Urteil des VerfGH Berlin vom 14.03.2017

VerfGH Berlin: wiedereinsetzung in den vorigen stand, verfassungsbeschwerde, öffentliche gewalt, bewährung, widerruf, verschulden, form, rechtskraft, quelle, link

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1/92
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 49 Abs 2 VGHG BE, § 44
StPO, § 45 StPO, § 311 Abs 2
StPO
VerfGH Berlin: Unzulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde
wegen fehlender Rechtswegerschöpfung
Gründe
Der Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 18 August
1968 - 307 Ds 102/88 - wegen fortgesetzten Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer
Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung für die Dauer von vier
Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde Von der Anordnung einer Fahrerlaubnissperrfrist
gemäß § 69 a StGB wurde abgesehen, um dem Beschwerdeführer Gelegenheit zu
geben, die Fahrerlaubnis zu erwerben.
Am 17. September 1990 und 28. Februar 1991 wurden gegen den Beschwerdeführer
wegen diverser Delikte, u.a. aber auch jeweils wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zwei
weitere Anklagen erhoben, die von dem erweiterten Schöffengericht des Amtsgerichts
Tiergarten in dem Verfahren 214 - 109/90 eröffnet wurden. Am 3., 7. und 14. Mai 1991
fand in dieser Sache die Hauptverhandlung statt. Danach erkrankte der
Beschwerdeführer, so daß das Verfahren auf unbestimmte Zeit ausgesetzt wurde.
Aufgrund eines Antrages der Staatsanwaltschaft widerrief das Amtsgericht Tiergarten
durch Beschluß vom 26. August 1991 die Strafaussetzung zur Bewährung unter Hinweis
auf die in der Hauptverhandlung vom 3., und 7. Mai 1991 gewonnenen Beweisergebnisse
in dem noch nicht abgeschlossenen Verfahren 214 - 109/90. Das Gericht sah es nach
Auswertung der Strafakten dieses Verfahrens als erwiesen an, daß der
Beschwerdeführer am 30. April 1990 und 28. November 1991 erneut ein Kraftfahrzeug
geführt hatte, ohne im Besitz einer Fahrerlaubnis zu sein.
Gegen den dem Verteidiger am 3. September 1991 zugestellten Beschluß erhob der
Beschwerdeführer am 12. September 1991 Beschwerde, welche durch Beschluß des
Landgerichts vom 30. September 1991 wegen Verspätung als unzulässig verworfen
wurde. Der Beschwerdeführer erhob auch hiergegen Beschwerde und beantragte
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, allerdings ohne weitere Begründung. Das
Kammergericht verwarf die weitere Beschwerde durch Beschluß vom 28. November
1991 unter Hinweis auf § 310 Abs. 2 StP0 ebenfalls als unzulässig.
Der Beschwerdeführer, der sich zur Zeit wegen dieser Sache in Strafhaft befindet, hat
am 31. März 1992 Verfassungsbeschwerde erhoben und am 2. Juni 1992 den Erlaß einer
einstweiligen Anordnung beantragt, mit der er anstrebt, daß seine Haft bis zur
Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes in der Hauptsache aufgeschoben wird.
Der Beschwerdeführer rügt sinngemäß eine Verletzung von Art. 65 Abs. 2 der
Verfassung von Berlin. Er ist der Auffassung, daß ein Beschuldigter erst dann als
Verurteilter gelten könne, wenn ein Gericht ihn tatsächlich für schuldig befunden habe,
und daß ein Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung nicht allein auf die
Ermittlungsakten gestützt werden dürfe.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.
Gemäß § 49 Abs. 1 VerfGHG kann jeder mit der Behauptung, durch die öffentliche
Gewalt des Landes Berlin in einem seiner in der Verfassung von Berlin enthaltenen
Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde erheben. Nach § 49 Abs. 2 VerfGHG
kann die Verfassungsbeschwerde, soweit gegen die behauptete Verletzung der
Rechtsweg zulässig ist, jedoch nur nach Erschöpfung des Rechtsweges erhoben worden.
Gegen den Beschluß des Amtsgerichts Tiergarten stand dem Beschwerdeführer gemäß
§ 453 Abs. 2 Satz 3 StPO die sofortige Beschwerde zum Landgericht offen. Der
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§ 453 Abs. 2 Satz 3 StPO die sofortige Beschwerde zum Landgericht offen. Der
Beschwerdeführer hat zwar Beschwerde erhoben, jedoch nach dem Beschluß des
Landgerichts die einwöchige Beschwerdefrist des § 311 Abs. 2 StPO versäumt. Die
Beschwerde wurde deshalb als unzulässig verworfen. Von der in den §§ 44, 45 StPO
vorgesehenen Möglichkeit, wegen der Versäumung der Frist Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand zu beantragen, hat der Beschwerdeführer nicht in der in § 45 StPO
vorgesehenen Form Gebrauch gemacht. Zwar hat er gegen den Beschluß des
Landgerichts Beschwerde beim Kammergericht eingelegt und Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand beantragt, jedoch keinerlei Gründe vorgetragen, die hätten erkennen
lassen, daß ihn an der Versäumung der Frist kein Verschulden traf.
Eine Erschöpfung des Rechtsweges liegt nicht vor, wenn der Rechtsweg - sei es auch aus
Unkenntnis - nicht beschritten wurde oder mangels rechtzeitiger Einlegung eines
Rechtsmittels die Entscheidung Rechtskraft erhielt. Es entspricht den allgemeinen
Rechtsgrundsätzen des Prozeßrechts, daß derjenige sein Recht verliert, der es
verabsäumt, die ihm vom Gesetzgeber gestellten Fristen zu beachten(ebenso zur
Verfassungsbeschwerde nach Bundesrecht BVerfGE 1, 12 ff; 5, 17 ff; 14, 54 (55); 16, 1
(3); 17, 86 (91).
Da der Beschwerdeführer es versäumt hat, die Beschwerde gegen den Beschluß des
Amtsgerichts innerhalb der vom Gesetz vorgesehenen Frist einzulegen, hat er den
Rechtsweg nicht erschöpft. Die Verfassungsbeschwerde wird daher gemäß § 23 Satz 1
VerfGHG als unzulässig verworfen.
Im Übrigen wird darauf hingewiesen, daß nach einhelliger Rechtsprechung der
Strafgerichte der Widerruf der Bewährung nach § 56 f. StGB eine rechtskräftige
Verurteilung wegen der neuen Straftat nicht voraussetzt. Vielmehr reicht es nach dieser
Rechtsprechung aus, wenn das Gericht aufgrund zweifelsfreier Tatsachen die feste
Überzeugung erlangt hat und erlangen durfte, daß der Verurteilte die neue Tat
begangen hat (s. OLG Stuttgart, NJW 1978, 200 ff; OLG Celle, NJW 1971, 1665; OLG
Hamm, NJW 1973, 911; OLG Karlsruhe, MDR 1972, 245; BGH, Beschluß vom 05.10.1973,
4 StE 1/67).
Mit der Verwerfung der Verfassungsbeschwerde erledigt sich zugleich der Antrag auf
Erlaß einer einstweiligen Anordnung.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus den §§ 33, 34 VerfGHG.
Dieser Beschluß ist unanfechtbar.
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