Urteil des VerfGH Berlin vom 14.03.2017

VerfGH Berlin: rechtliches gehör, haftpflichtversicherer, verfassungsbeschwerde, anwaltskosten, willkürverbot, grundrecht, verbürgung, gewalt, rüge, haftpflichtversicherung

1
2
3
4
Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
43/92
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 10 Nr 5 AKB, § 91 Abs 2 S 3
ZPO, Art 6 Abs 1 S 1 Verf BE
VerfGH Berlin: Überprüfung einer Entscheidung im gerichtlichen
Kostenfestsetzungsverfahren am Maßstab des Willkürverbots -
Versagung einer Erstattungs- bzw Ausgleichsfähigkeit von
Anwaltskosten des mitversicherten, schon durch die
Prozeßbevollmächtigten des Haftpflichtversicherers wirksam
vertretenen Fahrers
Gründe
Der Beschwerdeführer wendet sich mit der Verfassungsbeschwerde dagegen, daß in
einem gerichtlichen Kostenfestsetzungsverfahren ihm erwachsene Anwaltskosten nicht
als notwendig und erstattungsfähig anerkannt worden sind.
Er war als Fahrer des Personenkraftwagens B-DH ... am 9. Oktober 1989 an einem
Verkehrsunfall beteiligt und erstattete im Einvernehmen mit der Halterin des Fahrzeugs,
Frau E. A., den Schadensbericht an den Haftpflichtversicherer D. Der Eigentümer und
Halter des bei dem Unfall beschädigten VW-Busses B-D ..., Herr S. Sp., erhob beim
Amtsgericht Charlottenburg Klage gegen die D. (Beklagte zu 1) und den
Beschwerdeführer (Beklagter zu 2) auf gesamtschuldnerische Zahlung von 3.041,34 DM
nebst Verzugszinsen, die jeweils am 23. Januar zugestellt wurde. Der
Haftpflichtversicherer D. beauftragte am 29. Januar 1990 die Rechtsanwälte K. und L. mit
der Rechtsverteidigung, und zwar zugleich auch im Namen des Beklagten zu 2. Diese
meldeten sich mit einem undatierten, beim Amtsgericht am 5. Februar 1990
eingegangenen Schriftsatz für die beiden Beklagten. Der Beschwerdeführer (Beklagter
zu 2) erteilte am 8. Februar 1990 an Rechtsanwalt P. ein Mandat zur Rechtsverteidigung,
und dieser meldete sich in dem Verfahren am 13. Februar 1990 mit Schriftsatz vom
gleichen Tage als Prozeßbevollmächtigter des Beklagten zu 2. Bei der mündlichen
Verhandlung und im Beweisaufnahmeverfahren vor dem Amtsgericht Charlottenburg
sind aufgrund dieser Mandatserteilungen jeweils zwei Rechtsanwälte namens des
Beschwerdeführers (Beklagter zu 2) tätig geworden.
Der Rechtsstreit wurde durch das rechtskräftig gewordene Urteil des Amtsgerichts
Charlottenburg vom 10. Juli 1990 - 202 C 615/89 abgeschlossen, dessen
Kostenentscheidung unter anderem vorsieht, daß die außergerichtlichen Kosten dem
Kläger zu 5/6 und den Beklagten als Gesamtschuldnern zu 1/6 zur Last fallen. Auf der
Grundlage dieses Urteils haben die Rechtsanwälte K. und L. in dem anschließenden
Kostenfestsetzungsverfahren namens der beiden Beklagten Anwaltskosten in Höhe von
691,18 DM (einschließlich Mehrvertretungszuschlag gemäß § 6 Abs. 1 BRAGO) zur
Ausgleichung angemeldet und einen entsprechenden Beschluß vom 19. Oktober 1990
erwirkt. Mit einem weiteren Antrag vom 4. November 1990 beantragte Rechtsanwalt P.
namens des Beschwerdeführers (Beklagten zu 2) beim Amtsgericht Charlottenburg,
auch noch die durch seine Einschaltung erwachsenen Kosten in Höhe von insgesamt
605,34 DM zur Ausgleichung zu bringen. Die beauftragte Rechtspflegerin des
Amtsgerichts wies diesen Antrag mit Beschluß vom 2. Juni 1992 - 302/202 C 615/89 - als
unbegründet zurück, da die Beauftragung eines weiteren Rechtsanwalts durch den
Beklagten zu 2 nicht als notwendig im Sinne von § 91 ZPO anerkannt werden könne.
Gegen diesen am 9. Juni 1992 zugestellten Beschluß legte der Beschwerdeführer
(Beklagter zu 2) am 23. Juni 1992 beim Amtsgericht Erinnerung ein, die nach
Nichtabhilfe dem Landgericht Berlin zur Entscheidung vorgelegt wurde. Durch Beschluß
der Zivilkammer 82 des Landgerichts vom 27. Juli 1992 - 82 T 396/92 - wurde das
Rechtsmittel als unbegründet zurückgewiesen, da der Haftpflichtversicherer das Mandat
zur Rechtsverteidigung auch für den Beschwerdeführer als mitversicherten Fahrer
wirksam erteilt habe und die anschließende Beauftragung eines weiteren
Prozeßbevollmächtigten in solchen Fällen nach ständiger Rechtsprechung der
Kostenfestsetzungsinstanzen (etwa KG, JurBüro 1977, 853) nicht notwendig sei.
Gegen diese am 21. August 1992 zugestellte Beschwerdeentscheidung des
4
5
6
7
8
9
10
11
12
Gegen diese am 21. August 1992 zugestellte Beschwerdeentscheidung des
Landgerichts und den zugrundeliegenden Beschluß des Amtsgericht wendet sich der
Beschwerdeführer mit seiner unter dem 23. September eingelegten, beim
Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin am 25. September 1992 eingegangenen
Verfassungsbeschwerde.
Er macht zur Begründung im wesentlichen geltend:
Durch die angegriffenen Entscheidungen werde sein Grundrecht aus Art. 7 der
Verfassung von Berlin (VvB) verletzt, das im Rahmen der allgemeinen Handlungsfreiheit
auch die Freiheit der Anwaltswahl umfasse. Mit der Versagung der Kostenerstattung für
einen nur für ihn tätigen Prozeßbevollmächtigten werde der mitversicherte Fahrer
bevormundet und zum Spielball der Haftpflichtversicherung. Ferner liege eine Verletzung
des Grundrechts aus Art. 16 Satz 1 VvB vor, weil der Kfz-Haftpflichtversicherer mit der
Gestaltung der Versicherungsbedingungen jedem Fahrzeughalter und -fahrer seine
Befugnis zur Bestellung eines gemeinsamen Anwalts und damit sein
Prozeßführungsrecht aufzwinge. Schließlich sei auch der Gleichberechtigungsgrundsatz
nach Art. 6 VvB verletzt. Es liege eine willkürliche Ungleichbehandlung vor, wenn für die
Erstattungsfähigkeit der Anwaltskosten des Mitsicherten darauf abgestellt werde ob sich
sein Anwalt vor oder nach dem Anwalt der Versicherung bei Gericht gemeldet habe.
Jedenfalls müsse auch derjenige, der in Unkenntnis von der Wahrnehmung des
Prozeßführungsrechts der Versicherung einen eigenen Rechtsanwalt beauftrage,
Anspruch auf Erstattung dieser Kosten im Falle des Obsiegens haben. Das Grundrecht
des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör sei ebenfalls verletzt, weil die
Haftpflichtversicherung (Beklagte zu 1) das Anwaltsmandat zur gemeinsamen
Vertretung erteilt habe, ohne ihn davon zu unterrichten.
II.
A. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
1. Der Beschwerdeführer hat den Rechtsweg im Kostenfestsetzungsverfahren erschöpft
(§ 49 Abs. 2 Satz 1 VerfGHG) und die Verfassungsbeschwerde gegen die
letztinstanzliche Entscheidung des Landgerichts Berlin innerhalb der gesetzlichen Frist
von zwei Monaten (§ 51 Abs. 1 Satz 1 VerfGHG) schriftlich beim Verfassungsgerichtshof
eingereicht.
2. Die Begründung entspricht den gesetzlichen Erfordernissen (§ 49 Abs. 1, § 50
VerfGHG) mit der konkreten Darlegung der Möglichkeit, daß der Beschwerdeführer durch
die beanstandete Versagung der Erstattungsfähigkeit von Anwaltskosten in einem seiner
in der Verfassung von Berlin (VvB) enthaltenen Rechte verletzt sein könnte.
a) Neben der Sache liegt allerdings die Rüge einer Verletzung von Art. 7 VvB, denn
dieses Grundrecht betrifft allein die Sicherung der Teilnahme des Bürgers an der
Ausübung der staatlichen Macht (vgl. Schwan in: Pfennig/Neumann, VvB, 2. Aufl., Art. 7
Rdn. 1, 3). Ebensowenig kann der in Art. 16 VvB niedergelegte Grundsatz, wonach jeder
Mißbrauch wirtschaftlicher Macht als widerrechtlich anzusehen ist, auch nur im
entferntesten mit der Entscheidung des hier anhängig gewesenen
Kostenerstattungsstreits in Bezug gesetzt werden.
b) Dagegen ist die Rüge einer Verletzung des Gleichberechtigungsgrundsatzes nach Art.
6 Abs. 1 VvB in zulässiger Weise erhoben worden. Daß nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 VvB
"alle Männer und Frauen ... vor dem Gesetz gleich" sind, bedeutet nicht lediglich eine
dem Art. 3 Abs 2 GG vergleichbare Vorschrift zur Gleichbehandlung der Geschlechter.
Vielmehr liegt darin nach dem sachlichen Regelungsgehalt die umfassende
Gleichheitsgarantie für alle Menschen mit demselben Umfang wie die Verbürgung in Art.
3 Abs. 1 GG (vgl. Beschluß VerfGH 53/92 vom 17. Februar 1993; Schwan in:
Pfennig/Neumann, VvB, Art. 6 Rdn. 5 ff.). Mit Recht hat das Bundesverfassungsgericht in
ständiger Rechtsprechung der Verbürgung in Art. 3 Abs. 1 GG auch die materielle
Ausprägung als Willkürverbot entnommen. Eine gerichtliche Entscheidung verletzt diesen
Grundsatz, wenn sie bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden
Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluß aufdrängt, daß sie auf
sachfremden Erwägungen beruht (vgl, etwa BVerfGE 4, 1 <7> = NJW 1954, 1153;
BVerfGE 42, 64 <74> = NJW 1976, 91; BVerfGE 62, 189 <192> = NJW 1983, 809). Dem
folgt der Verfassungsgerichtshof.
3. Gemäß Art. 142 GG ist diese zusätzliche Verbürgung durch die Landesverfassung
wirksam und in der Rechtsanwendung zu beachten sowie im
Verfassungsbeschwerdeverfahren rügefähig. Falls das Landgericht in dem
Ausgangsverfahren das zugleich landesrechtlich verbürgte objektive Willkürverbot
13
14
15
16
17
18
Ausgangsverfahren das zugleich landesrechtlich verbürgte objektive Willkürverbot
verletzt haben sollte, würde seine Entscheidung auf die Verfassungsbeschwerde vom
Verfassungsgerichtshof aufzuheben sein (§ 54 Abs. 3 VerfGHG). Einer solchen
wirksamen Kontrolle durch die Landesverfassungsgerichtsbarkeit steht nicht entgegen,
daß die angegriffene Entscheidung über den Kostenerstattungsstreit in einem
bundesrechtlich geregelten Verfahren ergangen ist und auch die materiellen
Erstattungsvoraussetzungen aus Bundesrecht folgen.
Der Verfassungsgerichtshof ist berechtigt, die angefochtenen Beschlüsse am Maßstab
des inhaltlich mit Art. 3 Abs. 1 GG übereinstimmenden landesverfassungsrechtlichen
Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 VvB zu messen. Die in der
Verfassung von Berlin gewährleisteten Grundrechte sind nach Art. 23 Abs. 1 VvB für die
rechtsprechende Gewalt des Landes Berlin verbindlich. Wie der Verfassungsgerichtshof
schon in seinen Beschlüssen vom 23. Dezember 1992 - VerfGH 38/92 - und vom 12.
Januar 1993 - VerfGH 55/92 dargelegt hat, sind diese Grundrechte in den Grenzen der
Art. 142, 31 GG, nämlich soweit sie in inhaltlicher Übereinstimmung mit den
Grundrechten des Grundgesetzes stehen, auch dann von der rechtsprechenden Gewalt
des Landes Berlin zu beachten, wenn Bundesrecht angewandt wird. Dementsprechend
kann der Verfassungsgerichtshof gemäß § 49 VerfGHG auch überprüfen, ob die Gerichte
des Landes Berlin bei der Anwendung von Bundesrecht die Grundrechte der Verfassung
von Berlin eingehalten haben.
B. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht begründet.
Die Versagung einer Erstattungs- bzw. Ausgleichungsfähigkeit der in Rede stehenden
Anwaltskosten ist nicht objektiv willkürlich im Sinne der genannten
Verfassungsvorschriften.
1. Das Landgericht hat in verfassungsrechtlich unangreifbarer Weise angenommen, daß
der Beschwerdeführer in dem vorangegangenen Streitverfahren vor dem Amtsgericht
Charlottenburg bereits durch die Rechtsanwälte K. und L. als Prozeßbevollmächtigte
wirksam vertreten wurde und daß mit der weiteren Mandatserteilung an Rechtsanwalt P.
für den Beschwerdeführer "Kosten mehrerer Rechtsanwälte" im Sinne von § 91 Abs. 2
Satz 3 ZPO angefallen sind. Die Mandatserteilung namens des Beschwerdeführers an
die Rechtsanwälte K. und L. erfolgte allerdings durch den Haftpflichtversicherer D. Ohne
ausdrückliche Einverständniserklärung des Beschwerdeführers lediglich im Rahmen der
in § 10 Nr. 5 der Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (AKB)
enthaltenen Vollmachtsklausel. Danach gilt der Versicherer als bevollmächtigt, alle ihm
zur Befriedigung oder Abwehr der Ansprüche zweckmäßig erscheinenden Erklärungen im
Namen der versicherten Personen abzugeben. Es entspricht gefestigter Praxis und wird
insbesondere auch vom Bundesgerichtshof anerkannt -(BGHZ 101, 276 <285> = NJW
1987, 2586; für die frühere Fassung bereits BGHZ 28, 244 <249 f.> = NJW 1959, 39),
daß sich diese Vollmacht auch auf die Abwehr von Ansprüchen gegen den
mitversicherten Fahrer des Kraftfahrzeugs erstreckt weil schon mit dem vom Halter
abgeschlossenen Versicherungsvertrag eine entsprechende Obliegenheit
mitversicherter Personen wirksam begründet wurde. Diese Auslegung hält sich
zweifelsfrei innerhalb der verfassungsrechtlich, insbesondere durch das Willkürverbot,
vorgegebenen Grenzen, so daß es nicht einmal entscheidend darauf ankommt, daß sich
der Beschwerdeführer nach dem Unfall schon mit der Erstattung eines Schadensberichts
unmittelbar an den Haftpflichtversicherer gewandt hatte.
2. Es verstößt auch nicht gegen das verfassungsrechtliche Willkürverbot, wenn das
Landgericht in der angegriffenen Beschwerdeentscheidung angenommen hat, daß der
zunächst durch einen gemeinsamen Prozeßbevollmächtigten mitvertretene
Streitgenosse nur bei Vorliegen besonderer Gründe nachträglich einen ausschließlich für
ihn tätigen weiteren Rechtsanwalt beauftragen darf, sofern er keine
erstattungsrechtlichen Nachteile im späteren Kostenfestsetzungsverfahren in Kauf
nehmen will. Diese Auslegung der erstattungsrechtlichen Regelung des § 91 Abs. 2 Satz
3 ZPO entspricht der in Rechtsprechung und Literatur ganz überwiegend vertretenen
Auffassung (vgl. Hartmann in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, 51. Aufl., § 91 Rdn. 137; Belz
in: MüKo ZPO, § 91 Rdn. 88; von Eicken in: Hdb. Die Kostenfestsetzung, vorm.
Willenbücher, 17. Aufl., Abschn. B 554, jeweils mit Nachw.). Der Verfassungsgerichtshof
ist im Rahmen seiner Prüfungskompetenz nicht dazu berufen, zur Frage der materiellen
Richtigkeit dieser Auslegung Stellung zu nehmen. Jedenfalls ist die Rechtsauffassung des
Landgerichts nicht etwa sachfremd und unvertretbar.
3. Entsprechendes gilt auch für die der angegriffenen Entscheidung zugrundeliegende
Auffassung, daß im konkreten Falle keine besonderen Gründe gegeben seien, die die
Erteilung eines weiteren Anwaltsmandats aus der Interessenlage des Beschwerdeführers
19
20
Erteilung eines weiteren Anwaltsmandats aus der Interessenlage des Beschwerdeführers
sachlich geboten erscheinen lassen könnten. Der Beschwerdeführer macht selbst nicht
geltend, daß ein Interessenkonflikt zwischen ihm und dem mitverklagten
Haftpflichtversicherer die getrennte Anwaltsbestellung erfordert hätte, insbesondere daß
mit etwaigen Rückgriffsansprüchen des Versicherers zu rechnen gewesen wäre. Die
Auffassung des Landgerichts, daß die mögliche Unkenntnis des Beschwerdeführers von
dem schon im Rahmen der Versicherungsbedingungen erteilten gemeinsamen
Anwaltsmandat keinen erheblichen Grund für die Gewährung einer zusätzlichen
Kostenerstattung darstelle und daß sich der Beschwerdeführer insoweit die vor
Mandatserteilung gebotene Belehrung seitens seines Anwalts zurechnen lassen müsse,
läßt ebenfalls keinen Verfassungsverstoß erkennen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 33 f. VerfGHG.
Der Beschluß ist unanfechtbar.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum