Urteil des VerfGH Berlin vom 14.03.2017

VerfGH Berlin: kindeswohl, verfassungsbeschwerde, recht auf information, haushalt, unterbringung, entziehen, anhörung, elterliche sorge, psychiatrische untersuchung, elternrecht

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
156/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 6 Verf BE, Art 7 Verf BE, Art
12 Abs 3 Verf BE, Art 12 Abs 4
Verf BE, § 1626 Abs 2 BGB
Keine Verletzung des Elternrechts durch Entzug der
Personensorge für 16jährige Tochter
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.
Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Die Beschwerdeführerin wendet sich mit der Verfassungsbeschwerde gegen den Entzug
der Personensorge für ihre am … März 1993 geborene Tochter N.
Im April 2008 bat die Beschwerdeführerin nach einer Auseinandersetzung mit ihrer
Tochter eine Freundin um Vermittlung. Diese wandte sich an das zuständige Bezirksamt
(Beteiligter zu 2), das N. am 22. April 2008 auf ihren eigenen Wunsch in Obhut nahm.
Eine am 29. April 2008 zur Abklärung einer Suizidgefahr durchgeführte psychiatrische
Untersuchung diagnostizierte eine Anpassungsstörung, depressive Reaktionen und
Einschlafstörungen. N. schilderte selbstverletzendes Verhalten („Ritzen“).
Suizidgedanken verneinte sie. Die untersuchende Ärztin empfahl den zeitnahen Beginn
einer ambulanten Psychotherapie und gegebenenfalls eine ambulante psychiatrische
Diagnostik.
Seit Mai 2008 lebt N. im Rahmen des betreuten Einzelwohnens in Wohnungen einer
Jugendhilfeeinrichtung. Seit September 2008 befindet sie sich in ambulanter
psychotherapeutischer Behandlung.
Mit der Unterzeichnung eines Hilfeplans Anfang Juni 2008 erklärte sich die
Beschwerdeführerin zunächst mit der Unterbringung ihrer Tochter im betreuten
Einzelwohnen einverstanden. Nachdem sie mit Schreiben vom 18. September 2008 den
Hilfeplan für gescheitert erklärt und den Aufenthalt ihrer Tochter wahlweise bei deren
Großmutter oder in ihrem eigenen Haushalt bestimmt hatte, beantragten N. und der
Beteiligte zu 2 beim Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg den Erlass einer einstweiligen
Anordnung, gerichtet auf die Ersetzung der Einwilligung der Beschwerdeführerin in den
Aufenthalt des Kindes in einer Jugendeinrichtung. Im Termin vom 1. Dezember 2008
erklärte die Beschwerdeführerin ihr Einverständnis mit dem Verbleib ihrer Tochter im
betreuten Einzelwohnen und der Durchführung der Psychotherapie. Sie versprach,
keinen Kontakt zu N. aufzunehmen und die weitere Entwicklung abzuwarten. Am 30.
Januar 2009 stellte sich N. in Begleitung der Beschwerdeführerin, der Großmutter
mütterlicherseits und eines Betreuers im Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin des St.
J.-Krankenhauses vor. Die untersuchende Ärztin sah keinen Unterstützungsbedarf durch
die Klinik und empfahl eine kontinuierliche Anbindung an einen niedergelassenen
Jugendpsychiater.
Nachdem die Beschwerdeführerin Anfang Februar 2009 einen Antrag auf Leistungen der
Kinder- und Jugendhilfe zur Unterbringung ihrer Tochter auf den Zeitraum bis zum 28.
Februar 2009 befristet hatte, beantragte der Beteiligte zu 2 beim Familiengericht, ihr die
Personen- und Gesundheitssorge sowie das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu entziehen.
Nach erneuten Anstrengungen auf Seiten des Jugendamtes habe keine ausreichende
Zusammenarbeit mit der Beschwerdeführerin erreicht werden können. Diese sei
weiterhin nicht in der Lage, sich ausreichend in die Lebenssituation ihrer Tochter
hineinzuversetzen, um das Sorgerecht am Kindeswohl orientiert auszuüben. Mit
Beschluss vom 14. Mai 2009 wies das Amtsgericht den Antrag auf Entzug der
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Beschluss vom 14. Mai 2009 wies das Amtsgericht den Antrag auf Entzug der
Personensorge zurück. Die Voraussetzungen der §§ 1666, 1666a BGB seien nicht
gegeben. Das Gericht verkenne nicht, dass zwischen Mutter und Tochter eine
hochgradig gestörte, eventuell sogar neurotische Mutter-Tochter-Beziehung bestehe,
die bei dem Kind nach häuslichen Konflikten zu Angst und depressiven Reaktionen
geführt habe. Das Verhalten der Beschwerdeführerin gefährde jedoch nicht das
Kindeswohl. Sie kümmere sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten um die Befindlichkeiten
und Entwicklungen ihrer Tochter und sei hierbei vielleicht fordernd und unbequem. Ihre
Bedenken hinsichtlich der für ihr Kind getroffenen Maßnahmen seien nachvollziehbar und
stellten keinen Grund dar, ihr eine missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge
vorzuwerfen. Das Gericht rede nicht einer Rückführung in den mütterlichen Haushalt das
Wort. Der Beteiligte zu 2 und die Beschwerdeführerin hätten vielmehr einverständlich
zum Wohle des Kindes zu überlegen, welche weitere Maßnahmen in Betracht zu ziehen
seien. Das Gericht habe den Eindruck gewonnen, dass es N. gut täte, wenn ihr
deutlichere Grenzen und Zielvorgaben gesetzt und durchgesetzt würden. Ob dies in der
von ihr bewohnten Einzimmerwohnung unter loser Anbindung an einen Betreuer möglich
sein werde, erscheine zweifelhaft. Abschließend legte das Amtsgericht der
Beschwerdeführerin nahe, bei einer pädagogischen Beratungsstelle Rat und Hilfe
nachzusuchen.
Gegen diesen Beschluss legte der Beteiligte zu 2 mit der Begründung Beschwerde ein,
das Gericht habe die aktuelle Lebenssituation der Jugendlichen nicht ausreichend
berücksichtigt und letztendlich verkannt. Die Beschwerdeführerin sei nicht in der Lage,
konstruktiv an der Erstellung einer Zukunftsperspektive für ihre Tochter mitzuarbeiten
und sorge vielmehr dafür, dass deren Lebenssituation von Verunsicherungen geprägt
sei. Zu Unrecht sei das Familiengericht der Sicht der Beschwerdeführerin gefolgt, dass
sich die Lebenssituation ihrer Tochter seit der Inobhutnahme zum Negativen verändert
habe. Die Beschwerdeführerin sei nicht in der Lage, mit den an der Betreuung und
Behandlung der Tochter beteiligten Fachkräften zusammenzuarbeiten. Die Auffassung
des Familiengerichts, die Beschwerdeführerin sei lediglich eine besorgte und unbequeme
Mutter, stelle sich aus Sicht des Jugendamtes als Fehleinschätzung dar. Zu Unrecht
habe das Familiengericht der Bindung und dem Vertrauensverhältnis zwischen N. und
ihren Betreuern keine Bedeutung beigemessen und die Argumentation des
Jugendamtes, dass ihr zur Zeit kein Wechsel in eine andere Jugendhilfeeinrichtung
zuzumuten sei, als „lapidar“ abgetan.
Mit Beschluss vom 13. Oktober 2009 entzog das Kammergericht der Beschwerdeführerin
die Personensorge für N. und übertrug diese auf den Beteiligten zu 2 als Pfleger. Zur
Begründung führte es aus, der Senat sei nach dem Ergebnis seiner ergänzenden
Ermittlungen zu der Überzeugung gelangt, dass der Beschwerdeführerin gemäß § 1666
Abs. 1, Abs. 3 Ziff. 6 BGB die Personensorge für das Kind zu entziehen sei, weil diese
Maßnahme zur Abwehr einer Gefährdung des Kindeswohls jetzt notwendig sei. Es sei
festzuhalten, dass das Kindeswohl zweifellos dann akut gefährdet werde, wenn die
Beschwerdeführerin ihre Tochter in Ausübung ihres Sorgerechts in den eigenen Haushalt
zurückbeordere. Ihrem behandelnden Psychotherapeuten zufolge müsse N. die Chance
haben, in einem sozial-stabilen Umfeld zu leben, in dem sie durch die aktuellen
familiären Konflikte nicht belastet werde. Anlässlich der Untersuchung im St. J.-
Krankenhaus, bei der die Tochter ein gemeinsames Diagnosegespräch mit ihrer Mutter
abgelehnt habe, habe die Beschwerdeführerin hochemotional reagiert, sich vor ihrer
Tochter aufgebaut und sie angeschrien, so dass die Ärztin habe intervenieren müssen.
Es könne also nicht zweifelhaft sein, dass es nach der im Zeitpunkt der Entscheidung
des Senats eineinhalbjährigen Trennung von Mutter und Tochter und der vollständigen
Ablehnung der Mutter durch ihre 16 ½ Jahre alte Tochter - wie sie auch in der vom Senat
durchgeführten Anhörung geäußert worden sei - deren Wohl widerspräche, würde sie
gegen ihren Willen aus der von ihr befürworteten Einrichtung genommen und in den
Haushalt ihrer Mutter überführt. Zwar habe die Beschwerdeführerin aktuell nicht in
Aussicht gestellt, N. in ihren Haushalt zurückholen zu wollen. Sie lehne aber weiterhin
deren Unterbringung in der derzeitigen Betreuungseinrichtung ab und sei offenkundig
nicht in der Lage, nachhaltig mit den an der Betreuung und Behandlung beteiligten
Fachkräften zum Wohle ihrer Tochter zusammenzuarbeiten. Die ständige Ungewissheit
über ihren weiteren Verbleib und die Angst vor Fremdbestimmung durch ihre Mutter
hätten bei N. zu einer erheblichen psychischen Belastung geführt, die jedenfalls zum Teil
auch Ursache für die schlechten schulischen Leistungen einschließlich der Fehlzeiten sei.
Der Beschwerdeführerin sei deshalb jetzt die Personensorge zu entziehen, weil nur so
Stabilität und Sicherheit für ihre Tochter erreicht werden könnten.
Die Beschwerdeführerin sei aufgrund ihrer eigenen Befindlichkeit nicht in der Lage, sich
mit den Gründen für die erheblich gestörte Mutter-Tochter-Beziehung
auseinanderzusetzen. Sie halte die Inobhutnahme für Unrecht und wolle noch heute
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auseinanderzusetzen. Sie halte die Inobhutnahme für Unrecht und wolle noch heute
deren Umstände aufgeklärt wissen. Dass sie entgegen ihren Ankündigungen in den
Anhörungsterminen vor dem Amtsgericht nicht wirklich bereit sei, jedenfalls an den vom
Jugendamt durchgeführten Hilfemaßnahmen mitzuwirken, ergebe sich aus ihren
vielfältigen in der Akte befindlichen Eingaben an das Amtsgericht, das Jugendamt und
die Betreuungseinrichtung. Auch in ihrer Anhörung vor dem Senat habe die
Beschwerdeführerin zum Ausdruck gebracht, dass es ihr auch um eine Aufarbeitung der
Ereignisse des Jahres 2008 gehe und darum, dass die Betreuungseinrichtung auf N.
wegen der Wiederaufnahme der Beziehung zu ihr einzuwirken habe. Beides könne die
Betreuungseinrichtung nicht gewährleisten. Vielmehr sei die Ursache für die
Unterbringung in einer tiefgreifenden Beziehungsstörung zwischen Mutter und Tochter
zu sehen, mit deren Gründen sich zunächst die Beschwerdeführerin selbst
auseinandersetzen müsse, während N. nur durch den für sie sicheren und von ihr
gewünschten Aufenthalt in ihrer Betreuungseinrichtung, unterstützt durch die von ihr
weiterhin durchgeführte Therapie, in die Lage versetzt werde, ihre Probleme mit der
Beschwerdeführerin langfristig aufzuarbeiten. Die Weigerungshaltung ihrer Tochter sei
nicht auf ein Versagen des Beteiligten zu 2 und/oder der Betreuungseinrichtung durch
Ausgrenzung der Beschwerdeführerin oder auf eine misslungene Therapie
zurückzuführen. Es bleibe vielmehr vordringliche Aufgabe der Beschwerdeführerin selbst,
sich in die derzeitige Situation ihrer Tochter hineinzuversetzen. Dann werde sie N. und
ihre Betreuer danach fragen, wie es ihrer Tochter derzeit gehe und darauf verzichten,
Antworten auf die nur eigenen Fragen zu erhalten. Dann werde sie sich auch nicht - wie
geschehen - gegen deren Teilnahme an einer von der Betreuungseinrichtung geplanten
pädagogischen Jugendreise aussprechen, was - verbunden mit weiteren Belastungen für
N. - zur Folge gehabt habe, dass die Zustimmung zur Teilnahme durch eine
Entscheidung des Familiengerichts habe ersetzt werden müssen. Ebenfalls sei unter den
dargestellten Umständen eines nahezu vollständigen Kontaktabbruchs zwischen der
Mutter und ihrer 16 ½-jährigen Tochter bei einem unveränderten Verhalten der Mutter
ausgeschlossen, dass diese die elterliche Sorge für N. in einer Weise wahrnehme, die
deren Wohl entspreche. Dieses sicher unverschuldete Versagen rechtfertige den Entzug
der Personensorge. Da sich die Streitigkeiten auf mehrere Lebensbereiche erstreckten
(Aufenthalt in der Betreuungseinrichtung, Geeignetheit der durchgeführten Therapie,
Teilnahme an Reisen, evtl. weiterer schulischer Werdegang), sei der Beschwerdeführerin
das Personensorgerecht und nicht nur das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu entziehen.
Mit der Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung ihrer
Grundrechte aus Art. 7, 12 Abs. 3 und 4 der Verfassung von Berlin - VvB - durch die
Entscheidung des Kammergerichts. Diese beruhe auf einer grundsätzlich unrichtigen
Anschauung von der Bedeutung der angeführten Grundrechte. Sie weise einzelne
Auslegungsfehler auf, auf die sie maßgeblich gestützt werde. Die Entscheidung beachte
nicht hinreichend den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und basiere auf einer
unzureichenden Sachverhaltsaufklärung, woraus sich unzutreffende Schlussfolgerungen
ergäben.
Das Kammergericht habe unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme des
Psychotherapeuten zunächst darauf abgestellt, dass das Kindeswohl akut gefährdet
wäre, wenn die Beschwerdeführerin ihre Tochter in Ausübung ihres Sorgerechts in ihren
eigenen Haushalt „zurückbeordere“. Hierzu sei darauf hinzuweisen, dass sie die
Herauslösung ihrer Tochter aus dem gemeinsamen Haushalt unterstützend begleitet
und auch danach ihre Rückkehr nicht primär angestrebt habe. In der mündlichen
Anhörung vor dem Kammergericht habe sie ausdrücklich wiederholt erklärt, dass sie zur
Zeit nicht beabsichtige, ihre Tochter in ihren Haushalt zurückzuholen. Sie habe insoweit
selbst erkannt, dass dies nicht deren Wohl entspräche. Das Kammergericht gehe
offenbar dennoch davon aus, sie könne ihr Sorgerecht dazu gebrauchen, ihre Tochter
nach Hause zu nehmen, ohne dies nachvollziehbar zu begründen. Gegen diese
Annahme spreche ihr Vorschlag, N. in einer anderen Einrichtung unterzubringen. Selbst
wenn zu befürchten wäre, sie werde N. entgegen ihren Äußerungen im Rahmen der
Anhörung in ihren Haushalt zurückführen, hätte als verhältnismäßige Maßnahme
ausgereicht, ihre Zustimmung zur Fortsetzung der Unterbringung zu ersetzen.
Die weitere Begründung des Kammergerichts, sie lehne die Unterbringung ihrer Tochter
ab, lasse keine Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles und keine
Auseinandersetzung mit den Elterninteressen in Abwägung mit den Belangen des Kindes
erkennen. Darüber hinaus fehle es an einer zuverlässigen Entscheidungsgrundlage.
Soweit das Kammergericht darauf abstelle, dass sie die Unterbringung ihrer Tochter in
der derzeitigen Betreuungseinrichtung ablehne und nicht in der Lage sei, nachhaltig mit
den an der Betreuung und Behandlung ihrer Tochter beteiligten Fachkräften zu deren
Wohl zusammenzuarbeiten, wodurch sie bei dieser ständige Ungewissheit über ihren
weiteren Verbleib und Angst vor Fremdbestimmung hervorgerufen habe, benenne das
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weiteren Verbleib und Angst vor Fremdbestimmung hervorgerufen habe, benenne das
Gericht nicht konkret, worin es die fehlende nachhaltige Mitarbeit sehe. Die Begründung
des Kammergerichts, die schulischen Leistungen ihrer Tochter und die unentschuldigten
Fehlzeiten lägen auch an dem psychischen Stress, den diese dadurch erleide, dass ihre
Mutter sie in Unsicherheit über den weiteren Verbleib in der Einrichtung lasse,
widerspreche den Denkgesetzen und sei nicht durch erforderliche tatbestandliche
Feststellungen gedeckt. Hätte N. aufgrund der psychischen Belastung mit depressiven
Reaktionen reagiert, wäre es Aufgabe der Betreuer gewesen, dafür Sorge zu tragen,
dass sie mit einem ärztlichen Attest vom Unterricht befreit werde. Dass vielmehr
unentschuldigte Fehlzeiten in erheblichem Maße entstanden seien, spreche dafür, dass
N. die fehlende Kontrolle ausgenutzt habe. Es liege die Frage nahe, ob sie den
Anforderungen des betreuten Einzelwohnens gewachsen sei und dieses als eine dem
Kindeswohl entsprechende Maßnahme aufrechterhalten bleiben müsse. Diese Frage
habe das Familiengericht verneint. Das Kammergericht habe sich nicht damit
auseinandergesetzt, ob die Sicherheit und Beibehaltung der vorhandenen
Lebensumstände wichtiger sei als ein regelmäßiger Schulbesuch. Es wären hier die
Vorteile einer engmaschigeren Beaufsichtigung und fachlichen Förderung mit den
potentiellen Nachteilen einer erneuten Veränderung der Ansprechpartner und Betreuer
in einer anderen Betreuungsform abzuwägen gewesen. Inwieweit ihre Forderung nach
einer anderen Betreuungseinrichtung für ihre Tochter, in der ein regelmäßiger
Schulbesuch gewährleistet wäre, nachhaltig und schwerwiegend das Kindeswohl
gefährde, sei der Entscheidung des Kammergerichts nicht zu entnehmen. Ihr
offenkundiges Interesse, ihre Tochter bei dem Erreichen eines qualifizierten
Schulabschlusses zu unterstützen, habe das Kammergericht unter Verkennung der
Bedeutung ihres Elternrechts nicht als verantwortungsvolle Ausübung der
Personensorge anerkannt. Es habe nicht geprüft, ob der von ihrer Tochter in der
Anhörung eindeutig geäußerte Wille, in der Einrichtung zu bleiben, ihren wirklichen
zukünftigen Interessen dienlich sei. Jedenfalls könne nicht einseitig aus ihrer
Willensäußerung geschlossen werden, ihr Verbleib in dem betreuten Einzelwohnen sei die
allein richtige Maßnahme. Dies sei auch der Stellungnahme des Psychotherapeuten
nicht zwingend zu entnehmen. Ein Sorgerechtsentzug entspräche nur dann den
verfassungsrechtlichen Grundsätzen, wenn jede andere Form der Unterbringung,
insbesondere solche, die sie befürworte, für das Kindeswohl nachhaltig schädlich wären.
Eine solche Abwägung lasse sich der gerichtlichen Entscheidung nicht entnehmen.
Darüber hinaus werde gerügt, dass die Ermittlungen des Gerichts, die sich im
Wesentlichen auf die Anhörung ihrer Tochter stützten, keine der Bedeutung des
Grundrechtseingriffs angemessene und entsprechend zuverlässige
Entscheidungsgrundlage darstellten. Es wäre die Ermittlung geboten gewesen, ob N. die
Reife und Stabilität habe, die ihr das betreute Einzelwohnen und die eigenständige
Entscheidung über den Schulbesuch abverlangten. Angesichts der nicht mehr zu
tolerierenden unentschuldigten Fehltage in der Schule bestünden hieran begründete
Zweifel. Da nicht davon auszugehen sei, dass die entscheidenden Richter über
entsprechende psychologische Kenntnisse verfügten, wäre die Einholung eines
Sachverständigengutachtens geboten gewesen.
Auch für die Schlussfolgerung, das Personensorgerecht sei ihr zu entziehen, weil sie
nicht mit dem behandelnden Psychotherapeuten zusammenarbeite, fehle es an einer
nachvollziehbaren Feststellung einer nachhaltigen Kindeswohlgefährdung. Die
Entscheidung lasse offen, worin eine weitergehende Mitarbeit hätte liegen können. Eine
Mitarbeit zum Wohle des Kindes könne jedenfalls nicht in der bloßen Zustimmung zu
allen vom Jugendamt vorgeschlagenen Maßnahmen gesehen werden. Die Entscheidung
erkläre nicht, warum der Wunsch nach einer eingehenderen Diagnostik das Kindeswohl
gefährde. Sie habe von Anfang an eine gründliche Diagnose über die Ursachen des
selbstverletzenden Verhaltens und einer möglichen Suizidgefährdung gefordert. Nach
der Empfehlung der Ärztin im St. J.-Krankenhaus habe sie ihre Vorstellung von einem
stationären Aufenthalt zur Diagnostik nicht weiter aufrechterhalten. Unter
Berücksichtigung ihrer Bemühungen um eine ausreichende Diagnostik lasse sich nicht
nachvollziehen, weshalb ihr das Kammergericht unterstelle, sie sei nicht in der Lage, mit
den Fachkräften zusammenzuarbeiten, und warum die Ausübung des Sorgerechts durch
sie zu einer schwerwiegenden und nachhaltigen Gefährdung des Kindeswohls führe.
Auch soweit das Kammergericht zur Begründung des Sorgerechtsentzugs auf die
gestörte Mutter-Tochter-Beziehung abgestellt habe, habe es die Bedeutung ihrer
Grundrechte aus Art. 7, 12 Abs. 3 und 4 VvB verkannt. Entgegen der Auffassung des
Kammergerichts verkenne sie ihre Eigenverantwortung an der gestörten Mutter-Tochter-
Beziehung nicht. Vielmehr habe sie gehofft und beabsichtigt, durch eine eingehende
Diagnostik des gesundheitlichen Zustandes ihrer Tochter auch Erkenntnisse über ihr
eigenes Verhalten und für die Beziehung zu ihrer Tochter zu gewinnen. Weiterhin habe
das Kammergericht auf den nahezu vollständigen Kontaktabbruch zwischen ihr und N.
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das Kammergericht auf den nahezu vollständigen Kontaktabbruch zwischen ihr und N.
abgestellt. Dies sei von den Betreuern der Einrichtung und dem Jugendamt aber gerade
angeraten und verlangt worden. Nunmehr werde dieser Kontaktabbruch, durch den sie
ihren Willen und ihre Fähigkeit zur Kooperation mit dem Jugendamt nachdrücklich unter
Beweis gestellt habe, zur Begründung ihrer Erziehungsunfähigkeit herangezogen. Eine
solche Bewertung ihrer Persönlichkeit sei mit verfassungsrechtlichen Grundsätzen nicht
vereinbar. Es hätte geprüft werden müssen, ob der Kontaktabbruch tatsächlich auch
dazu führe, dass sie keinerlei kindeswohlgerechte Entscheidungen mehr für ihre Tochter
treffen könne. Es müsse auch gefragt werden, ob die bloße Verweigerungshaltung von
Kindern ausreichen könne, um die Eltern ihrer Verantwortung zu entheben und ihnen das
Recht zur Pflege und Erziehung der Kinder zu entziehen. Es hätte der Begründung
bedurft, warum jeder Kontakt, der in Ausübung des Personensorgerechts nicht
vermeidbar sei, dem Kindeswohl nachhaltig und schwerwiegend schaden würde.
Derartige Feststellungen seien dem angegriffenen Beschluss nicht zu entnehmen.
Darüber hinaus sei die Feststellung, sie sei nicht erziehungsfähig, nicht in der
verfassungsrechtlich gebotenen Weise geprüft und begründet worden. Die Begründung
lasse insgesamt nicht erkennen, dass sie sich mit den Interessen, den Vorstellungen
und der Persönlichkeit der Beschwerdeführerin in ausreichendem Maße
auseinandergesetzt habe. Außerdem fehle es an einer einem
Sachverständigengutachten gleichwertigen Entscheidungsgrundlage.
Die Beteiligten hatten Gelegenheit zur Äußerung.
II.
1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
a) Soweit die Beschwerdeführerin sich auf die Verletzung von Art. 12 Abs. 4 VvB beruft,
ist der Verfassungsbeschwerde mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, dass sie
sich durch die von dem Beteiligten zu 2 gewählte Unterbringung in ihren Rechten verletzt
sieht. Art. 12 Abs. 4 VvB betrifft die tatsächliche (räumliche) Trennung des Kindes von
der Familie (vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 24, 119 >139 ff.>; Robbers, in: v.
Mangold/Klein/Starck, Grundgesetz Kommentar, 5. Aufl. 2005, Art. 6 Abs. 3 Rn. 269)
gegen den Willen des Erziehungsberechtigten (zum Bundesrecht: Umbach, in:
Umbach/Clemens, Mitarbeiterkommentar zum Grundgesetz, 2002, Art. 6 Rn. 83,
Jestaedt, in: Bonner Kommentar, Art. 6 Abs. 2 und 3 [Stand 1995] Rn. 240). Erfasst ist
nicht nur die erstmalige Trennung, sondern auch die Aufrechterhaltung der Trennung
gegen den Willen des Sorgeberechtigten (vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 68, 176
<187>). Zwar trägt die Beschwerdeführerin vor, sie habe die Herauslösung ihrer Tochter
aus dem gemeinsamen Haushalt unterstützend begleitet und auch danach ihre
Rückkehr nicht primär angestrebt. Sie habe selbst erkannt, dass die Rückführung ihrer
Tochter in ihren Haushalt keine geeignete Maßnahme für deren Wohl darstelle. Wohl
aber trägt sie auch in der Verfassungsbeschwerde zur Begründung der Verletzung ihres
Elternrechts vor, dass die gewählte Maßnahme unter den von ihr genannten Umständen
nicht die geeignete Form der Unterbringung ist, was sie veranlasst hat, der Maßnahme
nicht weiter zuzustimmen.
b) Die Verfassungsbeschwerde ist auch zulässig, soweit die Beschwerdeführerin eine
Verletzung ihres Elternrechts aus Art. 12 Abs. 3 VvB und der Sache nach ihres
allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 7 i. V. m. Art. 6 VvB (vgl. Beschluss vom 14.
Dezember 2009 - VerfGH 31/09 - wie alle nachfolgend zitierten Entscheidungen des
Verfassungsgerichtshofs unter www.gerichtsentscheidungen.berlin-brandenburg.de)
rügt. Die Beschwerdeführerin legt die eigenständige, d. h. nicht bereits von der
Verletzung des Elternrechts als solche umfasste, Verletzung ihres allgemeinen
Persönlichkeitsrechts durch die Feststellungen des Kammergerichts zu ihrer Person
hinreichend dar (vgl. Beschluss vom 21. März 2005 - VerfGH 67/03 – Rn. 23).
2. Die Verfassungsbeschwerde ist jedoch nicht begründet. Die Entscheidung des
Kammergerichts verletzt die Beschwerdeführerin weder in ihrem Grundrecht aus Art. 12
Abs. 3 und 4 VvB noch in ihrem durch Art. 7 i. V. m. Art. 6 VvB geschützten allgemeinen
Persönlichkeitsrecht.
a) Art. 12 Abs. 3 VvB gewährleistet den Eltern gegenüber dem Staat das Freiheitsrecht
auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Die Erziehung des Kindes ist damit primär in die
Verantwortung der Eltern gelegt. In der Beziehung zum Kind muss aber das Kindeswohl
die oberste Richtschnur der elterlichen Pflege und Erziehung sein (Beschluss vom 25.
April 2006 - VerfGH 127/05 -, FamRZ 2006, 1465 <1466>; zum Bundesrecht: BVerfGE
60, 79 <88>; BVerfG, FamRZ 2010, 713). Soweit es um die Trennung des Kindes von
seinen Eltern als stärksten Eingriff in das Elternrecht geht, ist diese allein unter den
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seinen Eltern als stärksten Eingriff in das Elternrecht geht, ist diese allein unter den
Voraussetzungen des Art. 12 Abs. 4 VvB zulässig. Danach dürfen Kinder gegen den
Willen der Erziehungsberechtigten nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie
getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten ihrem Erziehungsauftrag nicht
nachkommen. Dabei muss das elterliche Fehlverhalten ein solches Ausmaß erreichen,
dass das Kind bei einem Verbleiben in der Familie in seinem körperlichen, geistigen oder
seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist (BVerfGE 60, 79 <91>). Dem Elternrecht steht
das Recht des Kindes auf eine möglichst ungehinderte Entfaltung seiner Persönlichkeit
gegenüber (Art. 7 i. V. m. Art. 6 VvB). Das Verhältnis des Elternrechts zum
Persönlichkeitsrecht des Kindes wird durch die besondere Struktur des Elternrechts
geprägt (BVerfGE 72, 122 <137>), das wesentlich ein Recht im Interesse des Kindes ist,
wie sich bereits aus dem Wortlaut des Art. 12 Abs. 3 VvB ergibt, der nicht nur von dem
Elternrecht, sondern auch von der den Eltern obliegenden Pflicht spricht. Dem entspricht
es, dass mit abnehmender Pflege- und Erziehungsbedürftigkeit sowie zunehmender
Selbstbestimmungsfähigkeit des Kindes die im Elternrecht wurzelnden Rechtsbefugnisse
zurückgedrängt werden, bis sie schließlich mit der Volljährigkeit des Kindes erlöschen
(vgl. zum Bundesrecht: BVerfG, a. a. O.). Dieses Prinzip findet in § 1626 Abs. 2 BGB
seinen Ausdruck, wonach die Eltern die wachsenden Fähigkeiten und das wachsende
Bedürfnis des Kindes zu selbständigem verantwortungsbewusstem Handeln (zu)
berücksichtigen (haben).
Das Kind hat als Grundrechtsträger Anspruch auf staatlichen Schutz (vgl. zum
Bundesrecht: BVerfGE 24, 119 <144>). Die staatlichen Organe sind, wenn es zur
Abwehr einer nachhaltigen Gefährdung des körperlichen, geistigen oder seelischen
Wohls des Kindes erforderlich ist, berechtigt und verpflichtet, dessen Eltern von der
Pflege und Erziehung auszuschließen, wenn einer Gefährdung des Kindeswohls nicht auf
andere Weise begegnet werden kann. Dieser Eingriff ist jedoch nur unter strikter
Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zulässig (vgl. zum Bundesrecht:
BVerfG, FamRZ 2010, 713). Art und Ausmaß des Eingriffs bestimmen sich nach dem
Grund des Versagens der Eltern und danach, was im Interesse des Kindes geboten ist.
Der Staat muss nach Möglichkeit versuchen, sein Ziel durch Maßnahmen zu erreichen,
die helfend, unterstützend sowie auf Herstellung eines verantwortungsgerechten
Verhaltens der Eltern gerichtet sind (BVerfG, a. a. O.).
Mit §§ 1666 Abs. 1, 1666a BGB hat der Gesetzgeber eine Regelung geschaffen, die es
dem Familiengericht ermöglicht, bei Maßnahmen zum Schutze des Kindes auch dem
grundgesetzlich verbürgten Elternrecht hinreichend Rechnung zu tragen (BVerfGE 60, 79
<90>). Es ist grundsätzlich nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofs, die
fachgerichtliche Entscheidung und ihre Begründung auf ihre Übereinstimmung mit dem
einfachen Recht zu überprüfen. Der Verfassungsgerichtshof ist keine weitere
Rechtsmittelinstanz. Im Verfahren der Verfassungsbeschwerde besteht im Allgemeinen
erst dann Anlass zu einer verfassungsgerichtlichen Korrektur, wenn das Fachgericht bei
der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts die Grundrechte in ihrem
wesentlichen Gehalt verkannt hat (Beschluss vom 20. November 2007 - VerfGH 137/04 -
, Rn. 44). Bei gerichtlichen Entscheidungen, die Eltern das Sorgerecht für ihr Kind
entziehen, besteht jedoch wegen des Gewichts der Beeinträchtigung der Eltern in ihren
Grundrechten Anlass, auch einzelne Auslegungsfehler nicht außer Betracht zu lassen
(vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 72, 122 <138>; FamRZ 2008, 492). Zum einen stellt
der vollständige Entzug der Personensorge einen der stärksten Eingriffe in das
Elternrecht des Art. 12 Abs. 3 VvB dar (Beschluss vom 21. April 2009 - VerfGH 18/08 -,
FamRZ 2009, 1511 <1512> unter Berufung auf BVerfGE 60, 79 <91>). Zum anderen
können die dem Entzug der Personensorge zugrunde liegenden Feststellungen die Eltern
in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 7 i. V. m. Art. 6 VvB berühren (vgl.
zum Bundesrecht: BVerfG, FamRZ 2008, 492 <493> m. w. N.).
Der Grundrechtsschutz ist auch durch die Gestaltung des Verfahrens sicherzustellen;
das gerichtliche Verfahren muss in seiner Ausgestaltung geeignet und angemessen
sein, um der Durchsetzung der materiellen Grundrechtspositionen wirkungsvoll zu
dienen. Zwar muss es auch in Verfahren mit Amtsermittlungsgrundsatz dem
erkennenden Gericht überlassen bleiben, welchen Weg es im Rahmen der gesetzlichen
Vorschriften für geeignet hält, um zu den für seine Entscheidung notwendigen
Erkenntnissen zu gelangen. Das gerichtliche Verfahren muss aber grundsätzlich
geeignet sein, eine möglichst zuverlässige Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte
Entscheidung zu erlangen und damit der Durchsetzung der materiellen
Grundrechtspositionen wirkungsvoll zu dienen (Beschluss vom 20. November 2007 –
VerfGH 137/04 -, Rn. 47). Die Fachgerichte sind danach verfassungsrechtlich nicht stets
gehalten, ein Sachverständigengutachten einzuholen. Wenn sie aber von der Beiziehung
eines Sachverständigen absehen, müssen sie anderweit über eine möglichst
zuverlässige Entscheidungsgrundlage verfügen (zum Bundesrecht: BVerfG, a. a. O.).
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b) Auch nach diesem strengeren Prüfungsmaßstab besteht kein Anlass zu einer
verfassungsgerichtlichen Korrektur der in Anwendung von §§ 1666, 1666a BGB
ergangenen Entscheidung des Kammergerichts, der Beschwerdeführerin zur Abwehr
einer Gefährdung des Kindeswohls die gesamte Personensorge zu entziehen.
Insbesondere hat das Kammergericht auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen
nachvollziehbar unter Beachtung des Gebotes der Verhältnismäßigkeit den Entzug der
gesamten Personensorge im Sinne des § 1666a Abs. 2 BGB für erforderlich gehalten. Es
ist der Entscheidung mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, dass das
Kammergericht dem begründeten Wunsch des bald volljährigen Kindes den Vorrang vor
dem Erziehungsrecht der Mutter eingeräumt hat. Dies begegnet im Ergebnis keinen
verfassungsrechtlichen Bedenken.
aa) Die Feststellung des Sachverhalts ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Das Kammergericht hat seine Entscheidung auf die entschiedene und über einen
längeren Zeitraum unveränderte Haltung der damals 16 ½-jährigen N., die
übereinstimmenden Einschätzungen der mit ihrer Betreuung befassten Fachkräfte und
der Verfahrenspflegerin, den Bericht des behandelnden Therapeuten und das
aktenkundige Verhalten der Beschwerdeführerin im Umgang mit ihrer Tochter, den
Mitarbeitern der Betreuungseinrichtung und des Jugendamtes gestützt. Es hat die
Beschwerdeführerin, deren Tochter, die Vertreterin des Jugendamtes und die
zuständigen Betreuer der Betreuungseinrichtung persönlich und die Verfahrenspflegerin
schriftlich angehört. Der Entscheidung ging ein Zeitraum von anderthalb Jahren seit der
Inobhutnahme voraus, während dessen das Familiengericht wiederholt mit der
Angelegenheit befasst war. In der Verfahrensakte waren u. a. Eingaben und
Stellungnahmen der Beschwerdeführerin und des Jugendamtes, ärztliche Diagnosen und
ein Bericht des behandelnden Therapeuten vom 30. Dezember 2008 enthalten. Dass für
das Kammergericht Anlass bestanden hätte, die Fachkompetenz der mit der Betreuung
und Behandlung befassten Personen grundsätzlich in Frage zu stellen, ist nicht
ersichtlich.
Es bestand für das Kammergericht deshalb keine Veranlassung, ein
Sachverständigengutachten einzuholen. Ein solches war weder zur Feststellung der das
Kindeswohl gefährdenden erheblichen psychischen Belastung der Jugendlichen noch zur
Beurteilung der Ursächlichkeit des Verhaltens der Beschwerdeführerin aus
verfassungsrechtlicher Sicht zwingend geboten. Die Belastung N.s war evident, und auf
ein etwaiges mütterliches Verschulden kam es im konkreten Fall nicht entscheidend an.
Anders als die Beschwerdeführerin meint, hätte kein Gutachten zur Frage eingeholt
werden müssen, ob und inwieweit die Maßnahmen des Jugendamtes dem Kindeswohl
dienten.
bb) Das Kammergericht durfte seine Entscheidung auf die nach Aktenlage und Anhörung
der Beteiligten gewonnene Erkenntnis stützen, dass dem Wunsch der Jugendlichen nach
Aufrechterhaltung der gewonnenen Selbständigkeit und Schutz vor den Interventionen
der Beschwerdeführerin und damit zugleich ihrem Persönlichkeitsrecht der Vorrang vor
dem Elternrecht einzuräumen ist. Es begegnet auch keinen verfassungsrechtlichen
Bedenken, dass das Kammergericht dem unbedingten Willen der Tochter, entgegen
dem Wunsch der Beschwerdeführerin in der gegenwärtigen Betreuungseinrichtung zu
bleiben, entscheidendes Gewicht beigemessen hat, ohne der Frage nachzugehen, ob sie
den Anforderungen des betreuten Einzelwohnens und eines eigenverantwortlichen
Schulbesuchs gewachsen ist. Aus verfassungsrechtlicher Sicht durfte das
Kammergericht in der Gesamtbetrachtung der mit der Selbsteinschätzung der Tochter
übereinstimmenden Auffassung des Beteiligten zu 2 und der Betreuer folgen, die
schulischen Fehlzeiten seien jedenfalls auch auf die erhebliche psychische Belastung
durch das sich über ihre Vorstellungen und die Empfehlungen des Jugendamtes und der
Betreuer hinwegsetzende Verhalten der Beschwerdeführerin zurückzuführen.
cc) Die Rüge, das Kammergericht sei bei der Beurteilung der Gefährdung des
Kindeswohls von unzutreffenden Tatsachen ausgegangen, verhilft der
Verfassungsbeschwerde nicht zum Erfolg. Entgegen der Auffassung der
Beschwerdeführerin beruht die Entscheidung des Kammergerichts nicht auf der
Feststellung, sie beabsichtige entgegen ihren Angaben, ihre Tochter in ihren Haushalt
zurückzuholen. Vielmehr hat das Kammergericht eine Kindeswohlgefährdung ungeachtet
einer Rückführungsabsicht bejaht. Da die Aussage der Beschwerdeführerin, „zur Zeit“
keine entsprechenden Rückführungsabsichten zu haben, die Möglichkeit eines
Sinneswandels beinhaltete, war es nicht fern liegend, diese in die Gesamtbetrachtung
mit einzustellen, und kann den diesbezüglichen Ausführungen des Kammergerichts nicht
entnommen werden, es habe den Angaben der Beschwerdeführerin in der mündlichen
Anhörung keinen Glauben geschenkt. Vielmehr hat das Kammergericht seine
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Anhörung keinen Glauben geschenkt. Vielmehr hat das Kammergericht seine
Entscheidung darauf gestützt, dass die Beschwerdeführerin die Unterbringung ihrer
Tochter in der aktuellen Betreuungseinrichtung unverändert ablehnte und allein diese
Ungewissheit über ihren weiteren Verbleib das Wohl der Jugendlichen gefährdete. Soweit
die Beschwerdeführerin darauf verweist, zur Sicherung des Aufenthalts ihrer Tochter in
der gewählten Einrichtung hätte es nicht des Entzugs der Personensorge bedurft, das
mildere Mittel der Ersetzung ihrer Zustimmung zur weiteren Unterbringung gemäß §
1666 Abs. 2 Nr. 5 BGB hätte ausgereicht, verkennt sie, dass damit die anhaltenden
Konflikte zwischen ihr und ihrer Tochter nicht befriedet wären. Das Kammergericht hat
zutreffend auf nahezu alle anderen unter Ausübung des Sorgerechts zu treffenden
Entscheidungen verwiesen, über die seit der Inobhutnahme keine Einigung zu erzielen
war. Hierzu gehörten insbesondere die Gesundheitsfürsorge und der schulische
Werdegang.
dd) Soweit die Beschwerdeführerin rügt, der angegriffenen Entscheidung lasse sich nicht
entnehmen, worin das Gericht ihre fehlende nachhaltige Mitarbeit sehe, setzt sie sich
nicht in der gebotenen Weise mit den Entscheidungsgründen auseinander. Auf die vom
Kammergericht benannten Umstände (Eingaben an das Amtsgericht, das Jugendamt
und die Betreuungseinrichtung, Ablehnung von persönlichen Informationsgesprächen
mit den Betreuern, Inhalt der Gespräche mit der Mitarbeiterin des Jugendamtes,
Verweigerung der Zustimmung zur pädagogischen Jugendreise) geht die
Verfassungsbeschwerde nicht im Einzelnen ein. Die in diesem Zusammenhang
wiederholte Kritik an der fehlenden bzw. verspäteten Information durch die Betreuer und
den Beteiligten zu 2 und an den von diesen getroffenen Entscheidungen stellen die
Feststellungen des Kammergerichts nicht durchgreifend in Frage, wenn auch die Kritik
der Beschwerdeführerin an der Zusammenarbeit der Betreuer mit ihr im Einzelfall
berechtigt sein mag. Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, dem Bericht des
behandelnden Psychotherapeuten ließen sich keine Anhaltspunkte für eine fehlende
Zusammenarbeit entnehmen, da der Dissens mit diesem über eine eingehende
Diagnostik ihrer Tochter sachlich gerechtfertigt gewesen sei, übersieht sie die Mitteilung
des Therapeuten, sie habe Gespräche mit ihm nur als Möglichkeit verstanden, sich über
N. zu beschweren, ohne Bereitschaft zu zeigen, ihren eigenen Anteil an den familiären
Konflikten zu reflektieren.
Da das Kammergericht die Kindeswohlgefährdung nicht mit dem Wunsch der
Beschwerdeführerin nach einer eingehenden Diagnostik ihrer Tochter begründet hat,
geht auch der weitere mit der Verfassungsbeschwerde erhobene Einwand ins Leere, die
Entscheidung enthalte hierzu keine Erklärung.
Ebenso wenig hat das Kammergericht den Sorgerechtsentzug unter Verkennung der
Tatsachen damit begründet, dass die Beschwerdeführerin den Kontakt zu ihrer Tochter
abgebrochen habe. Es hat vielmehr gesehen und berücksichtigt, dass der nahezu
vollständige Kontaktabbruch von N. ausging. Die Feststellung des Kammergerichts, die
Beschwerdeführerin sei bislang unverschuldet nicht in der Lage, auf eine Überwindung
der für den Kontaktabbruch ursächlichen tiefgreifenden Beziehungsstörung zwischen
Mutter und Tochter hinzuwirken, begegnet in der Gesamtbetrachtung aller Umstände
keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Entgegen dem Vortrag in der
Verfassungsbeschwerde und im Einklang mit Gesetz und Rechtsprechung lässt die
kammergerichtliche Entscheidung keine Schuldzuweisungen erkennen, sondern beruht
allein auf dem Gedanken, der Kindeswohlgefährdung zu begegnen, und auf der
Prognose, dass dieses nur durch den Sorgerechtsentzug gewährleistet sei. Sie beruht
auf der Abwägung zwischen den Möglichkeiten der Mutter und denen ihrer Tochter zur
Konfliktbewältigung und -aufarbeitung: So führt das Kammergericht aus, N. werde nur
durch den für sie sicheren und von ihr gewünschten Aufenthalt in ihrer
Betreuungseinrichtung, unterstützt durch die von ihr durchgeführte Therapie in die Lage
versetzt, ihre Probleme mit ihrer Mutter langfristig aufzuarbeiten. Das Kammergericht
respektiert den fehlenden Kontaktwunsch des Kindes als Ausdruck seines geschützten
Persönlichkeitsrechts, dem der Wunsch und das Recht der Mutter auf Kontakt und
Mitbestimmung angesichts der nahen Volljährigkeit unterzuordnen sei. Der Wunsch der
Beschwerdeführerin nach Information und Begründung der Vorgänge um die
Inobhutnahme ihrer Tochter ist durchaus verständlich. Ihr Recht auf Information ist im
Übrigen völlig unbestritten, steht aber in keinem Zusammenhang mit der Entziehung
des Sorgerechts.
c) Die in Anwendung von §§ 1666, 1666a BGB ohne Verstoß gegen Art. 12 Abs. 3 und 4
VvB getroffene Entscheidung ist auch gemessen am allgemeinen Persönlichkeitsrecht
der Beschwerdeführerin aus Art. 7 i. V. m. Art. 6 VvB verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden. Die mit einer Entscheidung über den Sorgerechtsentzug notwendig
verbundene Einschätzung der Persönlichkeit der Eltern ist, sofern sie einer Überprüfung
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verbundene Einschätzung der Persönlichkeit der Eltern ist, sofern sie einer Überprüfung
am Maßstab des Elternrechts standhält, auch gemessen am allgemeinen
Persönlichkeitsrecht gerechtfertigt. Eine darüber hinausgehende Verletzung des
Persönlichkeitsrechts der Beschwerdeführerin - etwa durch die Art der Gestaltung des
Verfahrens oder der Begründung der Entscheidung - ist weder dargelegt noch sonst
erkennbar. Auch die Hinweise des Kammergerichts hinsichtlich des zukünftig
wünschenswerten Verhaltens der Beschwerdeführerin enthalten ersichtlich keinen
Rechtsverstoß.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG.
Mit dieser Entscheidung ist das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof
abgeschlossen.
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