Urteil des VerfGH Berlin vom 15.03.2017

VerfGH Berlin: beschlagnahme, durchsuchung, grundsatz der erforderlichkeit, berufliche tätigkeit, verfassungsbeschwerde, befragung von zeugen, berufsausübungsfreiheit, berufsfreiheit, grundrecht

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
100/00
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 12 Abs 1 S 1 GG, Art 17
Verf BE, § 90 Abs 2 S 1
BVerfGG, § 49 Abs 2 S 1 VGHG
BE, § 94 StPO
VerfGH Berlin: Keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen
Durchsuchung von Wohn- und Praxisräumen und Beschlagnahme
von Patientenakten wegen Verdachts der Ausstellung
unrichtiger ärztlicher Atteste - Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
Gründe
I.
1. Die Beschwerdeführer sind als Ärzte - der Beschwerdeführer zu 1. als Arzt für
Neurologie und Psychiatrie, die Beschwerdeführerin zu 2. als Ärztin für Allgemeinmedizin
- in Berlin niedergelassen. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wenden sie sich gegen die
Durchsuchung ihrer Wohn- und Praxisräume sowie die Beschlagnahme von
Patientenakten im Rahmen eines gegen sie gerichteten Ermittlungsverfahrens.
Aufgrund von Angaben eines in den Ermittlungsakten namentlich nicht genannten
“Hinweisgebers" leitete die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Berlin im August
1999 ein Ermittlungsverfahren gegen die Beschwerdeführer wegen des Verdachts des
Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse und des Verstoßes gegen das
Ausländergesetz ein. Gegenstand des Verfahrens ist der Verdacht, die
Beschwerdeführer hätten Personen aus dem ehemaligen Jugoslawien unrichtige ärztliche
Atteste ausgestellt, die bei der Ausländerbehörde zur Verlängerung von Duldungen
eingereicht worden seien. Ein entsprechendes, aufgrund von Angaben eines ehemaligen
Patienten der Beschwerdeführer bereits Anfang 1997 eingeleitetes Ermittlungsverfahren
war zunächst eingestellt worden. Im Zuge der Ermittlungen wurden Ausländerakten,
Meldedateien und Kriminalakten ausgewertet, die sich auf Patienten der
Beschwerdeführer bezogen. Zugleich wurde die beim Polizeiärztlichen Dienst
beschäftigte klinische Psychologin, die im Auftrag des Landeseinwohneramtes in
zahlreichen Fällen mit der Zweitbegutachtung der vorgelegten, von den
Beschwerdeführern ausgestellten Atteste beauftragt war, zeugenschaftlich vernommen;
die beim Polizeiärztlichen Dienst vorhandenen Unterlagen über die Zweitgutachten
wurden im Rahmen einer richterlich angeordneten Durchsuchung sichergestellt.
Mit Beschluss vom 24. März 2000 - 349 Gs 1338/00 - ordnete das Amtsgericht
Tiergarten auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Durchsuchung der Wohn-, Geschäfts-
und Nebenräume der Beschwerdeführer an, da diese vermutlich zur Auffindung von
Beweismitteln, insbesondere der Patientenkartei und von Abrechnungsdaten, führen
werde. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Beschwerdeführer stünden in dem
Verdacht, mehrere Vergehen nach §§ 278, 25 Abs. 2, 52, 53 StGB, § 92 Abs. 2 Nr. 2
AuslG begangen zu haben. Ihnen werde vorgeworfen, seit etwa Januar 1997 bis
fortlaufend in mindestens 270 Fällen für Personen aus dem ehemaligen Jugoslawien
Atteste ausgestellt zu haben, in denen posttraumatische Belastungsstörungen, als
Folge traumatisierender Erlebnisse während des Krieges in Bosnien-Herzegowina
bescheinigt worden seien. Diese Atteste seien zur Vorlage bei der Ausländerbehörde
erstellt worden, um dort Verlängerungen bestehender Duldungen zu erreichen. Nach
dem derzeitigen Ermittlungsstand sei in mindestens 14 Fällen davon auszugehen, dass
das Attest in Kenntnis dessen, dass die attestierte Störung tatsächlich nicht vorliege,
ausgestellt worden sei.
Bei der noch am selben Tag vorgenommen Durchsuchung wurden in den Räumen der
Gemeinschaftspraxis u.a. 578 Patientenakten von der Polizei beschlagnahmt. Auf Antrag
der Staatsanwaltschaft bestätigte das Amtsgericht Tiergarten mit Beschluss vom 19.
April 2000 - 349 Gs 1704/00 - die Beschlagnahme gemäß § 98 Abs. 2 StPO richterlich,
weil die in der Anlage zum Beschluss im einzelnen aufgeführten Gegenstände als
Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein könnten.
Gegen den Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 24. März 2000
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Gegen den Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 24. März 2000
legten sowohl der Beschwerdeführer zu 1. als auch die Beschwerdeführerin zu 2.
Beschwerde ein. Sie machten geltend, die nicht ausreichend begründete
Durchsuchungsanordnung sei angesichts der Tatsache, dass sich die Ermittlungen auf
eine begrenzte Anzahl von Patienten bezogen hätten, unverhältnismäßig. Die
Durchsuchung sei weder zur Auffindung von Beweismitteln geeignet noch erforderlich
gewesen noch habe sie in einem angemessenen Verhältnis zur Stärke des Tatverdachts
gestanden, der sich nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis allein auf eine
Gegenüberstellung der von den Beschwerdeführern ausgestellten Atteste mit den
polizeiärztlichen Stellungnahmen gründe.
Das Landgericht Berlin verwarf die Beschwerden mit Beschluss vom 6. Juni 2000 - 528 Qs
21/00 - als unbegründet. Sie seien zwar zulässig, da trotz abgeschlossener
Durchsuchung ein fortwirkendes Rechtsschutzinteresse der Beschwerdeführer bestehe,
in der Sache jedoch unbegründet. Die Begründung des angefochtenen Beschlusses
genüge den notwendigen Anforderungen an einen Durchsuchungsbeschluss. Da sich die
Ermittlungen noch in einem frühen Stadium bewegten, sei eine über eine Mindestanzahl
hinausgehende Bezifferung sowie eine genaue Konkretisierung bislang bekannter
Verdachtsmomente nicht möglich. Dass die im Beschluss bezeichneten Unterlagen,
insbesondere die Patientenkartei und etwaige Abrechnungsdaten, für die weiteren
Ermittlungen von Bedeutung seien, liege angesichts der sich daraus ergebenden
Angaben über die Häufigkeit und Dauer der Behandlungen, der erstellten Diagnosen und
eingeleiteten Behandlungsmethoden auf der Hand.
Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand liege auch unter Berücksichtigung der
beeinträchtigten verfassungsrechtlich geschützten Rechtspositionen der
Beschwerdeführer im Sinne des Art. 13 GG der für die Durchsuchung erforderliche
Anfangsverdacht vor. Zureichende tatsächliche Anhaltspunkte ergäben sich sowohl aus
den Aussagen des bereits 1997 als Zeuge vernommenen ehemaligen Patienten der
Beschwerdeführer als auch aus den Angaben des namentlich nicht benannten
“Hinweisgebers" sowie der Divergenz zwischen den beschlagnahmten Unterlagen der
polizeiärztlichen Untersuchungen und den sich aus den Attesten der Beschwerdeführer
ergebenden Behandlungsergebnissen. Den von der Verteidigung vorgebrachten
Bedenken gegen die Vorgehensweise bei den polizeiärztlichen Untersuchungen müsse
ggf. im weiteren Verfahren nachgegangen werden; angesichts der weiteren Beweismittel
stünden derartige Bedenken der Annahme eines Anfangsverdachts gegen beide
Beschwerdeführer nicht entgegen.
Gegen die richterliche Bestätigung der Beschlagnahme legte, soweit aus den
Ermittlungsakten ersichtlich, lediglich die Beschwerdeführerin zu 2. Beschwerde ein, die
vom Landgericht Berlin mit Beschluss vom 14. Juli 2000 - 528 Qs 36/00 - als
unbegründet verworfen wurde. Hinsichtlich des für die Beschlagnahme erforderlichen,
aber auch ausreichenden Anfangsverdachts verwies das Landgericht zur Begründung
auf seinen vorangegangenen, die Durchsuchung betreffenden Beschluss. Die potentielle
Beweisbedeutung der beschlagnahmten Unterlagen sei ohne weiteres gegeben.
Beschlagnahmt worden seien nur Unterlagen von Patienten, die nach erstem Anschein
aus dem ehemaligen Jugoslawien stammten und im Jahre 1996 oder später behandelt
worden seien. Zur Untersuchung der Tatvorwürfe stellten die beschlagnahmte
Patientenkartei und die weiteren Gegenstände bedeutsame Mittel dar, die zur
Belastung, aber auch zur Entlastung der Beschwerdeführerin beitragen könnten. Bei der
Beschlagnahme einer Sachgesamtheit sei es nicht erforderlich, für jeden einzelnen
Gegenstand eine mögliche Eignung als Beweismittel nachzuweisen.
Die Tatsache, dass der angegriffene Beschluss eine - wenn überhaupt - nur
unzureichende Begründung enthalte, sei auch unter Berücksichtigung der
verfassungsrechtlich geschützten Interessen der Beschwerdeführerin aus Art. 12 Abs. 1
und Art. 14 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip unschädlich. Denn die
im Beschluss bestätigte Beschlagnahme sei in unmittelbarem Zusammenhang mit der
richterlichen Durchsuchungsanordnung vom 24. März 2000 erfolgt, die eine
eigenständige, ausreichende und zutreffende Begründung enthalte, welche angesichts
der im wesentlichen identischen Eingriffsvoraussetzungen gleichermaßen für die
richterliche Bestätigung der Beschlagnahme gelte.
2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer, die zur Durchsuchung
und Beschlagnahme ergangenen gerichtlichen Entscheidungen verletzten ihr Recht auf
freie Berufsausübung aus Art 17 VvB sowie die in Art. 7 VvB geschützte allgemeine
Handlungsfreiheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Art. 17 VvB schütze ebenso
wie die inhaltsgleiche Gewährleistung in Art. 12 Abs. 1 GG sowohl die Freiheit der
Berufswahl als auch der Berufsausübung. Durch die Durchsuchung und Beschlagnahme
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Berufswahl als auch der Berufsausübung. Durch die Durchsuchung und Beschlagnahme
sei, auch wenn beide Maßnahmen vorrangig anderen Zielen gedient hätten, in ihr
Grundrecht auf freie Berufsausübung eingegriffen worden. Seit der Anordnung der
Durchsuchung und Beschlagnahme fehlten die in den betreffenden Patientenakten
festgehaltenen, für die effiziente und effektive Behandlung der Patienten erforderlichen
Daten. Die Patientenakten enthielten alle Informationen zu bisherigen Diagnosen,
medizinischen Untersuchungen, bisher verschriebenen Medikamenten und eigenen
Angaben der Patienten. Alle diese Angaben seien für die Weiterbehandlung der
Patienten und für die Erstellung ärztlicher Atteste und Befundberichte, die etwa bei einer
Mit- oder Weiterbehandlung durch andere Ärzte üblich seien, erforderlich. Da die
Beschwerdeführer in ihrer täglichen Arbeit auf die Patientenakten angewiesen seien, sei
die durch die Beschlagnahme eingetretene Beschränkung ihrer Berufsausübung so
stark, dass sie faktisch einem Berufsverbot nahe komme und damit auch die Berufswahl
betreffe.
Die mit den angegriffenen Maßnahmen verbundenen Belastungen und Einschränkungen
stellten zudem einen Eingriff in die grundrechtlich geschützte allgemeine
Handlungsfreiheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Beschwerdeführer dar.
Die Durchsuchung habe an einem Arbeitstag in Gegenwart der Patienten stattgefunden,
die regelmäßig schon aufgrund der Art ihrer Unterbringung in engem Kontakt
untereinander standen. Sowohl die Durchsuchung als auch die Beschlagnahme seien
daher geeignet, Misstrauen in das notwendige Vertrauensverhältnis zu den
Beschwerdeführern zu begründen. Dies gelte umso mehr, als nunmehr
höchstpersönliche Daten und eigene Aufzeichnungen der Patienten durch die
Staatsanwaltschaft ausgewertet würden, was zu erheblichen Vorbehalten der Patienten
geführt habe.
Sowohl die Durchsuchungsanordnung als auch die richterliche Bestätigung der
Beschlagnahme verletzten den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Unterlagen der
Beschwerdeführer seien nicht geeignet, den Verdacht der Fälschung von
Gesundheitszeugnissen zu bestätigen. Es könne nicht ernsthaft unterstellt werden, dass
der behandelnde Arzt in seinen Patientenakten Angaben festhalte, die der von ihm
getroffenen und attestierten Diagnose widersprächen. Die Begrifflichkeiten,
Voraussetzungen und Einordnung einer posttraumatischen Belastungsstörung seien in
der Medizin ebenso umstritten wie die Art und Weise der Behandlung betroffener
Patienten. Da es an einer standardisierten Diagnostik und Behandlung fehle, sei nicht zu
erwarten, dass sich anhand der Patientenakten der Beschwerdeführer der Verdacht der
Fälschung von Gesundheitszeugnissen mit der für das Strafrecht erforderlichen
Sicherheit bestätigen lasse. Soweit sich der Anfangsverdacht der Staatsanwaltschaft
allein auf die Tatsache stützte, dass von den Beschwerdeführern behandelte bosnische
Flüchtlinge an einer posttraumatischen Belastungsstörung erkrankt seien, gingen die
angegriffenen Maßnahmen zu weit. Dass sie zumindest der Form nach ungeeignet
seien, zeige bereits die in Gegenwart der Verteidigung vorgenommene Durchsicht der
Unterlagen, bei der selbst Krankenunterlagen, die keinerlei Angaben zu
posttraumatischen Störungen enthielten oder bei denen vieles für einen Abbruch des
Behandlungsverhältnisses spreche ebensowenig aussortiert worden seien wie
Patientenakten, in denen die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung von
anderer Seite bestätigt worden sei.
Allenfalls in den in der Durchsuchungsanordnung des Amtsgerichts Tiergarten
angeführten 14 Fällen, in denen für die Staatsanwaltschaft ein Anfangsverdacht bestehe,
könne eine weitere Untersuchung als verhältnismäßig angesehen werden. Auch insoweit
liege jedoch, wie bereits im Beschwerdeverfahren vorgetragen, ein begründeter
Anfangsverdacht nicht vor. Insofern könne nicht außer Betracht bleiben, dass die
Ergebnisse der polizeiärztlichen Untersuchungen, auf die die Ermittlungsbehörden den
Anfangsverdacht stützten, sowohl vom Verwaltungs- als auch vom
Oberverwaltungsgericht Berlin in Frage gestellt würden. Soweit von den Gerichten eine
erneute Begutachtung für erforderlich gehalten worden sei, seien auch die Diagnosen
und Atteste der Beschwerdeführer - entgegen den abweichenden Stellungnahmen des
Polizeiärztlichen Dienstes - von dritter Seite gutachterlich bestätigt worden. Die
Diskussion um die Qualität der Arbeit des Polizeiärztlichen Dienstes, die auch bereits
den Ausschuss für Gesundheit, Soziales und Migration beschäftigt habe, betreffe daher
nicht nur, wie vom Landgericht in seiner Beschwerdeentscheidung dargestellt, Einzelfälle;
vielmehr böten die Gesamtergebnisse Anlass zu berechtigten Zweifeln.
3. Der Senatsverwaltung für Justiz, dem Präsidenten des Landgerichts Berlin und dem
Präsidenten des Amtsgerichts Tiergarten ist gemäß § 53 Abs. 1 VerfGHG Gelegenheit
zur Stellungnahme gegeben worden.
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4. Die Richterin Dr. Möcke ist gemäß § 16 Abs, 1 Nr. 2 VerfGHG von der Ausübung ihres
Richteramtes ausgeschlossen.
II.
1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
a) Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht nicht entgegen, dass die
angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen auf der Anwendung der §§ 94, 102 StPO und
damit auf Bundesrecht beruhen. Denn die in der Verfassung von Berlin gewährleisteten
Grundrechte sind auch in diesem Bereich in den Grenzen der Art. 142, 31 GG, soweit sie
in inhaltlicher Übereinstimmung mit den Grundrechten des Grundgesetzes stehen, von
der rechtsprechenden Gewalt des Landes Berlin zu beachten und dem Schutz durch den
Verfassungsgerichtshof anvertraut (st. Rspr.; u.a. Beschluss, vom 6. Oktober 1998 -
VerfGH 32/98 - NJW 1999, 47). Diese Voraussetzung ist sowohl bei der Rüge einer
Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 7 VvB (vgl. Art. 2 Abs. 1 GG) als
auch bei der Rüge einer Verletzung des Art. 17 VvB erfüllt. Die Verfassungsbeschwerde
ist insbesondere auch insoweit einer Sachentscheidung zugänglich, als die
Beschwerdeführer eine Verletzung ihrer Berufsausübungsfreiheit geltend machen. Art.
17 VvB enthält - in Übereinstimmung mit der bundesrechtlichen Gewährleistung in Art.
12 Abs. 1 Satz 1 GG - ein eigenständiges Grundrecht der Freiheit der Berufsausübung.
Der Verfassungsgerichtshof hat bereits in seinem Beschluss vom 25. April 1994 (VerfGH
34/94 - LVerfGE 2, 16 <17 f.>) die Auffassung vertreten, Art. 11 VVB 1950, der mit dem
heute geltenden Art 17 VvB wörtlich übereinstimmt, gewährleiste das Grundrecht der
Berufsfreiheit und sei inhaltsgleich mit den in Art. 12 GG enthaltenen bundesrechtlichen
Verbürgungen; eine Begründung dafür ist in dieser Entscheidung allerdings nicht erfolgt.
An dieser Auffassung hat der Verfassungsgerichtshof in der Folgezeit jedoch nicht
festgehalten. Im Urteil vom 31. Mai 1995 (VerfGH 55/93 - JR 1996, 146 f.) hat er eine
Inhaltsgleichheit von Art. 11 VvB 1950 und Art. 12 GG hinsichtlich der
Berufsausübungsfreiheit verneint; Art. 11 VvB schütze zwar die Freiheit der Berufswahl,
nicht aber stets auch diejenige der Berufsausübung. Die vier diese Entscheidung
tragenden Richter haben sich zur Begründung sowohl auf den Wortlaut und die
Entstehungsgeschichte der Vorschrift als auch auf die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts zu Art. 12 GG gestützt. Bereits der Wortlaut des Art. 11 VvB
1950 bleibe hinter demjenigen des Art. 12 Abs. 1 GG zurück, der - wie aus Satz 2 dieser
Vorschrift ersichtlich - ausdrücklich auch die freie Berufsausübung gewährleiste. Die
Entstehungsgeschichte mache deutlich, dass bei der Verfassungsgebung nicht
beabsichtigt gewesen sei, der Berufsausübung grundrechtlichen Schutz auf der Ebene
der Landesverfassung zu verleihen; Art. 11 VvB 1950 habe nur die Berufswahlfreiheit
erfassen sollen. Darauf deute auch die Art. 11 VvB 1950 beigegebene "Grenze" der
Verpflichtung hin, bei Überwindung öffentlicher Notstände mitzuhelfen; der
Verfassungsgeber habe insoweit die Frage des "Ob", nicht die Frage des "Wie" beruflicher
Betätigung im Auge gehabt. Durch den auf die Berufswahl beschränkten Art. 11 VvB
1950 habe der Verfassungsgeber auch nicht gleichsam "notwendigerweise" die
Berufsausübungsfreiheit mit gewährleistet. Selbst wenn zwischen der Wahl des Berufs
einerseits und seiner Ausübung andererseits ein Zusammenhang bestehe, folge daraus
nicht, dass eine Unterscheidung zwischen beiden Aspekten der beruflichen Tätigkeit
nicht möglich sei; das zeige nicht zuletzt die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts zu den unterschiedlichen Schranken bei Eingriffen in die
Berufswahlfreiheit und die Berufsausübungsfreiheit. Die Rüge einer Verletzung des Art.
11 VvB im Verfahren der Verfassungsbeschwerde könne daher nur zulässig sein, wenn
konkret dargetan werde, dass eine Berufsausübungsregelung eine Breite oder Intensität
erreiche, welche Anlass gebe, sie wegen ihrer Rückwirkungen auf die Berufswahl
ausnahmsweise als Verletzung des Schutzbereichs dieser Norm zu qualifizieren. Diese
Auffassung hat der Verfassungsgerichtshof in drei Entscheidungen vom 26. September
1996 (u. a. VerfGH 46/93 - LVerfGE 5, 14 <17>) mit Mehrheit ausdrücklich bestätigt und
die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde verneint, mit der eine
Berufsausübungsregelung unter Berufung auf Art. 11 VvB 1950 gerügt worden war.
An dieser Rechtsprechung hat der Verfassungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 6.
Oktober 1998 (VerfGH 32/98 -- LVerfGE 9, 45 <50 f.>) auch unter der Geltung des Art.
17 VvB festgehalten.
Die Auffassung, Art. 17 VvB enthalte kein Grundrecht der Berufsausübungsfreiheit, gibt
der Verfassungsgerichtshof nunmehr einstimmig auf.
Für die Auslegung einer Verfassungsnorm ist der in dieser zum Ausdruck kommende
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Für die Auslegung einer Verfassungsnorm ist der in dieser zum Ausdruck kommende
objektivierte Wille des Verfassungsgebers maßgebend, so wie er sich aus Wortlaut und
Sinnzusammenhang der Vorschrift entnehmen lässt; nicht entscheidend ist hingegen
die subjektive Vorstellung der am Rechtsetzungsverfahren beteiligten Organe oder
einzelner ihrer Mitglieder (vgl. allgemein zum Gesetzgebungsverfahren BVerfGE 1. 299
<312>; 6, 56 <75>; 45, 187 <227 >; 64, 261 <275>). Die Entstehungsgeschichte ist
für die Auslegung einer Norm nur insofern bedeutsam, als sie die Richtigkeit einer nach
anderen anerkannten Interpretationsregeln ermittelten Auslegung bestätigt oder Zweifel
behebt, die ansonsten nicht ausgeräumt werden können (vgl. BVerfGE 1, 299 <312>).
Wesentlich für die Auslegung von Grundrechtsnormen ist in der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts zudem der Grundsatz der größtmöglichen
Grundrechtseffektivität, der besagt, dass in Zweifelsfällen diejenige Auslegung zu wählen
ist, welche die juristische Wirkungskraft der Grundrechtsnorm am stärksten entfaltet (vgl.
BVerfGE 6, 55 <72>; 32, 54 <71>; 39, 1 <38>; allgemein zum Vorstehenden von
Münch, in: ders./Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Band 1, 5. Aufl. 2000, Vorb. Art. 1-19
Rdnr. 50 f. m. w. N.; Böckenförde, Die Methoden der Verfassungsinterpretation -
Bestandsaufnahme und Kritik, NJW 1976, 2089).
Zwar erwähnt Art. 17 VvB die freie Ausübung des Berufs nicht ausdrücklich. Zieht man
bei der Auslegung des Wortlauts jedoch auch die Systematik der Norm heran, so ergibt
sich die Gewährleistung auch eines Grundrechts der Berufsausübungsfreiheit. Dazu führt
ein Vergleich mit der bundesrechtlichen Regelung in Art. 12 Abs. 1 GG. Diese
Grundrechtsnorm umfasst ausdrücklich sowohl die Berufswahl als auch die
Berufsausübung (vgl. etwa Wieland, in: Dreier, Grundgesetz, Bd. 1, 1996, Art. 12 Rdnr.
17). Da beide Begriffe in Absatz 1 verwendet werden, hat die Frage, ob sich der
Schutzbereich der Norm - im Sinne einer umfassenden Gewährleistung der
Berufsfreiheit - bereits aus Satz 1 oder erst im Zusammenspiel mit Satz 2 des Absatzes
1 ergibt, in der Auslegung des Grundgesetzes - soweit ersichtlich - keine entscheidende
Rolle gespielt (vgl. BVerfGE 7, 377 <397 ff.>; 33, 303 <330>, wo allein Art. 12 Abs. 1 GG
zitiert wird). Das Bundesverfassungsgericht ist erstmals im sogenannten Apotheken-
Urteil (BVerfGE 7, 377 <400 ff.>) von einem einheitlichen Grundrecht der Berufsfreiheit
ausgegangen. Diese Interpretation beruht auf der Erkenntnis, dass sich die freie Wahl
und die freie Ausübung eines Berufs nicht klar auseinanderhalten lassen. Diese
bezeichnen nicht genau abgrenzbare Bereiche der Berufsfreiheit, sondern - wie etwa bei
der Berufsaufnahme - sich berührende und ineinander übergehende Phasen einer
einheitlichen Freiheitsgewährleistung (Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Bd. II, Art.
12 Rdnr. 14). Vorbildung, Berufswahl und Berufsausübung lassen sich als Abschnitte
eines einheitlichen Lebensvorgangs begreifen (vgl. BVerfGE 33, 303 <329 f.>; 41, 251
<261 >; 59, 172 <205>). Folgerichtig hat das Bundesverfassungsgericht in seiner
neueren Judikatur - ausgehend von einem sich auf sämtliche Teilaspekte erstreckenden
Schrankenvorbehalt in Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG - den Schutz der
Berufsausübungsfreiheit ausdrücklich bereits in Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG angesiedelt
(vgl. BVerfGE 85, 248 <256>; 94, 372 <389>; 95, 173 <181>; 101, 331 <346>). Dieser
Rechtsprechung wird die These, der Wortlaut des Art. 17 VvB bzw. Art. 11 VvB 1950
bleibe hinter der bereits alle Aspekte der Berufsfreiheit umfassenden Regelung des Art.
12 Abs. 1 Satz 1 GG zurück, nicht gerecht. Ebenfalls ausdrücklich auf die
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 12 Abs. 1 GG hat sich der
Staatsgerichtshof Bremen zur Auslegung des Art. 8 Abs. 2 der Bremer Verfassung
("Jeder hat das Recht, seinen Beruf frei zu wählen") bezogen. Er ist dabei von einem
einheitlichen Grundrecht der Berufsfreiheit ausgegangen, obwohl die landesrechtliche
Regelung - anders als das Grundgesetz - die freie Wahl der Ausbildungsstätte nicht
erwähnt (StGH Bremen, Urteil vom 23. September 1974 - St 1, 2/73 - NJW 1974, 2223).
Auch in der Kommentarliteratur ist vertreten worden, dass Art. 8 Abs. 2 BremVerf und
Art. 11 VvB 1950 umfassende Gewährleistungen der Berufsfreiheit in dem für Art 12 Abs,
1 GG anerkannten Sinne enthalten (vgl. Papier, in: Starck/Stern,
Landesverfassungsgerichtsbarkeit, Teilbd. 111, 1983, S. 357; Schwan, in:
Pfennig/Neumann, Verfassung von Berlin, 2. Aufl. 1987, Art. 11 Rdnr. 4; anders - unter
Bezugnahme auf die bisherige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs und ohne
weitere Begründung - Stöhr, in: Pfennig/ Neumann a. a. O., 3. Aufl. 2000, Art. 17 Rdnr.
9).
Der Verankerung der Berufsausübungsfreiheit in Art. 17 VvB steht die
Entstehungsgeschichte des wortgleichen Art. 11 VvB 1950 nicht entgegen. Ihr lässt sich
die Intention des Verfassungsgebers entnehmen, durch die Vorschrift in Art. 11 VvB
1950 sicherzustellen, dass niemand gezwungen werden kann, einen bestimmten Beruf
zu ergreifen (vgl. Reichhardt, Die Entstehung der Verfassung von Berlin, Bd. I, 1990, Dok.
119, S. 1142 f.). D es betrifft zwar unmittelbar die Berufswahl, nicht die Berufsausübung.
Dass der Verfassungsgeber aber auch letztere mit im Blick hatte, lässt sich daraus
schließen, dass vor dem Hintergrund von Arbeitsverpflichtungen und
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schließen, dass vor dem Hintergrund von Arbeitsverpflichtungen und
Zwangseinweisungen das Recht der freien Wahl des Arbeitsplatzes diskutiert und in die
Verfassung aufgenommen wurde. Nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts betrifft die Arbeitsplatzwahl die Entscheidung, an welcher
Stelle der Einzelne dem von ihm gewählten Beruf nachgehen möchte (vgl. BVerfGE 84,
133 <146>); insoweit besteht ein enger Zusammenhang mit der Berufsausübung, die
erst an dem gewählten Arbeitsplatz stattfindet. Die Art. 11 VvB 1950 beigegebene
Schranke betrifft angesichts des in diesem Zusammenhang in den Beratungen
erwähnten Beispiels, Ärzte für die Dauer einer Epidemie in gefährdete Gebiete zu
entsenden (Reichhardt, a.a.0., Dok. 122, S. 1165 f.), ebenfalls eher die Frage des "Wie"
und "Wo" beruflicher Betätigung, nicht aber die Entscheidung für einen bestimmten
Beruf.
Das Fehlen einer gesonderten Schrankenregelung für die Modalitäten der
Berufsausübung in Art. 17 VvB darf nicht zu einer Reduktion des Schutzbereichs führen
und steht daher der Gewährleistung der Berufsausübungsfreiheit nicht entgegen (vgl
Tettinger, in: Sachs, Grundgesetz, 2. Aufl. 1999, Art. 12 Rdnr. 8 a). Der
Verfassungsgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 6. Februar 1998 (VerfGH 80/96 -
LVerfGE 8, 45 <52>) in bezug auf eine die Freiheit der Berufswahl beschränkende
Altersgrenze ausgeführt, dass die diesbezügliche Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts einschlägig sei, weil hinsichtlich der Berufswahl Art. 17 VvB
und Art. 12 Abs. 1 GG vom materiellen Inhalt her übereinstimmten; subjektive
Zulassungsschranken seien nach der vom Bundesverfassungsgericht vertretenen Drei-
Stufen- Theorie mit der Berufsfreiheit vereinbar, wenn sie dem Schutz eines besonders
wichtigen Gemeinschaftsgutes dienten und verhältnismäßig seien (vgl. auch bereits
Beschluss vom 13. August 1996 - VerfGH 63/94 - LVerfGE 5, 3 <8 f.>). Wegen der
Einheitlichkeit des Grundrechts der Berufsfreiheit ist diese Drei- Stufen-Lehre auch auf
Beschränkungen der in Art. 17 VvB gewährleisteten Berufsausübungsfreiheit
übertragbar. Danach sind Regelungen der Berufsausübung zulässig, wenn sie durch
hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt werden, das gewählte Mittel zur
Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet sowie erforderlich ist und bei einer
Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der diesen
rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt ist (vgl. zu Art. 12
Abs. 1 GG u.a. BVerfGE 61, 291 <312>; 68, 272 <282>; 101, 331 <347 ff.>; Sodan,
Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung,
1997, S. 233 f. m.w.N.).
b) Das Gebot der Rechtswegerschöpfung steht der Zulässigkeit der
Verfassungsbeschwerde ebenfalls nicht entgegen. Nach § 49 Abs. 2 Satz 1 VerfGHG
muss der Rechtsweg vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde zwar grundsätzlich von
jedem Beschwerdeführer selbst erschöpft sein (vgl. zum Bundesrecht BVerfGE 17, 99
<102 f.>). Dies ist vorliegend nur hinsichtlich der Durchsuchungsanordnung des
Amtsgerichts Tiergarten vom 24 März 2000 der Fall, die beide Beschwerdeführer mit der
Beschwerde nach § 304 StPO angegriffen haben. Soweit aus den Ermittlungsakten
ersichtlich, hat jedoch nur die Beschwerdeführerin zu 2. Beschwerde gegen den
Beschluss vom 19. April 2000 eingelegt, mit dem das Amtsgericht Tiergarten die
Beschlagnahme richterlich bestätigt hat. Unter den besonderen Umständen des
vorliegenden Falles kann die Rechtswegerschöpfung indes beiden Beschwerdeführern
zugerechnet werden.
Ausgehend von Sinn und Zweck des Erfordernisses der Rechtswegerschöpfung, eine
Vorklärung der geltend gemachten Beschwer durch die zuständigen Fachgerichte zu
ermöglichen, kann es in Ausnahmefällen genügen, dass der Rechtsweg durch andere
oder - bei mehreren Beschwerdeführern - durch einen der Beschwerdeführer erschöpft
ist (vgl. zur inhaltsgleichen Regelung in § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG: BVerfGE 38, 105
<110>; 51, 386 <395 f.>; 76, 1 <39>). Ein derartiger Ausnahmefall liegt hier vor. In
seiner die Beschlagnahme betreffenden Beschwerdeentscheidung hat sich das
Landgericht sowohl mit der von den Beschwerdeführern unter dem Gesichtspunkt der
Verhältnismäßigkeit gerügten Beweiseignung der beschlagnahmten Patientenakten als
auch - unter Bezugnahme auf seinen vorangegangenen Beschluss - mit dem Vorliegen
eines die Beschlagnahme rechtfertigenden Anfangsverdachts auseinandergesetzt. Bei
dieser Sachlage ist nicht zu erwarten, dass seine Entscheidung auf eine Beschwerde des
Beschwerdeführers zu 1. im Ergebnis anders ausgefallen wäre. Da die eine
Gemeinschaftspraxis betreibenden Beschwerdeführer durch die Beschlagnahme in
gleicher Weise betroffen sind und die Verletzung derselben Grundrechte geltend
machen, ist dem Sinn und Zweck des Erfordernisses der Rechtswegerschöpfung daher
auch insoweit Genüge getan, als der Beschwerdeführer zu 1. die Gewährung
verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes gegen die richterliche Bestätigung der
Beschlagnahme begehrt.
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Soweit sich die Beschwerdeführer mit ihrer Verfassungsbeschwerde auch gegen die Art
und Weise des Vollzugs der Durchsuchung, insbesondere den Zeitpunkt der
Durchsuchung, wenden, sind ihre Einwände allerdings mangels Erschöpfung des
Rechtswegs unzulässig. Von der Möglichkeit, in diesem Zusammenhang einen Antrag
auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 23 ff. EGGVG oder § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO analog
zu stellen (vgl. Kleinknecht/Meyer- Goßner, a.a.0., § 105 Rdnr. 17; BGHSt 44, 265 ff.;
BVerfGE 96, 44 <50>), haben sie keinen Gebrauch gemacht. Die beanstandete
Durchsuchungsmodalität ist auch nicht mit der strafprozessualen Beschwerde nach §
304 StP0 angefochten worden. Die Begründungen der von beiden Beschwerdeführern
eingelegten Beschwerden lassen nicht erkennen, dass die Beschwerdeführer eine
richterliche Überprüfung auch der Wahl des Zeitpunkts der Durchsuchung begehrten .
Das hat auch die zuständige Strafkammer nicht angenommen. Insoweit ist die
Verfassungsbeschwerde daher unzulässig (vgl. BVerfGE 44, 353 <368>; 96, 27 <44>).
c) Die Tatsache, dass die zur Durchsuchung ergangenen gerichtlichen Entscheidungen
mit der Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume und der anschließenden
Beschlagnahme der aufgefundenen Unterlagen bereits vollzogen sind (vgl. zur
Beendigung des Vollzugs der Durchsuchung durch die Beschlagnahme: BGH
, Beschluss vorm 3. August 1995 - StB 33/95 - NJW 1995, 3397),
schließt ein Rechtsschutzbedürfnis der Beschwerdeführer an einer
verfassungsgerichtlichen Überprüfung nicht aus. In Fällen besonders tiefgreifender und
folgenschwerer Grundrechtseingriffe - wie der Wohnungsdurchsuchung - besteht auch
nach vorangegangener fachgerichtlicher Prüfung ein Rechtsschutzbedürfnis für eine
Entscheidung des Verfassungsgerichtshof, wenn der behauptete Grundrechtsverstoß
tatsächlich nicht mehr fortwirkt (vgl. Beschluss vom 11. Februar 1999 - VerfGH 25/97, 25
A/97 und 60/97 - StV 1999, 296 f. m. w. N.).
d) Unzulässig ist die Verfassungsbeschwerde soweit sie auf eine Verletzung der
allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 7 VvB) gestützt wird, mit der Begründung, die
Durchsuchung und Beschlagnahme seien geeignet, im notwendigen
Vertrauensverhältnis zwischen den Beschwerdeführern mit den Patienten Misstrauen zu
säen. Das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient ist aus der Sicht der
Beschwerdeführer ein Aspekt der Berufsausübung und damit von Art. 17 VvB geschützt.
Als subsidiäres Grundrecht ist für die Anwendung des Art 7 VvB insoweit kein Raum
mehr, so dass seine Verletzung nicht einmal als möglich erscheint.
2. Soweit die Verfassungsbeschwerde danach zulässig ist, ist sie jedoch unbegründet.
Die mit ihr angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen halten einer
verfassungsrechtlichen Prüfung stand.
Strafprozessuale Maßnahmen wie Durchsuchungen und Beschlagnahmen stellen ihrer
Natur nach regelmäßig einen schwerwiegenden Eingriff in die grundrechtlich geschützte
Lebenssphäre des Betroffenen dar. Durch die Anordnung der Durchsuchung und durch
die richterliche Bestätigung der Beschlagnahme sind die Beschwerdeführer in ihrer
Freiheit der Berufsausübung aus Art. 17 VvB betroffen: Diese Freiheit ist jedoch - wie
ausgeführt - nicht schrankenlos gewährleistet. Schranken der grundrechtlichen
Verbürgungen ergeben sich insbesondere aus den Vorschriften der
Strafprozessordnung, die mit Blick auf das rechtsstaatlich begründete Interesse an einer
leistungsfähiger Strafjustiz und die unabweisbaren Bedürfnisse einer wirksamen
Strafverfolgung (vgl. BVerfGE 19, 342 <347>; 20, 45 <49>) verfassungsrechtlich
grundsätzlich unbedenklich sind (vgl. BVerfGE 77, 65 <76 ff.>). Die danach im
grundrechtlichen Bereich vorzunehmende Abwägung der in Betracht kommenden
Interessen erfordert, dass sich grundrechtsbezogene Eingriffe wie Durchsuchungen und
Beschlagnahmen, wie alle Zwangsmaßnahmen im Strafverfahren (vgl. BVerfGE 27, 211
<219>), im Rahmen des allgemeinen Rechtsgrundsatzes der Verhältnismäßigkeit halten
(vgl. BVerf'3E 20, 162 <186 f.>: 42, 212 <220>; 44, 353 <373>; 59, 95 <97>). Dieser
Grundsatz verlangt, dass die jeweilige strafprozessuale Maßnahme zur Erreichung des
angestrebten Ziels geeignet und erforderlich sein muss und dass der mit ihr verbundene
Eingriff nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und zur Stärke des bestehenden
Tatverdachts stehen darf (BVerfGE 27, 211 <219>; 96, 44 <51>; BVerfG, Beschluss
vom 3. September 1991 - 2 BvR 279/90 - NJW 1992, 551 <552> m. w. N.)
Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs sind die angegriffenen gerichtlichen
Entscheidungen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Sowohl die Anordnung der
Durchsuchung als auch die richterliche Bestätigung der Beschlagnahme stehen mit dem
Prinzip der Verhältnismäßigkeit in Einklang.
a) Der Erlass einer Durchsuchungsanordnung setzt nach § 102 StPO voraus, dass die bis
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a) Der Erlass einer Durchsuchungsanordnung setzt nach § 102 StPO voraus, dass die bis
zu diesem Zeitpunkt ermittelten Tatsachen den Verdacht begründen, dass eine Straftat
begangen worden ist und dass der Betroffene als Täter oder Teilnehmer in Betracht
kommt (vgl. nur Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.0., § 102 Rdnr. 1; Nack, in: Karlsruher
Kommentar zur StPO, 4. Aufl. 1999, § 102 Rdnr. 1; BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 1990
- 2 BVR 417/88 - NJW 1991, 690 <691>; Beschluss vom 23. März 1994 - 2 BvR 396/94 -
NJW 1994, 2079). Es müssen mithin zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine
strafbare Handlung vorliegen, vage Hinweise auf das Vorliegen einer Straftat oder bloße
Vermutungen genügen nicht (Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.0., § 102 Rdnr. 3). Sowohl
das Amtsgericht als auch das Landgericht in seiner hierzu ergangenen
Beschwerdeentscheidung sind davon ausgegangen, dass die bis zum Erlass des
Durchsuchungsbeschlusses ermittelten Tatsachen den Verdacht begründen, die
Beschwerdeführer hätten sich wegen des Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse
und des Verstoßes gegen § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG strafbar gemacht. Die dagegen
erhobenen Einwände der Beschwerdeführer greifen nicht durch.
Soweit Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde gerichtliche Entscheidungen sind,
besteht die Prüfungsbefugnis des Verfassungsgerichtshofs nur in engen Grenzen. Die
Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Sachverhalts, die
Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind Sache
der dafür allgemein zuständigen Gerichte und insoweit der Nachprüfung durch den
Verfassungsgerichtshof entzogen (Beschluss vom 30. Juni 1992 - VerfGH 9/92 - LVerfGE
1, 7 <8 f.>; st. Rspr.). Es ist nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofs, gerichtliche
Entscheidungen - ähnlich wie eine Rechtsmittelinstanz - in jeder Hinsicht auf ihre
Übereinstimmung mit dem einfachen Recht zu kontrollieren. Der Verfassungsgerichtshof
kann daher den von den Fachgerichten angenommenen Anfangsverdacht nur dann
beanstanden, wenn sich sachlich zureichende und plausible Gründe für einen die
Anordnung der Durchsuchung rechtfertigenden Tatverdacht nicht finden lassen (vgl. zum
Bundesrecht BVerfG, NJW 1991, 690 <691>; NJW 1994, 2079). Diese Voraussetzung ist
vorliegend nicht erfüllt.
Strafprozessual kann sich ein Tatverdacht auf unterschiedliche Quellen -
Zeugenaussagen, bereits abgeschlossene Verfahren etc. - gründen. Aus den
beigezogenen Akten des Ermittlungsverfahrens ergibt sich, dass die bis zum Erlass der
Durchsuchungsanordnung ermittelten Erkenntnisse sowohl auf Aussagen eines
ehemaligen Patienten der Beschwerdeführer beruhen, die Gegenstand eines zunächst
eingestellten Ermittlungsverfahrens waren, als auch auf Hinweisen eines in den Akten
namentlich nicht genannten “Hinweisgebers". Darüber hinaus sind die beim
Polizeiärztlichen Dienst im Zusammenhang mit der Erstellung von Zweitgutachten
angefertigten Unterlagen beschlagnahmt, sich auf Patienten der Beschwerdeführer
beziehende Ausländerakten, Meldedateien und Kriminalakten ausgewertet und die mit
der Zweitbegutachtung beim Polizeiärztlichen Dienst beschäftigte Psychologin als
Zeugin vernommen worden. Soweit die Beschwerdeführer erhebliche Bedenken gegen
die fachliche Eignung des Polizeiärztlichen Dienstes und die Aussagekraft der dort
erstellten Gutachten geltend machen, ist mithin festzuhalten, dass sich der von den
Gerichten bejahte Anfangsverdacht nicht allein auf Divergenzen zwischen den von den
Beschwerdeführern ärztlich attestierten Behandlungsergebnissen und den Erkenntnissen
der polizeiärztlichen Untersuchungen stützt. Es kann daher dahinstehen, ob derartige
Divergenzen bereits für sich genommen geeignet gewesen wären, einen strafrechtlich
relevanten Anfangsverdacht zu begründen. Dem in den Ermittlungsakten enthaltenen
Zwischenbericht vom 23. März 2000 lässt sich entnehmen, dass sich - unabhängig von
den polizeiärztlichen Unterlagen - Verdachtsmomente u.a. bereits aus den
beigezogenen und ausgewerteten Ausländerakten ergeben haben. Dies war
beispielsweise dann der Fall wenn Patienten der Beschwerdeführer, denen eine
kriegsbedingte posttraumatische Belastungsstörung bescheinigt worden war, schon vor
Kriegsbeginn in die Bundesrepublik eingereist waren oder aufgrund ihrer Angaben vor
der Ausländerbehörde oder im Rahmen von Asylverfahren davon auszugehen war, dass
sie nicht mit dem Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien in Berührung gekommen
waren. Bei dieser Sachlage waren für die Gerichte sachlich zureichende und plausible
Gründe für die Annahme eines die Durchsuchung rechtfertigenden Anfangsverdachts
gegeben. Da die Ermittlungen erst am Anfang standen, war eine - über eine
Mindestanzahl hinausgehende - Bezifferung und genaue Konkretisierung bislang
bekannter Verdachtsfälle verfassungsrechtlich ebensowenig geboten wie eine weitere
Präzisierung der zu suchenden Unterlagen. Gemessen am Stand des Verfahrens sind
die zu suchenden Gegenstände - Patientenkartei und Abrechnungsdaten - im
Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Tiergarten in ausreichender Weise
bezeichnet worden.
b) Die Durchsuchungsanordnung war auch verhältnismäßig.
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Sie war geeignet, zur Klärung des Anfangsverdachts beizutragen. Die zu suchenden
Unterlagen, insbesondere die Patientenakten, können nicht von vornherein als
ungeeignet für den mit der Durchsuchung verfolgten Zweck der Ermittlung und
Verfolgung möglicherweise strafbarer Handlungen angesehen werden. Aus ihnen können
sich Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen, insbesondere für weitergehende, über die
bisher im Rahmen des Ermittlungsverfahrens untersuchten Verdachtsfälle hinaus
vorliegende Fälle ergeben. Zusammen mit der Auswertung der Ausländerakten und der
beim Polizeiärztlichen Dienst beschlagnahmten Unterlagen lassen sich aus den in den
Patientenakten enthaltenen Angaben über Art und Dauer des
Behandlungsverhältnisses, erstellte Diagnosen und eingeleitete Behandlungsmethoden
ebenso wie aus den in den Unterlagen offensichtlich vorhandenen eigenen schriftlichen
Aufzeichnungen der Patienten Schlüsse ziehen, die zur Be- oder Entlastung der
Beschwerdeführer beitragen können. Derartige Angaben können Grundlage weiterer im
Rahmen des Ermittlungsverfahrens durchzuführender Zeugenvernehmungen sein. Dass
die Anordnung der Durchsuchung von vornherein nicht erfolgversprechend war, lässt
sich daher nicht feststellen.
Die Durchsuchung war auch erforderlich. Zur Aufklärung des Verdachts, die
Beschwerdeführer hätten in einer bisher nicht genau bestimmbaren Anzahl von Fällen
unrichtige ärztliche Attests ausgestellt, gab es kein milderes Mittel, durch das in gleich
wirksamer Weise die in den Räumen der Beschwerdeführer befindlichen Beweismittel
gesichert werden konnten. Da bei Erlass des Durchsuchungsbeschlusses nicht sicher
ausgeschlossen werden konnte, dass sich auch in der Privatwohnung der
Beschwerdeführer die Gemeinschaftspraxis betreffende Unterlagen befanden, begegnet
die Einbeziehung der Privaträume in die Durchsuchungsanordnung keinen
durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Einwände sind von den
Beschwerdeführern insoweit nicht erhoben worden; aus den Ermittlungsakten ergibt sich
im übrigen, dass in der Privatwohnung der Beschwerdeführer die Praxis betreffende
Computerprogramme und Disketten sichergestellt worden sind.
Schließlich stand die Durchsuchung nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Straftat
und zur Stärke des insoweit bestehenden Tatverdachts. Die den Beschwerdeführern
vorgeworfenen Straftaten weisen mit Blick auf die sich daraus ergebenden
ausländerrechtlichen Folgerungen, insbesondere hinsichtlich der mit der ärztlichen
Begutachtung zusammenhängenden Frage des Aufenthaltsstatus, einen Bezug zum
Gemeinwohl auf. Sie berühren daher öffentliche Interessen und stellen sich schon
deshalb als keineswegs belanglos dar. Auch der Grad des dem Ermittlungsverfahren
zugrunde liegenden Tatverdachts ist nicht derart vage, dass er aus
verfassungsrechtlicher Sicht ungeeignet wäre, eine Durchsuchung in dem hier
vorliegenden Umfang zu rechtfertigen. Die Durchsuchung ist nicht losgelöst von einem
konkreten Verdacht angeordnet worden; der dem Ermittlungsverfahren zugrunde
liegende Tatverdacht stützt sich vielmehr auf konkrete Verdachtsmomente. Für die
Strafverfolgungsbehörden lagen - wie ausgeführt - hinreichend konkrete Anhaltspunkte
für das Vorliegen einer Straftat in einer nicht genau bestimmbaren Anzahl von Fällen
vor, denen es nachzugehen galt. Demgegenüber können die mit der Durchsuchung
verbundenen Beeinträchtigungen der Beschwerdeführer nicht als unangemessen
intensiv angesehen werden. Die Durchsuchungsanordnung richtete sich nicht gegen die
berufliche Tätigkeit der Beschwerdeführer als solche sie betraf diese - außerhalb dieses
Bereichs - in gleicher Weise wie jede andere Person, die von einer Durchsuchung
betroffen ist. Bei dieser Sachlage lässt die vom Landgericht getroffene Feststellung,
auch unter Berücksichtigung der beeinträchtigten verfassungsrechtlichen
Rechtspositionen der Beschwerdeführer lägen genügende Anhaltspunkte für eine
Durchsuchung vor, eine Verfehlung der von der Verfassung vorgegebenen Maßstäbe
nicht erkennen. Einer weitergehenden Nachprüfung durch den Verfassungsgerichtshof
ist die Abwägung zwischen Anlass und Auswirkung des angeordneten Eingriffs entzogen
(vgl. zum Bundesrecht BVerfGE 27, 211 <219>; 77, 1 <59 f.>; Beschluss vom 23.
Dezember 1994 - 2 BvR 894/94 - NJW 1995; 2839 <2840>).
c) Aus den dargelegten Gründen stehen auch die richterlich bestätigte Beschlagnahme
und die in diesen Zusammenhang ergangene Beschwerdeentscheidung des
Landgerichts mit dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit in Einklang.
Gemäß § 94 StPO sind Gegenstände, die als Beweismittel für die Untersuchung von
Bedeutung sein können, zu beschlagnahmen, wenn sie nicht freiwillig herausgegeben
werden. Da das strafrechtliche Ermittlungsverfahren zunächst auf einem Tatverdacht
beruht, kommt es nicht darauf an, ob sie letztlich im Strafverfahren Verwendung finden.
Die rechtsstaatlich geforderte umfassende Ermittlungstätigkeit (vgl. BVerfGE 29, 183
<194>; 33, 367 <383>; 77, 65 <76>) bringt Nachforschungen mit sich, auch wenn sie
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<194>; 33, 367 <383>; 77, 65 <76>) bringt Nachforschungen mit sich, auch wenn sie
später nicht zu einer Anklage oder Verurteilung führen sollte. Entscheidend ist daher nur
die potentielle Bedeutung des zu beschlagnahmenden Materials (vgl. Kleinknecht/Meyer-
Goßner, a.a.0., § 94 Rdnr. 6; Nack, a.a.0., § 94 Rdnr. 7; BVerfGE 77, 1 <53>; BVerfG, NJW
1995, 2839 <2840>). Insofern kommt es nicht darauf an, ob sich aufgrund der
beschlagnahmten Patientenakten, was von den Beschwerdeführern bestritten wird, der
Verdacht des Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse mit der für das Strafrecht
erforderlichen Sicherheit bestätigen lässt.
Eine grundlegend fehlerhafte Einschätzung der Beweismitteleignung der
beschlagnahmten Unterlagen liegt den angegriffenen Entscheidungen nicht zugrunde. In
der für die verfassungsrechtliche Prüfung maßgeblichen Entscheidung des Landgerichts
wird ausgeführt, dass nur Unterlagen über diejenigen Patienten der Beschwerdeführer
beschlagnahmt worden sind, bei denen das Behandlungsverhältnis nach 1996 begonnen
hat und die nach dem ersten Anschein aus dem ehemaligen Jugoslawien stammen. Die
Annahme des Landgerichts, diese Unterlagen könnten für das weitere Verfahren von
Bedeutung sein, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Auch wenn es, wie von
den Beschwerdeführern vorgetragen, bisher an einer standardisierten Diagnostik und
Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen fehlt, können sich aus den in den
Patientenakten enthaltenen Aufzeichnungen, insbesondere den schriftlichen Berichten
der Patienten zu etwaigen Kriegserlebnissen, Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen
ergeben. Insofern ist zu berücksichtigen, dass Gegenstand des weiteren
Ermittlungsverfahrens nicht allein die beschlagnahmten Patientenakten sind; sie: sollen
vielmehr im Zusammenhang mit der weiteren Auswertung der Ausländerakten und der
Unterlagen des Polizeiärztlichen Dienstes sowie möglichen Zeugenaussagen zur
Feststellung von Widersprüchen und damit zur Klärung des Tatverdachts dienen. Die
potentielle Beweiseignung der beschlagnahmten Unterlagen wird daher reicht dadurch in
Frage gestellt, dass sich etwaige Widersprüche zwischen festgestellter Diagnose und
ärztlich bescheinigtem Behandlungsergebnis nicht unmittelbar aus den in den
Patientenakten enthaltenen schriftlichen Aufzeichnungen der Beschwerdeführer ergeben
werden. Dass den beschlagnahmten Akten - neben anderen Beweismitteln - jeglicher
Bezug zum Vorwurf des Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse fehlt, lässt sich
nicht feststellen.
Die Beschlagnahme war auch erforderlich. Zur Aufklärung des dem Ermittlungsverfahren
zugrunde liegenden Verdachts gab es kein milderes Mittel, das den erstrebten Zweck
der Beweissicherung in zumindest gleich wirksamer Weise erfüllt hätte. Soweit die
Beschwerdeführer insbesondere mit Blick auf die Beschlagnahme der Originalunterlagen
eine Verletzung ihrer grundrechtlich geschützten Berufsausübungsfreiheit rügen, ist dem
Grundsatz der Erforderlichkeit dadurch Genüge getan, dass ihnen nach Angaben ihrer
Verfahrensbevollmächtigten von der Staatsanwaltschaft angeboten worden ist, die für
den weiteren Praxisbetrieb erforderlichen Unterlagen zu kopieren. Es kann daher
dahinstehen, ob eine ersatzlose Beschlagnahme der ärztlichen Unterlagen angesichts
der damit verbundenen Beeinträchtigungen der Beschwerdeführer in ihrer
Berufsausübung und der Erfüllung ihrer ärztlichen Pflichten verfassungsrechtlich hätte
Bestand haben können (vgl. Wasmuth, Beschlagnahme von Patientenkarteien und
Krankenscheinen, NJW 1989, 2297 <2299>). Durch die Möglichkeit der Anfertigung von
Fotokopien und ihrer Verwendung im weiteren Praxisbetrieb kann, wie der
Verfassungsgerichtshof bereits im einstweiligen Anordnungsverfahren ausgeführt hat,
einer weiteren Verunsicherung von Patienten rund der Gefährdung der wirtschaftlichen
Existenz der Beschwerdeführer entgegengewirkt werden. Dem Grundsatz der
Erforderlichkeit ist damit in ausreichendem Maße Rechnung getragen.
Die Gerichte durften auch davon ausgehen, dass es nicht geboten war, die
Beschlagnahme auf die im Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Tiergarten
angeführten 14 Verdachtsfälle zu beschränken. Eine derartige stichprobenartige Auswahl
und Überprüfung der im Durchsuchungsbeschluss nur als Mindestanzahl angeführten
Fälle hätte nicht ausgereicht, um das ganze Ausmaß möglicherweise strafbaren
Handelns und damit die Schwere des Tatvorwurfs zu ermitteln. Dabei kann dahinstehen,
ob eine solche eingeschränkte Vorgehensweise dann geboten gewesen wäre, wenn auf
diese Weise ein nur allgemeiner, vager Tatverdacht mit möglichst geringem Aufwand
hätte ausgeräumt werden können (vgl. BVerfG, NJW 1995, 2839 <2840>). Angesichts
der in den Patientenakten enthaltenen Angaben über Anamnese, Diagnose und
therapeutische Maßnahmen und dem insoweit grundrechtlich geschützten
Geheimhaltungsinteresse der Patienten dürfte eine Beschlagnahme sämtlicher
ärztlicher Unterlagen bei einem lediglich “einfachen" Anfangsverdacht, der sich noch
nicht näher konkretisiert hat, zwar verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen. So
liegen die Dinge aber hier nicht. Nach den dem Verfassungsgerichtshof vorliegenden
Ermittlungsakten lagen für die Gerichte - wie ausgeführt - sachlich zureichende und
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Ermittlungsakten lagen für die Gerichte - wie ausgeführt - sachlich zureichende und
plausible Gründe für die Annahme eines Anfangsverdachts vor, der sich nicht auf die im
Durchsuchungsbeschluss genannte Mindestanzahl von 14 Fällen beschränkte. Aus den
im Verlauf des Ermittlungsverfahrens ausgewerteten Ausländerakten, den
sichergestellten Unterlagen des Polizeiärztlichen Dienstes und der Befragung von
Zeugen, darunter auch Patienten der Beschwerdeführer, ergaben sich vielmehr konkrete
Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten in einer noch nicht genau bestimmbaren
Anzahl von Fällen Der dem Ermittlungsverfahren zugrunde liegende Anfangsverdacht
gründet sich mithin nicht auf eine bloße Vermutung oder einen generell- abstrakten
Erfahrungssatz, dass über die bisher konkretisierten Verdachtsfälle hinaus ein strafbares
Verhalten auch in weiteren Fällen vorliege. Für die Strafverfolgungsbehörden lagen
vielmehr durch Zeugenaussagen und Auswertung bislang herangezogener Akten
untermauerte konkrete Anhaltspunkte vor, die sich in einzelnen Fällen bereits erhärtet
hatten und denen es im Interesse einer wirksamen Strafverfolgung nachzugehen galt.
Mit Blick auf den frühen Stand der Ermittlungen war es den Gerichten bei dieser
Sachlage verfassungsrechtlich nicht aufgegeben, die Beschlagnahme schrittweise nur
für einzelne Patientenakten zu bestätigen und Fälle auszuscheiden, bei denen sich nach
näherer Prüfung der Tatverdacht nicht bestätigte. Insofern kann nicht unberücksichtigt
bleiben, dass Zweck der - umfangreichen - Beschlagnahme auch die Beschaffung von
Informationen war, um weitere Ermittlungen - etwa durch Auswertung der betreffenden
Ausländerakten, der Akten des Polizeiärztlichen Dienstes oder Zeugenaussagen -
anstellen zu können. Die Beschlagnahme der einen bestimmten Kreis von Patienten
betreffenden Akten war daher erforderlich, um gezielt dem bisher vorliegenden, durch
zureichende tatsächliche Anhaltspunkte erhärteten Anfangsverdacht nachzugehen und
das Ausmaß und die Schwere des Tatvorwurfs abzuklären.
Auch eine geeignete und erforderliche Beschlagnahme kann verfassungsrechtlich
unzulässig sein, wenn die Schwere des in ihr liegenden Eingriffs nicht mehr in einem
angemessenen Verhältnis zu der Schwere des Tatvorwurfs, dem Grad des
abzuklärenden Verdachts und zur Bedeutung des Beweisgegenstandes für das
Verfahren steht (vgl. BVerfG, NJW 1995, 2839 <2840>). Dies trifft auf die vorliegende
Beschlagnahme jedoch nicht zu. Wie bereits ausgeführt, kann der Grad des dem
Ermittlungsverfahren zugrunde liegenden Verdachts und die Bedeutung des Tatvorwurfs,
im Ergebnis ebenso wie bei der Anordnung der Durchsuchung, aus
verfassungsrechtlicher Sicht nicht als ungeeignet angesehen werden, eine
Beschlagnahme in dem hier vorliegenden Umfang zu rechtfertigen. Den
beschlagnahmten Unterlagen kommt - als Grundlage weiterer Ermittlungen und
zusammen mit anderen Beweismitteln - eine erhebliche Bedeutung im Verfahren zu. Da
die für die Fortführung des Praxisbetriebs erforderlichen Patientenakten den
Beschwerdeführern nicht vollständig und ersatzlos entzogen worden sind, ist die
Beschlagnahme auf das erforderliche Maß beschränkt worden. Eine unmittelbare
Beeinträchtigung der Beschwerdeführer in der Behandlung ihrer Patienten steht wegen
der Möglichkeit der Anfertigung von Kopien nicht zu befürchten. Die mit der Herstellung
und der Verwendung der Fotokopien noch einhergehenden Belastungen sind nicht
geeignet, das rechtsstaatlich begründete Interesse an eurer wirksamen Strafverfolgung
zu überwiegen. Sie können daher zulässige und zur Prüfung des Tatverdachts
erforderliche Ermittlungsmaßnahmen nicht hindern.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
Abweichende Meinung
Ich vermag der Entscheidung der Mehrheit im Ergebnis und in der Begründung teilweise
nicht zuzustimmen. Eine Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung, die
Patientendaten betrifft, ist mit einem wesentlich schwereren Eingriff in das Grundrecht
des Arztes aus Art 17 VvB verbunden, als die Suche nach und die Beschlagnahme von
sonstigen im Zusammenhang mit ärztlichen oder anderen beruflichen Tätigkeiten
angefallenen Beweismitteln. Das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient ist der
Kernbestand der beruflichen Tätigkeit des Arztes. Wird dieses erheblich gestört, kann der
Arzt seine berufliche Tätigkeit bezogen auf den betroffenen Patienten unter Umständen
nicht fortsetzen. Geschieht dies - wie vorliegend - bei 578 Patienten, kann dies die
berufliche Existenz insgesamt nachhaltig beeinträchtigen oder sogar gefährden.
Korrespondierend dazu ist der jeweils spiegelbildliche Eingriff in das informationelle
Selbstbestimmungsrecht der Patienten zu berücksichtigen, der hinsichtlich der
dokumentierten Krankengeschichte und aufgezeichneter Krankheitsbefunde den
Kernbereich der menschlichen Persönlichkeit überhaupt, nämlich die körperliche und
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Kernbereich der menschlichen Persönlichkeit überhaupt, nämlich die körperliche und
seelische Integrität dieser Patienten betrifft. Das objektive Gewicht dieses Eingriffs
beeinflusst die Prüfung der Verhältnismäßigkeit auch zugunsten der Beschwerdeführer.
Dies führt dazu, dass ein so grobes Verdachtsraster, wie es hier der Auswahl der
gesuchten und beschlagnahmten Unterlagen zugrunde lag, nämlich alle
Behandlungsfälle nach 1996 von Personen, die nach dem ersten Anschein aus dem
ehemaligen Jugoslawien stammten, das Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht wahrt. Würde
man dieses Raster z. B. auf einen Fall übertragen in dem ein konkreter Anfangsverdacht
einiger unrichtiger ärztlicher Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen mit einer bestimmten
Diagnose bestünde, wäre damit die Suche nach und Beschlagnahme von allen
Unterlagen erwerbstätiger Patienten des betreffenden Arztes rechtfertigungsfähig. Eine
solche Beschränkbarkeit der ärztlichen Berufsausübungsfreiheit gibt Art. 17 VvB nicht
her.
Das Verhältnismäßigkeitsprinzip gebietet bei Eingriffen in den Kernbereich des ärztlichen
Berufsausübungsgrundrechts, also in das Vertrauensverhältnis Arzt - Patient, dass
hinsichtlich jedes konkret patientenbezogenen Beweismittels eine Einordnung in einen
bereits anderweitig begründeten Anfangsverdacht möglich ist. Vorliegend waren ca. 270
Fälle ermittelt worden, in denen die Beschwerdeführer posttraumatische
Belastungsstörungen als Folge traumatisierender Erlebnisse während des Krieges in
Bosnien- Herzegowina bescheinigt hatten. Die Fälle konnten namentlich erfasst werden.
Für die Suche nach und Beschlagnahme von Beweismitteln, die andere Patienten
betrafen - rechnerisch immerhin mehr als 300 zusätzliche Eingriffe - bestand keine
zwingende Notwendigkeit. Wenn zu den Akten der Ausländerbehörde insoweit keine
Gesundheitszeugnisse gelangt waren, ist nicht ersichtlich, weshalb sie zur weiteren
Aufklärung eines auf diese Verwendungsform der Gesundheitszeugnisse gerichteten
Anfangsverdachtes hätten hilfreich sein können. Dementsprechend ist nur hinsichtlich
des danach verbleibenden, immer noch mit schwerwiegenden Eingriffsfolgen
verbundenen, aber für die sachgerechte Durchführung des Strafverfahrens
ausreichenden Aufklärungsbedarfs eine exekutivische und fachgerichtliche
Einschätzungsprärogative begründet, die insoweit im Beschluss zu Recht hervorgehoben
und zur Grundlage der zurückweisenden Entscheidung gemacht wird. Die Zurückweisung
der Verfassungsbeschwerde hätte folgerichtig jedoch auf die Akten namentlich bereits
anderweitig ermittelter Patienten begrenzt bleiben und im übrigen die angegriffenen
letztinstanzlichen Beschlüsse aufheben müssen.
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