Urteil des VerfGH Berlin vom 14.03.2017

VerfGH Berlin: politische partei, fusion, chancengleichheit, volksabstimmung, wahlkampf, staatsvertrag, wähler, vertretung, drucksache, versendung

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12/95
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 21 Abs 1 S 1 GG, § 14 Nr 1
VGHG BE, § 36 VGHG BE, § 37
Abs 1 VGHG BE, § 2 Abs 1 S 1
PartG
VerfGH Berlin: Keine Verletzung des Rechts auf
Chancengleichheit politischer Parteien durch
Öffentlichkeitsarbeit des Berliner Senats für die Fusion der
Länder Berlin und Brandenburg - Antragsbefugnis im
Organstreitverfahren
Gründe
I.
Der Antragsteller versteht sich als politische Partei; sein Berliner Landesverband hat
dem Landeswahlleiter die Teilnahme an den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus
und zu den Bezirksverordnetenversammlungen im Herbst 1995 angezeigt und ist am 7.
Juli 1995 vom Landeswahlausschuß zugelassen worden. Der Antragsteller lehnt eine
Fusion der Bundesländer Berlin und Brandenburg ab.
Das Abgeordnetenhaus von Berlin forderte im November 1993 den Antragsgegner auf,
ein mit der Landesregierung Brandenburg abgestimmtes Konzept zur Information der
Öffentlichkeit über Folgen und Wirkungen der Vereinigung der Länder Berlin und
Brandenburg sowie über Ziele und Inhalt des Neugliederungsstaatsvertrages
vorzulegen. Ziel dieses Konzepts sollte es sein, die Bevölkerung in Berlin und
Brandenburg umfassend zu informieren, so daß sie mit Sachkenntnis ihre Entscheidung
im Rahmen der Volksabstimmung über eine mögliche Fusion der Länder Berlin und
Brandenburg treffen könne.
Der Antragsgegner legte im März 1994 ein Grobkonzept für die Öffentlichkeitsarbeit vor,
in dem zwischen drei Hauptphasen unterschieden wird, nämlich der Diskussionsphase,
der Ratifizierungsphase und der Phase vor den Volksabstimmungen. Im Juni 1994
wurden Arbeitsentwürfe der Senatskanzlei des Landes Berlin und der Staatskanzlei des
Landes Brandenburg für einen Neugliederungsvertrag und einen Staatsvertrag
betreffend die Volksabstimmung über den Neugliederungsvertrag bekanntgemacht. Mit
der Vorlage dieser Arbeitsentwürfe begann nach dem Konzept des Antragsgegners die
"Diskussionsphase". In Ausführung das Informationskonzeptes entfaltete der
Antragsgegner folgende Aktivitäten:
1. Seit Juni 1994 stellte der Antragsgegner die Vertragsentwürfe zur Neugliederung in
Form der Abgeordnetenhaus-Drucksache 12/4522 kostenlos zur Verfügung. Soweit die
Entwürfe versandt wurden, war der genannten Drucksache teilweise ein Faltblatt
"Zehnmal Ja zu einem Land" beigefügt, das von der Vereinigung der
Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg e.V. und dem Deutschen
Gewerkschaftsbund - Landesbezirk Berlin-Brandenburg gemeinsam verantwortet wurde.
2. Ende Januar 1995 wurden in Berlin an etwa 700 Stellen Großplakate geklebt, die ein
stilisiertes Brandenburger Tor und einen stilisierten Brandenburger Adler darstellen und
auf der rechten Seite die Aufschrift enthalten: "EINS FÜR ALLE Land Berlin-Brandenburg".
3. Am Sonnabend, dem 4. Februar 1995, wurde in Berliner Tageszeitungen vom Presse-
und Informationsamt des Landes Berlin eine Anzeige unter der Überschrift "Wir
informieren" geschaltet, in der Argumente für und gegen eine Länderfusion einander
gegenübergestellt wurden; den für eine Fusion sprechenden Aussagen wurde dabei
jeweils ein in Fettdruck gesetztes Schlagwort beigefügt (Beispiel: Ein Land sichert
Zukunft!).
4. Seit Ende Januar 1995 wird über die Senatsverwaltungen und die Bezirksämter ein
Informationsfaltblatt in einer Auflage von 300.000 Stück verteilt, in dem Argumente für
das Bundesland Berlin-Brandenburg aufgeführt werden.
5. In der Senatskanzlei wurde eine beseitige Broschüre mit dem Titel "Berlin-
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5. In der Senatskanzlei wurde eine beseitige Broschüre mit dem Titel "Berlin-
Brandenburg - ein Land für alle" erarbeitet, die angefordert werden kann.
Der Antragsgegner hat für die Jahre 1994 bis 1996 die Kosten der Information der
Öffentlichkeit zur Vereinigung Berlin-Brandenburg mit überplanmäßigen Ausgaben in
Höhe von insgesamt 3 Mio. DM veranschlagt. Im Jahre 1994 wurden davon 25.000 DM
verausgabt; die Senatsverwaltung für Finanzen beabsichtigt, für das Jahr 1995
überplanmäßige Ausgaben bis zu 750.000 DM zuzulassen.
Am 30. Januar 1995 hat der Antragsteller Organklage erhoben, mit der er einen Verstoß
gegen Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 GG und eine Verletzung des Grundsatzes der
Chancengleichheit der Parteien bei Wahlen und Abstimmungen rügt. Er macht geltend,
die bisherigen Maßnahmen des Antragsgegners stellten keine sachliche Information,
sondern eine verfassungsrechtlich unzulässige Tendenzwerbung dar. Indem der
Antragsgegner im Mantel der Information einseitig werbend und sogar manipulativ in
den Willensbildungsprozeß eingreife, verletze er seine - des Antragstellers -
Chancengleichheit: Zum einen sei zu befürchten, daß er - der Antragsteller - dadurch als
Partei, die gegen die Fusion eintrete, beim Wähler im Rahmen der Wahlen zum
Abgeordnetenhaus wesentlich weniger Chancen habe. Zum anderen könne er infolge
der massiven einseitigen Werbekampagne des Antragsgegners seinen
Verfassungsauftrag im Rahmen der vorgesehenen Volksabstimmung nur eingeschränkt
wahrnehmen.
Der Antragsteller beantragt festzustellen:
Der Senat von Berlin verstößt dadurch gegen Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 GG und
den Grundsatz der Chancengleichheit bei Wahlen (Art. 21 Abs. 1, Art. 38 Abs. 1 GG), daß
er
1. das Plakat/Logo "EINS FÜR ALLE Land Berlin-Brandenburg" bei - auch ansonsten
zulässigen - Informationen jedweder Art und über die Frage der Länderfusion zwischen
Berlin und Brandenburg verwendet,
2. vor den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus 1995 sowie vor der
Volksabstimmung über den Staatsvertrag mit dem Land Brandenburg zur Bildung eines
gemeinsamen Landes durch Anzeigenserien, Faltblätter und sonstige Publikationen
zugunsten der Fusion mit dem Land Brandenburg werbend in den
Meinungsbildungsprozeß eingreift. Dies gilt nicht, wenn die Argumente der Befürworter
und Gegner des Staatsvertrages gegenübergestellt werden, ohne diese dabei zu
bewerten und ohne damit eine Entscheidung für oder gegen die Annahme des
Staatsvertrages zu empfehlen.
3. bei der Versendung und Verteilung von Informationsmaterial zum Staatsvertrag mit
dem Land Brandenburg zur Bildung eines gemeinsamen Landes Material von Verbänden
und Gewerkschaften beifügt, die deren Haltung zum Staatsvertrag wiedergibt. Dies gilt
nicht, wenn entsprechendes Informationsmaterial der Parteien, im konkreten Fall des
Antragstellers, in entsprechendem Umfang beigefügt wird.
Der Antragsgegner vertritt die Ansicht, die Maßnahmen zur Information der Bevölkerung
über die geplante Vereinigung der Bundesländer Berlin und Brandenburg hielten sich im
Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen. Im übrigen sei die gerügte Mitversendung
von Material von Verbänden und Gewerkschaften nicht mehr beabsichtigt.
Das Abgeordnetenhaus hat gemäß § 38 Abs. 2 VerfGHG von der Einleitung des
Verfahrens Kenntnis erhalten.
II.
Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung ergehen, da der
Verfassungsgerichtshof einstimmig auf sie verzichtet hat (§ 24 Abs. 1 VerfGHG).
Die Anträge sind unzulässig.
Der Antragsteller ist zwar als politische Partei im Organstreitverfahren parteifähig (1.).
Jedoch fehlt es hinsichtlich der Anträge zu 1 und 2 an der Antragsbefugnis (2.).
Hinsichtlich das Antrags zu 3 besteht kein Rechtsschutzbedürfnis (3.).
1. Das Organstreitverfahren ist statthaft. Die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofs
ist gemäß § 14 Nr. 1 VerfGHG gegeben, wenn eine politische Partei die Verletzung ihres
verfassungsrechtlichen Status rügt (Urteil vom 17. Juni 1993 - VerfGH 21/92 -, JR 1993,
S. 432). Der Antragsteller ist eine politische Partei und damit im Organstreitverfahren
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S. 432). Der Antragsteller ist eine politische Partei und damit im Organstreitverfahren
parteifähig (§§ 14 Nr. 1, 36 VerfGHG). Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 des Parteiengesetzes,
durch den der Parteienbegriff des Art. 21 Abs 1 GG in verfassungsmäßiger Weise
konkretisiert wird (vgl. BVerfGE 89, 266, 269 f.), sind Parteien Vereinigungen von
Bürgern, die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines
Landes auf die politische Willensbildung Einfluß nehmen und an der Vertretung des
Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen, wenn sie nach
dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und
Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten
in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung
bieten. Um ihrer Rolle im Prozeß politischer Willensbildung und staatlicher
Entscheidungsfindung gerecht zu werden, muß eine Partei nach außen tätig werden und
im Wettbewerb mit anderen Parteien und sonstigen auf die Bildung der öffentlichen
Meinung Einfluß nehmenden Einrichtungen und Verbänden die Bürger von der Richtigkeit
ihrer Politik zu überzeugen versuchen. Von Parteien, die sich noch im Stadium der
Gründung befinden und im Prozeß der politischen Willensbildung erst Fuß zu fassen
beginnen, kann eine Wahrnehmung der in § 2 Abs. 1 Satz 1 Parteiengesetz
umschriebenen Aufgabe nur in Ansätzen verlangt werden. Der bloße Wille, "Partei" zu
sein, ist allerdings nicht ausreichend. Um zu gewährleisten, daß sich nur ernsthafte
politische Vereinigungen und keine Zufallsbildungen von kurzer Lebensdauer um Wähler
bewerben, bedarf es gewisser objektiver, im Ablauf der Zeit an Gewicht gewinnender
Voraussetzungen, damit einer politischen Vereinigung der Status einer Partei zuerkannt
werden kann. Entscheidend ist, ob die Gesamtwürdigung der tatsächlichen Verhältnisse
einer Partei - unter Einschluß der Dauer ihres Bestehens - den Schluß zuläßt, daß sie
ihre erklärte Absicht, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken, ernsthaft
verfolgt (vgl. zum Vorstehenden: BVerfG, Beschlüsse vom 17. November 1994, 2 BvB
1/93, 2/93 und 3/93).
Nach diesen Grundsätzen erfüllt der Antragsteller die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1
Satz 1 Parteiengesetz. Der Antragsteller ist vom Landeswahlausschuß für die Wahlen
zum Abgeordnetenhaus zugelassen worden. Diese Entscheidung ist vorbehaltlich einer
Überprüfung durch den Verfassungsgerichtshof als Wahlprüfungsgericht endgültig (§ 27
Abs. 3 Satz 5 Landeswahlordnung). Aus dem Grundsatzprogramm, der Satzung und
dem Wahlprogramm für die Abgeordnetenhauswahlen ergibt sich, daß der Bürgerbund
auf Dauer auf die politische Willensbildung Einfluß nehmen und an der Vertretung des
Volkes im Berliner Abgeordnetenhaus mitwirken will. Nach dem Gesamtbild der
tatsächlichen Verhältnisse bietet der Antragsteller auch die Gewähr für die
Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung.
2. Hinsichtlich der Anträge 1 und 2 ist der Antragsteller indessen nicht antragsbefugt.
Gemäß § 37 Abs. 1 VerfGHG ist ein im Organstreitverfahren gestellter Antrag nur
zulässig, wenn ein Antragsteller geltend macht, daß er (oder das Organ, dem er
angehört) durch eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners in seinen ihm
durch die Verfassung von Berlin übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder
unmittelbar gefährdet ist. Angriffsgegenstand einer Organklage kann somit nur ein
Verhalten sein, durch das ein Antragsteller in seinem Rechtskreis konkret betroffen wird
oder das sich zumindest zu einem seine Rechtsstellung beeinträchtigenden,
rechtserheblichen Verhalten verdichten kann. § 37 Abs. 1 VerfGHG setzt deshalb einen
Sachvortrag voraus, aus dem sich diese Verletzung oder Gefährdung der Rechte und
Pflichten als mögliche Rechtsfolge ergibt (vgl. Beschluß vom 22. November 1993 -
VerfGH 22/92 -; zu der bundesrechtlichen Vorschrift des § 64 Abs. 1 BVerfGG vgl.
BVerfGE 57, 1, 5; 60, 374, 381).
Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Durch die Öffentlichkeitsarbeit des
Antragsgegners im Zusammenhang mit der geplanten Fusion der Länder Berlin und
Brandenburg wird die Rechtsstellung einer politischen Partei im Sinne von Art. 21 Abs. 1
GG, auf den sich der Antragsteller beruft, nicht beeinträchtigt.
Zutreffend geht der Antragsteller davon aus, daß Art. 21 Abs. 1 GG, der die politischen
Parteien als verfassungsrechtlich notwendige Instrumente für die politische
Willensbildung des Volkes anerkennt, nicht nur für den Bereich des Bundes, sondern
unmittelbar auch für die Länder gilt und Bestandteil der Landesverfassungen ist (ebenso
u.a. BVerfGE 66, 107, 114 m.w.N.; vgl. auch Saarländischer Verfassungsgerichtshof, NJW
1980, 2181, 2182; Bremischer Staatsgerichtshof, DVBl. 1984, 221, 222; VerfGH NW,
NWVBl. 1994, S. 453; Verfassungsgericht Brandenburg, Urteil vom 16. März 1995 -
VfGBbg 4/94 EA; ablehnend: Rozek, Das Grundgesetz als Prüfungs- und
Entscheidungsmaßstab der Landesverfassungsgerichte, 1993, S. 177 ff.). Das aus Art.
21 GG folgende Recht der Parteien auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb
(dazu nachfolgend a)) und der ebenfalls darin niedergelegte Auftrag, an der politischen
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(dazu nachfolgend a)) und der ebenfalls darin niedergelegte Auftrag, an der politischen
Willensbildung des Volkes mitzuwirken (b), werden indessen durch die die Fusion der
Länder Berlin und Brandenburg propagierenden Verlautbarungen das Antragsgegners
erkennbar nicht tangiert.
a) Der Grundsatz der Chancengleichheit, den das Bundesverfassungsgericht zunächst
nur im Bereich des Wahlrechts im engeren Sinne angewandt, dann aber immer weiter
auf das "gesamte Vorfeld der Wahlen" ausgedehnt hat (vgl. BVerfGE 20, 56, 116; 73, 40,
89), verbietet jede staatliche Maßnahme, die den Anspruch einer Partei auf die
Gleichheit ihrer Wettbewerbschancen willkürlich beeinträchtigt. In bezug auf Wahlwerbung
ist das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit verletzt, wenn Staatsorgane
als solche parteiergreifend zugunsten oder zu Lasten einer Partei in den Wahlkampf
einwirken. Ein parteiergreifendes Einwirken ist auch in der Form der Öffentlichkeitsarbeit
nicht zulässig. Die Öffentlichkeitsarbeit findet dort ihre Grenzen, wo die Wahlwerbung
beginnt (vgl. ebenso zum Bundesrecht BVerfGE 44, 125, 147).
Der Verfassungsgerichtshof hat bereits im Beschluß vom 15. März 1995 im Verfahren
das vorläufigen Rechtsschutzes dargelegt, daß die vom Antragsteller beanstandeten
Aktivitäten des Antragsgegners keinen Bezug zu den am 22. Oktober 1995
stattfindenden Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus erkennen lassen. Einen solchen
Bezug hat der Antragsteller nach wie vor nicht nachvollziehbar dargelegt. Mit Blick auf
die zweifellos rechtlich geschützte Chancengleichheit des Antragstellers im Wahlkampf
fehlt es damit an einem schlüssigen Sachvortrag, dem sich eine Verletzungshandlung
des Antragsgegners entnehmen ließe.
Eine solche Verletzung ist auch nicht im Vorfeld der für den 5. Mai 1996 vorgesehenen
Volksabstimmung über die Fusion Berlin/ Brandenburg möglich. Insoweit ist das Recht
des Antragstellers auf Chancengleichheit von vornherein nicht berührt. Auf die
Gewährleistung der Chancengleichheit kann sich eine politische Partei nur dann berufen.
wenn sie in direkter Konkurrenz mit anderen politischen Parteien steht. Bei der
Vorbereitung einer Volksabstimmung geht es jedoch - anders als beim Wahlkampf -
nicht um einen unmittelbaren Wettbewerb einzelner Parteien, sondern um eine
Sachfrage (vgl. BVerfGE 13, 54, 83; Schermann, Öffentlichkeitsarbeit der
Bundesregierung, 1992, S. 33); hier versuchen die verschiedensten
gesellschaftsrelevanten Gruppen, die Öffentlichkeit von den Vor- und Nachteilen der
einen oder der anderen Lösung zu überzeugen. Das Eintreten von Staatsorganen für
eine bestimmte sachliche Lösung kann daher grundsätzlich nicht als Maßnahme mit
Bezug auf die Wettbewerbssituation zwischen den einzelnen Parteien angesehen
werden. Die allerdings auch außerhalb von Wahlkämpfen zu respektierende
Chancengleichheit einer politischen Partei könnte hier durch Öffentlichkeitsarbeit nur
dann verletzt werden, wenn diese Partei gezielt herausgegriffen, insbesondere in der
Öffentlichkeit diffamiert würde (vgl. BVerfGE 40, 287, 293). Eine solche Fallgestaltung
liegt ersichtlich nicht vor.
b) Der Antragsteller kann auch aus dem verfassungsmäßigen Auftrag der Parteien, an
der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken, vorliegend keine Antragsbefugnis
im Sinne von § 37 VerfGHG herleiten. Soweit der Öffentlichkeitsarbeit des
Antragsgegners hinsichtlich der Volksabstimmung über die Fusion Grenzen gesetzt sind,
gehen diese nicht einher mit subjektiven Rechten der politischen Parteien aus Art. 21
Abs. 1 GG. Die Vorbereitung der Volksabstimmung ist anders als der Wahlkampf nicht
primär eine "Domäne" der politischen Parteien im Sinne des Art. 21 Abs. 1 GG. Denn in
den Meinungsbildungsprozeß vor einer Volksabstimmung greifen nicht nur die
politischen Parteien, sondern die unterschiedlichsten Gruppierungen, Verbände und
Vereinigungen ein. Selbst wenn der Antragsgegner bei einer Werbung zugunsten der
Fusion das Verfassungsgebot der grundsätzlich staatsfreien Meinungs- und
Willensbildung des Volkes, das ihn möglicherweise zur Sachlichkeit verpflichtet (vgl.
Schürmann, aaO S. 312 ff.; s. auch BVerfGE 37, 84, 91 sowie Bay.
Verfassungsgerichtshof, Entscheidung vom 19. Januar 1994 VerfGH n. F. 47, 1 = NVwZ -
RR 1994, S. 529 ff.) verletzen würde, könnten deshalb eigene verfassungsmäßige Rechte
des Antragstellers nicht berührt sein. Dem Antragsteller wird sein aus Art. 21 Abs. 1 Satz
1 GG folgendes Recht, bei der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken, indem
er für seine Auffassungen über die Nachteile der Fusion öffentlich eintritt, nicht streitig
gemacht. Er kann indessen nicht - gleichsam in Prozeßstandschaft für das zur
Abstimmung berufene Volk - auf dessen staatsfreie Willensbildung dringen und
beanspruchen, daß sich der Antragsgegner in Sachen Fusion Zurückhaltung auferlegt
(vgl. BVerfGE 13, 54, 85). Für eine Entscheidung darüber, welche Grenzen der
Öffentlichkeitsarbeit des Antragsgegners im einzelnen - möglicherweise durch das Gebot
der Sachlichkeit - gesetzt sind, ist nach alledem kein Raum.
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3. Der Antrag zu 3 ist bereits mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Nachdem
der Antragsgegner erklärt hat, eine Versendung des Materials von Verbänden und
Gewerkschaften sei nicht mehr beabsichtigt, besteht kein berechtigtes Interesse des
Antragstellers an einer gerichtlichen Entscheidung.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf den §§ 33 und 34 VerfGHG.
Dieser Beschluß ist unanfechtbar.
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