Urteil des VerfGH Berlin vom 24.07.2001

VerfGH Berlin: verteilung der sitze, einspruch, stimmzettel, wahllokal, wahlkreis, ausgabe, chancengleichheit, amtsblatt, sammlung, zusammensetzung

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
177/01
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 21 GG, § 40 Abs 2 Nr 8
VGHG BE
Tenor
Der Einspruch wird zurückgewiesen.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.
Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe
I. Die Einsprechende begehrt die Wiederholung der Wahlen zum Abgeordnetenhaus von
Berlin und zur Bezirksverordnetenversammlung Steglitz-Zehlendorf.
Am 24. Juli 2001 stellte sie eine Landesliste für die Wahl zum Abgeordnetenhaus auf. Die
amtlichen Vordrucke für die nach dem Landeswahlgesetz vorgesehenen
Unterstützungsunterschriften wurden ihr am 16. August 2001 übergeben. Die Zulassung
der Landesliste wurde abgelehnt, weil die Einsprechende bis zum 17. September 2001
lediglich 129 Unterschriften eingereicht hatte.
Bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus erhielt der Wahlvorschlag der Einsprechenden für
den Wahlkreis Steglitz-Zehlendorf 7 insgesamt 321 Stimmen (vgl. Amtsblatt für Berlin
2001, S. 5161). Den Wahlkreis gewann der Bewerber der CDU mit 10.501 Stimmen (vgl.
Amtsblatt für Berlin 2001, S. 5160). Der zweitplatzierte Bewerber der SPD bekam 9.498
Stimmen (vgl. Amtsblatt für Berlin 2001, S. 5160). In dem zu diesem Wahlkreis
gehörenden Wahllokal des Stimmbezirkes 719 fehlten in der Zeit von 17.40 Uhr bis
18.03 Uhr Stimmzettel für die Zweitstimme. Die Wahlberechtigten, die bis 18.00 Uhr das
Wahllokal betraten, wurden gebeten, auf die Lieferung der Stimmzettel zu warten. Um
18.00 Uhr befanden sich sechs Wahlberechtigte im Wahllokal, die dann zwischen 18.03
und 18.06 Uhr ihre Stimme abgaben.
Die Einsprechende hat am 3. Dezember 2001 Einspruch eingelegt und trägt vor:
Bei der Vorbereitung der Wahlen sei die Chancengleichheit nicht gewährleistet gewesen.
So habe sie die amtlichen Vordrucke für Unterstützungsunterschriften erst am 16.
August 2001 erhalten können, weil das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf zuvor vierzehn
Tage benötigt habe, um die sechs Bewerber ihrer Listen auf ihre Wahlberechtigung zu
überprüfen. Hingegen habe die konkurrierende MLPD schon ab dem 3. Juli 2001 mit der
Sammlung der Unterschriften beginnen können. Auch bei der Durchführung der Wahlen
habe es Verstöße gegeben, die das Wahlergebnis maßgeblich beeinflußt hätten. In der
Zeit von 17.00 bis 18.00 Uhr hätten eine große Zahl von Wählern den Heimweg
angetreten, nachdem sie in dem im Bereich W steig/P straße liegenden Wahllokal
erfahren hätten, daß eine Ausübung des Wahlrechts mangels vorhandener Stimmzettel
nicht möglich sei. Eine Stimmabgabe nach 18.00 Uhr sei nicht zumutbar, da zu diesem
Zeitpunkt schon die Wahlprognose veröffentlicht werde. Die Einsprechende sei durch das
Fehlen der Stimmzettel besonders benachteiligt worden, denn das Zentrum ihrer
Aktivitäten liege in dem nahe gelegenen Studentendorf Schlachtensee, dessen jüngere
Wähler aufgrund nächtlicher Aktivitäten sonntags besonders lange schliefen.
Den gemäß § 41 VerfGHG zu beteiligenden Institutionen und Personen ist Gelegenheit
zur Stellungnahme gegeben worden.
Der Beteiligte zu 14. hält den Einspruch für unbegründet.
Der Verfassungsgerichtshof hat gemäß § 24 Abs. 1 VerfGHG einstimmig auf die
Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
II. Der Einspruch hat keinen Erfolg.
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Hierbei kann offenbleiben, ob der Zulässigkeit des Einspruchs bereits entgegensteht,
daß die Einsprechende davon abgesehen hat, in der Begründung ihres Einspruchs
ausdrücklich einen der Gründe zu bezeichnen, auf die nach § 40 Abs. 2 VerfGHG der
Einspruch einzig gestützt werden kann. Daher ist zweifelhaft, ob der Einspruch nicht
schon mangels Begründung (vgl. § 40 Abs. 4 Satz 1 VerfGHG) unzulässig ist. Die Angabe
der Gründe für den eingelegten Einspruch ist im Wahlprüfungsverfahren deshalb von
besonderem Gewicht, weil nach § 40 Abs. 3 VerfGHG der Kreis der
Einspruchsberechtigten davon abhängt, der Umfang der Wahlprüfung danach
abzugrenzen ist (vgl. BVerfGE 40, 11 <30>; 66, 369 <378 f.>) und das Interesse an der
raschen und verbindlichen Klärung der ordnungsgemäßen Zusammensetzung der
Volksvertretungen eine frühzeitige Feststellung des Streitstoffs gebietet (vgl. BVerfGE
85, 148 <159>). Die Begründung muß deshalb innerhalb der gesetzlich vorgesehenen
Einspruchsfrist vorliegen; sie ist ein wesentliches Erfordernis des Einspruchs selbst (vgl.
zu § 48 BVerfGG: BVerfGE 21, 359 <361>).
Nimmt man in Auslegung der Einspruchsbegründung § 40 Abs. 2 Nr. 8 VerfGHG als
Grundlage für den Einspruch an, soweit die Einsprechende sinngemäß geltend macht,
bei der Vorbereitung und Durchführung der Wahlen seien Vorschriften des
Grundgesetzes in einer Weise verletzt worden, daß dadurch die Verteilung der Sitze
beeinflußt worden sei, so ist der Einspruch jedenfalls unbegründet.
Das von der Einsprechenden sinngemäß als verletzt gerügte Recht der politischen
Parteien auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb folgt aus Art. 21 GG und
verbietet jede staatliche Maßnahme, die den Anspruch einer Partei auf Gleichheit ihrer
Wettbewerbschancen willkürlich beeinträchtigt (vgl. Beschlüsse vom 21. September 1995
- VerfGH 12/95 - NJ 1996, 140 und vom 17. März 1997 - VerfGH 90/95 - LVerfGE 6, 32
<39>). Es gilt nicht nur für den Wahlvorgang selbst, sondern auch für die
Wahlvorbereitung (vgl. BVerfGE 85, 264 <297>).
Die Einsprechende ist - ihre Eigenschaft als Partei unterstellt - durch Maßnahmen des
Beteiligten zu 14. bei der Wahlvorbereitung nicht in ihrem Recht auf politische
Chancengleichheit verletzt worden. Es sind keine Anhaltspunkte für eine verspätete und
die Einsprechende gegenüber Mitbewerbern benachteiligende Ausgabe der amtlichen
Vordrucke für Unterstützungsunterschriften ersichtlich. Entgegen der Auffassung der
Einsprechenden war die Prüfung der Wählbarkeit ihrer Bewerber weder rechtlich noch
tatsächlich Voraussetzung für die Ausgabe der amtlichen Vordrucke. Dies hat der
Beteiligte zu 14. in seinem Schriftsatz vom 7. März 2002 bestätigt, und die
Einsprechende ist dem auch nicht entgegengetreten. Die Ausgabe der amtlichen
Vordrucke für Unterstützungsunterschriften an die MLPD wäre allenfalls dann zu
beanstanden, wenn diese Partei im Zeitpunkt der Ausgabe noch nicht die
Aufstellungsversammlung durchgeführt hätte. Einen derartigen Sachverhalt hat die
Einsprechende aber nicht vorgetragen.
Schließlich ist der Einspruch jedenfalls unbegründet, soweit die Einsprechende den
Ablauf der Wahl im Wahlkreis Steglitz-Zehlendorf 7 und dabei das zeitweise Fehlen von
Stimmzetteln für die Zweitstimme beanstandet. Da das Wahlprüfungsverfahren dazu
bestimmt ist, die ordnungsgemäße Zusammensetzung der Volksvertretungen zu
gewährleisten, kann der auf § 40 Abs. 2 Nr. 8 VerfGHG zu stützende Einspruch nur Erfolg
haben, wenn der geltend gemachte Wahlfehler auf die Sitzverteilung von Einfluß ist oder
sein kann (vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 4, 370 <372 f.>; 85, 148 <158 f.>; 89, 243
<254>). Dabei darf es sich nicht nur um eine theoretische Möglichkeit handeln.
Vielmehr muß diese eine nach der allgemeinen Lebenserfahrung konkrete und nicht
ganz fernliegende sein (vgl. BVerfGE 89, 243 <254>). Daran fehlt es hier. Es kann bei
dem großen Abstand zwischen dem gewählten Bewerber im Wahlkreis 7 des Bezirks
Steglitz-Zehlendorf und den nachfolgenden Bewerbern sowie der nur in einem Wahllokal
für kurze Zeit aufgetretenen Unregelmäßigkeiten ausgeschlossen werden, daß ein
anderer Bewerber gewählt worden wäre, wenn es nicht zu der verspäteten Bereitstellung
der Stimmzettel gekommen wäre.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf den §§ 33 und 34 VerfGHG.
Dieser Beschluß ist unanfechtbar.
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