Urteil des VerfGH Berlin vom 15.03.2017

VerfGH Berlin: volksbegehren, zahl, verfassung, bekanntmachung, verfügung, einspruch, benachrichtigung, amtsblatt, wochenende, staat

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
78/99
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 2 Abs 1 Verf BE, Art 18 Verf
BE, Art 59 Abs 2 Verf BE, Art 62
Abs 4 Verf BE, Art 63 Verf BE
VerfGH Berlin: Einspruch wegen verfahrensmäßiger
Unregelmäßigkeiten bei Durchführung des Volksbegehrens
gegen Einführung der neuen Rechtschreibung mangels
konkreter Auswirkungen auf das Gesamtergebnis
zurückgewiesen
Gründe
I.
Die Beschwerdeführer sind vom Träger des Volksbegehrens "Schluss mit der
Rechtschreibreform !" als Vertrauenspersonen zu Vertretern dieses Volksbegehrens
bestimmt worden, das in der Zeit vom 10. Mai bis zum 9. Juli 1999 in Berlin stattfand.
Nachdem der Senat von Berlin die Zulässigkeit des Antrags auf Zulassung des
Volksbegehrens festgestellt hatte, machte die Senatsverwaltung für Inneres im
Amtsblatt von Berlin vom 13. April 1999 (S. 1527 ff.) sowohl den Wortlaut des
Volksbegehrens als auch die Eintragungsfrist, die Auslegungszeiten und die
Auslegungsstellen bekannt.
Als Auslegungszeiten wurden bestimmt:
Montag, Mittwoch und Freitag vom 10 bis 16 Uhr, Dienstag von 10 bis 18 Uhr und
Donnerstag von 10 bis 19 Uhr
mit Ausnahme der gesetzlichen Feiertage am Donnerstag, dem 13. Mai 1999 (Christi
Himmelfahrt), und am Montag, dem 24. Mai 1999 (Pfingstmontag),
sowie die Sonnabende und Sonntage 29. und 30. Mai, 19. und 20. Juni, 26. und 27. Juni
und 3. und 4. Juli 1999 jeweils von 10 bis 16 Uhr.
Als Auslegungsstellen wurden insgesamt 91 öffentliche Einrichtungen benannt, die über
alle Bezirke verteilt waren.
Von den Beschwerdeführern noch vor Beginn der Eintragungsfrist vorgetragene
Beanstandungen, die sich auf die Begrenzung der Auslegungszeiten und der
Auslegungsstellen sowie die fehlende Versendung von Benachrichtigungskarten an die
Stimmberechtigten bezogen, wies die Senatsverwaltung für Inneres zurück.
Am 28. Juli 1999 stellte der Landesabstimmungsleiter unter Bekanntgabe des
Gesamtergebnisses fest, dass das Volksbegehren nicht zustande gekommen sei, da die
nach der Verfassung von Berlin erforderliche Zustimmung eines Zehntels der
Stimmberechtigten nicht erreicht worden sei. Nach dieser im Amtsblatt von Berlin vom
6. August 1999 (S. 3031) bekanntgemachten Feststellung waren für das Volksbegehren
106.080 gültige Eintragungen erfolgt, was bei 2.415.364 Stimmberechtigten am letzten
Tag der Eintragungsfrist einer Quote von 4,4 % entsprach. Der Landesabstimmungsleiter
stellte zugleich fest, dass die für das Volksbegehren geltenden Vorschriften beachtet
worden seien. Mit dem am 6. September 1999 eingegangenen Einspruch greifen die
Beschwerdeführer ihre bereits im Vorfeld des Volksbegehrens vorgetragenen
Beanstandungen auf. Zur Begründung des Einspruchs tragen sie im wesentlichen vor:
Die Festlegung von nur 91 Auslegungsstellen, die - bezogen auf die Gesamtzahl der
Stimmberechtigten - einem Verhältnis von 26.543 Stimmberechtigten je
Auslegungsstelle entspreche, sei zu gering und werde weder den gesetzlichen Vorgaben
noch der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Volksgesetzgebungsverfahrens
gerecht. Das Gesetz über Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid vom 19.
Juni 1997 (GVBl. S. 304) - VInG - sehe hinsichtlich der Bestimmung der
Auslegungsstellen und -zeiten ausdrücklich vor, dass jeder Stimmberechtigte
ausreichend Gelegenheit haben müsse, sich an dem Volksbegehren zu beteiligen; die
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ausreichend Gelegenheit haben müsse, sich an dem Volksbegehren zu beteiligen; die
Auslegung dieser Vorschrift müsse sich an den verfassungsrechtlichen Vorgaben
orientieren. Danach sei das Volksbegehren ein dem parlamentarischen Verfahren
gleichwertiges Verfahren der Gesetzgebung; ihm und der Möglichkeit der Beteiligung
daran komme allerhöchste Priorität zu, wie sie auch Bundestags- oder Landtagswahlen
genössen. Da das VInG, soweit es keine abschließenden Regelungen enthalte,
ausdrücklich auf die Bestimmungen des Landeswahlrechts verweise, seien die
Vorschriften der Landeswahlordnung über die Einteilung in Stimmbezirke auf das
Eintragungsverfahren entsprechend anzuwenden. Auch wenn man die Zahl von ca.
2.800 Wahllokalen bei Bundestags- oder Abgeordnetenhauswahlen angesichts der Dauer
der Eintragungsfrist für ein Volksbegehren als zu hoch ansehe, wären zumindest 300
Auslegungsstellen (entsprechend einem Verhältnis von 8.100 Stimmberechtigten je
Auslegungsstelle) erforderlich gewesen. Die dagegen angeführten finanziellen
Erwägungen seien nicht geeignet, eine Einschränkung des verfassungsrechtlich
garantierten Rechts auf Teilnahme an der Volksgesetzgebung zu rechtfertigen. Wenn -
wie vorliegend - eintragungsbereite Personen wegen der Anzahl und Lage der
Auslegungsstellen im Einzelfall (z.B. in Reinickendorf und Köpenick) bis zu 10 km zur
nächstgelegenen Auslegungsstelle hätten zurücklegen müssen und Auslegungsstellen
teilweise kaum zu finden gewesen seien, habe keine ausreichende Gelegenheit zur
Teilnahme am Volksbegehren bestanden.
Die vorhandenen Auslegungsstellen seien zudem nicht gleichmäßig - entsprechend der
Größe und Einwohnerzahl - auf die Bezirke verteilt gewesen. So sei in Charlottenburg
eine Auslegungsstelle auf ca. 41.000 stimmberechtigte Einwohner entfallen, in Mitte
dagegen auf nur 18.500. Gerade die bevölkerungsreichen und großen Bezirke seien mit
unterdurchschnittlich wenig Auslegungsstellen ausgestattet gewesen. Dies habe sich
auch im Ergebnis des Volksbegehrens niedergeschlagen, da in diesen Bezirken wie
Spandau, Neukölln und Reinickendorf unterdurchschnittlich wenig Eintragungen erfolgt
seien. Mit der Einrichtung von nur drei Auslegungsstellen in Charlottenburg und Mitte
sowie zwei Stellen in Tiergarten, die mit Ausnahme der Rathäuser gerade nicht zentral
gelegen seien, sei darüber hinaus auch der immer wieder betonte Vorteil, nicht nur am
Wohnort, sondern "beispielsweise beim Einkauf in der City" abstimmen zu können,
konterkariert worden. Die Dauer der Auslegungszeit sei nicht geeignet, die geringe Zahl
der Auslegungsstellen zu kompensieren; sie sei von der Verfassung selbst vorgegeben
und beruhe auf der im Vergleich zu Wahlen geringeren Motivation der Bevölkerung zur
Teilnahme. Außerdem hätten die für die Bestimmung der Auslegungsstellen zuständigen
Bezirksabstimmungsleiter hinsichtlich der Zahl der Auslegungsstellen keine eigene
Ermessensentscheidung getroffen, sondern Vorgaben der Senatsverwaltung für Inneres
übernommen.
Die vom Landesabstimmungsleiter bestimmten Tage und Zeiten, an denen die
Eintragungen vorgenommen werden konnten, seien ebenfalls nicht ausreichend
gewesen. Die Zeiten seien so festgelegt worden, dass sie zu 75 % in die Arbeitszeit
fielen. Sie hätten zwar den gesetzlichen Mindestvorgaben entsprochen, jedoch den
Berufstätigen eine Teilnahme am Volksbegehren sehr erschwert. Angesichts der
üblichen Arbeitszeiten wäre es erforderlich gewesen, die Auslegungszeiten montags,
mittwochs und freitags bis mindestens 17 Uhr, dienstags und donnerstags bis
mindestens 20 Uhr, samstags bis mindestens 16 Uhr und sonntags bis mindestens 18
Uhr auszudehnen. Die Eintragungsfrist sei zudem durch die Herausnahme der beiden
gesetzlichen Feiertage unnötig eingeschränkt worden. Als Ersatz hätte das Wochenende
am 12. und 13. Juni 1999 zusätzlich zur Auslegung bestimmt werden können.
Insbesondere der 13. Juni 1999 hätte wegen der an diesem Tag durchgeführten Wahl
zum Europäischen Parlament mit den dabei zur Verfügung stehenden Wahllokalen ohne
zusätzlichen organisatorischen und personellen Aufwand auch für die Eintragung zum
Volksbegehren genutzt werden können. Das Verbot von Unterschriftensammlungen im
Zusammenhang mit Wahlen stehe dem nicht entgegen, da das Volksbegehren keine
Unterschriftensammlung im Sinne des Bundeswahlgesetzes sei. Die erstmalige
Wochenendöffnung der Auslegungsstellen drei Wochen nach Beginn des Volksbegehrens
werde den gesetzlichen Vorgaben ebenfalls nicht gerecht. Statt dieses schon in der
Urlaubszeit liegenden Wochenendes hätte ohne Schwierigkeiten das erste Wochenende
nach Beginn des Volksbegehrens bestimmt werden können.
Nicht ausreichend sei auch die Form der Bekanntmachung allein im Amtsblatt von
Berlin. Sie entspreche zwar § 18 VInG; ergänzend sei jedoch die Bestimmung der
Landeswahlordnung über die Benachrichtigung der Wahlberechtigten heranzuziehen.
Danach hätte jedem Stimmberechtigten eine schriftliche Benachrichtigung über die
Eintragungsfrist und die Anschrift der nächstgelegenen Auslegungsstelle übersandt
werden müssen. Dabei hätte auch auf die Möglichkeit der Abstimmung mittels
Eintragungsscheins - entsprechend der Briefwahl - hingewiesen werden können; diese
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Eintragungsscheins - entsprechend der Briefwahl - hingewiesen werden können; diese
Möglichkeit sei nicht einmal in der amtlichen Bekanntmachung erwähnt worden. Darüber
hinaus wäre es erforderlich gewesen, spätestens eine Woche vor Beginn des
Volksbegehrens durch Plakatanschlag auf die Eintragungsfrist sowie die
Auslegungsstellen und -zeiten hinzuweisen und die Auslegungsstellen innerhalb wie
außerhalb der Gebäude für die Stimmberechtigten kenntlich zu machen. Bis auf
vereinzelte Ausnahmen sei keine Kennzeichnung von außen erfolgt; dadurch sei das
Auffinden der ohnehin teilweise schlecht zugänglichen Auslegungsstellen zusätzlich
erschwert worden.
Über diese allgemeinen Verfahrensfehler hinaus sei das Eintragungsverfahren nicht
überall entsprechend der amtlichen Bekanntmachung durchgeführt worden. So seien in
Spandau und Steglitz Auslegungsstellen ohne entsprechenden Hinweis ausgewechselt
worden; die Öffnungszeiten seien teilweise nicht eingehalten worden, so dass
eintragungsbereite Personen ihre Unterschrift nicht hätten abgeben können. In
einzelnen Fällen, u.a. in Zehlendorf, seien die zur Eintragung vorgesehenen
Unterschriftsbögen nicht in ausreichender Zahl vorhanden gewesen. Den Insassen der
Berliner Justizvollzugsanstalten habe nur eine verkürzte Eintragungsfrist von etwa einem
Monat zur Verfügung gestanden.
Die Beschwerdeführer beantragen,
1. die im Amtsblatt für Berlin vom 6. August 1999 veröffentlichte Entscheidung des
Landesabstimmungsleiters,
a) dass die für das Volksbegehren geltenden Vorschriften beachtet worden sind,
b) dass das Volksbegehren nicht zustande gekommen ist,
aufzuheben und
2. anzuordnen, das Volksbegehren zu wiederholen.
Von der den Beteiligten eingeräumten Gelegenheit zur Stellungnahme haben die
Senatsverwaltung für Inneres, zugleich im Namen des Landesabstimmungsleiters, die
Senatsverwaltung für Justiz und die Bezirksabstimmungsleiter aller Bezirke mit
Ausnahme von Kreuzberg und Tempelhof Gebrauch gemacht.
Der Landesabstimmungsleiter und die Senatsverwaltung für Inneres beantragen,
den Einspruch zurückzuweisen.
Sie sind der Ansicht, die zuständigen Bezirksabstimmungsleiter hätten von ihrem
Entscheidungsspielraum in rechtlich einwandfreier Weise Gebrauch gemacht. Auch im
übrigen seien die gesetzlichen Regelungen beachtet worden. Innerhalb der ausdrücklich
geregelten Mindestvorgaben liege die Bestimmung der Auslegungszeiten im Ermessen
des Landesabstimmungsleiters, das gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar sei. Ein
Ermessensfehler sei insoweit nicht zu erkennen. Auch Berufstätigen sei ausreichend
Gelegenheit gegeben worden, am Volksbegehren teilzunehmen. Dies gelte um so mehr,
als jeder Stimmberechtigte jede Auslegungsstelle zur Eintragung habe nutzen können.
Sachgerecht sei es auch gewesen, die beiden gesetzlichen Feiertage auszusparen, da
diese erfahrungsgemäß von vielen Berlinern für einen Kurzurlaub genutzt würden. Eine
Pflicht zur Öffnung an allen Wochenenden und Feiertagen bestehe nach dem Gesetz
nicht. Auf eine Verbindung des Volksbegehrens mit der Wahl zum Europäischen
Parlament sei bewusst verzichtet worden; da das Europawahlgesetz in Verbindung mit
dem Bundeswahlgesetz jede Unterschriftensammlung in unmittelbarem
Zusammenhang mit der Wahlhandlung verbiete.
Die amtliche Bekanntmachung des Volksbegehrens habe den gesetzlichen Vorschriften
entsprochen und sei ausreichend gewesen. Eine schriftliche Benachrichtigung der
Stimmberechtigten sei nach der Abstimmungsordnung ausdrücklich nur beim
Volksentscheid, nicht aber beim Volksbegehren vorgesehen. Für eine entsprechende
Anwendung der Regelungen des Landeswahlrechts über die Benachrichtigung der
Wahlberechtigten sei daher kein Raum. Anders als bei Wahl und Volksentscheid handele
es sich bei einem Volksbegehren um eine in der Form der Unterschrift an amtlicher
Stelle zum Ausdruck gebrachte Unterstützung eines Anliegens, bei dem die Information
der Stimmberechtigten in erster Linie Aufgabe des Trägers des Volksbegehrens sei. Die
Behörden seien insoweit zur Neutralität verpflichtet. Hinweise auf die Möglichkeit der
Eintragung mittels Eintragungsscheins seien gesetzlich ebensowenig vorgesehen wie
eine Plakatierung eine Woche vor Beginn des Volksbegehrens.
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Die Senatsverwaltung für Justiz hat mitgeteilt, die Justizvollzugsanstalten des Landes
hätten nach Erhalt der erforderlichen Unterlagen Anfang Juni mit Aushängen und
Bekanntmachungen auf das Volksbegehren hingewiesen. Lediglich den Anstalten Moabit
und Plötzensee sei dies erst am 15. Juni möglich gewesen, da dort zunächst nicht
genügend Plakate zur Verfügung standen. Danach hätten alle Insassen jederzeit die
Möglichkeit gehabt, die entsprechenden Formblätter zur Übersendung des
Eintragungsscheins zu erhalten. Den durch die Medien informierten Gefangenen sei dies
auch schon zuvor durch schriftlichen Antrag an das Bezirksamt möglich gewesen. Auf
die Aushänge und Bekanntmachungen habe es jedoch nur wenig Resonanz gegeben.
Die Bezirkswahlleiter haben in ihren Stellungnahmen im einzelnen erläutert, welche
Überlegungen für die Bestimmung der Auslegungsstellen jeweils maßgeblich waren.
Der Verfassungsgerichtshof hat gemäß § 24 Abs. 1 VerfGHG einstimmig auf die
Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
II.
Der Einspruch ist gemäß § 41 Abs. 1 und 2 VInG i.V.m. § 14 Nr. 7, § 55 Abs. 1 VInG
zulässig. Der Antrag zu 2, die Wiederholung des Volksbegehrens anzuordnen, ist im
Rahmen des vorliegenden Verfahrens allerdings nicht statthaft. Denn nach § 55 Abs. 2
VerfGHG kann der Verfassungsgerichtshof im Einspruchsverfahren lediglich auf
Zurückweisung des Einspruchs oder auf Aufhebung der angegriffenen Entscheidung
erkennen.
Der Einspruch ist jedoch unbegründet. Die von den Beschwerdeführern erhobenen
Beanstandungen rechtfertigen die Aufhebung der angegriffenen Entscheidung nicht.
Bei dem Einspruchsverfahren nach § 41 VInG handelt es sich, wie der
Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Beschluss vom 2. Juni 1999 - VerfGH 31 A/99,
31/99 -(DVBl. 1999, S. 979 <980> festgestellt hat, um ein Verfahren der objektiven
Rechtskontrolle, das dem Wahlprüfungsverfahren ähnlich ist. Gegenstand der rechtlichen
Beurteilung im Einspruchsverfahren ist ebenso wie im Wahlprüfungsverfahren nicht die
Verletzung subjektiver Rechte, sondern die objektive Gültigkeit des festgestellten
Abstimmungsergebnisses unter Berücksichtigung der Einhaltung der für das
Volksbegehren geltenden Vorschriften. Vorrangiger Prüfungsmaßstab ist mithin, ob die
für die Durchführung des Volksbegehrens geltenden Verfahrensvorschriften beachtet
worden sind, wobei diese inzident, soweit dazu Veranlassung besteht, auch auf ihre
Vereinbarkeit mit der Verfassung von Berlin zu überprüfen sind. Dabei kann der
Einspruch nur dann Erfolg haben, wenn sich etwaige Verfahrensverstöße auf das
festgestellte Abstimmungsergebnis ausgewirkt haben können. Der für das
Wahlprüfungsverfahren geltende Maßstab, dass dafür eine nur theoretische Möglichkeit
nicht ausreicht, diese vielmehr nach der allgemeinen Lebenserfahrung konkret und nicht
ganz fernliegend sein muss (vgl. BVerfGE 89, 243 <254>), gilt hier ebenfalls.
Nach Art. 2 Satz 1 VvB ist Träger der öffentlichen Gewalt die Gesamtheit der Deutschen,
die in Berlin ihren Wohnsitz haben. Sie üben nach der Verfassung ihren Willen
unmittelbar durch Wahl zu der Volksvertretung und durch Abstimmung, mittelbar durch
die Volksvertretung aus (Art. 2 Satz 2 VvB). Im Wege der Willensbildung unmittelbar
durch das Volk können nach Art. 59 Abs. 2 VvB Gesetzesvorlagen nicht nur aus der Mitte
des Abgeordnetenhauses oder durch den Senat, sondern auch im Wege des
Volksbegehrens eingebracht werden. In Art. 62 und 63 VvB sind die Voraussetzungen
und Grenzen einer derartigen unmittelbaren Gesetzesinitiative, die in der Regel mit
einem Volksentscheid abgeschlossen wird, geregelt; das Nähere ist der
einfachgesetzlichen Ausgestaltung überlassen (vgl. Art. 63 Abs. 5 VvB).
Diese Entscheidung der Verfassung für eine Volksgesetzgebung neben den
Gesetzgebungsakten des Parlaments (Art. 60 Abs. 1 VvB) ist bei der Ausgestaltung des
Abstimmungsverfahrens zu berücksichtigen; die Auslegung und Anwendung der insoweit
einfachgesetzlich erlassenen Vorschriften muss der Bedeutung der verfassungsrechtlich
eingeräumten politischen Handlungsmöglichkeiten der stimmberechtigten Staatsbürger
gerecht werden. Die Durchführung des Volksbegehrens wie eines anschließenden
Volksentscheids liegt grundsätzlich in der Hand des Staates. Dieser muss einem -
zulässigen (vgl. Art. 62 Abs. 1 und 5 VvB) - Volksbegehren seinen Verwaltungsapparat
zur Durchführung des Abstimmungsverfahrens zur Verfügung stellen. Unter
Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben und Anforderungen muss dabei
sichergestellt sein, dass das Verfassungsinstitut der Volksgesetzgebung auch praktisch
erfolgreich Anwendung finden kann; dies schließt unbillige Erschwerungen der
Eintragungsmöglichkeiten durch die zuständigen Behörden von Rechts wegen aus (vgl.
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Eintragungsmöglichkeiten durch die zuständigen Behörden von Rechts wegen aus (vgl.
HessStGH, Urteil vom 3. Juni 1968 - P.St.486 - ESVGH 19, 1 <4>; VerfGH Nordrhein-
Westfalen, Urteil vom 26. April 1975 - VerfGH 8/74 -OVGE 30, 288 <292>).
Aus der verfassungsrechtlichen Verankerung des Volksgesetzgebungsverfahrens lässt
sich jedoch - entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer - nicht schließen, dass dem
Abstimmungsverfahren damit "allerhöchste Priorität", vergleichbar mit Bundestags- oder
Abgeordnetenhauswahlen, zukomme. Wahlen und Abstimmungen ist zwar gemeinsam,
dass beide als Form der Willenskundgabe durch das Volk in der Verfassung vorgesehen
sind. Gleichwohl bestehen zwischen beiden Formen der unmittelbaren Ausübung des
Volkswillens erhebliche Unterschiede. Bei den Wahlen zur Volksvertretung handelt es
sich, da in der Demokratie alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht (Art. 2 Abs. 1 VvB), um
einen den Staat konstituierenden Grundakt. Die periodisch wiederkehrende Volkswahl
des Parlaments ist eine verfassungsrechtliche Notwendigkeit in der Demokratie, weil sie
den Staatsorganen die für die Ausübung der Staatsgewalt erforderliche demokratische
Legitimation vermittelt (vgl. BVerfGE 13, 54 <92>). Bei Volksbegehren und
Volksentscheid handelt es sich dagegen nicht um einen derartigen konstituierenden
Grundakt , sondern um einen Akt der Gesetzgebung, entsprechend der Gesetzgebung
des Parlaments. Gegenstand des Volksgesetzgebungsverfahrens ist nicht die
Übertragung von Herrschaft auf Zeit, sondern die Abstimmung über eine bestimmte
Sachfrage (hier: die Rechtschreibreform). Einer solchen Abstimmung kommt in der
Demokratie nicht annähernd die gleiche Bedeutung zu wie den Wahlen zu den
Volksvertretungen (vgl. BayVerfGH, Entscheidung vom 19. Januar 1994 - Vf. 89-III- 92,
92-III-92 - VerfGHE 47, 1 <13 f.>).
Bei Anlegung dieser Maßstäbe ist das im vorliegenden Fall durchgeführte
Abstimmungsverfahren im Ergebnis nicht zu bestanden.
Nach § 21 Abs. 2 Satz 1 VInG sind die Auslegungsstellen und Auslegungszeiten für die
bei Zustimmung zum Volksbegehren zu verwendenden Unterschriftsbögen so zu
bestimmen, dass jeder Stimmberechtigte ausreichend Gelegenheit hat, sich an dem
Volksbegehren zu beteiligen. Adressaten dieser Vorschrift sind gemäß § 21 Abs. 1 VInG
hinsichtlich der Auslegungszeiten der Landesabstimmungsleiter, hinsichtlich der
Auslegungsstellen die Bezirksabstimmungsleiter. Sie haben bei der Beurteilung, wann
die Gelegenheit zur Beteiligung "ausreichend" ist, einen gerichtlich nur eingeschränkt
überprüfbaren Beurteilungsspielraum. Dies ergibt sich für die Bezirksabstimmungsleiter
schon daraus, dass mangels konkreter rechtlicher Maßstäbe nicht genau zu bemessen
ist, bei welcher Anzahl von Auslegungsstellen die gesetzliche Vorgabe erfüllt ist. Es wäre
nicht sachgerecht, insoweit die richterliche Überzeugung völlig an die Stelle der von den
Bezirksabstimmungsleitern getroffenen Entscheidungen treten zu lassen. Der in der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu berufsbezogenen Prüfungen
(BVerfGE 84, 34 <49>) und zur Zulassung privater Grundschulen (BVerfGE 88, 40
<45>) aus Art. 19 Abs. 4 GG entwickelte Grundsatz vollständiger gerichtlicher Kontrolle
von Verwaltungsentscheidungen kann im vorliegenden Zusammenhang keine Geltung
beanspruchen, weil Art. 19 Abs. 4 GG im Rahmen des Einspruchsverfahrens nach § 41
VInG als eines Verfahrens der objektiven Rechtskontrolle keine Anwendung findet (vgl.
Urteil des Verfassungsgerichtshofs vom 2. Juni 1999, a.a.0.).
Für die dem Landesabstimmungsleiter zugewiesene Bestimmung der Auslegungszeiten
gilt nichts anderes. Zwar konkretisiert § 21 Abs. 2 Satz 2 VInG den unbestimmten
Rechtsbegriff "ausreichend" insoweit durch Mindestvorgaben, wonach die
Auslegungszeiten sich an zwei Tagen in der Woche mindestens bis 18 Uhr erstrecken
und vorher zu bestimmende Sonnabende, Sonntage oder gesetzliche Feiertage
umfassen müssen. Die in diesem Rahmen notwendigerweise zu treffende Auswahl kann
jedoch ebenfalls nur einer verfassungsgerichtlichen Vertretbarkeitskontrolle unterzogen
werden. Die Anerkennung eines eigenständigen Beurteilungsspielraums innerhalb der
gesetzlichen Mindestvorgaben, dessen Ausfüllung der Verfassungsgerichtshof nur auf
die Vertretbarkeit der dafür maßgeblichen Erwägungen hin überprüfen kann, entspricht
dem Gebot wechselseitiger Rücksichtnahme der Träger verfassungsrechtlicher
Kompetenzzuweisungen bei der Ausübung ihrer Kompetenzen.
Die vom Landesabstimmungsleiter bestimmten Auslegungszeiten halten sich im
Rahmen der gesetzlichen Mindestvorgaben. Dass damit keine ausreichende Gelegenheit
zur Eintragung - insbesondere für die von den Beschwerdeführern angeführte Gruppe
der Berufstätigen - gewährleistet gewesen sei, lässt sich nicht feststellen. Wer die
verlängerten Öffnungszeiten am Dienstag- und Donnerstagabend nicht nutzen konnte,
hatte an vier Wochenenden, d. h. insgesamt an acht Sonnabenden und Sonntagen,
zwischen 10 und 16 Uhr Gelegenheit, sich an dem Volksbegehren zu beteiligen. Eine
darüber hinausgehende Öffnung der Auslegungsstellen, vor allem in den Abendstunden,
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darüber hinausgehende Öffnung der Auslegungsstellen, vor allem in den Abendstunden,
mag zwar wünschenswert gewesen sein; eine Verpflichtung hierzu bestand jedoch nicht.
Der Landesabstimmungsleiter durfte bei seiner Entscheidung den mit verlängerten
Öffnungszeiten verbundenen Personaleinsatz mit berücksichtigen und auch finanzielle
Erwägungen einbeziehen. In Anbetracht dessen kann seine Entscheidung nicht als
unvertretbar angesehen werden.
Dies gilt auch für die von den Beschwerdeführern beanstandete Herausnahme der
gesetzlichen Feiertage Christi Himmelfahrt und Pfingstmontag. Aus § 21 Abs. 2 Satz 2
VInG ergibt sich, dass der Gesetzgeber bewusst davon abgesehen hat, eine Öffnung an
allen Wochenenden und gesetzlichen Feiertagen vorzuschreiben. Auch ein Ausgleich
durch zusätzliche Öffnung der Auslegungsstellen an einem weiteren Wochenende war
deshalb nicht zwingend geboten. Die vom Landesabstimmungsleiter angeführte
Erwägung, dass sich an den genannten Feiertagen, die zu verlängerten Wochenenden
genutzt werden können, erfahrungsgemäß viele Stimmberechtigte nicht in Berlin
aufhalten, kann durchaus als sachgerecht angesehen werden. Inwieweit eine Öffnung der
Auslegungsstellen am Sonntag, dem 13. Juni 1999, im Zusammenhang mit der Wahl
zum Europäischen Parlament, zulässig gewesen wäre, bedarf hier keiner Entscheidung. §
32 Abs. 1 BWahlG i.V.m. § 4 des Europawahlgesetzes verbietet jede
Unterschriftensammlung während der Wahlzeit im Bereich der Wahllokale. Auch wenn
man die Beteiligung an einem Volksbegehren durch Eintragung in Unterschriftsbögen
angesichts des amtlichen Charakters dieses Vorgangs als nicht vom
Anwendungsbereich jener Vorschriften erfasst ansieht, besteht jedenfalls keine
Verpflichtung des Landesabstimmungsleiters, durch Anpassung der Auslegungszeiten
an den Tag und die Zeit einer zufällig während der Eintragungsfrist stattfindenden Wahl
die Beteiligung an einem anderen Zwecken dienenden Volksbegehren zu fördern.
Auch der Umstand, dass die Auslegungsstellen erstmals drei Wochen nach Beginn des
Volksbegehrens an einem Wochenende geöffnet waren, lässt keinen Verfahrensfehler
erkennen. Wenn - wie vorliegend - eine Öffnung an allen Wochenenden gesetzlich nicht
vorgeschrieben ist, muss die Festlegung der Wochenenden letztlich, soweit insgesamt
ausreichend Gelegenheit zur Eintragung gewährleistet ist, der Auswahl des
Landesabstimmungsleiters überlassen bleiben. Die von ihm getroffene Entscheidung
kann, da eine unbillige Erschwerung der Beteiligung an dem Volksbegehren insoweit
nicht ersichtlich ist, nicht als unvertretbar angesehen werden.
Die Bestimmung der Auslegungsstellen durch die Bezirksabstimmungsleiter ist
verfassungsgerichtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Nicht zu folgen ist insoweit der
Auffassung der Beschwerdeführer, dass die Bestimmungen der Landeswahlordnung über
die Stimmbezirke und Wahllokale (§§ 10, 12 LWahlO) entsprechende Anwendung auf das
Volksbegehren finden müssten. § 43 VInG sieht eine entsprechende Anwendung von
Bestimmungen des Landeswahlrechts nur vor, "soweit sich aus diesem Gesetz nichts
anderes ergibt". § 21 Abs. 2 Satz 1 VInG, der hinsichtlich der Auslegungsstellen auf eine
ausreichende Gelegenheit zur Beteiligung an dem Volksbegehren abstellt, ist als eine
derartige andere Regelung zu verstehen. Dies entspricht im Hinblick auf die dargelegten
Unterschiede zwischen Wahlen und Abstimmungen im Rahmen des
Volksgesetzgebungsverfahrens der gebotenen engen Auslegung der
generalklauselartigen Verweisung in § 43 VInG. Insbesondere das Volksbegehren weist
gegenüber den Wahlen zur Volksvertretung erhebliche Besonderheiten auf. So sind
Eintragungen nicht wie bei Wahlen auf einen Wahltag beschränkt, sondern können
innerhalb einer Eintragungsfrist von zwei Monaten erfolgen (Art. 62 Abs. 4 VvB, § 18 Abs.
2 VInG). Anders als bei Wahlen, bei denen die Wahlberechtigten ihre Stimme
grundsätzlich nur in ihrem Stimmbezirk abgeben können, darf bei Volksbegehren gemäß
§ 22 Abs. 2 Satz 2 VInG jeder Stimmberechtigte die Eintragung in jeder der
eingerichteten Auslegungsstellen vornehmen. Im Hinblick auf diese unterschiedlichen
gesetzlichen Regelungen für Wahlen und Volksbegehren erscheint es gerechtfertigt,
nicht während der gesamten Eintragungszeit wahlähnliche Bedingungen
aufrechtzuerhalten. Dass in § 5 der Abstimmungsordnung die Vorschriften der
Landeswahlordnung über die Stimmbezirke lediglich bei der Durchführung des
Volksentscheides für entsprechend anwendbar erklärt werden, begegnet insoweit keinen
verfassungsrechtlichen Bedenken. Denn anders als beim Volksbegehren bestehen beim
Volksentscheid mit Blick auf die Abstimmungsmodalitäten deutliche Parallelen zum
Wahlverfahren.
Aus der Pflicht, die Auslegungsstellen so zu bestimmen, dass jeder Stimmberechtigte
ausreichend Gelegenheit hat, sich an dem Volksbegehren zu beteiligen, folgt entgegen
der Auffassung der Beschwerdeführer nicht, dass eine möglichst gleichmäßige
Verteilung der Zahl dieser Stellen auf die einzelnen Bezirke gewährleistet sein muss.
Dagegen spricht schon, dass der Gesetzgeber in § 21 Abs. 1 VInG nur eine einheitliche
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Dagegen spricht schon, dass der Gesetzgeber in § 21 Abs. 1 VInG nur eine einheitliche
Bestimmung der Auslegungszeiten durch den Landesabstimmungsleiter vorgesehen,
die Bestimmung der Auslegungsstellen einschließlich ihrer Zahl dagegen den
Bezirksabstimmungsleitern zugewiesen hat, obwohl nach § 22 Abs. 2 Satz 2 VInG jede
stimmberechtigte Person in einer Auslegungsstelle ihrer Wahl die Eintragung vornehmen
kann. Als Maßstab einer gleichmäßigen Verteilung käme zudem nur die
Bevölkerungsstärke der jeweiligen Bezirke oder deren flächenmäßige Ausdehnung in
Betracht. Da Eintragungen jedoch nicht wohnortabhängig vorgenommen werden
müssen, sondern bezirksübergreifend in jeder der eingerichteten Auslegungsstellen
vorgenommen werden können, ließen sich Berechnungen nach beiden Maßstäben nicht
auf die einzelnen Bezirke begrenzen, sondern müssten auch das von den beruflichen
Bindungen und dem Freizeitverhalten beeinflusste, bezirksübergreifende
Präferenzverhalten der Stimmberechtigten in einer mobilen Stadtgesellschaft
einbeziehen. Nachvollziehbare und gerichtlich verwertbare Erkenntnisse hierzu, die die
Bezirksabstimmungsleiter unvertretbar außer Acht gelassen hätten, sind im Verfahren
jedoch nicht vorgelegt worden. Dass nicht alle zur Abstimmung aufgerufenen Bürger so
mobil sind, dass sie ihre Stimme bevorzugt in der Nähe ihrer Arbeitsstelle oder ihrer
Einkaufs- oder Freizeitstätte abgeben, heißt noch nicht, dass die sich den entsprechend
mobilen Bürgern bietenden zusätzlichen Gelegenheiten zur Beteiligung an dem
Volksbegehren bei der Bestimmung der Auslegungsstellen außer Betracht bleiben
müssten. Die Verhältnisse von Flächenstaaten lassen sich insoweit nicht auf die Berliner
Verhältnisse übertragen.
Entsprechendes gilt für die Bedenken der Beschwerdeführer gegen die Bestimmung der
Gesamtzahl der Auslegungsstellen. Diese bewegt sich in der Größenordnung, die in der
bisherigen Rechtsprechung für Volksbegehren in anderen Großstädten als ausreichend
angesehen wurde (vgl. HessStGH, ESVGH 19, 1 <5>; HambOVG, Beschluss vom 26.
Februar 1998 - 3 Bs 63/98 -). Dass der Berliner Gesetzgeber ausweislich der
Gesetzesmaterialien der Bürgernähe besonderes Gewicht beimessen wollte (vgl.
Amtliche Begründung zum VInG, AbgDrs. 13/709, S. 6; Abg. Gram, Plenarprotokoll
13/29, S. 2228), ist kein Gesichtspunkt, aus dem sich mit den Mitteln einer
nachvollziehbaren Gesetzesauslegung die gerichtliche Bestimmung einer Mindestzahl
von mehr als 91 Auslegungsstellen herleiten ließe. Ebensowenig nachvollziehbar zu
rechtfertigen wäre eine solche gerichtliche Bestimmung dadurch, dass sie sich - aus
rechtlicher Sicht zufällig - an den Entscheidungen der Bezirksabstimmungsleiter von
Mitte, Weißensee, Pankow und Wilmersdorf orientiert, die ein im Vergleich eher günstiges
Verhältnis von Auslegungsstellen und Zahl der stimmberechtigten Einwohner ergeben
haben. Die Zuweisung der Entscheidung über die Zahl der Auslegungsstellen an die
Bezirksabstimmungsleiter schließt deren Recht ein, die örtlichen Gegebenheiten auch
insoweit unterschiedlich zu bewerten.
Erst recht lässt sich dem Gesetz keine Verpflichtung der Bezirksabstimmungsleiter
entnehmen, ganz bestimmte Auslegungsstellen - etwa in Schulen oder Bibliotheken -
einzurichten. Auch insoweit haben sie einen Beurteilungsspielraum, bei dessen
Ausfüllung sie auch die vorhandene Personalsituation berücksichtigen können. Die
vorliegend im einzelnen bestimmten Auslegungsstellen waren jedenfalls nicht von
vornherein ungeeignet. Aus den eingereichten Stellungnahmen der
Bezirksabstimmungsleiter ergeben sich keine Anhaltspunkte für sachfremde
Gesichtspunkte bei der Auswahl der Gebäude; diese waren den Stellungnahmen zufolge
auch jeweils von außen gut erkennbar gekennzeichnet. Die Beschwerdeführer sind dem
nicht substantiiert entgegengetreten. Ihr Hinweis, dass einzelne Auslegungsstellen fern
jedes Passantenverkehrs gelegen seien, kann keinen Verfahrensfehler begründen. Denn
die Einrichtung der Auslegungsstellen muss sich nicht danach ausrichten, ob auch
zufälligerweise vorbeikommende Personen zur Eintragung veranlasst werden; es reicht
aus, dass eintragungsbereite Personen, die sich bewusst an dem Volksbegehren
beteiligen wollen, die Auslegungsstellen ohne größere Schwierigkeit finden können.
Die Bekanntmachung des Volksbegehrens im Amtsblatt für Berlin entsprach den
Anforderungen des § 18 Abs. 1 VInG. Eine ausdrückliche Benachrichtigung der
Stimmberechtigten über die Auslegungsstellen und Auslegungszeiten ist danach nicht
vorgesehen. Die insoweit für Wahlen geltende Vorschrift des § 15 LWahlO wird gemäß §§
43, 44 Abs. 1 Nr. 3 VInG in § 6 der Abstimmungsordnung nur für den Volksentscheid für
entsprechend anwendbar erklärt. Weitergehende Anforderungen, insbesondere eine
Versendung von Benachrichtigungskarten an alle Stimmberechtigten, sind auch aus
verfassungsrechtlicher Sicht nicht geboten. Die vorherige Versendung von
Benachrichtigungskarten bei Wahlen zielt im Hinblick auf die Bedeutung der Wahlen als
eines den Staat konstituierenden Grundakts auf eine möglichst umfassende
Unterrichtung der Wahlbeteiligten durch den Staat mit dem Ziel einer hohen
Wahlbeteiligung ab. Eine derartige Inanspruchnahme des Staates zur Aktivierung der
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Wahlbeteiligung ab. Eine derartige Inanspruchnahme des Staates zur Aktivierung der
Stimmberechtigten erscheint bei einem Volksbegehren, dem - wie dargelegt - nicht
annähernd die gleiche Bedeutung zukommt, nicht erforderlich. Die Werbung für das zur
Abstimmung anstehende Sachbegehren ist in erster Linie Sache des Trägers des
Volksbegehrens, während der Staat insoweit zur Neutralität verpflichtet ist. Außerdem
können auch von den Stimmberechtigten selbst gewisse Anstrengungen erwartet
werden; denn wenn das Volk im Rahmen einer unmittelbaren demokratischen
Willensbildung selbst gesetzesinitiativ tätig werden will, setzt dies notwendigerweise die
Bereitschaft voraus, sich mit dem betreffenden Sachbegehren und den Möglichkeiten,
seine Unterstützung dafür zum Ausdruck zu bringen, vertraut zu machen (vgl.
HessStGH, ESVGH 19, 1 <5>; VerfGH Nordrhein-Westfalen, OVGE 30, 288 <292>). Aus
denselben Gründen muss auch auf die Möglichkeit der Eintragung mittels
Eintragungsscheins (vgl. § 23 VInG) in der öffentlichen Bekanntmachung des
Volksbegehrens nach § 18 Abs. 1 VInG nicht hingewiesen werden.
Soweit die Beschwerdeführer darüber hinaus rügen, dass die bekannt gemachten
Abstimmungsmodalitäten teilweise nicht eingehalten worden seien und den Insassen der
Berliner Justizvollzugsanstalten nur eine etwa einmonatige Eintragungsfrist zur
Verfügung gestanden habe, mögen insoweit zwar Verfahrensfehler vorliegen. Denn zur
ordnungsgemäßen Durchführung des Volksbegehrens gehört selbstverständlich auch,
dass genügend Unterschriftsbögen für eintragungsbereite Bürger zur Verfügung stehen,
dass die Auslegungszeiten vollständig eingehalten werden und dass alle
Stimmberechtigten die volle Eintragungsfrist nutzen können. Die Angaben der
Beschwerdeführer lassen allerdings mit Ausnahme der Nennung eines einzigen
konkreten Falles nicht erkennen, wann und wie häufig in Auslegestellen Öffnungszeiten
nicht beachtet worden sein sohlen. Im übrigen sprechen sie nur unkonkret von einer
"nicht unerheblichen Zahl" und "zahlreichen Fällen". Auch für das Fehlen von
Unterschriftsbögen wird nicht vorgetragen, dass dies in auch nur einem einzigen Fall zur
Verhinderung einer Unterschrift geführt hätte. Es erscheint daher ausgeschlossen, dass
sich derartige Unregelmäßigkeiten auf das Gesamtergebnis des Volksbegehrens
ausgewirkt haben bzw. hätten auswirken können. Nach der für diese Beurteilung
maßgeblichen allgemeinen Lebenserfahrung können durch die gerügten
Unregelmäßigkeiten in den einzelnen von den Beschwerdeführern insoweit angeführten
Bezirken nur so wenige eintragungsbereite Personen von der Abgabe ihrer
Unterstützungsunterschrift abgehalten worden sein, dass bei einer festgestellten
Zustimmungsquote von 4,4 % (= 106.080 gültige Stimmen) das zum Zustandekommen
des Volksbegehrens erforderliche Quorum von 10 % (= 241.537 gültige Stimmen) auch
ohne jene Unregelmäßigkeiten nicht erreicht worden wäre. Dies gilt auch für die etwa
5.000 Insassen der Berliner Vollzugsanstalten. Selbst wenn man insoweit von einer
hypothetischen Zustimmungsquote von 100 % ausginge, kann angesichts des Fehlens
von über 135.000 Stimmen bis zum Erreichen des Quorums ein Einfluss auf das
Ergebnis - das Nichtzustandekommen des Volksbegehrens - ausgeschlossen werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 33 f. VerfGHG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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