
unanfechtbaren Beschlusses über die Einstellung eines Bußgeldverfahrens (§ 47 Abs. 2
Satz 3 OWiG) getroffene Auslagenentscheidung zu überprüfen und abzuändern. Die
Kosten- und Auslagenentscheidung ist zwar gleichfalls gemäß § 464 Abs. 3 Satz 1, 2.
Halbs. StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG nicht isoliert anfechtbar; ist aber die vor einer
Einstellung grundsätzlich notwendige Anhörung des Betroffenen unterblieben und ihm
somit die Gelegenheit genommen, auf eine andere Art der Erledigung oder eine ihn nicht
beschwerende Auslagenentscheidung hinzuwirken, ist das rechtliche Gehör im Rahmen
des Nachverfahrens nach § 33a StPO nachzuholen (vgl. Bayer. ObLG, Beschluss vom 25.
Juni 1980 - 1 Ob OWi 288/80 -, juris; LG Flensburg, DAR 1985, 93; Seitz, in: Göhler, a. a.
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Juni 1980 - 1 Ob OWi 288/80 -, juris; LG Flensburg, DAR 1985, 93; Seitz, in: Göhler, a. a.
O., § 47 Rn. 36, 57; Bohnert; in: Karlsruher Kommentar zum Gesetz über
Ordnungswidrigkeiten, 2. Aufl. 2000, § 47 Rn. 138).
b) Gegen die Ablehnung des Amtsgerichts, das Nachverfahren gemäß § 33a stopp i. V.
m. § 46 Abs. 1 OWiG durchzuführen und seinen Beschluss vom 8. Januar 2003 auf einen
Verstoß gegen das Gebot der Gehörsgewährung hin zu überprüfen, hätte dem
Beschwerdeführer jedoch das weitere Rechtsmittel der Beschwerde gemäß §§ 304 ff.
StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG offen gestanden.
Das Gebot der Rechtswegerschöpfung zwingt den Rechtsuchenden, von den
prozessualen Möglichkeiten auch Gebrauch zu machen, gleichviel ob eine weitere
Instanz kraft Gesetzes gegeben ist oder ob die Zulassung des Rechtsmittels vom
Beschwerdeführer in einem besonderen Verfahren mit ungewissem Ausgang erst
erstritten werden muss (vgl. zum Bundesrecht BVerfGE 16, 1 (2); 68, 376 (380 f.)). So ist
etwa der Rechtsweg auch unter Berücksichtigung des Gesichtspunkts der Zumutbarkeit
nicht erschöpft, wenn ein Antrag auf Zulassung eines Rechtsmittels statthaft und nicht
offenbar aussichtslos (gewesen) ist (vgl. Urteil vom 19. Oktober 1992 - VerfGH 24/92 -
LVerfGE 1, 9; siehe auch BVerfGE 16, 1 (3) hinsichtlich einer
Nichtzulassungsbeschwerde). Unter Anlegung dieses Maßstabs war hier von dem
Beschwerdeführer aufgrund der Mitteilung des Amtsgerichts vom 29. Januar 2003 die
Einlegung einer Beschwerde gemäß § 304 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG zu erwarten
und ihm auch zumutbar. Diese Möglichkeit hat er vor Einreichung seiner
Verfassungsbeschwerde jedoch nicht genutzt.
aa) Nach in Rechtsprechung und Literatur wohl überwiegend vertretener Auffassung ist
gegen die Ablehnung des Antrags auf Nachholung rechtlichen Gehörs nach § 33a StPO
die Beschwerde nach § 304 StPO insoweit statthaft, als das Gericht aus
verfahrensrechtlichen Gründen die Voraussetzungen für die Nachholung rechtlichen
Gehörs verneint hat. Nicht anfechtbar ist demgegenüber die auf die Überprüfung hin
ergangene Sachentscheidung, denn über § 33a StPO soll kein erweiterter Instanzenzug
eingeräumt werden (KG Berlin, NJW 1966, 991 und Beschluss vom 4. November 1999 - 5
Ws (B) 580/99 u. a. -, juris; OLG Hamburg, NJW 1972, 219; OLG Thüringen, Beschluss
vom 8. Dezember 2005 - 1 Ws 403/05 -, juris; Wendisch, in: Löwe-Rosenberg,
Strafprozessordnung, 1. Band, 25. Aufl., Stand 1. Oktober 1996, § 33a Rn. 20 ff. m. w. N.;
Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, 49. Aufl. 2006, § 33a Rn. 10; dagegen für
generellen Beschwerdeausschluss: OLG Celle, NJW 1968, 1391, das aber eine andere
Beurteilung andeutet, wenn das Gericht die Vorschrift des § 33a StPO übersehen hat; für
generellen Rechtsmittelweg: OLG Braunschweig, NJW 1971, 1710). Da im vorliegenden
Fall das Amtsgericht in keine erneute sachliche Prüfung eingetreten ist, sondern die
beantragte Nachholung rechtlichen Gehörs von vornherein mit der Begründung
abgelehnt hatte, seine Entscheidung vom 8. Januar 2003 sei nicht anfechtbar, hätte dem
Beschwerdeführer hiernach die Möglichkeit der Beschwerde gemäß § 304 StPO offen
gestanden. Gemäß § 46 Abs. 1 OWiG sind auch im Bußgeldverfahren die Vorschriften
über das Beschwerdeverfahren nach §§ 304 ff. StPO sinngemäß anwendbar;
abweichende Sonderregelungen greifen hier nicht (vgl. die o. g. Entscheidung des KG
Berlin, Beschluss vom 4. November 1999, a. a. O.).
bb) Das Rechtsmittel der Beschwerde ist auch nicht deshalb unstatthaft, weil das
Amtsgericht vorliegend nicht durch Beschluss entschieden, sondern seine Ablehnung
eines Nachverfahrens lediglich durch formlose Mitteilung vom 29. Januar 2003 dem
Beschwerdeführer bekannt gegeben hat. Es ist anerkannt, dass grundsätzlich auch die
Unterlassung einer von Amts wegen oder auf Antrag zu treffenden gerichtlichen
Entscheidung der Anfechtung mit der Beschwerde nach §§ 304 ff. StPO unterliegt.
Vorausgesetzt ist in aller Regel, dass der Unterlassung die Bedeutung einer endgültigen
Ablehnung und nicht einer bloßen Verzögerung der zu treffenden Entscheidung
zukommt (BGH, NJW 1993, 1279 f.; OLG Frankfurt, NStZ 2002, 220, NStZ-RR 2002, 188
und NJW 2002, 453; Engelhardt, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 5.
Aufl. 2003, § 304 Rn. 3; Matt, in: Löwe-Rosenberg, Strafprozessordnung, 5. Band, 25.
Aufl., Stand 1. Juni 2003, § 304 Rn. 6 ff. m. w. N.; Meyer-Goßner, a. a. O., § 304 Rn. 3).
Dies ist hier der Fall, da das Amtsgericht ausweislich seines Aktenvermerks die einmal
getroffene Entscheidung als abschließend betrachtete. In Rechtsprechung und Literatur
strittig ist zwar die Frage, ob die Zulässigkeit einer derartigen „Untätigkeitsbeschwerde“
voraussetzt, dass die unterlassene Entscheidung selbst bzw. deren Ablehnung
anfechtbar ist (so die wohl h. M.: BGH und OLG Frankfurt, jeweils a. a. O.; a. A.: Matt, in:
Löwe-Rosenberg, a. a. O., Rn. 8 m. w. N.). Da - wie unter aa) ausgeführt - jedenfalls der
hier vom Amtsgericht unterlassene förmliche Beschluss über die Ablehnung der
Nachholung rechtlichen Gehörs aus verfahrensrechtlichen Gründen der Beschwerde
unterliegt, verlangte das Gebot der Rechtswegerschöpfung von dem Beschwerdeführer,
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unterliegt, verlangte das Gebot der Rechtswegerschöpfung von dem Beschwerdeführer,
die Möglichkeit der Beschwerde nach § 304 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG zu ergreifen.
cc) Die Einlegung einer Beschwerde gegen die Verfahrensweise des Amtsgerichts hätte
auch Aussicht auf Erfolg gehabt. Das Grundrecht auf rechtliches Gehör verbürgt
grundsätzlich das Recht der Beteiligten auf Äußerung vor Erlass einer gerichtlichen
Entscheidung. Dieses ist verletzt, wenn ein Gericht den Ablauf einer von ihm selbst
gesetzten Frist nicht abwartet, bevor es eine Entscheidung trifft (st. Rspr., Beschluss
vom 21. November 1995 - VerfGH 32/95 - LVerfGE 3, 121 (125); vgl. BVerfGE 42, 243
(247)). Dem Äußerungsrecht entspricht zudem die Pflicht des Gerichts, das
(fristgerechte) Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis zu nehmen und in seine
Erwägungen einzubeziehen (Beschluss vom 16. November 1995 - VerfGH 48/94 -
LVerfGE 3, 113 (116) m. w. N.).
Hier hat das Amtsgericht die zum Zweck der Anhörung des betroffenen
Beschwerdeführers vor der beabsichtigten Einstellung des Verfahrens mit Schreiben
vom 27. Dezember 2002 gesetzte Frist von einer Woche nicht abgewartet, als es am 8.
Januar 2003 den angefochtenen Einstellungsbeschluss erließ. Denn es hatte für den
Fristablauf zu berücksichtigen, dass das erst am 7. Januar 2003 zur Absendung
gebrachte gerichtliche Anhörungsschreiben den Beschwerdeführer frühestens am
folgenden Tag erreichen konnte. Umso mehr wäre das Gericht verpflichtet gewesen,
dessen per Telefax noch am Tag des Zugangs, dem 8. Januar 2003, eingegangene
Stellungnahme vor seiner Entscheidungsfindung zur Kenntnis zu nehmen. Dieses ist
nach der vom Verfassungsgerichtshof erbetenen Erläuterung des Präsidenten des
Amtsgerichts jedoch nicht geschehen. Vielmehr lag der Schriftsatz des
Beschwerdeführers erst am 9. Januar 2003 und somit nach Beschlussfassung auf der
zuständigen Geschäftsstelle des Gerichts vor. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs
hätte zu diesem Zeitpunkt noch vermieden werden können, indem der Schriftsatz
zusammen mit dem - tatsächlich erst am 23. Januar 2003 ausgefertigten und an den
Beschwerdeführer abgesandten - Beschluss noch einmal der zuständigen Richterin
vorgelegt worden wäre. Dies ist jedoch unterblieben.
Die den Beschwerdeführer belastende Entscheidung über die notwendigen Auslagen in
dem Beschluss des Amtsgerichts beruhte auch auf der dargestellten Gehörsverletzung.
Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Vorbringen des
Beschwerdeführers in seinem Schriftsatz vom 8. Januar 2003 das Gericht zu einer
anderen Würdigung des Sachverhalts und der Rechtslage veranlasst hätte. Die
Entscheidung, die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers nicht der Staatskasse
aufzuerlegen, findet seine Grundlage in § 47 Abs. 2 OWiG i. V. m. § 467 Abs. 4 StPO, § 46
Abs. 1 OWiG und steht danach im Ermessen des Gerichts. Mangels jeder Begründung
des Einstellungs- und Auslagenbeschlusses sind hier zwingende Gründe, das Ermessen
abweichend vom Regelfall des § 467 Abs. 1 StPO (dazu Seitz, in: Göhler, a. a. O., § 47
Rn. 47 ff.) zu Lasten des Beschwerdeführers auszuüben, nicht ersichtlich. Der
ausdrückliche Widerspruch des Beschwerdeführers gegen eine Verfahrenseinstellung mit
einer Auslagenentscheidung zu seinen Lasten, der erneute Verweis auf den bereits
zuvor benannten Entlastungszeugen und sein Hinweis darauf, dass er die Fortführung
des Bußgeldverfahrens nicht zu vertreten habe, hätte das Gericht zu einer
abweichenden Auslagenentscheidung führen können.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 33, 34 VerfGHG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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