Urteil des VerfGH Berlin vom 14.03.2017

VerfGH Berlin: berufsfreiheit, verfassungsbeschwerde, grundrecht, berufsausübungsfreiheit, verfassungsgeber, eingriff, freizügigkeit, wettbewerbsrecht, entstehungsgeschichte, werbung

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
55/93
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 11 Verf BE, Art 12 Abs 1
GG, § 3 UWG, § 11 Abs 2 S 2
VGHG BE
(VerfGH Berlin: Führung beruflicher Bezeichnungen - hier:
Tierheilpraktikerin - betrifft die Berufsausübung, nicht die
Berufswahl - Schutzbereich von Verf BE Art 11, Freiheit der
Berufswahl, umfaßt nicht die Freiheit der Berufsausübung des
GG Art 12 Abs 1)
Gründe
I.
Die Beschwerdeführerin behandelt seit mehreren Jahren berufsmäßig kranke Tiere, ohne
Tierärztin zu sein. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wendet sie sich dagegen, daß ihr
durch die angegriffenen Entscheidungen unter Androhung der gesetzlichen
Ordnungsmittel untersagt worden ist, sich im geschäftlichen Verkehr als
"Tierheilpraktikerin". zu bezeichnen, ohne darauf hinzuweisen, daß es für die Ausübung
dieses Berufs keiner staatlichen Erlaubnis bedarf.
In seinem Urteil vom 4. Dezember 1990 nimmt das Landgericht an, die Verwendung der
Berufsbezeichnung "Tierheilpraktiker" ohne den zuvor angesprochenen Zusatz sei
irreführend und verstoße gegen § 3 UWG. Das Recht, sich einer bestimmten
Berufsbezeichnung zu bedienen, finde eine Grenze u.a. in dem Verbot der irreführenden
Werbung. Die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) sei durch dieses Verbot nicht angetastet, weil
die Betroffenen nicht gehindert seien, - hier: - weiter als nichttierärztliche
Tierheilbehandler tätig zu sein. Sie seien lediglich gehalten, bei der Berufsausübung in
den durch das Wettbewerbsrecht gezogenen Schranken zu bleiben. Diese Schranken
seien - wie gesagt - bei der Verwendung der Berufsbezeichnung "Tierheilpraktiker"
überschritten. Denn bei einem nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung werde durch
diese Berufsbezeichnung der unzutreffende Eindruck erweckt, ebenso wie der
Heilpraktiker habe auch der Tierheilpraktiker eine staatliche Erlaubnis zur Ausübung der
Heilkunde. Es sei nämlich weithin bekannt, daß der Heilpraktiker ein staatlich geordneter
Beruf sei, den nicht jeder Beliebige ausüben dürfe, der sich dazu berufen fühlt, sondern
daß es dazu einer Zulassung bedürfe, die gewisse Anforderungen voraussetze. Das aber
treffe auf Tierheilpraktiker nicht zu.
Die Berufung der Beschwerdeführerin hat das Kammergericht durch Urteil vom 19. März
1993 unter Bezugnahme auf die Gründe des Landgerichts zurückgewiesen; die Revision
ist nicht zugelassen worden.
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde macht die Beschwerdeführerin geltend, die Urteile des
Landgerichts und des Kammergerichts verletzten sie in ihrem Recht aus Art. 11 VvB, das
inhaltsgleich mit ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG sei. Sie beeinträchtigten ihre
durch diese Bestimmungen verfassungsrechtlich garantierte Freiheit auf Führung einer
Berufsbezeichnung. Zwar könne diese Freiheit nach Maßgabe des Art. 12 Abs. 1 Satz 2
GG durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes geregelt werden. Doch hätten die
angegriffenen Entscheidungen aus der von ihnen angenommenen irreführenden Wirkung
der in Rede stehenden Berufsbezeichnung allein nicht das Verbot herleiten können,
diese Bezeichnung ohne entsprechenden Zusatz zu fahren. Vielmehr hatten sie bei
sachgerechter Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit der Mittel zu dem
Ergebnis kommen müssen, daß der verlangte Zusatz zur Ausräumung eines etwaigen
Irrtums nicht erforderlich sei. Im übrigen sei die angenommene irreführende Wirkung der
Berufsbezeichnung "Tierheilpraktiker" nicht ihr, der Beschwerdeführerin, zuzurechnen.
Diese Wirkung sei nämlich allenfalls eingetreten, nachdem im Jahre 1939, d.h. acht Jahre
nach Gründung des "Verbandes der Tierheilpraktiker Deutschlands", das
Heilpraktikergesetz mit den entsprechenden Durchführungsverordnung erlassen worden
sei.
Der Senatsverwaltung für Gesundheit ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben
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Der Senatsverwaltung für Gesundheit ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben
worden.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.
Die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde hängt davon ab, ob ein Beschwerdeführer
hinreichend konkret die Möglichkeit aufzeigt, durch eine Maßnahme der öffentlichen
Gewalt des Landes Berlin in einem seiner in der Verfassung von Berlin (auch) zu seinen
Gunsten verbürgten Recht verletzt zu sein (§ 49 Abs. 1, § 50 VerfGHG). Diesem
Erfordernis hat die Beschwerdeführerin nicht genügt.
Als verletztes Recht kommt vorliegend allein Art. 11 VvB in Betracht, welcher u.a. die
freie Wahl des Berufs gewährleistet. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits entschieden,
daß Art. 11 VvB, soweit er die freie Berufswahl schützt, in Übereinstimmung mit Art. 12
Abs. 1 S. 1 GG steht und neben dieser Grundrechtsgewährung den Grundgesetzes in
Kraft bleibt (Beschluß vom 10. November 1993 - VerfGH 78/93 -). Dies hat zur
Konsequenz, daß der Grundrechtsschutz auch dann von der rechtsprechenden Gewalt
des Landes Berlin zu beachten ist, wenn diese - wie hier - Bundesrecht anwendet. Denn
eine Verletzung der Berufswahlfreiheit wäre gleichermaßen bundes- wie
landesverfassungswidrig (vgl. den Beschluß vom 2. Dezember 1993 - VerfGH 89/93 -,
NdW 1994, 436).
Die Zulässigkeit der hier erhobenen Verfassungsbeschwerde setzt danach voraus, daß
die Beschwerdeführerin hinreichend konkret die Möglichkeit dargelegt hat, durch die
angegriffenen Gerichtsentscheidungen in ihrem Grundrecht auf freie Berufswahl verletzt
zu sein. Daran fehlt es jedoch, weil Art. 11 VvB zwar die Freiheit der Berufswahl, nicht
aber stets auch diejenige der Berufsausübung schützt, die von der Beschwerdeführerin
beanstandeten Maßnahmen indes nicht dem Bereich der Berufswahl, sondern allein dem
nicht geschützten Bereich der Berufsausübung zuzurechnen sind.
Bereits seinem Wortlaut nach bleibt Art. 11 VvB insofern hinter Art. 12 Abs. 1 GG zurück,
als diese Grundrechtsbestimmung - wie aus Satz 2 der Vorschrift ersichtlich -
ausdrücklich auch den Grundrechtsschutz freier Berufsausübung gewährleistet. Die
Entstehungsgeschichte des Art. 11 VvB macht deutlich, daß bei der Verfassungsgebung
nicht beabsichtigt war, der Berufsausübung grundrechtlichen Schutz auf der Ebene das
Landesverfassungsrechts zu verleihen. Unterschiedliche Auffassungen bestanden
seinerzeit allein zu der Frage, ob über die Erwähnung das Rechts auf Freizügigkeit hinaus
noch ausdrücklich eine Berufswahlfreiheit in die Verfassung aufgenommen werden solle,
oder ob bereits mit dem Recht der Freizügigkeit auch die Freiheit der Berufswahl
mitverbürgt sei (vgl. die Dokumentation der 34. bis 37. Sitzungen des
Verfassungsausschusses im Januar/Februar 1948 bei Reichhardt. Die Entstehung der
Verfassung von Berlin I, 1990, Dok. Nr. 119, 122, 123, 125). Für die ausdrückliche
Ausformulierung des Rechts auf freie Berufswahl war letztlich ausschlaggebend, daß
grundrechtlicher Schutz gegenüber dem Zwang zur Ergreifung eines bestimmten Berufs
gewährleistet werden sollte. Jeder sollte das Recht haben, sich den Beruf seiner Neigung
aussuchen zu können. Verfassungsrechtliche Grenzen für Regelungen der Ausübung des
so gewählten Berufs sind, soweit ersichtlich, bei den Verfassungsberatungen nicht
einmal erwogen worden. Dementsprechend wurde die freie Wahl des Berufs (und des
Arbeitsplatzes), entsprechend der etwa an § 133 der Paulskirchenverfassung von 1849
und Art. 111 der Weimarer Reichsverfassung von 1919 ablesbaren Verfassungstradition,
in einen sachlichen Zusammenhang mit der Freizügigkeit - als Freiheit der "Wahl" des
Aufenthaltsortes - gestellt. Schließlich deutet die dem Art. 11 VvB beigegebene "Grenze"
d. Verpflichtung, bei Überwindung öffentlicher Notstände mitzuhelfen, darauf, daß eine
Freiheit der Berufsausübung nicht verbürgt werden sollte. Denn auch diese Schranke
zeigt, daß der Verfassungsgeber die Frage des "Ob", nicht des "Wie" beruflicher
Betätigung im Auge hatte.
Der Verfassungsgeber hat durch den auf die Berufswahl beschränkten Art. 11 VvB nicht
gleichsam "notwendigerweise" die Berufsausübungsfreiheit mitgewährleistet. Es ist
allerdings nicht zu verkennen, daß zwischen der Wahl eines Berufs einerseits und seiner
Ausübung andererseits ein Zusammenhang besteht. Angesichts der Trennung beider
Aspekte in Art. 12 Abs. 1 GG hat dies im Blick auf das Verfassungsrecht des Bundes
früher zu Meinungsstreit insbesondere hinsichtlich der Einordnung der sog.
Berufsaufnahme geführt (vgl. etwa BVerwGE 1, 48, 49 f.; Friesenhahn, NJW 1949, 701,
704). Weil die Wahl einerseits und die Ausübung andererseits sich nicht in einer Weise
strikt trennen lassen, daß jeder Begriff nur eine bestimmte zeitliche Phase des
Berufslebens bezeichnet, und die Aufnahme der Berufstätigkeit einerseits den Anfang
der Berufsausübung darstellt, andererseits aber auch die gerade hierin sich äußernde
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der Berufsausübung darstellt, andererseits aber auch die gerade hierin sich äußernde
Bestätigung der Berufswahl, hat das Bundesverfassungsgericht Berufswahl und
Berufsausübung unter dem Überbegriff der Berufsfreiheit zusammengeführt (vgl.
grundlegend BVerfGE 7, 377, 404). Das lag - für das Bundesrecht - insbesondere
deshalb nahe, weil angesichts des Wortlauts von Art. 12 Abs. 1 GG anderenfalls die
Freiheit der Berufswahl möglicherweise als vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht
hätte erscheinen können. Das Bundesverfassungsgericht hat aber zugleich und sodann
in seiner späteren Rechtsprechung durchgängig keinen Zweifel gelassen, daß bei der
Schrankenziehung wiederum zwischen Berufswahlaspekten und solchen der
Berufsausübung zu unterscheiden sei (seit BVerfG, aaO, 405 ff.). Darin liegt nicht
notwendig ein innerer Widerspruch, wie im Schrifttum gelegentlich angenommen worden
ist (vgl. nur Rittstieg, Alternativkommentar, 2. Aufl., Art. 12 Rdnr. 59). Denn es ist
durchaus möglich und kommt immer wieder vor, daß ein Eingriff allein die
Berufsausübung betrifft (wie z.B. die Regelung einer Ladenschlußzeit), aber auch allein
die Berufswahl (wie eine Bedürfnisprüfung im Rahmen eines Zulassungsverfahrens).
Darüber hinaus kann es so liegen, daß ein Eingriff gleichermaßen Ausübungs- und
Wahlaspekte aufweist, so etwa im Zuge der gesetzlichen Fixierung eines Berufsbildes.
Das rechtfertigt aber selbst für Art. 12 Abs. 1 GG nicht den Schluß, daß jeder irgendwie
geartete Eingriff in die Berufsfreiheit immer zugleich denknotwendig beide Aspekte
beträfe, also jede Berufsausübungsregelung gleichsam automatisch auch die Freiheit
der Berufswahl miteinschränken werde. Zwar wird in der Literatur richtig gesagt, die
vorermahnte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 12 Abs. 1 GG habe
die Probleme einer "tatbestandlichen Abgrenzung zwischen Berufswahl und
Berufsausübung entschärft" (so Breuer, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, 1989, § 147 Rdn.
59). Daraus folgt indes - auch für Art. 12 Abs. 1 GG - nicht, daß sie denkgesetzlich
ausgeschlossen wäre. Für die einzig auf die Berufswahl bezogene - und mithin engere
Bestimmung des Art. 11 VvB bedeutet dies, daß auch hier zwar nicht von vornherein
ausgeschlossen werden kann, daß Eingriffe in die Ausübung eines Berufs eine Breite
oder Intensität erreichen, welche Anlaß geben, sie wegen ihrer Rückwirkungen auf die
Berufswahl ausnahmsweise als Verletzung des Schutzbereichs zu qualifizieren. Es
bedeutet aber überdies auch, daß die Rüge einer Verletzung des Art. 11 VvB im
Verfahren der Verfassungsbeschwerde nur bei konkreter Darlegung derartiger
Rückwirkungen zulässig sein kann.
Daran fehlt es in dem vorliegenden Fall. Das Führen beruflicher Bezeichnungen betrifft
zunächst ausschließlich die Ausübung des gewählten Berufs. Die der Beschwerdeführerin
aufgegebene Modifizierung der Bezeichnung, unter der sie für ihre berufliche Betätigung
wirbt, hat keine erkennbaren Rückwirkungen auf die Entscheidung für diese Betätigung,
welche es unter irgendeinem Gesichtspunkt als nachvollziehbar erscheinen ließen,
dadurch werde "zugleich" die Berufswahl berührt. Das hat, in Anwendung des Art. 12
Abs. 1 GG, im übrigen auch das Landgericht Berlin zutreffend erkannt.
Klarstellend sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß das "Zurückbleiben"
einer landesgrundrechtlichen Verbürgung hinter einem im Grundgesetz enthaltenen
Parallelgrundrecht nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofs nicht etwa zur
Nichtigkeit der Mindergewährleistung im Landesrecht führt (so aber z.B.
Bockenförde/Grawart, DÖV 1971, 119, 126). Diese Rechtsfolge könnte sich allein aus Art.
31 GG ergeben, welcher aber einander widersprechende Normbefehle voraussetzt. An
einem solchen Normwiderspruch fehlt es vorliegend, denn das thematisch weniger
weitreichende Landesgrundrecht hat von vornherein nicht den Sinn, einen
weitergehenden Schutz durch andere Vorschriften auszuschließen. Sein Sinn liegt
vielmehr allein darin, auf der Ebene der Landesverfassung - eingeschränkten -
zusätzlichen Schutz zu vermitteln und insoweit dem Verfassungsgerichtshof einen
Kontrollmaßstab zu eröffnen. Daher liegt keine Kollision mit dem Bundesgrundrecht vor
(so im Ergebnis u.a. auch Sachs, DÖV 1985, 469, 475 ff.; Dreier, in: K. Schmidt, Hrsg.,
Vielfalt des Rechts - Einheit der Rechtsordnung?, 1994, 113, 133; Pieroth, in:
Jarass/Pieroth, GG, 3. Aufl., 1995, Art. 142 Rdn. 3; vgl. auch Leisner, Die bayerischen
Grundrechte, 1968, 21, sowie bereits den Beschluß vom 8. September 1993 - VerfGH
54/93 -).
Diese Entscheidung ist mit einem Stimmenverhältnis von vier zu vier ergangen. Die
Verfassungsbeschwerde war daher gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 VerfGHG zurückzuweisen.
III.
Nach Auffassung der vier diese Entscheidung nicht tragenden Richter entspricht die
Verfassungsbeschwerde den Zulässigkeitserfordernissen der §§ 48, 50 VerfGHG, weil
nach ihrer Meinung Art. 11 VvB ein einheitliches Grundrecht der Berufsfreiheit
gewährleistet, dessen sachlicher Umfang sich mit demjenigen das Art. 12 Abs. 1 GG
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gewährleistet, dessen sachlicher Umfang sich mit demjenigen das Art. 12 Abs. 1 GG
deckt und deswegen auch die vorliegend betroffene Berufsausübungsfreiheit mitumfaßt
(so auch Schwan in: Pfennig/Neumann, Verfassung von Berlin, 2. Aufl., 1987, Art. 11
Rdnr. 4).
Diese Meinung stützen sie auf folgende Argumentation: Der Wortlaut des Art. 11 VvB
bleibt gerade nicht hinter der die Berufsfreiheit positiv gewährleistenden Regelung des
Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG zurück, sondern enthält lediglich - anders als Art. 12 Abs. 1
Satz 2 GG - keine spezifische Schrankenbestimmung für die "bloße"
Berufsausübungsfreiheit. Diese Schrankenregelung darf jedoch nicht dahin
mißverstanden werden, daß erst sie die Gewährleistung der Berufsausübungsfreiheit
enthielte; vielmehr wird durch die gewählte Formulierung lediglich deutlich, daß die in Art.
12 Abs. 1 Satz 1 GG enthaltene Gewährleistung des Rechts, Beruf und Arbeitsplatz frei
zu wählen, die Freiheit der Berufsausübung mitumfaßt. Die gleiche "umfassende"
Bedeutung kommt den Begriffen der freien Wahl des Berufs und des Arbeitsplatzes in
der Verfassung von Berlin zu, die zur gleichen Zeit und damit vor demselben
historischen Hintergrund erarbeitet wurde wie das Grundgesetz, so daß für die Annahme
eines unterschiedlichen Begriffsinhalts in Art. 11 VvB einerseits und Art. 12 Abs. 1 Satz 1
GG andererseits keine Veranlassung besteht. Dem steht das Fehlen einer dem Text des
Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG entsprechenden "Interpretationshilfe" nicht entgegen. Denn die
Zugehörigkeit der Freiheit der Berufsausübung zur Freiheit der Wahl des Berufs und des
Arbeitsplatzes ergibt sich aus der Untrennbarkeit dieser beiden Aspekte der
Berufsfreiheit. Das gilt nicht nur für die Aufnahme der Berufstätigkeit, die sowohl den
Anfang der Berufsausübung als auch die Betätigung der Berufswahl darstellt, sondern
auch für die laufende Berufsausübung, in der sich der Wille zur Beibehaltung des Berufs
ausdrückt (vgl BVerfGE 7, 377, 401). Darüber hinaus ergibt sich die Einheitlichkeit das
Komplexes "berufliche Betätigung" aus der Grundsätzlichen Gewahrleistung des Rechts,
jede erlaubte Tätigkeit als "Beruf" zu wählen, und der damit verbundenen Schwierigkeit,
bestimmte Ausübungsmodalitäten eindeutig entweder dem gewählten Beruf oder
dessen bloßer Ausübung zuzuordnen. Schließlich zeigt die in Art. 11 VvB wortgleich mit
Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistete freie Wahl des Arbeitsplatzes, daß auch der
Berliner Verfassungsgeber die Berufsausübung im Blick hatte. Denn dieses Recht
schützt den einzelnen in seinem Entschluß, eine konkrete Beschäftigungsmöglichkeit in
dem gewählten Beruf zu ergreifen, beizubehalten oder aufzugeben (BVerfGE 84, 133,
146 zu der entsprechenden Regelung des Art. 12 Abs. 1 GG), und betrifft damit direkt
den beruflichen Alltag, mithin die Berufsausübung, die an dem gewählten Arbeitsplatz
stattfindet. Allein das Fehlen einer gesonderten - den Regelungsvorbehalt des Art. 23
Abs. 2 VvB für die Berufsausübung speziell betonenden - Schrankenregelung in der
Verfassung von Berlin bietet demgegenüber keine tragfähige Argumentationsgrundlage
für die Annahme, die Verfassung von Berlin schütze mit der Freiheit der Berufswahl allein
die Entscheidung fur einen bestimmten Beruf, nicht hingegen die Freiheit der
Modalitäten seiner Ausübung. Auch die dem Art 11 VvB selbst für alle darin enthaltenen
Gewährleistungen beigegebene "Grenze" der Verpflichtung, bei Überwindung öffentlicher
Notstände mitzuhelfen, läßt sich entgegen der Annahme der vier die Entscheidung
tragenden Richter nicht dafür fruchtbar machen, daß der Verfassungsgeber die Frage
des "Ob", nicht des "Wie" beruflicher Betätigung im Auge gehabt habe. Die
Entstehungsgeschichte spricht vielmehr eher für das Gegenteil: Im Zusammenhang mit
dieser Schrankenregelung wurde das Beispiel erwähnt, für die Dauer einer großen
Epidemie Ärzte in die gefährdeten Gebiete zu verpflichten (vgl. die Dokumentation der
35. Sitzung des Verfassungsausschusses bei Reichhardt, aaO, Dokument Nr. 122, S.
1165, 1166).
Wegen der Gleichheit der Zahl der Richter, die die Zulässigkeit der
Verfassungsbeschwerde verneinen, war die Verfassungsbeschwerde jedoch, wie
eingangs dargelegt, gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 VerfGHG zurückzuweisen.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33 ff. VerfGHG.
Dieses Urteil ist unanfechtbar.
Abweichende Meinung
Nach unserer Auffassung ist die Verfassungsbeschwerde aus den unter III im Urteil
dargestellten Gründen zulässig und darüber hinaus auch begründet. Die angefochtenen
Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht der Berufsfreiheit
aus Artikel 11 VvB. Der Verfassungsgerichtshof ist zwar keine zusätzliche gerichtliche
Instanz, sondern gegenüber den Entscheidungen der Fachgerichte in seinem
Prüfungsmaßstab auf die Feststellung von Verfassungsverstößen beschränkt, so daß
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Prüfungsmaßstab auf die Feststellung von Verfassungsverstößen beschränkt, so daß
allein die Frage maßgebend ist, ob bei der Anwendung des einfachen Rechts im Einzelfall
ein von der Verfassung von Berlin verbürgtes Recht grundlegend verkannt worden ist.
Vor diesem Hintergrund beruft sich die Beschwerdeführerin jedoch zu Recht auf das
durch Artikel 11 VvB deckungsgleich mit Artikel 12 Abs. 1 GG gewährleistete Grundrecht
der Berufsfreiheit, zu dessen Schutzbereich auch die Führung von Berufsbezeichnungen
gehört (vgl. BVerfGE 36, 212 (216)).
Allerdings ist die hier betroffene Freiheit der Berufsausübung grundsätzlich durch das
Verbot irreführender Werbung des § 3 UWG eingeschränkt. Diese Regelung ist jedoch
ihrerseits im Lichte der Berufsfreiheit auszulegen und anzuwenden. Dies betrifft bereits
die Frage, unter welchen Voraussetzungen e. wettbewerbsrechtlich relevante Irreführung
im Sinne des § 3 UWG angenommen werden kann, da die hierzu erforderliche Eignung,
bei einem nicht unerheblichen Teil der umworbenen Verkehrskreise irrige Vorstellungen
über das Angebot hervorzurufen (vgl. Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 17.
Auflage, 1993, § 3 UWG, Rdnr. 87), nicht ohne die Abwägung der beteiligten Interessen
feststellbar ist: Ob derjenige Teil der Verkehrskreise, der durch eine Bezeichnung
irregeführt werden kann, im Sinne des § 3 UWG unbeachtlich oder aber erheblich ist,
hängt maßgeblich von dem Gewicht der auf dem Spiel stehenden Interessen der
Allgemeinheit und der Mitbewerber einerseits und des Freiheitsgehalts des Rechts der
freien Berufsausübung andererseits ab (vgl BGH, Urteil vom 25. Januar 1990, NJW- RR
1990, S. 678, 679). An einer hinreichenden Berücksichtigung der Berufsfreiheit bei dieser
Abwägung fehlt es hier. Die vom Kammergericht bestätigte Entscheidung des
Landgerichts nimmt dieses Grundrecht nicht hinsichtlich des an die Irreführungseignung
anknüpfenden "Ob" des Einschreitens, sondern allein bei der Auswahl der konkreten
Verbotsmaßnahme in den Blick. Unter Zitierung einer früheren Entscheidung des
Kammergerichts vom 25. Juli 1989 führt es aus: "Die Berufsfreiheit (Artikel 12 GG) des
Antragsgegners wird durch die vorliegende Entscheidung nicht angetastet. Er wird nicht
gehindert, weiter als nichttierärztlicher Tierheilbehandler berufstätig zu sein. Er wird nur
angehalten, bei der Berufsausübung in den durch das Wettbewerbsrecht gezogenen
Schranken zu verbleiben. Dies geschieht unter Wahrung des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit. Die Berufsbezeichnung "Tierheilpraktiker" zu verwenden, ist ihm
nicht gänzlich versagt. Vielmehr ist ihm als am wenigsten einschneidende Einschränkung
aufgegeben, sie mit einem die Irreführungseignung aufräumenden Aufklärungszusatz zu
führen." Das Landgericht und das Kammergericht haben hingegen bei der für die (Vor-
)Frage der Irreführungseignung erforderlichen Interessenabwägung nicht hinreichend
berücksichtigt, daß die von der Beschwerdeführerin in Anspruch genommene
Berufsbezeichnung sich keineswegs an diejenige des mit staatlicher Erlaubnis
ausgestatteten Heilpraktikers "anlehnt", sondern bereits seit mehr als 60 Jahren
gebräuchlich ist. Schon seit dem Jahre 1931 existiert ein "Verband der Tierheilpraktiker
Deutschlands e.V.", der sich seit dem Jahre 1985 "Verband der Tierheilpraktiker
Deutschlands, Bundes- und Dachverband e.V." nennt und sich eine Berufsordnung
geschaffen hat. Die Bezeichnung "Tierheilpraktiker" war mithin in der betreffenden
Berufsgruppe bereits eingeführt und ohne besondere Erlaubnis zulässig, als durch den
Erlaß des Gesetzes über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung -
Heilpraktikergesetz - vom 17. Februar 1939 (RGBl I S. 251) für die Ausübung der
Heilkunde am Menschen eine generelle Erlaubnispflicht und mit der Zweiten
Durchführungsverordnung vom 3. Juli 1941 (RGBl. I S. 368) schließlich eine Überprüfung
der Erlaubnisbewerber vorgesehen wurde. Mit der an diesen Regelungen orientierten
Auslegung der Irreführungseignung im Sinne des § 3 UWG wird deshalb in ein bereits
zuvor existentes, ursprünglich zulässiges Berufsbild eingegriffen; hinzu kommt, daß die
vom Gericht angenommene Irreführungseignung der Bezeichnung "Tierheilpraktiker"
jedenfalls nicht der Berufsgruppe selbst anzulasten ist, sondern dem - auf anderem
Gebiet tätig gewordenen - Gesetzgeber. Außerdem führt die bestandene
Heilpraktikerprüfung nicht zu einer positiven staatlichen Anerkennung der Befähigung,
sondern - zum Zwecke der gesundheitlichen Gefahrenabwehr - lediglich zu einer
"Unbedenklichkeitsbescheinigung" (vgl. BVerfGE 78, 155, 163). Diese Gesichtspunkte
hätten im Rahmen der Abwägung bei der Frage der Irreführungseignung zugunsten der
Beschwerdeführerin berücksichtigt werden müssen.
Der hohe Rang des Grundrechts der Berufsfreiheit (vgl. dazu BVerfGE 71, 183, 201)
erfordert neben dem Zugrundelegen eines verfassungsrechtlich unbedenklichen
Maßstabs außerdem, daß die für die Beurteilung notwendigen Tatsachenfeststellungen
auf einer hinreichend zuverlässigen Grundlage getroffen werden (vgl. in diesem
Zusammenhang Beschluß der 2. Kammer des Bundesverfassungsgerichts vom 24.
Februar 1995 - 2 BvR 345.95 -, S. 11; s. auch BVerfGE 52, 214, 219 ff.). Auch diese
grundrechtliche Ausstrahlungswirkung auf die Art und Weise der Feststellung des
entscheidungserheblichen Sachverhalts ist vorliegend unberücksichtigt geblieben. Denn
in dem angefochtenen Urteil des Landgerichts heißt es - wiederum als Zitat der bereits
in dem angefochtenen Urteil des Landgerichts heißt es - wiederum als Zitat der bereits
erwähnten früheren Entscheidung des Kammergerichts -: "Die Irreführungseignung der
angegriffenen Berufsbezeichnung können die Richter aus eigener Sachkunde beurteilen.
Sie gehören selbst zu den angesprochenen Verkehrskreisen." Eine derartige
Tatsachenfeststellung zugunsten der beweisführungspflichtigen Klägerseite liegt
angesichts des Einwandes der Beschwerdeführerin, es fehle diesen Verkehrskreisen die
Schutzbedürftigkeit und der Maßnahme deshalb die "Erforderlichkeit", außerhalb des
durch § 286 ZPO eingeräumten und im Lichte der Berufsfreiheit auszuübenden
Ermessens. Die Existenz von 40 Ausbildungsstätten für Tierheilpraktiker sowie die
Verwendung des Begriffs des Tierheilpraktikers von Gerichten und Behörden -
Umstände, die vom Landgericht selbst erwähnt werden - hätten den Richtern dazu
Veranlassung geben müssen, nicht die - unrepräsentative - eigene Zugehörigkeit zu den
"angesprochenen Verkehrskreisen" zur Grundlage einer die Beschwerdeführerin
belastenden Entscheidung zu machen, sondern sich zuvor nachvollziehbar - z.B. mit
Hilfe eines Meinungsforschungsinstituts - über die Breite der Irreführungsgefahr und die
Art der hervorgerufenen Fehlvorstellungen Gewißheit zu verschaffen (vgl. BGH, Urteil
vom 25. Januar 1990, a.a.O.). Ohne eine derartig gesicherte Tatsachengrundlage konnte
sich die Frage der Erforderlichkeit des ausgesprochenen Verbots und seiner
Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne nicht in einer den Anforderungen des Grundrechts
der Berufsfreiheit genügenden Art und Weise beantworten lassen.
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