Urteil des VerfGH Berlin vom 14.03.2017

VerfGH Berlin: anspruch auf rechtliches gehör, verfassungsbeschwerde, empfang, beherrschende stellung, antenne, mieter, gesamteindruck, staatsangehörigkeit, wohnung, kirche

1
2
3
4
Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
136/02
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 3 Abs 1 GG, Art 101 Abs 1 S
2 GG, Art 103 Abs 1 GG, Art 10
Abs 1 Verf BE, Art 15 Abs 1
Verf BE
VerfGH Berlin: Keine Verletzung des Eigentumsgrundrechts des
Vermieters durch zivilgerichtliche Abweisung einer Klage auf
Beseitigung einer durch ausländischen Mieter angebrachten
Parabolantenne trotz vorhandenem Breitbandkabels -
Abwägung zwischen Eigentümer- und Informationsinteresse des
Mieters
Gründe
I.
Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin und Vermieterin einer in B. gelegenen
Wohnung. Mieter der Wohnung sind die aus Polen stammenden Beklagten des
Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Beklagte). Sie sind deutsche Staatsangehörige; die
Beklagte zu 2. besitzt zusätzlich die polnische Staatsangehörigkeit.
Mit der Klage verlangte die Beschwerdeführerin von den Beklagten die Beseitigung einer
auf dem Balkon der Wohnung installierten Satellitenantenne. Sie meinte, dem Interesse
der Beklagten am Empfang heimatsprachlicher Sender sei durch den vorhandenen
Anschluss an das Breitbandkabelnetz der Telekom hinreichend Rechnung getragen.
Zudem sei die Satellitenantenne ohne ihre Zustimmung und in einer Weise angebracht
worden, die den optischen Gesamteindruck der Wohnanlage beeinträchtige und eine
Beschädigung der Bausubstanz befürchten lasse. Die Beklagten erwiderten, dass sie aus
Polen stammten, die Beklagte zu 2. in Poznan studiere und sie der polnischen Sprache
mächtiger seien als der deutschen. Dank der Satellitenanlage könnten sie laufend alle
kulturellen Ereignisse in Polen verfolgen. Als Katholiken nutzten sie zudem die
Möglichkeit, einen Fernseh- und einen Radiosender der polnischen katholischen Kirche zu
empfangen.
Durch Urteil vom 26. Juli 2002 wies das Amtsgericht Neukölln die Klage mit der
Begründung ab, die Beschwerdeführerin sei nach den im Rechtsentscheid des
Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 24. August 1993 (NJW 1993, 2815) enthaltenen
Grundsätzen verpflichtet, der Aufstellung und Nutzung der Satellitenantenne
zuzustimmen. Der vorhandene, den Empfang zweier polnischer Sender ermöglichende
Breitbandkabelanschluss befriedige das Informationsinteresse der Beklagten nicht.
Diese hätten dargelegt, durch die Antenne ca. 20 polnische Fernseh- und 10
Hörfunksender zu empfangen. Selbst wenn der Vortrag der Beschwerdeführerin zutreffe,
dass sich darunter lediglich zwei weitere polnische Vollprogramme und im Übrigen nur
Spielfilmsender befänden, brächten die zwei weiteren Sender zumindest eine
Verdoppelung des Informationsangebots für die Beklagten. Deren Bedürfnis,
Informationen polnischer Sender zu empfangen, folge bereits daraus, dass die Beklagte
zu 2. neben der deutschen auch die polnische Staatsangehörigkeit besitze und in
Poznan Kunst studiere. Zudem seien beide Beklagte der polnischen Sprache mächtiger
als der deutschen; auch wachse ihr Sohn deutsch- und polnischsprachig auf. Es könne
deshalb dahinstehen, ob im Hinblick auf die neben der Informationsfreiheit berührte
Glaubensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG angesichts des Empfangs des Fernseh- und
Radioprogramms der polnischen katholischen Kirche ein noch weitergehendes
Informationsbedürfnis der Beklagten vorhanden sei.
Soweit die Beschwerdeführerin in ihrem nach § 283 ZPO nachgelassenen Schriftsatz
vom 8. Juli 2002 das Dach als möglichen Aufstellungsort für die Antenne angegeben
habe, handele es sich nicht um eine Erwiderung auf das Vorbringen der Beklagten.
Zudem werde das Recht der Beklagten zur Aufstellung der Antenne von der
Beschwerdeführerin generell, zu Unrecht und nicht nur hinsichtlich des Aufstellungsortes
bestritten, weshalb die Beklagten diese an ihrem ursprünglichen Platz auf dem Balkon
belassen dürften. Erhebliche nachteilige Eingriffe in die Bausubstanz – etwa durch die
Führung des Strom- und Empfangskabels von der Antenne in die Wohnung – seien nicht
5
6
7
8
9
10
11
Führung des Strom- und Empfangskabels von der Antenne in die Wohnung – seien nicht
ersichtlich.
Bei Abwägung der Grundrechte der Beschwerdeführerin aus Art. 14 Abs. 1 GG mit denen
der Beklagten aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 GG überwiege das Informationsinteresse
der Beklagten. Zwar sei die Antenne von unten sichtbar; sie werde jedoch zumindest
teilweise durch Bäume verdeckt. Im Übrigen handele es sich nicht um ein Haus, bei dem
der optische Gesamteindruck nachhaltig durch die Antenne gestört werde, wie dies etwa
bei einer einzeln stehenden Jugendstilvilla der Fall sein könnte.
Den Streitwert des Verfahrens setzte das Amtsgericht auf 300 € fest.
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin, das Amtsgericht habe
ihre Rechte aus Art. 10 Abs. 1 und – sinngemäß – aus Art 15 Abs. 5 Satz 2 der
Verfassung von Berlin – VvB – verletzt, indem es die Berufung gegen das angefochtene
Urteil nicht zugelassen habe. Das Gericht sei von dem Rechtsentscheid des OLG
Karlsruhe vom 24. August 1993 (NJW 1993, 2815) und den Entscheidungen des
Landgerichts Berlin vom 8. Juni 1999 – 64 S 547/98 –, 29. Juni 1999 – 64 S 77/99 – und
21. Mai 2001 – 61 S 307/2000 – abgewichen und daher gemäß § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2
Alt. 2 ZPO (in der bis zum 31. August 2004 geltenden Fassung) verpflichtet gewesen, die
Berufung zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung zuzulassen.
Nach diesen Entscheidungen sei das Informationsbedürfnis ausländischer Mieter
hinreichend befriedigt, wenn ein Breitbandkabel einen Zugang zu Informationsquellen
aus dem Heimatland ermögliche. Das Amtsgericht setze sich in krasser Weise und ohne
Begründung darüber hinweg, dass das Informationsbedürfnis der Beklagten bereits
durch die Möglichkeit, zwei polnische Sender über Breitbandkabel zu empfangen,
befriedigt werde. Es handele sich dabei um zwei mit inländischen öffentlich-rechtlichen
Sendern vergleichbare Vollprogramme. Die Gründe, mit denen die Beklagten ein
besonderes, den Zugang zu mehr als 20 polnischen Fernseh- und 10 polnischen
Hörfunkprogrammen erforderndes Informationsbedürfnis rechtfertigten, seien
unsubstantiiert. Soweit das Informationsbedürfnis mit dem Kunststudium der Beklagten
zu 2. in Polen begründet worden sei, habe sich das Amtsgericht weder mit den beiden
über das Breitbandkabelnetz zugänglichen Programmen auseinandergesetzt noch die
Qualität der zusätzlich über die Satellitenantenne zu empfangenden Programme auf ihre
Eignung geprüft, das behauptete gesteigerte kulturelle Informationsinteresse zu
befriedigen. Unsubstantiiert sei auch das – lediglich mit der katholischen Erziehung der
Beklagten begründete – Informationsbedürfnis bezüglich der Sender der polnischen
katholischen Kirche. Das Amtsgericht habe ferner unberücksichtigt gelassen, dass die
Beklagten (auch) die deutsche Staatsangehörigkeit besäßen; allein aus ihrer
Polnischsprachigkeit könne ein besonderes Interesse an einem Empfang
heimatsprachlicher Sender nicht hergeleitet werden.
Das Amtsgericht habe zudem verkannt, dass nachteilige Eingriffe in die Bausubstanz
vorlägen. Wegen der Notwendigkeit, ein Kabel vom Balkon in die Wohnung zu führen,
müsse die Wand oder der Türrahmen durchbohrt worden sein; folglich sei mit
Feuchtigkeitsschäden zu rechnen. Dennoch habe das Amtsgericht angenommen, dass
Anhaltspunkte für einen Eingriff in die Bausubstanz nicht ersichtlich seien. Somit habe es
sich mit einem weiteren wesentlichen Grundsatz der genannten Entscheidungen nicht
hinreichend auseinandergesetzt. Zudem sei ihr Bestimmungsrecht bei der Wahl des
möglichen Aufstellungsortes der Satellitenantenne vom Amtsgericht verkannt worden.
Sie, die Beschwerdeführerin, habe deutlich gemacht, zwar grundsätzlich die Beseitigung
der Antenne zu verlangen, eine notfalls zu erteilende Zustimmung zur Installation jedoch
ausschließlich für das Dach zu erteilen. Soweit das Amtsgericht ausführe, dass es sich
nicht um ein Haus handele, bei dem die Antenne den optischen Gesamteindruck
nachhaltig störe, zumal sie aus bestimmten Blickrichtungen durch Bäume verdeckt
werde, sei ihr Vortrag zu den örtlichen Gegebenheiten übergangen worden. Im Übrigen
erscheine die Einschätzung des Amtsgerichts, dass eine allein stehende Jugendstilvilla
schutzwürdiger sei als zeitgemäße Architektur, als willkürlich.
II.
Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.
1. Es ist bereits zweifelhaft, ob die Beschwerde die Zulässigkeitsanforderungen des
Gesetzes über den Verfassungsgerichtshof – VerfGHG – erfüllt. Nach dem in § 49 Abs. 2
VerfGHG zum Ausdruck kommenden Grundsatz der Subsidiarität muss der
Beschwerdeführer vor Anrufung des Verfassungsgerichtshofs alle nach Lage der Sache
zur Verfügung stehenden und ihm zumutbaren prozessualen Möglichkeiten ergriffen
haben, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung auf
12
13
14
15
16
17
18
haben, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung auf
fachgerichtlicher Ebene zu erwirken oder zu verhindern (Beschluss vom 31. Juli 1998 –
VerfGH 80/97 – LVerfGE 9, 33 ; vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 63, 77 ; 85 ). Unterlässt
er dies, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig.
Hiernach könnte die Beschwerdeführerin gehalten gewesen sein, zunächst eine
Anhörungsrüge nach § 321a ZPO a. F. zu erheben. Sie stützt ihre
Verfassungsbeschwerde nämlich unter anderem darauf, dass das Amtsgericht ihren
Vortrag übergangen habe, die Satellitenantenne könne von den umliegenden
Wohnhäusern aus gesehen werden. Soweit damit geltend gemacht werden soll, das
Amtsgericht habe gegen seine Verpflichtung verstoßen, den Vortrag der Parteien zur
Kenntnis zu nehmen und ihn bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen, macht
die Beschwerdeführerin der Sache nach eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung
rechtlichen Gehörs (Art. 15 Abs. 1 VvB) geltend. In diesem Fall hätte sie vor Anrufung
des Verfassungsgerichtshofs versuchen müssen, den Verfassungsverstoß durch eine
Anhörungsrüge gemäß § 321a ZPO a. F. zu beseitigen. Die Nichterhebung der
Anhörungsrüge führt dazu, dass die Verfassungsbeschwerde nicht nur in Bezug auf die
behauptete Verletzung von Art. 15 Abs. 1 VvB, sondern – weil dem fachgerichtlichen
Verfahren ein einheitlicher Streitgegenstand zugrunde liegt – insgesamt unzulässig ist
(vgl. Beschluss vom 14. Februar 2006 – VerfGH 62/06 –; für das Bundesrecht: BVerfG,
NJW 2005, 3059 f. sowie Desens, NJW 2006, 1243 ). Läge ein Verstoß gegen den
Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs vor, wäre das fachgerichtliche Verfahren
auf die Anhörungsrüge hin nämlich fortzuführen gewesen. Da der Beschwerdeführer
hierdurch die Möglichkeit erhielte, auf die Beseitigung weiterer verfassungsrechtlicher
Mängel der angefochtenen Entscheidung hinzuwirken, könnte der Rechtsbehelf der
Anhörungsrüge im Ergebnis dazu führen, dass die geltend gemachte
verfassungsrechtliche Beschwer des Beschwerdeführers insgesamt und damit auch die
Notwendigkeit einer Verfassungsbeschwerde entfiele (vgl. zum Bundesrecht: BVerfG,
NVwZ-Beilage 1998, 81; BVerfG, NVwZ 1998, 1174).
Ob die Beschwerdeführerin ihren Anspruch auf rechtliches Gehör als verletzt ansieht –
mit der Folge, dass ihre Verfassungsbeschwerde, wie dargelegt, unzulässig wäre – oder
ob sie mit der Rüge, das Amtsgericht habe bestimmten Vortrag übergangen, lediglich
zum Ausdruck bringen wollte, das Gericht habe ihrem Vortrag bei der gebotenen
Abwägung der Rechtspositionen der Parteien nicht die richtige Bedeutung beigemessen
– hierfür spricht, dass die Verfassungsbeschwerde ausdrücklich nur eine Verletzung des
Willkürverbots rügt –, kann allerdings dahinstehen, weil die Verfassungsbeschwerde
jedenfalls unbegründet ist.
2. a) Das angefochtene Urteil verletzt nicht das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art.
15 Abs. 5 Satz 2 VvB).
aa) Der Beschwerdeführerin ist es – obwohl sie als städtische Wohnungsbaugesellschaft,
in der das Land Berlin aufgrund der Beteiligungsverhältnisse eine beherrschende
Stellung einnimmt, grundsätzlich nicht Trägerin materieller Grundrechte sein kann – zwar
möglich, sich auf dieses Recht berufen. Denn die durch Art. 15 Abs. 1 und Art. 15 Abs. 5
Satz 2 VvB gewährleisteten Verfahrensrechte stehen auch juristischen Personen des
öffentlichen Rechts und von ihnen beherrschten privatrechtlichen Organisationen zu (vgl.
Beschluss vom 14. Februar 2005 – VerfGH 77/03 – m. w. N.; zum Bundesrecht BVerfGE
21, 362 ; 61, 82 ).
bb) Die in Art. 15 Abs. 5 Satz 2 VvB in Übereinstimmung mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG
verbürgte Gewährleistung des gesetzlichen Richters ist jedoch nur verletzt, wenn ein
Gericht die Verpflichtung zur Vorlage an ein anderes Gericht willkürlich außer Acht lässt
(vgl. Beschlüsse vom 19. Oktober 1995 – VerfGH 23/95 – LVerfGE 3, 99 und 17.
Dezember 1997 – VerfGH 112/96 – LVerfGE 7, 49 ; vgl. zum Bundesrecht BVerfGE 76, 93
; 87, 282 ). Hieran fehlt es.
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin stellt es sich nicht als willkürlich dar,
dass das Amtsgericht davon abgesehen hat, die Berufung wegen einer Divergenz zu
anderen Entscheidungen, also gemäß § 511 Abs. 4 ZPO zur Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung, zuzulassen. Dieser Zulassungsgrund ist nur gegeben,
wenn die angefochtene Entscheidung ein und dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet
als die angeführte Vergleichsentscheidung, mithin einen Rechtssatz aufstellt, der sich
mit einem in der Vergleichsentscheidung aufgestellten und diese tragenden Rechtssatz
nicht deckt, und auf dieser Abweichung beruht (vgl. für § 543 Abs. 2 ZPO: BGHZ 154,
288 sowie für § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO: BGH, NJW 2002, 2473; siehe auch BVerfG, NJW
2004, 2584). Eine solche Abweichung liegt hier nicht vor.
Das Amtsgericht verwendet in der angegriffenen Entscheidung nämlich gerade die im
18
19
20
21
22
23
Das Amtsgericht verwendet in der angegriffenen Entscheidung nämlich gerade die im
Rechtsentscheid des Oberlandesgerichts Karlsruhe aufgestellten Kriterien. Hinsichtlich
der Frage, ob ein ausländischer Mieter trotz vorhandenem Breitbandkabelanschluss die
Erlaubnis zur Installation einer Satellitenantenne beanspruchen kann, heißt es in der
Entscheidung des Oberlandesgerichts: „Der Breitbandkabelanschluss befriedigt das
Bedürfnis des Mieters auf Empfang von Fernsehprogrammen aus dessen Heimatland
derzeit und in absehbarer Zeit nicht. Eine Parabolantenne kann diesem Mangel
abhelfen“ (NJW 1993, 2815 ). In allen drei von der Beschwerdeführerin genannten
Entscheidungen des Landgerichts Berlin wird als Voraussetzung für einen
entsprechenden Anspruch des Mieters verlangt, dass „der Mieter sein Bedürfnis auf
Empfang von Fernsehprogrammen aus seinem Heimatland durch einen vorhandenen
Breitbandkabelanschluss nicht hinreichend befriedigen kann“. Danach soll ersichtlich die
Abwägung im Einzelfall maßgeblich sein, ob eine „hinreichende“ Befriedigung dieses
Bedürfnisses am Empfang heimatlicher Sender angenommen werden kann.
Einen allgemeinen Rechtssatz, wonach das Informationsbedürfnis ausländischer Mieter
immer schon dann als befriedigt anzusehen ist, wenn ein Breitbandkabel Zugang zu
Informationsquellen aus dem Heimatland ermöglicht, findet sich – entgegen der
Behauptung der Beschwerdeführerin – in den vorgelegten Entscheidungen hingegen
nicht. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat lediglich den Fall entschieden, dass über den
vorhandenen Breitbandkabelanschluss überhaupt kein Heimatsender empfangen
werden kann. Es ist hierbei von einem grundsätzlichen Anspruch des Mieters auf
Gestattung der Installation einer geeigneten Satellitenantenne ausgegangen, ohne
damit zugleich eine generelle Aussage des Inhalts zu verbinden, ein solcher Anspruch
könne nur in dieser Konstellation bestehen. Stattdessen verweist das Oberlandesgericht
Karlsruhe auf den bereits erwähnten Kriterienkatalog, der im hier maßgeblichen Punkt (3
a), wie dargelegt, eine Abwägung im Einzelfall erforderlich macht. Diese Vorgabe
entspricht im Übrigen auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts,
wonach in jedem Fall eine Abwägung zwischen dem Grundrecht auf Informationsfreiheit
des Mieters und dem Eigentumsgrundrecht des Vermieters stattzufinden habe (BVerfGE
90, 27 ). Zwar darf bei der Abwägung berücksichtigt werden, „in welchem Umfang“ der
Mieter Programme seines Heimatlandes bereits ohne Parabolantenne empfangen kann.
Fehlerhaft ist es aber, die Entscheidung des Mieters für Fernsehprogramme des
Heimatlandes generell unter Verweis auf andere Informationsmöglichkeiten der gleichen
oder einer anderen Art überhaupt nicht in die Abwägung einzubeziehen (vgl. BVerfGE 90,
27 ).
Im entschiedenen Fall hat das Bundesverfassungsgericht jedoch u. a. beanstandet, dass
das Landgericht den dortigen Beschwerdeführer, einen türkischen Mieter, ohne weiteres
auf den Empfang türkischer Hörfunkprogramme sowie (lediglich) eines türkischen
Fernsehprogramms über das Kabelnetz verwiesen hatte (BVerfGE 90, 27 ; ähnlich:
BVerfG, WuM 1994, 3565 f. sowie NJW 1994, 2143; den neueren Entscheidungen BVerfG,
BayVBl 2005, 691 f. und NJW-RR 2005, 661 ff., bei denen das Bundesverfassungsgericht
Verfassungsbeschwerden von türkischen Mietern zurückgewiesen hat, lagen Fälle
zugrunde, in denen über das Breitbandkabelnetz und den Kabelnetzbetreiber eine
„Vielzahl heimatsprachiger Fernsehsendungen“ zu empfangen seien; der
Bundesgerichtshof ging in einer Wohnungseigentumssache – BGHZ 157, 322 ff. – davon
aus, dass das besondere Informationsinteresse der polnischen Beschwerdeführer durch
ein polnisches Fernsehprogramm, welches im Kabelnetz zur Verfügung stand, nicht
zufrieden gestellt war).
Auch von den weiteren allgemeinen Kriterien, die das Oberlandesgericht sowie das
Landgericht Berlin in den von der Beschwerdeführerin benannten Entscheidungen für
einen Gestattungsanspruch des ausländischen Mieters aufgeführt haben, ist das
Amtsgericht nicht grundsätzlich abgewichen. Die Beschwerdeführerin greift insofern
lediglich die Subsumtion des Amtsgerichts als willkürlich an.
b) Soweit die Beschwerdeführerin auch eine Verletzung des allgemeinen
Gleichheitsgebots aus Art. 10 Abs. 1 VvB in seiner Ausprägung als Willkürverbot rügen
will, bleibt die Verfassungsbeschwerde ebenfalls ohne Erfolg. Abgesehen davon, dass
zweifelhaft sein könnte, ob sich die Beschwerdeführerin angesichts der beherrschenden
Stellung des Landes Berlin (vgl. oben zu 2. a) aa)) auf das Gleichheitsgebot des Art. 10
Abs. 1 VvB berufen kann (vgl. für das Bundesrecht: BVerfG, Beschluss der 1. Kammer
des 2. Senats vom 8. Februar 2006 – 2 BvR 575/05 –), ist die Entscheidung des
Amtsgerichts nicht willkürlich.
Eine gerichtliche Entscheidung verletzt das mit Art. 3 Abs. 1 GG inhaltsgleiche
Willkürverbot nach Art. 10 Abs. 1 VvB nur dann, wenn die Entscheidung unter keinem
denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie
24
25
26
27
28
29
30
denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie
auf sachfremden Erwägungen beruht. Erforderlich ist, dass die Sach- oder Rechtslage in
krasser Weise verkannt worden, dass also bei objektiver Würdigung aller Umstände die
Annahme geboten ist, die vom Gericht vertretene Auffassung sei im Bereich des
schlechthin Abwegigen anzusiedeln (vgl. Beschluss vom 23. April 1996 - VerfGH 69, 69
A/95 - LVerfGE 4, 54 m. w. N.).
aa) Die Auffassung des Amtsgerichts, das Informationsbedürfnis der Beklagten am
Empfang polnisch-sprachiger Sender sei durch zwei polnische Programme aus dem
Breitbandkabelnetz nicht hinreichend befriedigt, stellt keine offensichtliche Verkennung
der Sach- und Rechtslage dar, sondern hält sich, wie dargelegt, auch im Rahmen der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Das Amtsgericht folgert in jedenfalls
nicht offensichtlich unhaltbarer Weise das grundsätzliche Informationsbedürfnis der
Beklagten an (weiteren) polnischsprachigen Sendern in erster Linie daraus, dass beide
Beklagte der polnischen Sprache mehr mächtig seien als der deutschen, zudem die
Beklagte zu 2. neben der deutschen auch die polnische Staatsangehörigkeit besitze und
in Polen Kunst studiere. Die Annahme des Amtsgerichts, die beiden frei über das
Breitbandkabelnetz empfangbaren polnischen Fernsehprogramme erfüllten das
Informationsbedürfnis der Beklagten nicht in hinreichender Weise, ist zwar recht knapp
begründet („Verdoppelung des Informationsangebots“), in der Sache aber vertretbar;
das gilt insbesondere unter Berücksichtigung des Hinweises auf die zusätzliche
Empfangsmöglichkeit von Sendern der polnischen katholischen Kirche, ohne dass es auf
die Frage ankommt, ob sich die Beklagten insofern auch auf das Grundrecht der
Glaubensfreiheit berufen können.
Dass das Amtsgericht keine näheren Feststellungen dazu getroffen hat, ob die per
Satellitenantenne zu empfangenden Programme geeignet sind, das
Informationsinteresse der Beklagten zu befriedigen, stellt sich schon deshalb nicht als
willkürlich dar, weil Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 GG dem Bürger das Recht gibt zu
entscheiden, aus welchen allgemein zugänglichen Quellen er sich unterrichten will (vgl.
BVerfGE 90, 27 ). Maßgeblich konnte daher nur sein, ob ein besonderes
Informationsinteresse der Beklagten anzuerkennen und ob dieses durch die zwei über
das Breitbandkabel zu empfangenden Programme als befriedigt anzusehen ist.
Ebenfalls vertretbar ist die Auffassung des Amtsgerichts, dass es nicht entscheidend auf
die deutsche Staatsangehörigkeit der Beklagten ankommt. Auch dies entspricht der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach nicht der formale Inländer-
oder Ausländerstatus für die Grundrechts- bzw. Interessenabwägung maßgeblich ist,
sondern das Vorhandensein besonderer Umstände, die ein über dem Durchschnittsfall
liegendes Informationsinteresse begründen können; dies ist auch bei deutschen Mietern
denkbar (BVerfGE 90, 27 ; vgl. auch den der Entscheidung BGH, NJW 2006, 1062
zugrunde liegenden Sachverhalt).
bb) Soweit die Beschwerdeführerin beanstandet, das Amtsgericht habe in krasser Weise
verkannt, dass nachteilige Eingriffe in die Bausubstanz vorlägen, übersieht sie, dass das
Gericht – ebenfalls in Übereinstimmung mit dem Kriterienkatalog des Oberlandesgericht
Karlsruhe – lediglich „erhebliche“ nachteilige Eingriffe in die Bausubstanz geprüft und für
deren Vorliegen keine Anhaltspunkte gesehen hat.
cc) Soweit die Beschwerdeführerin rügt, das Amtsgericht habe ihr Bestimmungsrecht bei
der Wahl des möglichen Aufstellungsortes der Parabolantenne verkannt, genügt die
Verfassungsbeschwerde schon nicht den Darlegungs- und Begründungsanforderungen
der § 49 Abs. 1, § 50 VerfGHG. Das Amtsgericht hat ausgeführt, dass der im Schriftsatz
vom 8. Juli 2002 enthaltene Vortrag der Beschwerdeführerin zum Aufstellungsort schon
aus prozessualen Gründen (§ 283 ZPO) nicht zu berücksichtigen war. Die
Beschwerdeführerin hätte sich in der Verfassungsbeschwerde daher mit dieser
Begründung auseinandersetzen müssen; daran fehlt es jedoch.
dd) Unzulässig ist schließlich auch die Rüge, die Einschätzung des Amtsgerichts sei
willkürlich, der optische Gesamteindruck des Wohngebäudes sei durch die
Parabolantenne nicht so nachhaltig gestört, wie dies etwa bei einer allein stehenden,
nicht von Bäumen umsäumten Jugendstilvilla der Fall sein könne. Zur Begründung einer
Willkürrüge reicht es nicht, lediglich die eigene Auffassung derjenigen des Gerichts
entgegen zu halten. Die Beschwerdeführerin hätte vielmehr darlegen müssen, weshalb
der optische Gesamteindruck ihres Hauses durch die Parabolantenne in nicht mehr
hinnehmbarer Weise beeinträchtigt wird und dass dies so offenkundig ist, dass eine
Verurteilung der Beklagten zu deren Beseitigung die einzig sachlich vertretbare
Entscheidung gewesen wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG.
31 Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum