Urteil des VerfGH Berlin vom 14.03.2017

VerfGH Berlin: anspruch auf rechtliches gehör, verfassungsbeschwerde, subjektives recht, richterliche gewalt, öffentliche gewalt, rüge, unrichtigkeit, unterhaltsrente, gehalt, zustellung

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8/97
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 3 Abs 1 GG, Art 103 Abs 1
GG, Art 79 Abs 1 Verf BE, Art
10 Abs 1 S 1 Verf BE, Art 15
Abs 1 Verf BE
VerfGH Berlin: Unzulässige Verfassungsbeschwerde wegen
ausdrücklicher Rüge der Verletzung von Grundrechten nach dem
GG – Abweisung einer Klage auf Verminderung nachehelichen
Unterhalts durch das KG
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer wurde im Jahre 1995 von seiner geschiedenen Ehefrau, der
Beteiligten, auf Zahlung nachehelichen Unterhalts verklagt. Zur Begründung ihrer Klage
gab die Beteiligte u.a. an, aus den von ihr vorgelegten Gehaltsbescheinigungen ergebe
sich unter Berücksichtigung eines 13. Monatsgehalts, das dem Beschwerdeführer als
Richter am Landgericht zustehe, ein durchschnittliches Netto-Monatseinkommen von
6.930 DM.
Mit Urteil vom 7. Juni 1996 verurteilte das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg den
Beschwerdeführer, an die Beteiligte ab 1. Juni 1995 eine monatliche Unterhaltsrente in
Höhe von 500 DM und ab 14. November 1995 eine monatliche Unterhaltsrente in Höhe
von 570 DM im voraus zu zahlen. Das Amtsgericht legte bei seiner Entscheidung unter
Hinweis auf einen Gehaltsnachweis für den Monat April 1996 ein Netto-Einkommen von
monatlich "rund 6.018 DM" zugrunde. Auf die Berufung des Beschwerdeführers änderte
das Kammergericht mit Urteil vom 15. November 1996 - zugestellt am 28. November
1996 - die erstinstanzliche Entscheidung teilweise ab und verurteilte den
Beschwerdeführer, für die Zeit vom 1. Juni 1995 bis zum 31. Dezember 1995
nachehelichen Unterhalt von monatlich 335 DM und ab Januar 1996 von monatlich 300
DM zu zahlen. Das Kammergericht stellte für die Berechnung des
Aufstockungsanspruchs auf ein durchschnittliches Netto-Einkommen des
Beschwerdeführers von 6.930 DM ab. Dieser beantragte daraufhin eine Berichtigung des
Urteils wegen offenbarer Unrichtigkeit gemäß § 319 ZPO und Berichtigung des
Tatbestands gemäß § 320 ZPO mit der Begründung, das Kammergericht sei offenkundig
versehentlich nicht von einem durchschnittlichen Netto-Einkommen von 6.018 DM
monatlich ausgegangen. Das Kammergericht wies diese Anträge durch Beschluß vom
17. Januar 1997 zurück: Der Ansatz des Einkommens des Beschwerdeführers von 6.930
DM beruhe nicht auf einem Versehen, sondern auf der Grundlage des von der Klägerin
unter Zugrundelegung der im Rahmen der Auskunftserteilung überreichten
Gehaltsbescheinigungen für 1995 errechneten und mitgeteilten Einkommens. Dem sei
der Beschwerdeführer substantiiert nicht entgegengetreten. Insbesondere habe er auf
die Auflage des Familiengerichts vom 6. April 1996 weder seine sämtlichen
Gehaltsbescheinigungen für 1995 noch - sofern er diese, ohne sich zuvor Fotokopien zu
fertigen - der Beteiligten überreicht haben sollte - die Rückseite seiner Lohnsteuerkarte
für 1995 eingereicht, aus der sich die Höhe seines Netto-Einkommens ebenfalls
zuverlässig hätte ablesen lassen. Zur Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs führt
das Kammergericht aus, der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer habe, nachdem die
Beteiligte den behaupteten Wegfall steuerlicher Ermäßigungen und deren Rückwirkung
bereits mit Schriftsatz vom 26. April 1996 bestritten habe, nicht nochmals gesondert auf
seine Darlegungs- und Beweislast hingewiesen werden müssen (§ 139 ZPO). 1
Mit der am 23. Januar 1997 beim Verfassungsgerichtshof eingegangenen
Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer "die Verletzung der Art. 63 Abs. 1
Verfassung des Landes Berlin, Art. 3 Abs. 1, 103 Abs. 1 GG, §§ 136 Abs. 3, 139 Abs. 1
und 2, 278 Abs. 3, 288 Abs. 1, 308 Abs. 1 und 546 Abs. 1 Satz 2 ZPO" Beschwerdeschrift
S. 1). Mit einem am 25. Januar 1997 beim Verfassungsgerichtshof eingegangenen
Schriftsatz berichtigt der Beschwerdeführer seine Verfassungsbeschwerde dahin, es
werde die Verletzung des Art. 80 der Verfassung von Berlin geltend gemacht, der
denselben Wortlaut habe wie der frühere Art. 63 Abs.1. Mit einem weiteren Schriftsatz
vom 18. Februar 1997 beruft er sich ausdrücklich auf eine Verletzung des Art. 15 Abs.1
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vom 18. Februar 1997 beruft er sich ausdrücklich auf eine Verletzung des Art. 15 Abs.1
der Verfassung von Berlin.
Zur Begründung bringt der Beschwerdeführer vor, das Kammergericht habe dadurch,
daß es vom Einkommensansatz des Familiengerichts (6.018 DM monatlich netto)
abgewichen sei, eine Überraschungsentscheidung unter Verletzung des Anspruchs auf
rechtliches Gehör getroffen. Die Beteiligte habe ihr ursprüngliches Bestreiten hinsichtlich
seiner Einkommensverhältnisse im Laufe des gerichtlichen Verfahrens aufgegeben; das
ergebe sich daraus, daß das Familiengericht seiner Entscheidung bei der Berechnung
des Einkommens den Einkommensnachweis von April 1996 zugrundegelegt und das so
ermittelte Einkommen als unstreitig dargestellt habe. Das Kammergericht habe sich
über die Verhandlungsmaxime hinweggesetzt und sei von unstreitigen Tatsachen
willkürlich abgewichen. Im nachehelichen, isolierten Unterhaltsverfahren gelte nicht das
Amtsermittlungsprinzip, ganz abgesehen davon, daß auch eine richtig durchgeführte
Amtsermittlung keinen anderen Einkommensansatz als 6.018 DM ergeben hätte.
Die Beteiligte hat gemäß § 53 Abs. 2 VerfGHG Gelegenheit zur Äußerung im
Verfassungsbeschwerdeverfahren erhalten. Sie verweist auf den Vortrag in ihrer
Klageschrift, der Beschwerdeführer erziele ein durchschnittliches Netto-Einkommen von
ca. 6.930 DM monatlich. Von diesem Ansatz sei sie niemals abgewichen. Daß sie selbst
keine Anschlußberufung gegen das Urteil des Familiengerichts eingelegt habe, gehe
allein auf ihren Wunsch zurück, keinen weiteren Rechtsstreit mit dem Beschwerdeführer
auszutragen.
II.
Die gegen das ihm am 28. November 1996 zugestellte Urteil des Kammergerichts vom
15. November 1996 gerichtete Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers ist
unzulässig.
Gemäß § 49 Abs. 1 VerfG kann jedermann "mit der Behauptung, durch die öffentliche
Gewalt des Landes Berlin in einem seiner in der Verfassung von Berlin enthaltenen
Rechte" verletzt zu sein, Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof des
Landes Berlin erheben, soweit nicht Verfassungsbeschwerde zum
Bundesverfassungsgericht erhoben ist oder wird. Voraussetzung für die Zulässigkeit
einer Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin ist daher,
daß - alles andere vernachlässigt - der Beschwerdeführer geltend macht, gerade in
einem durch die Verfassung von Berlin und nicht etwa durch das Grundgesetz (auch) zu
seinen Gunsten verbürgten (subjektiven) Recht verletzt zu sein (vgl. so u.a. schon
Beschluß vom 3. September 1992 - VerfGH 34/92 -). § 49 Abs. 1 VerfGHG verlangt "die
Angabe des Prüfungsmaßstabs, der der Annahme des Beschwerdeführers
zugrundeliegt, die von ihm beanstandete Maßnahme verletze ein subjektives Recht, und
an dem nunmehr die, Richtigkeit dieser Annahme gemessen werden soll, d.h. die
Angabe des Maßstabs, auf dessen Grundlage der Beschwerdeführer die von ihm
beanstandete Maßnahme beurteilt wissen möchte" Beschluß vom 25. April 1996
- VerfGH 21/95 - NJW 1996, 1738). An einer unter diesem Blickwinkel den Weg zu einer
zulässigen Verfassungsbeschwerde eröffnenden Behauptung fehlt es im vorliegenden
Fall.
Soweit der Beschwerdeführer sich zur Stützung seiner Verfassungsbeschwerde auf Art.
63 Abs. 1 der Verfassung des Landes Berlin vom 1. September 1950 (VOBl. I S. 433) -
VvB 1950 - zuletzt geändert durch Gesetz vom 8. Juni 1995 (GVBl. S. 339), bzw. - was
mit Blick auf den Zeitpunkt der angegriffenen Entscheidung des Kammergerichts
richtiger wäre - auf Art. 79 Abs. 1 der am 29. November 1995 in Kraft getretenen
Verfassung von Berlin vom 23. November 1995 (GVBl. S. 779) - VvB -, geändert durch
Gesetz vom 14. Juni 1996 (GVBl. S. 233) beruft, bringt er zwar eindeutig zum Ausdruck,
daß er die Überprüfung des Urteils des Kammergerichts vom 15. November 1996 am
Maßstab einer gerade in der Berliner Verfassung enthaltenen Rechtsnorm begehrt.
Insoweit scheitert indes die Zulässigkeit seiner Verfassungsbeschwerde deshalb, weil Art.
63 Abs. 1 VvB 1950 (ebenso wie Art. 79 Abs. 1 VvB), wonach die richterliche Gewalt
durch unabhängige, nur dem Gesetz unterworfene Gerichte im Namen des Volkes
ausgeübt wird, kein subjektives Recht eines Bürgers begründet, sondern eine
rechtsstaatliche Aussage mit objektivrechtlichem Gehalt beinhaltet, deren Einhaltung
nicht mit der Verfassungsbeschwerde eingefordert werden kann (vgl. u.a. - zu Art. 63
Abs. 1 VvB 1950 - Beschluß vom 12. Oktober 1994 - VerfGH 68/94 - LVerfGE 2, 67
<70>).
Ebenfalls unzulässig ist die Verfassungsbeschwerde, soweit der Beschwerdeführer eine
Verletzung der Art. 3 Abs. 1 und 103 Abs. 1 GG regt und damit eine Überprüfung des
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Verletzung der Art. 3 Abs. 1 und 103 Abs. 1 GG regt und damit eine Überprüfung des
angegriffenen Urteils des Kammergerichts an Normen des Grundgesetzes begehrt.
Denn Normen des Grundgesetzes sind - wie § 49 Abs. 1 VerfGHG belegt - kein für eine
Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin zugelassener
Prüfungsmaßstab. Gleiches gilt im übrigen, soweit sich der Beschwerdeführer auf die
Verletzung von Bestimmungen der Zivilprozeßordnung beruft.
Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (vgl. Beschluß vom 25. April
1996 - VerfGH 21/95 - aaO) ist dann, wenn und soweit ein Beschwerdeführer nicht
ausdrücklich rügt, durch die von ihm beanstandete Maßnahme gerade in einem durch
die Verfassung von Berlin garantierten subjektiven Recht, also in einem sozusagen
"Berliner Rechts", verletzt zu sein, sein Vorbringen mit Blick auf den begehrten
Prüfungsmaßstab auszulegen. Ferner ist nach dieser Rechtsprechung (vgl. dazu auch
Beschluß vom 17. Juni 1996 - VerfGH 4/96 - LKV 1997, 93) in diesem Zusammenhang
bei einer aus Berlin stammenden, an den Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin
gerichteten Verfassungsbeschwerde jedenfalls dann grundsätzlich davon auszugehen,
daß die Überprüfung einer bestimmten Maßnahme nach Maßgabe eines "Berliner
Rechts" gewünscht wird, wenn - wie hier - die Verletzung von Grundrechten in Rede steht,
die inhaltsgleich vom Grundgesetz und von der Verfassung von Berlin verbürgt werden.
Jedoch ist diese Vermutung widerlegt, wenn der insoweit allein berücksichtigungsfähige
innerhalb der nach § 51 VerfGHG einschlägigen Frist beim Verfassungsgerichtshof
eingegangene Vortrag ausdrücklich einzig auf die Verletzung einer Bestimmung des
Grundgesetzes abstellt. Jedenfalls das trifft im vorliegenden Fall mit Blick auf die Rüge
des Beschwerdeführers zu, die angegriffene Entscheidung des Kammergerichts verletze
den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG und den durch Art. 103 Abs. 1 GG
verbürgten Anspruch auf rechtliches Gehör.
Angesichts des insoweit eindeutigen Vorbringens des Beschwerdeführers, eines Richters
am Landgericht, ist bereits fraglich, ob nicht anzunehmen ist, mit Blick auf die beiden
genannten Grundrechte fehle es hinsichtlich des gewünschten Prüfungsmaßstabs an
einer Auslegungsfähigkeit. Doch mag das auf sich beruhen. Denn jedenfalls ist im
vorliegenden Fall die zuvor angesprochene Vermutung widerlegt, der Beschwerdeführer
erstrebe insoweit eine Überprüfung der Entscheidung des Kammergerichts am Maßstab
gerade durch die Verfassung von Berlin garantierter Grundrechte. Innerhalb der am 28.
Januar 1997 abgelaufenen Frist des § 51 Abs. 1 Sätze 1 und 2 VerfGHG nämlich hat der
Beschwerdeführer zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht, er begehre eine Überprüfung des
angegriffenen Urteils vom 15. November 1996 nach "Maßgabe unterschiedlicher
Normengruppen: Prüfungsmaßstab sollten - erstens - eine Bestimmung der Verfassung
von Berlin (Art. 63 Abs. 1 VvB 1950), - zweitens - zwei Vorschriften des Grundgesetzes
(Art. 3 Abs. 1, 103 Abs. 1 GG) und überdies - drittens - verschiedene Regelungen der
Zivilprozeßordnung sein. Im Rahmen der damit vorgenommenen Differenzierung hat der
Beschwerdeführer den Gleichbehandlungsgrundsatz und den Anspruch auf rechtliches
Gehör ausschließlich dem Grundgesetz zugeordnet. Das schließt die Möglichkeit aus,
entgegen der Vorgabe des Beschwerdeführers insoweit auf entsprechende, durch die
Verfassung von Berlin verbürgte Grundrechte abzustellen.
Die Rüge einer Verletzung des Art. 15 Abs. 1 VvB hat der Beschwerdeführer erst nach
Ablauf der in § 51 Abs. 1 Sätze 1 und 2 VerfGHG bestimmten Frist erhoben, so daß sie
nicht zur Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde führen kann. Die von ihm gestellten
Anträge auf Berichtigung des Urteils und seines Tatbestandes hatten nicht zur Folge,
daß der Beginn jener Frist bis zur Zustellung der Entscheidung über diese Anträge
hinausgeschoben wurde. Denn das Berichtigungsverfahren nach den §§ 319, 320 ZPO ist
weder ein Rechtsweg im Sinne des § 49 Abs. 2 VerfGHG, noch war es im Hinblick auf den
darin zum Ausdruck kommenden allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität der
Verfassungsbeschwerde ein geeignetes prozessuales Mittel, um eine fachgerichtliche
Korrektur der geltend gemachten Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör zu
erreichen. Die Rüge, das Kammergericht habe unter Verletzung dieses Anspruchs eine
Überraschungsentscheidung gefällt, enthält nämlich nicht die Behauptung einer
offenbaren Unrichtigkeit im Sinne des § 319 ZPO (Abweichung zwischen Willensbildung
und Willenserklärung) und könnte durch eine Berichtigung des Tatbestandes gemäß §
320 ZPO nicht ausgeräumt werden.
Die Entscheidung ist mit sechs zu drei Stimmen ergangen.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 33 f. VerfGHG.
Dieser Beschluß ist unanfechtbar.
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