Urteil des VerfGH Berlin vom 14.03.2017

VerfGH Berlin: rechtliches gehör, verfassungsbeschwerde, abrechnung, grundrecht, form, willkürverbot, rüge, gestaltung, quelle, sammlung

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
150/03
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 10 Abs 1 Verf BE, Art 15
Abs 1 Verf BE, § 49 Abs 2 S 1
VGHG BE, § 50 VGHG BE, § 51
Abs 1 VGHG BE
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.
Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe
I. Die Beschwerdeführerin betätigte sich bis 1998 in Zusammenarbeit mit Frau L. (im
Folgenden: Beklagte) im Maklergewerbe, wobei die Maklerprovisionen im
Außenverhältnis jeweils von der Beklagten in Rechnung gestellt und im Innenverhältnis
aufgrund eines bestimmten Prozentsatzes zwischen der Beschwerdeführerin und der
Beklagten aufgeteilt wurden.
Nach Beendigung der Geschäftsbeziehung übersandte die Beklagte nach Aufforderung
durch die Beschwerdeführerin unter dem 7. November 2001 eine Aufstellung, wonach
der Beschwerdeführerin aus der früheren gemeinsamen Maklertätigkeit ein (vorläufiger)
Restbetrag von 1.932,43 DM zustehe. Zugleich bat die Beklagte um die Gewährung von
Ratenzahlung.
Nachdem es in der Folge nicht zu einer Zahlung gekommen war, erhob die
Beschwerdeführerin im Juni 2002 Klage vor dem Amtsgericht Charlottenburg und
beantragte, die Beklagte zur Zahlung von 1.148,55 EUR zu verurteilen. Grundlage für
diese Forderung war die Aufstellung der Beklagten vom 7. November 2001, wobei die
Beschwerdeführerin wegen verschiedener von ihr nicht anerkannter Abzugsposten einen
höheren Anspruch errechnete.
Die Beklagte erwiderte mit Schriftsatz vom 26. August 2002 und beantragte, die Klage
abzuweisen. Sie habe keine Veranlassung zu dem Rechtsstreit gegeben und beantrage
daher, die Kosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen. Gemäß ihrer Abrechnung vom
7. November 2001 habe sie den eingeklagten Anspruch in Höhe von 1.932,43 DM
anerkannt. Die Beschwerdeführerin habe eine überhöhte Forderung geltend gemacht
und dies bislang nicht korrigiert. Erst wenn dies geschehen sei, werde der von der
Beklagten anerkannte Betrag von 999,06 EUR (= 1.932,43 DM) und gegebenenfalls
weiterer 58,25 EUR, also ein Gesamtbetrag von 1.057,31 Euro ausgezahlt.
Die Beschwerdeführerin machte mit Schriftsatz vom 4. September 2002 zusätzliche
Einwendungen gegen die Richtigkeit der Aufstellung der Beklagten vom 7. November
2001 geltend und bezifferte nunmehr die Klageforderung mit 1.759,05 EUR.
Im Termin vor dem Amtsgericht Charlottenburg vom 24. September 2002 scheiterte die
Güteverhandlung. Ausweislich des Protokolls erteilte das Gericht den Hinweis, dass die
Klage unschlüssig sei, denn sie könne weder allein auf die Abrechnung der Beklagten
gestützt werden noch „aufgrund des bisherigen Vortrages der Schlüssigkeit zugrunde
liegenden Geschäfte nachvollzogen werden“. Auch eine Saldierungsabrede sei nicht
vorgetragen. Der Vertreter der Beschwerdeführerin stellte den Antrag aus dem
Schriftsatz vom 4. September 2002 und die Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen.
Am Schluss der Sitzung verkündete das Amtsgericht sein Urteil, mit dem es die Klage
abwies.
Zur Begründung seiner Entscheidung führte das Amtsgericht aus, die Klage sei
ausschließlich auf die Abrechnung der Beklagten vom 7. November 2001 gestützt; diese
könne jedoch keine Grundlage für eine Forderung darstellen. Die Beschwerdeführerin
habe in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass zwischen den Parteien keine
Saldierungsabrede bestehe. Die Abrechnung könne aber auch nicht als abstraktes oder
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Saldierungsabrede bestehe. Die Abrechnung könne aber auch nicht als abstraktes oder
konkretes Schuldversprechen im Sinne der §§ 780, 781 BGB angesehen werden; ein
dahin gehendes Angebot der Beklagten sei von der Beschwerdeführerin jedenfalls nicht
angenommen worden. Vielmehr bestreite sie die Richtigkeit der Abrechnung. Auch auf
die zugrunde liegenden Geschäfte könne die Forderung nicht gestützt werden, da hierzu
in keiner Weise vorgetragen worden sei. Es fehle bereits ein konkreter Streitgegenstand,
da nicht vorgetragen worden sei, aus welchem Sachverhalt sich die Ansprüche der
Beschwerdeführerin herleiten sollten.
Die Beschwerdeführerin legte Berufung gegen das Urteil ein und führte zur Begründung
aus, das Amtsgericht habe verkannt, dass der Sachverhalt, aus dem sich ihre
Ansprüche ableiteten, zwischen den Parteien unstreitig sei. Die Ausführungen des
Amtsgerichts zu den §§ 780, 781 ff. BGB sowie zur Frage einer Saldierungsabrede lägen
daher neben der Sache. Die Beschwerdeführerin erläuterte ferner im Einzelnen die den
geltend gemachten Provisionsansprüchen zugrunde liegenden Vermittlungsgeschäfte
und beantragte aufgrund einer Neuberechnung klageerweiternd, die Beklagte zur
Zahlung von 2.024,34 EUR nebst 5 % Zinsen zu verurteilen.
Die Beklagte erwiderte schriftsätzlich, dass sie ihr Anerkenntnis in Höhe von 1.057,31
EUR, das bereits mit Schriftsatz vom 26. August 2002 dem Amtsgericht gegenüber
erklärt worden sei, wiederhole. Wegen der darüber hinaus gehenden Forderung werde
beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
In der mündlichen Verhandlung vom 16. Mai 2003 vor dem Landgericht Berlin stellte die
Beschwerdeführerin den Antrag aus dem Berufungsbegründungsschriftsatz vom 10.
Februar 2003; die Beklagte beantragte, die Berufung insgesamt zurückzuweisen.
Das Landgericht wies mit Urteil vom selben Tag die Berufung der Beschwerdeführerin
gegen das Urteil des Amtsgerichts zurück.
Zur Begründung seiner Entscheidung nahm das Landgericht auf die Gründe der
angefochtenen Entscheidung Bezug. Insbesondere habe zwischen den Parteien keine
Saldierungsabrede bestanden. Soweit die Beschwerdeführerin in der Berufungsinstanz
ergänzend vorgetragen habe, wie sich die geltend gemachten Ansprüche im Einzelnen
begründeten, sei dieser neue Vortrag gemäß § 531 Abs. 2 ZPO nicht mehr zuzulassen
gewesen. „Darauf“ habe bereits das Amtsgericht hingewiesen. Ein Antrag nach § 139
Abs. 5 ZPO sei nicht gestellt worden.
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres
Grundrechts aus Art. 15 Abs. 1 der Verfassung von Berlin (VvB) durch das Landgericht
und das Amtsgericht.
So habe das Amtsgericht das Grundrecht der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör
nach Art. 15 Abs. 1 VvB dadurch verletzt, dass es ihr keine Gelegenheit gegeben habe,
auf den erst in der mündlichen Verhandlung erteilten rechtlichen Hinweis zu reagieren,
ihn darüber hinaus auch nicht in nachvollziehbarer Form erläutert habe. Das Amtsgericht
wäre verfassungsrechtlich verpflichtet gewesen, der Beschwerdeführerin entweder in
Form eines Auflagenbeschlusses Gelegenheit zu geben, ihren Klagevortrag zu ergänzen,
oder aber – auch als Ausdruck der Fürsorgepflicht – darauf hinzuwirken, dass ein
entsprechender Antrag von der Beschwerdeführerin gestellt würde.
Auch die Entscheidung des Landgerichts verletzte das Grundrecht der
Beschwerdeführerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs, weil es den neuen Sachvortrag
der Beschwerdeführerin mit der Begründung nicht zugelassen habe, dass die
Beschwerdeführerin in der ersten Instanz keinen Antrag nach § 139 Abs. 5 ZPO gestellt
habe. Hierbei verkenne das Landgericht, dass ein solcher Antrag aus den oben
genannten Gründen nicht notwendig gewesen sei.
Im Übrigen sei die Rechtsauffassung beider Gerichte, dass die Beschwerdeführerin
mangels Saldierungsabrede keinen Anspruch auf Auszahlung des
Auseinandersetzungsguthabens geltend machen könne, abwegig. Das Schreiben der
Beklagten vom 7. November 2001 stelle eine Teilauseinandersetzungsbilanz dar und
bilde damit die selbständige Grundlage für einen entsprechenden Zahlungsanspruch.
Das Amtsgericht habe ausschließlich beantworten sollen, ob die Beklagte zu Recht
313,93 DM für Überwachungsaufträge sowie die gezahlte Mehrwertsteuer für
Rechtsverfolgungskosten als Abzugsposten in die Bilanz habe einstellen dürfen.
Alles andere sei unstreitig gewesen. Darüber aber habe das Gericht nicht entschieden
und damit ebenfalls den Anspruch der Beschwerdeführerin auf Gewährung des
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und damit ebenfalls den Anspruch der Beschwerdeführerin auf Gewährung des
rechtlichen Gehörs verletzt.
II. Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Verfassungsbeschwerde ist, soweit sie sich gegen das Urteil des Amtsgerichts
wendet, unzulässig, weil keine Verletzung von Rechten der Beschwerdeführerin durch
diese Entscheidung dargelegt wird, die im Berufungsverfahren nicht korrigierbar gewesen
wäre. Dies gilt auch, soweit die Beschwerdeführerin vorträgt, das Amtsgericht habe ihr
keine Gelegenheit gegeben, ihren Sachvortrag entsprechend dem gerichtlichen Hinweis
in der mündlichen Verhandlung zu ergänzen, was eine Verletzung ihres Anspruchs auf
rechtliches Gehör darstelle. Auch ein derartiger Verfahrensfehler und
Grundrechtsverstoß des Amtsgerichts hätte in der Berufungsinstanz durch Zulassung
der deshalb erstinstanzlich nicht geltend gemachten Angriffs- und Verteidigungsmittel
gemäß § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO geheilt werden können.
2. Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Grundrechts auf rechtliches
Gehör durch die Entscheidung des Landgerichts mit der Begründung rügt, das Gericht
hätte den neuen Sachvortrag der Beschwerdeführerin wegen des behaupteten
Grundrechtsverstoßes durch das Amtsgericht zulassen müssen, steht der Zulässigkeit
der Verfassungsbeschwerde der Grundsatz der Subsidiarität gemäß § 49 Abs. 2 Satz 1
VerfGHG entgegen. Danach hat ein Beschwerdeführer zunächst alle nach Lage der
Sache zur Verfügung stehenden und ihm zumutbaren prozessualen Möglichkeiten zu
ergreifen, um vor Anrufung des Verfassungsgerichts eine Korrektur der geltend
gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken bzw. eine Grundrechtsverletzung zu
verhindern (Beschluss vom 31. Juli 1998 – VerfGH 80/97 – LVerfGE 9, 33 <35>; vgl. zum
Bundesrecht: BVerfGE 63, 77 <78>; 85 <86>). Die Beschwerdeführerin hätte ihre
gegen das Urteil des Amtsgerichts gerichtete Berufung gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4
ZPO auch durch Angabe der Tatsachen begründen müssen, aufgrund derer ihrer
Auffassung nach der ergänzende Sachvortrag als neues Angriffs- oder
Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 ZPO vom Landgericht zuzulassen gewesen wäre,
insbesondere also mit Ausführungen dazu, dass der - erst in der Berufung -
vorgetragene ergänzende (und auch nicht unstreitig gebliebene, vgl. den Schriftsatz der
Beklagten vom 12. Mai 2003) Sachvortrag zur Substantiierung der geltend gemachten
Forderung nur wegen eines Verfahrensfehlers des Amtsgerichts nicht bereits im ersten
Rechtszug geltend gemacht worden sei (§ 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO). An einem
solchen Vortrag zu den erst in der Verfassungsbeschwerde gerügten Verfahrensfehlern
des Amtsgerichts, wozu insbesondere eine Verletzung des rechtlichen Gehörs zählt,
fehlte es jedoch im Rahmen der Berufungsbegründung. Damit aber hat die
Beschwerdeführerin nicht alles von der Prozessordnung Verlangte und ihr deshalb auch
verfassungsrechtlich Zumutbare unternommen, um fachgerichtlich eine Korrektur des
vermeintlichen Grundrechtsverstoßes in einer § 49 Abs. 2 Satz 1 VerfGHG genügenden
Weise durch das Landgericht zu erreichen.
3. Keinen Erfolg hat die Verfassungsbeschwerde auch, soweit die Beschwerdeführerin
vorträgt, das Landgericht habe das rechtliche Gehör der Beschwerdeführerin auch
deshalb verletzt, weil es nicht nur über streitige Anspruchspositionen, sondern auch über
unstreitige Teile der „Teilauseinandersetzungsbilanz“ der Beklagten vom 7. November
2001 entschieden habe.
Es ist schon fraglich, ob mit diesem Vortrag in ausreichend substantiierter Weise (§ 49
Abs. 1, § 50 VerfGHG) eine mögliche Verletzung des rechtlichen Gehörs dargetan ist. Die
Verfassungsbeschwerde ist insoweit jedenfalls unbegründet, weil das Landgericht keinen
Vortrag der Beschwerdeführerin übergangen, sondern sich aus Rechtsgründen gehindert
gesehen hat, der Klage zumindest teilweise stattzugeben.
4. Offenbleiben kann, ob in dem Vortrag der Beschwerdeführerin, die Rechtsauffassung
des Amts- und Landgerichts sei abwegig, soweit beide Gerichte das Schreiben der
Beklagten vom 7. November 2001 nicht als Teilauseinandersetzungsbilanz und
selbständige Grundlage für einen Zahlungsanspruch ohne die Notwendigkeit einer
Saldierungsabrede angesehen haben, die Rüge der Verletzung des Willkürverbots
gemäß Art. 10 Abs. 1 VvB gesehen werden kann.
Die Verfassungsbeschwerde ist insoweit jedenfalls mangels hinreichender Begründung (§
50, § 51 Abs.1 Satz 1 und 2 VerfGHG) unzulässig. Eine gerichtliche Entscheidung verletzt
das mit Art. 3 Abs. 1 GG inhaltsgleiche Willkürverbot nach der Verfassung von Berlin nur
dann, wenn die Entscheidung unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist
und sich daher der Schluss aufdrängt, sie beruhe auf sachfremden Erwägungen. Die
Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Sachverhalts, die
Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind
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Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind
grundsätzlich Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und insoweit der
Nachprüfung durch den Verfassungsgerichtshof entzogen (vgl. Beschluss vom 30. Juni
1992 – VerfGH 9/92 – LVerfGE 1, 7 <8 f.>; st. Rspr.). Willkür im hier maßgeblichen Sinne
liegt erst dann vor, wenn die Sach- oder Rechtslage in krasser Weise verkannt worden
ist, d. h. wenn bei objektiver Würdigung der Gesamtumstände der Auslegung bzw.
Sachverhaltsfeststellung die Annahme geboten ist, die vom Gericht vertretene
Auffassung sei im Bereich des schlechthin Abwegigen anzusiedeln (vgl. Beschluss vom
23. April 1996 – VerfGH 69/95, 69 A/95 – LVerfGE 4, 54 <61 f.> m. w. N.). Angesichts
dieser Voraussetzungen hätte die Beschwerdeführerin in der Verfassungsbeschwerde
innerhalb der Frist des § 51 Abs. 1 Satz 1 VerfGHG im einzelnen darlegen müssen, dass
und in welcher Weise aus ihrer Sicht die tatbestandlichen Voraussetzungen eines
selbständigen aus der „Teilauseinandersetzungsbilanz“ folgenden materiellen
Anspruchs ohne die von den Gerichten betonte Notwendigkeit einer zusätzlichen
Saldierungsabrede in offensichtlicher Weise vorgelegen haben. Daran fehlt es jedoch.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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