Urteil des VerfG Nordrhein-Westfalen vom 26.08.2009

VerfG Nordrhein-Westfalen: hersteller, raumordnung, verfassungsbeschwerde, mittelstand, landesplanung, energie, ausschuss, erlass, gesetzesmaterialien, eingriff

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Verfassungsgerichtshof NRW, VerfGH 18/08
26.08.2009
Verfassungsgerichtshof NRW
Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen
Urteil
VerfGH 18/08
§ 24a Abs. 1 Satz 4 des Gesetzes zur Landesentwicklung
(Landesentwicklungsprogramm – LEPro), eingefügt durch Gesetz zur
Änderung des Gesetzes zur Landesentwicklung
(Landesentwicklungsprogramm – LEPro) vom 19. Juni 2007 (GV. NRW.
S. 225), verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Selbstverwaltungsrecht
aus Art. 78 Abs. 1 und 2 der Landesverfassung und ist deshalb nichtig.
Die notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin sind vom Land
Nordrhein-Westfalen zu erstatten.
G r ü n d e :
A.
Die Beschwerdeführerin, eine kreisangehörige Stadt im westlichen Münsterland mit ca.
20.000 Einwohnern, wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen die mit Gesetz
vom 19. Juni 2007 eingeführte Regelung in § 24a Abs. 1 Satz 4 des Gesetzes zur
Landesentwicklung (Landesentwicklungsprogramm – LEPro). Die angegriffene Norm sieht
vor, dass so genannte Hersteller-Direktverkaufszentren (Factory-Outlet-Center – FOC) mit
mehr als 5.000 qm Verkaufsfläche bauplanungsrechtlich nur ausgewiesen werden dürfen,
wenn sich der Standort in einer Gemeinde mit mehr als 100.000 Einwohnern befindet.
I.
1.
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, dass § 24 Abs. 3 LEPro i. d. F.
des Gesetzes vom 5. April 2005 (GV. NRW. S. 306), die Vorgängerregelung zu § 24a
LEPro, mangels ausreichender Bestimmtheit der Norm nicht als ein "Ziel der
Raumordnung" im Sinne von § 3 Nr. 2 des Raumordnungsgesetzes (ROG a. F.) zu
qualifizieren ist. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung brachte die Landesregierung
im Januar 2007 den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur
Landesentwicklung (Landesentwicklungsprogramm – LEPro) in den Landtag ein (LT NRW-
Drs. 14/3451). Danach sollte die landesplanerische Vorschrift zur Steuerung der
Einzelhandelsentwicklung in § 24 Abs. 3 LEPro a. F. durch eine Regelung ersetzt werden,
die die Voraussetzungen eines Ziels der Raumordnung erfüllt und von den öffentlichen
Stellen bei raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen als verbindliche Vorgabe zu
beachten ist.
In der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es dazu, es stelle ein wesentliches Anliegen
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der Landesplanung dar, funktionsfähige Zentren (Innenstädte bzw. Ortsmitten,
Stadtteilzentren) und damit auch funktionsfähige Versorgungsstrukturen zu erhalten. Der
Einzelhandel besitze als wichtiger Frequenzbringer für Zentren eine besondere Bedeutung.
Der anhaltende Trend zu immer größeren Betriebseinheiten und neuartigen Betriebsformen
verstärke jedoch die Nachfrage nach Standorten außerhalb der Zentren. Diese Entwicklung
schwäche die Zentren erheblich, weil sie vor allem zu Lasten des klein- und
mittelständischen Facheinzelhandels gehe und dadurch Qualität und Vielfalt des Angebots
verloren gingen. Mit der neuen Regelung werde die bisherige Steuerung der
Einzelhandelsentwicklung konsequenter auf die Stärkung der Zentren ausgerichtet. Kern-
und Sondergebiete für großflächige Einzelhandelsvorhaben im Sinne von § 11 Abs. 3 der
Baunutzungsverordnung (BauNVO) dürften nur in zentralen Versorgungsbereichen
ausgewiesen werden. Die Vorhaben seien zentrenverträglich, wenn sie weder die
Funktionsfähigkeit zentraler Versorgungsbereiche in der Standortgemeinde oder in den
Nachbargemeinden noch die wohnungsnahe Grundversorgung in ihrem Einzugsbereich
beeinträchtigten (LT NRW-Drs. 14/3451, S. 9, 10).
Speziell zu § 24a Abs. 1 Satz 4 LEPro führt die Gesetzesbegründung aus, bei Hersteller-
Direktverkaufszentren handele es sich um großflächige und zentrenrelevante
Einzelhandelsvorhaben, in denen Hersteller ihre Produkte mit erheblichen
Preisnachlässen direkt an den Endverbraucher absetzten. Durch diese Konzeption, das
größere Einzugsgebiet und die höhere Umsatzleistung unterschieden sie sich von
herkömmlichen Einkaufszentren. Auf Grund der raumordnerischen und städtebaulichen
Auswirkungen dürften Hersteller-Direktverkaufszentren mit mehr als 5.000 qm
Verkaufsfläche nur in Großstädten geplant werden (LT NRW-Drs. 14/3451, S. 10).
In Bezug auf die Selbstverwaltung der Gemeinden hält der Gesetzentwurf fest, die
Neuregelung habe darauf keine Auswirkungen (LT NRW-Drs. 14/3451, S. 2).
Der Ausschuss für Wirtschaft, Mittelstand und Energie führte im April 2007 eine öffentliche
Anhörung von Sachverständigen durch (Ausschussprotokoll 14/387). Neben Vertretern aus
Rechtswissenschaft und Rechtspraxis äußerten sich u.a. Vertreter der kommunalen
Spitzenverbände in Nordrhein-Westfalen und von Einzelhandelsverbänden. Schriftlich
hatte u. a. die Beschwerdeführerin Stellung genommen (LT NRW-Drs. 14/986). In der
abschließenden Sitzung im Juni 2007 beschloss der Ausschuss, den Gesetzentwurf um
eine Öffnungsklausel zu ergänzen. Danach sollte im Fall eines Regionalen
Einzelhandelskonzepts eine Abweichung (u. a.) von der Regelung in § 24a Abs. 1 Satz 4
LEPro möglich sein (LT NRW-Drs. 14/4489; Ausschussprotokoll 14/436).
Am 13. Juni 2007 verabschiedete der Landtag in zweiter Lesung das Gesetz zur Änderung
des Gesetzes zur Landesentwicklung (Landesentwicklungsprogramm – LEPro) in der
Fassung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft, Mittelstand und
Energie vom 6. Juni 2007 (Plenarprotokoll 14/64). Das Gesetz ist am 4. Juli 2007 verkündet
worden (GV. NRW. S. 225) und am 5. Juli 2007 in Kraft getreten.
§ 24a LEPro lautet:
§ 24a
Großflächiger Einzelhandel
(1) 1Kerngebiete sowie Sondergebiete für Vorhaben i. S. des § 11 Abs. 3
Baunutzungsverordnung – BauNVO – (Einkaufszentren, großflächige
Einzelhandelsbetriebe und sonstige großflächige Handelsbetriebe) dürfen nur in zentralen
Versorgungsbereichen ausgewiesen werden; Absätze 3 bis 6 bleiben unberührt. 2Die in
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ihnen zulässigen Nutzungen richten sich in Art und Umfang nach der Funktion des
zentralen Versorgungsbereichs, in dem ihr Standort liegt. 3Sie dürfen weder die
Funktionsfähigkeit zentraler Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in benachbarten
Gemeinden noch die wohnungsnahe Versorgung der Bevölkerung in ihrem Einzugsbereich
beeinträchtigen. 4Dabei dürfen Hersteller-Direktverkaufszentren mit mehr als 5.000 qm
Verkaufsfläche nur ausgewiesen werden, wenn sich der Standort in einer Gemeinde mit
mehr als 100.000 Einwohnern befindet.
...
(6) 1In Regionalen Einzelhandelskonzepten können Abweichungen von Absatz 1
Sätze 2 und 4, Absatz 2 Satz 2 und Absatz 3 Satz 1 vereinbart werden. 2Regionale
Einzelhandelskonzepte müssen das Gebiet von mindestens drei benachbarten
kommunalen Partnern (kreisfreie Städte oder Kreise) umfassen und enthalten mindestens
Angaben über
-- städtebauliche Leitlinien und räumlich abgegrenzte Standorte für eine
zentrenverträgliche Entwicklung des Einzelhandels sowie
-- für Abweichungen nach Satz 1 konkrete und begründete Festlegungen des
Standorts und der Verkaufsfläche.
3Abweichungen nach Satz 1 bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung des
Regionalrats. 4Liegt das Geltungsgebiet des Regionalen Einzelhandelskonzepts in zwei
oder mehr Regierungsbezirken, ist die Zustimmung aller zuständigen Regionalräte
erforderlich.
2.
Verkaufsfläche, dessen Erweiterung die Beschwerdeführerin seit 2005 plant. Anfang
November 2006 beschloss der Gemeinderat eine entsprechende Änderung des
Flächennutzungsplans. Dieser enthielt bislang für den Bereich des EOC die Darstellung
einer Sonderbaufläche mit der Zweckbestimmung "Fabrikverkaufszentrum für Markenartikel
(Factory-Outlet-Center) mit einer Verkaufsfläche von maximal 3.500 m2". Mit der Änderung
wurde für die Fläche ein "Sondergebiet (SO 5) gemäß § 11 Abs. 2, 3 BauNVO:
Großflächiger Einzelhandel mit der Zweckbestimmung Hersteller-Direktverkaufszentrum
(Factory-Outlet-Center FOC) auf einer Verkaufsfläche von maximal 11.500 m2 und
Büronutzung" dargestellt. Daneben beschloss der Rat die Anpassung des zugehörigen
Bebauungsplans. Mit Bescheid vom 13. Februar 2007 versagte die Bezirksregierung
Münster die von der Beschwerdeführerin beantragte Genehmigung der Änderungsfassung
des Flächennutzungsplans. Zur Begründung verwies sie (u. a.). auf einen Erlass des
Ministeriums für Wirtschaft, Mittelstand und Energie, mit dem das Ministerium im Hinblick
auf die im Gesetzgebungsverfahren befindliche Regelung des § 24a Abs. 1 Satz 4 LEPro
die Genehmigung der Änderung des Flächennutzungsplans untersagt hatte. Die dagegen
von der Beschwerdeführerin erhobene verwaltungsgerichtliche Klage ist beim
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen anhängig. Dasselbe gilt für ein
von der Bezirksregierung gegen die Bebauungsplanänderung angestrengtes
Normenkontrollverfahren.
II.
1.
Beschwerdeführerin geltend, § 24a Abs. 1 Satz 4 LEPro verletze die Vorschriften der
Landesverfassung (LV) über das Recht der gemeindlichen Selbstverwaltung. Die Norm
beschränke in verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigter Weise die kommunale
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Planungshoheit.
Die Beschwerdeführerin beantragt
festzustellen, dass § 24a Abs. 1 Satz 4 des Gesetzes zur Landesentwicklung
(Landesentwicklungsprogramm – LEPro), eingefügt durch Gesetz zur Änderung des
Gesetzes zur Landesentwicklung (Landesentwicklungsprogramm – LEPro) vom 19. Juni
2007 (GV. NRW. S. 225), sie in ihrem Selbstverwaltungsrecht aus Art. 78 Abs. 1 und 2 der
Landesverfassung verletzt und deshalb nichtig ist.
Sie macht geltend:
a)
angegriffene Norm selbst, unmittelbar und gegenwärtig betroffen, weil die Vorschrift sie
konkret in ihrer Bauleitplanung einschränke. Die kommunale Planung zur Erweiterung des
EOC könne nicht verwirklicht werden. Als Teil der kommunalen Planungshoheit gehöre die
Bauleitplanung zum Schutzbereich der gemeindlichen Selbstverwaltung.
b)
formell verfassungswidrig, weil dem Land die erforderliche Gesetzgebungskompetenz zum
Erlass der Norm fehle. Die Regelung sei nicht dem Begriff der Raumordnung in Art. 74 Abs.
1 Nr. 31 GG (Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 GG a. F.) zuzuordnen, sondern unterfalle dem
Bereich des Bodenrechts in Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG. Danach stehe dem
Landesgesetzgeber gemäß Art. 72 Abs. 1 GG die Befugnis zum Erlass der angegriffenen
Regelung nicht zu. Der Bund habe mit dem Baugesetzbuch (BauGB) von seiner
Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht.
c)
sei Ausdruck des Rechtsstaatsgebots, das über Art. 3, 4 und 72 ff. LV
landesverfassungsrechtlich verankert sei.
aa)
und dem sonstigen großflächigen Einzelhandel. Weder unter dem Gesichtspunkt der Größe
solcher Vorhaben noch mit Blick auf Sortiment und Einzugsbereich sei eine
unterschiedliche Behandlung gerechtfertigt. Hersteller-Direktverkaufszentren zeichneten
sich nicht durch ein "typisches" Sortiment aus. Sie unterschieden sich auch nicht in der
Größe von anderen großen Einkaufszentren. Der Einzugsbereich sei zwar regelmäßig
größer als derjenige von anderen Vertriebsformen des großflächigen Einzelhandels.
Dadurch komme es aber gemessen an sonstigen großflächigen Einzelhandelsvorhaben
nicht zu schwerwiegenderen Auswirkungen auf benachbarte Standorte. Vielmehr verteilten
sich die im Umland potentiell ausgelösten Umsatzabflüsse weitläufiger und fielen dadurch
für den einzelnen Standort geringer aus. Im Vergleich dazu schöpften herkömmliche
großflächige Einzelhandelsbetriebe in ihrem Einzugsbereich erheblich mehr Kaufkraft von
den Nachbargemeinden ab.
bb)
Direktverkaufszentren mit und ohne zentrenrelevanten Sortimenten. Während mit § 24a
Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 3 LEPro für sonstige großflächige Einzelhandelsvorhaben eine
Differenzierung in Bezug auf die Zentrenrelevanz des Sortiments vorgesehen sei, fehle
eine vergleichbare Regelung für die Hersteller-Direktverkaufszentren. Eine sachliche
Begründung gebe es dafür nicht. Die fehlende sortimentsspezifische Differenzierung lasse
sich auch nicht mit der Befugnis des Gesetzgebers zur Typisierung rechtfertigen.
cc)
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nehme, ob es sich bei der planenden Gemeinde um eine solche im ländlichen Raum
handele oder um eine Gemeinde im städtischen Raum oder gar in einem Ballungsraum.
Dieses Kriterium spiele jedoch eine erhebliche Rolle für die Auswirkungen eines
Hersteller-Direktverkaufszentrums. Ländliche Räume seien regelmäßig durch eine dünne
Siedlungsdichte und verbunden damit durch einen dünnen Einzelhandelsbesatz
gekennzeichnet. In ländlichen Regionen seien in der Regel in weiten Teilen nur
Grundzentren zu finden, in denen schwerpunktmäßig Waren des alltäglichen Bedarfs
angeboten würden. Die Auswirkungen eines Hersteller-Direktverkaufszentrums auf das
Umland seien daher viel geringer als bei einer Planung im urbanen Raum. Ländliche
Gemeinden hätten bei Hersteller-Direktverkaufszentren bessere Planungschancen als
beim sonstigen großflächigen Einzelhandel. Dies liege in der Vertriebsform begründet. Um
ihren Hauptvertriebswegen keine Konkurrenz zu machen, könnten Markenhersteller ihre
Direktverkaufszentren regelmäßig nicht in den Innenstadtlagen großer Städte ansiedeln.
Diesem Vertriebskonzept widerspreche § 24a Abs. 1 Satz 4 LEPro. Die durch die
Regelung bewirkte Einschränkung ihrer Planungshoheit treffe Gemeinden im ländlichen
Raum zudem deutlich härter als Gemeinden im urbanen Raum. Für Letztere sei es
wesentlich leichter, für einen angemessenen Einzelhandelsbesatz zu sorgen. Gemeinden
in ländlichen Regionen seien hierfür in der Regel auf "Magnetbetriebe" angewiesen.
Sachgerecht sei eine Differenzierung, die an die zentralörtliche Funktion anknüpfe. Bei
diesem Kriterium werde die Lage der Gemeinde im Raum berücksichtigt und der Aspekt
eines ländlichen bzw. urbanen Umfelds in den Blick genommen. Das in § 24a Abs. 1 Satz
4 LEPro gewählte Kriterium der Einwohnerzahl sei demgegenüber ungeeignet. Denn in
ländlichen Regionen könnten auch Gemeinden mit weniger als 100.000 Einwohnern
erhebliche funktionale Bedeutung erlangen.
dd)
auf seinen Einschätzungsspielraum begegnen. Voraussetzung dafür sei, dass der
Gesetzgeber sich auf empirische Daten stützen könne. Er habe zunächst den relevanten
Sachverhalt zu ermitteln, um diesen dann im Rahmen seines Einschätzungsspielraums
bewerten zu können. Für eine solche Datenerhebung sei nichts ersichtlich.
d)
Selbstverwaltungsrecht ein.
aa)
nicht abgewogen. Die Gesetzesmaterialien ließen die gebotene Abwägung nicht erkennen.
Sie könne durch die Landesregierung im verfassungsgerichtlichen Verfahren auch nicht
nachgeholt werden.
bb)
betroffenen Gemeinden durchzuführen. Die Anhörungspflicht sei Ausfluss des
Selbstverwaltungsrechts und des Rechtsstaatsprinzips. Die Beteiligung lediglich der
Gemeindeverbände genüge für eine ordnungsgemäße Anhörung nicht.
cc)
24a Abs. 1 Satz 4 LEPro bezwecke, die zentralen Versorgungsbereiche der Gemeinden
vor den negativen Auswirkungen von Hersteller-Direktverkaufszentren zu schützen. Die
Regelung sei ungeeignet, diesen Zweck zu fördern. Der beabsichtigte Schutz werde
bereits über § 24a Abs. 1 Satz 3 LEPro sichergestellt. Danach dürften großflächige
Einzelhandelsvorhaben generell die Funktionsfähigkeit der zentralen Versorgungsbereiche
nicht beeinträchtigen. Sei ein Vorhaben zentrenverträglich, bedürfe es keines
weitergehenden Schutzes der zentralen Versorgungsbereiche mehr. Sei ein Vorhaben
nicht zentrenverträglich, sei es bereits nach § 24a Abs. 1 Satz 3 LEPro unzulässig, ohne
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dass es noch auf § 24a Abs. 1 Satz 4 LEPro ankomme.
Auch stünden mit der Differenzierung zwischen zentrenrelevanten und nicht
zentrenrelevanten Sortimenten sowie mit der Anknüpfung an die zentralörtliche
Gliederungsstruktur weniger belastende Regelungsmöglichkeiten zur Verfügung. Darüber
hinaus biete sich als mildere Maßnahme die Aufnahme eines Ausnahmevorbehalts an,
wonach Hersteller-Direktverkaufszentren nur nach Durchführung eines besonderen
Prüfverfahrens ausgewiesen werden dürften.
Die Norm sei schließlich unverhältnismäßig im engeren Sinne. Bei der Abwägung
zwischen den gemeindlichen und den überörtlichen Belangen überwiege das
gemeindliche Planungsinteresse. § 24a Abs. 1 Satz 4 LEPro greife nur dann ein, wenn ein
nach § 24a Abs. 1 Satz 3 LEPro zentrenverträgliches Hersteller-Direktverkaufszentrum
geplant werden solle. Im Falle der Zentrenverträglichkeit seien indes die Auswirkungen auf
die Einzelhandelsstandorte in den benachbarten Versorgungszentren geringfügig. Dem
gegenüber stehe ein hohes Interesse der planenden Gemeinde an ihrer Planungshoheit,
wie der Fall der Beschwerdeführerin zeige. Ein Hersteller-Direktverkaufszentrum mit
11.500 qm Verkaufsfläche planen zu können, sei für sie eine ihrer wesentlichsten
Planungsentscheidungen und Entwicklungschancen im Bereich Einzelhandel. Zu
berücksichtigen sei ferner, dass es in Nordrhein-Westfalen ca. 30 Städte mit mehr als
100.000 Einwohnern gebe. Diese konzentrierten sich auf die Region
Köln/Bonn/Leverkusen sowie das Ruhrgebiet. Gemeinden, die abseits dieser
Ballungszentren in ländlichen Gebieten lägen, hätten deutlich schlechtere
Entwicklungschancen. In diesen Räumen gebe es häufig lediglich eine Stadt, die die
Grenze von 100.000 Einwohnern überschreite. § 24a Abs. 1 Satz 4 LEPro wirke damit
faktisch als konkrete Standortzuweisung. Hinzu komme, dass die Regelung die Planung
von Hersteller-Direktverkaufszentren de facto leer laufen lasse. Solche Vorhaben seien
unterhalb einer Verkaufsfläche von 10.000 qm nicht konkurrenzfähig. Schließlich sei die
angegriffene Norm unverhältnismäßig, weil es an einer Übergangsregelung für Hersteller-
Direktverkaufszentren fehle, deren Planung wie im Fall der Beschwerdeführerein im
Zeitpunkt der Einleitung des Gesetzgebungsverfahrens bereits abgeschlossen gewesen
sei.
dd)
bestünden nicht. Ein Zielabweichungsverfahren sei gemäß § 24 des
Landesplanungsgesetzes (LPlG) ausschließlich für den Landesentwicklungsplan und die
Regionalpläne vorgesehen. Die Ausnahmeregelung in § 24a Abs. 6 LEPro sei nicht
geeignet, die erforderliche Flexibilität der Gemeinden für die Planung von großflächigen
Einzelhandelsvorhaben zu gewährleisten und den Eingriff in die Planungshoheit auf ein
verhältnismäßiges Maß zu reduzieren. Das geforderte Regionale Einzelhandelskonzept
lasse sich in absehbarer Zeit weder erstellen noch ändern. Die planende Gemeinde habe
keine Möglichkeit, in angemessener Zeit auf Interessen von Investoren zu reagieren, die
von dem Konzept abwichen. Abgesehen davon sei die Gemeinde auf die Kooperation mit
anderen Planungsträgern angewiesen.
2.
3.
Sie trägt im Wesentlichen vor:
a)
in ihren Rechten betroffen zu sein. Die kommunale Planungshoheit erstrecke sich
entsprechend dem Gewährleistungsumfang in Art. 78 LV, Art. 28 Abs. 2 GG nur auf
"Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft". Die Planung eines Hersteller-
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Direktverkaufszentrums sei keine solche Angelegenheit. Das Vorhaben sei nicht auf den
örtlichen Wirkungskreis der planenden Gemeinde bezogen, sondern von vornherein auf
landes- bzw. regionalweite Auswirkungen durch Schaffung einer touristischen
Einkaufsgelegenheit im ländlichen Raum ausgelegt. Das allgemeine Interesse einer
Gemeinde, ihr Gebiet vor einer überörtlichen Planung zu bewahren, reiche für die
Geltendmachung einer Verletzung der Planungshoheit nicht aus.
b)
Auslegungsfragen zur Abgrenzung von Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG und Art. 74 Abs. 1 Nr. 31
GG sowie zur Abweichungsbefugnis der Länder nach Art. 72 Abs. 3 GG aufwerfe. Zur
Klärung dieser Fragen sei nicht der Verfassungsgerichtshof, sondern das
Bundesverfassungsgericht berufen.
Zudem handele es sich bei § 24a Abs. 1 Satz 4 LEPro nach dem Verständnis der
Landesregierung um eine landesrechtliche Konkretisierung zu § 7 Abs. 2 Nr. 1b) ROG (a.
F.). § 24a Abs. 1 Satz 4 LEPro beinhalte mithin auch Bundesrecht. Insoweit könne die
Norm nicht Gegenstand der Kommunalverfassungsbeschwerde sein, weil der
Verfassungsgerichtshof sonst eine Kompetenz zu einer landesverfassungsrechtlich
geleiteten Interpretation des bundesgesetzlichen Raumordnungsrechts in Anspruch
nehme. Im Übrigen sei mit Blick auf die fehlende fachgerichtliche Rechtswegerschöpfung
von der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde auszugehen.
c)
Steuerung der Ansiedlung von Hersteller-Direktverkaufszentren sei eine Aufgabe im
Kompetenzbereich der Landesentwicklung. Bei der Standortzuweisung nach § 24a Abs. 1
Satz 4 LEPro werde eine Entscheidung über die Raumverträglichkeit von Hersteller-
Direktverkaufszentren getroffen. Bezugspunkt sei das Landesgebiet und nicht die Nutzung
einzelner Grundstücke. Es handele sich um eine typisierende Regelung zur
raumstrukturellen und -funktionellen Steuerung der Landesentwicklung. Raumordnerische
Festlegungen seien nicht auf die Ebene der Regionalplanung beschränkt. Sie könnten
auch auf der Ebene der Landesplanung oder als gesetzgeberische Entscheidung zur
Landesentwicklung getroffen werden. Dem Landesgesetzgeber stehe bei der
Wahrnehmung dieser Aufgabe ein großer Gestaltungsspielraum zu. Angesichts der
überregionalen, landesweiten oder gar grenzüberschreitenden Auswirkungen von
Hersteller-Direktverkaufszentren sei es sachgerecht, die Steuerung der Ansiedlung solcher
Vorhaben auf der Landesebene vorzunehmen.
d)
es sich um eine Sonderform des großflächigen Einzelhandels, die im Hinblick auf das
Gefahrenpotential, das eine Ansiedlung solcher Vorhaben mit sich bringe, gesonderte
Vorgaben für die räumliche Steuerung rechtfertige. Diese Vorhaben zeichneten sich durch
eine spezielle Vertriebsstruktur mit großräumiger "Streubreite" aus. Die
Kaufkraftabschöpfung trete in einem großen Einzugsbereich auf.
aa)
Sortimente sei nicht geboten. Der Schutz bestehender zentraler Versorgungsbereiche
lasse sich bei Hersteller-Direktverkaufszentren nicht über eine sortimentsspezifische
Steuerung der Ansiedlung erreichen. Die schutzwürdigen Versorgungsbereiche innerhalb
der Gemeinden seien häufig durch unterschiedliche Charakteristika geprägt, die sich im
Bild der zentrenprägenden Einzelhandelssortimente niederschlügen. Die ortstypischen
Sortimente unterschieden sich also von Gemeinde zu Gemeinde. Danach sei nicht davon
auszugehen, dass es ein Hersteller-Direktverkaufszentrum geben könne, das sich für alle
Gemeinden im ländlichen Einzugsbereich als zentrenverträglich erweise. Zudem ließen
sich bestimmte negative Auswirkungen von Hersteller-Direktverkaufszentren, wie z. B.
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vermehrtes Verkehrsaufkommen in dezentralen Bereichen, über eine sortimentsspezifische
Steuerung nicht abstellen.
bb)
ländlichen und urbanen Räumen getroffen habe. Die Raumverträglichkeit im Rahmen der
landesplanerischen Abwägung beurteile sich nicht allein danach, welche
Planungschancen sich für einzelne Gemeinden im ländlichen Raum ergeben könnten.
Solche Vorteile müssten vielmehr mit den Nachteilen abgewogen werden. Ein Hersteller-
Direktverkaufszentrum löse hohe Verkehrsströme mit entsprechenden Emissionen aus.
Durch die Strategie der Ansiedlung an peripheren Standorten würden die
Gliederungsstruktur der zentralen Orte beeinträchtigt und die vorhandene
Versorgungsstruktur gefährdet. Es komme zu einem hohen Flächenverbrauch und der
Zersiedelung des Raums. Diesen nachteiligen Auswirkungen für den ländlichen Raum
sowie für die kleineren und mittelgroßen Gemeinden komme – zumal vor dem Hintergrund
des sich abzeichnenden demographischen Wandels mit einer Erhöhung des Anteils älterer
Menschen – ein solches Gewicht zu, dass die Konzentrationsentscheidung zugunsten der
Großstädte als planerische Entscheidung vertretbar sei.
cc)
Schwellenwert der Einwohnerzahl gehe fehl. Die Konzentration auf Großstädte knüpfe an
die räumlichen Gegebenheiten in Nordrhein-Westfalen an. Dem liege die Einschätzung
zugrunde, dass typischerweise die Schädlichkeit der Auswirkungen eines Hersteller-
Direktverkaufszentrums in großstädtischen Raumstrukturen nicht so erheblich sei wie in
kleineren Gemeinden. Die Schädlichkeitsschwelle für kleinere Gemeinden sei typisierend
bei einer Verkaufsfläche von 5.000 qm festgelegt worden. Bei dieser Größenordnung sei
nicht damit zu rechnen, dass die schädliche Sogwirkung der angestrebten Magnetbetriebe
in einem für die Allgemeinwohlbelange abträglichen Maße eintrete. Dem
Landesgesetzgeber komme bei der Wahrnehmung der Landesentwicklungsaufgabe
sowohl ein Gestaltungsspielraum bei der raumfunktionellen Typisierung und Zuordnung
der Gemeinden zu als auch ein Prognose- und Einschätzungsspielraum bei der Bewertung
der räumlichen Auswirkungen von Hersteller-Direktverkaufszentren.
e)
Landesgesetzgeber habe die gebotene Abwägung mit dem kommunalen
Selbstverwaltungsrecht vorgenommen. Es sei nicht zu beanstanden, dass er dabei den
überörtlichen Interessen den Vorzug gegeben habe. Bei der nachvollziehenden
Abwägungskontrolle sei überdies in den Blick zu nehmen, dass mit dem
landesplanerischen Konzentrationsgebot in § 24a Abs. 1 Satz 4 LEPro auch Konflikte mit
anderen Bundesländern und Nachbarstaaten vermieden würden. Der Landesgesetzgeber
sei nicht gehalten gewesen, die Standortsituation jeder einzelnen betroffenen Gemeinde zu
berücksichtigen. Gleichwohl habe er sich gerade auch mit dem Fall der
Beschwerdeführerin befasst und die Konsequenzen der landesplanerischen Steuerung
abgewogen.
f)
zwischen ländlichen Bereichen und Ballungsräumen gerechtfertigt. Ein Hersteller-
Direktverkaufszentrum habe in Bezug auf Verkehrsströme, Zersiedelungswirkung und die
damit verbundenen ökologischen Folgen andere Konsequenzen für den ländlichen Raum
als für den Ballungsraum. Die Streuwirkung sei im gesamten ländlichen Raum für
vorhandene Versorgungsstrukturen spürbar. Auch bei Kaufkraftumverteilungen im
einstelligen Prozentbereich gingen die Umsatzumverteilungen zu Lasten gewachsener
Versorgungszentren. Ob Hersteller-Direktverkaufszentren mit weniger als 10.000 qm im
ländlichen Raum nicht konkurrenzfähig seien, sei zweifelhaft, könne aber dahinstehen. Die
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Landesplanung sei nicht verpflichtet, die Konkurrenzfähigkeit solcher Vorhaben um jeden
Preis sicherzustellen. Die in § 24a Abs. 1 Satz 4 LEPro gewählte Obergrenze von 5.000 qm
Verkaufsfläche orientiere sich an einer Studie, wonach die Mindestflächenzahl im
internationalen Vergleich knapp unterhalb dieser Größe liege. In Deutschland lägen die
Verkaufsflächen bestehender Factory-Outlet-Center zwischen 5.000 qm und 20.000 qm.
Einer Übergangsregelung zugunsten der Beschwerdeführerin habe es nicht bedurft. Auf ein
schutzwürdiges Vertrauen könne sie sich nicht berufen. Ihr sei bekannt gewesen, dass die
Landesregierung eine Neuregelung zur Steuerung des großflächigen Einzelhandels
angestrebt habe. Die Beschwerdeführerin habe mit einer Änderung der Rechtslage
rechnen müssen.
g)
Anhörungsmangel. Durch die Stellungnahmen der kommunalen Spitzenverbände und der
Beschwerdeführerin seien die Belange der Kommunen in das Gesetzgebungsverfahren
eingeflossen und, wie die Gesetzesmaterialien zeigten, bei der Entscheidungsbildung
berücksichtigt worden.
B.
Die Ansiedlung eines FOC ist wegen deren übergemeindlicher Ausstrahlungswirkung nach
übereinstimmender Auffassung der Ministerkonferenz für Raumordnung nur im Rahmen
von Zielen der Raumordnung und Landesplanung zu genehmigen. Soweit solche
Zielfestlegungen Gegenstand gerichtlicher Kontrolle gewesen sind, ist der Zweck, ein FOC
nur nach Maßgabe zulässiger Ziele der Raumordnung und Landesplanung zuzulassen,
nicht bezweifelt worden (BVerwG, NVwZ 2006, 932). Gegenstand gerichtlicher Kontrolle
sind bisher Exekutivplanungen in Raumordnungsplänen der Länder gewesen, die für den
Standort eines FOC an das zentralörtliche Gliederungsprinzip anknüpfen und ein FOC nur
in Oberzentren für ansiedlungsfähig halten. Allerdings sind für diese landesplanerischen
Ziele jeweils Ausnahmebestimmungen vorgesehen. Mit dieser Maßgabe billigen auch
bisher ergangene gerichtliche Entscheidungen im Rahmen verfassungsrechtlicher Prüfung
solche Ziele.
Der nordrhein-westfälische Gesetzgeber will mit der hier angegriffenen Vorschrift des § 24a
Abs. 1 Satz 4 LEPro die Ansiedlung von FOC landesplanerisch durch ein Ziel der
Raumordnung und Landesplanung regeln, um den überörtlichen Belangen solcher
Ansiedlungen Rechnung zu tragen.
Das nordrhein-westfälische Landesplanungsrecht kennt für die Festlegung von Zielen der
Raumordnung und Landesplanung den Weg, Ziele in (exekutiven)
Landesentwicklungsplänen zu fixieren (§§ 14 Abs. 2, 17 LPlG) oder allgemeine Ziele
(legislativ) im Landesentwicklungsprogramm festzulegen (§ 16 Satz 2 LPlG). Die Wege
führen zu unterschiedlichen Konsequenzen: Nach § 14 Abs. 2 LPlG ist eine umfassende
Beteiligung der Gemeinden an der Festlegung von Zielen der Raumordnung und
Landesplanung zu gewährleisten. Für das Landesentwicklungsprogramm sind Gemeinden
und Gemeindeverbände, für die eine Anpassungspflicht begründet werden soll, im
Erarbeitungsverfahren zu beteiligen, § 16 Satz 3 LPlG. Wenn ein Ziel in einem
Landesentwicklungsplan normiert ist, gilt dafür das Zielabweichungsverfahren des § 24
LPlG, so dass Ausnahmen von der Regel möglich bleiben. Dieses
Zielabweichungsverfahren gilt nicht für die Legalplanung des
Landesentwicklungsprogramms.
Mit § 24a Abs. 1 Satz 4 LEPro ist der Gesetzgeber den Weg einer allgemeinen
Zielformulierung gegangen. Er knüpft an den Schwellenwert von 100.000 Einwohnern und
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an die Größe des FOC mit mehr als 5.000 qm Verkaufsfläche an. Ein
Zielabweichungsverfahren im Sinne von § 24 LPlG ist dafür nicht vorgesehen.
C.
Die Verfassungsbeschwerde ist gemäß Art. 75 Nr. 4 LV, § 52 Abs. 1 des
Verfassungsgerichtshofgesetzes (VerfGHG) zulässig. Die angegriffene Norm kann als
Landesrecht auf ihre Vereinbarkeit mit dem Selbstverwaltungsrecht der
Beschwerdeführerin geprüft werden. Die Beschwerdeführerin ist auch beschwerdebefugt.
Sie kann geltend machen, durch § 24a Abs. 1 Satz 4 LEPro in ihrem
Selbstverwaltungsrecht (Art. 78 Abs. 1 und 2 LV) verletzt zu sein. Sie hat schlüssig die
Möglichkeit dargetan, dass die gesetzliche Bestimmung in ihre örtliche Bauleitplanung
eingreift. Dagegen lässt sich nicht anführen, ihre Planung sei mit raumordnerischen und
städtebaulichen Auswirkungen verbunden, die weit über das Gemeindegebiet
hinausreichten und das Vorhaben daher zu einer überörtlichen Angelegenheit machten.
Ungeachtet dessen handelt es sich bei der Ansiedlung oder Erweiterung eines Hersteller-
Direktverkaufszentrum im Wege der Bauleitplanung um eine Angelegenheit des örtlichen
Wirkungskreises. Denn durch die von der Landesregierung angeführten landes- bzw.
regionalweiten Wirkungen des Vorhabens wird die Zuordnung zur Planungsebene der
gemeindlichen Standortplanung (vgl. § 11 Abs. 3 BauNVO) und damit die Verortung im
örtlichen Wirkungskreis nicht aufgelöst. Der danach betroffene Bereich der kommunalen
Planungshoheit (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 8. März 2006 – 4 BN 56.05 – BRS 70,
Nr. 3) wird vom Schutzbereich der gemeindlichen Selbstverwaltungsgarantie umfasst
(VerfGH NRW, OVGE 46, 295, 303; NWVBl. 2002, 376, 377).
Die Beschwerde ist rechtzeitig innerhalb der in § 52 Abs. 2 VerfGHG bestimmten Jahresfrist
eingelegt worden.
Die Frage der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde gegenüber fachgerichtlichem
Rechtsschutz stellt sich bereits im Ansatz nicht. Ein fachgerichtlicher Rechtsweg ist bei
Rechtssatzbeschwerden gegen förmliche Gesetze nicht eröffnet. Für diese
Normenkontrolle sind ausschließlich die Verfassungsgerichte zuständig (vgl. BVerfGE 76,
107, 115).
D.
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet.
§ 24a Abs. 1 Satz 4 LEPro verletzt das Recht der Beschwerdeführerin auf Selbstverwaltung
aus Art. 78 Abs. 1 und 2 LV.
I.
1.
der Selbstverwaltung. Dieses Recht erstreckt sich grundsätzlich auf alle Angelegenheiten
der örtlichen Gemeinschaft und umfasst die Befugnis zur grundsätzlich
eigenverantwortlichen Führung der Geschäfte. Dazu gehört auch das Recht der Gemeinde,
im Rahmen ihrer Bauleitplanung die künftige Entwicklung des Gemeindegebiets
grundsätzlich nach eigenen Vorstellungen zu steuern und zu gestalten (VerfGH NRW,
OVGE 46, 295, 303; NWVBl. 2002, 376, 377). In diese gemeindliche Planungshoheit greift
die Landes- oder Regionalplanung jedenfalls ein, wenn sie eine konkrete örtliche Planung
nachhaltig stört.
2.
Landesverfassung nicht absolut. Art. 78 Abs. 2 LV garantiert ebenso wie Art. 28 Abs. 2 GG
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Landesverfassung nicht absolut. Art. 78 Abs. 2 LV garantiert ebenso wie Art. 28 Abs. 2 GG
das Recht der Selbstverwaltung nur im Rahmen der Gesetze.
Gesetzliche Eingriffe in das Selbstverwaltungsrecht unterliegen ihrerseits Grenzen. Sie
dürfen den Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie nicht antasten. Außerhalb des
Kernbereichs hat der Gesetzgeber das verfassungsrechtliche Aufgabenverteilungsprinzip
hinsichtlich der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft sowie das
Verhältnismäßigkeitsprinzip und das Willkürverbot zu beachten (VerfGH NRW, OVGE 46,
295, 304; NWVBl. 2002, 376, 377, jeweils m. w. N.).
b)
unantastbaren Kernbereichs die gemeindliche Planungshoheit beschränken, nur dann mit
der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie vereinbar sind, wenn überörtliche Interessen
von höherem Gewicht den Eingriff rechtfertigen (VerfGH NRW, OVGE 46, 295, 306 m. w.
N.; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 8. März 2006 – 4 B 75.05 – NVwZ 2006, 932, Rn.
16). Dies verlangt, dass die überörtliche Planung der Bedeutung der gemeindlichen
Planungshoheit angemessen Rechnung trägt. Dazu muss nachvollziehbar sein, welche
Erwägungen den Erlass der Rechtsnorm rechtfertigen. Stützt der Gesetzgeber sich dabei
auf Einschätzungen und Prognosen, darf er sich nicht mit einer schematischen und
abstrakten Beurteilung begnügen. Die Einschätzungen und Prognosen müssen vielmehr
unter Heranziehung des jeweils gebotenen empirischen Materials plausibel sein.
II.
1.
sie deren Befugnis, im Rahmen der Bauleitplanung die künftige Entwicklung des
Gemeindegebiets zu steuern und zu gestalten, nachhaltig stört. Die angegriffene
Rechtsnorm wirkt gegenüber Gemeinden mit nicht mehr als 100.000 Einwohnern als
unbedingtes Verbot, ein Hersteller-Direktverkaufszentrum mit mehr als 5.000 qm
Verkaufsfläche eigenverantwortlich auszuweisen. Der Beschwerdeführerin wird dadurch
die Umsetzung ihrer im Wege der Bauleitplanung konkretisierten Erweiterungsplanung für
das "Euregio-Outlet-Center" unmöglich gemacht.
2.
dargelegten Maßstab des Art. 78 Abs. 1 und 2 LV nicht Stand. Die mit der strikten
Verbotsregelung in § 24a Abs. 1 Satz 4 LEPro verbundene Einschränkung der
Planungsbefugnis der Beschwerdeführerin verstößt gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip
und das Willkürverbot. Sie ist nicht durch überörtliche Interessen von höherem Gewicht
gerechtfertigt. Die Einschätzung des Gesetzgebers, es bedürfe zugunsten
landesplanerischer Interessen der angegriffenen Verbotsnorm mit ihren ausnahmslos
wirkenden Schwellenwerten, ist im Ergebnis nicht nachvollziehbar. Darüber hinaus ist das
Recht auf kommunale Selbstverwaltung nicht angemessen berücksichtigt worden.
a)
Direktverkaufszentrums mit einer Verkaufsfläche von über 5.000 qm ausnahmslos, wenn
diese nicht mehr als 100.000 Einwohner hat. Mit Rücksicht darauf, dass die
Verbotsregelung sich als erhebliche Beschränkung der Planungshoheit auswirkt,
unterliegen die Schwellenwerte einem besonderen Rechtfertigungsbedürfnis.
Nachvollziehbare Erwägungen für deren ausnahmslose Festlegung sind jedoch nicht
ersichtlich.
aa)
legitime Ziel, die Ansiedlung von Hersteller-Direktverkaufszentren auf landesplanerischer
Ebene zu steuern. Die Versorgungszentren sollen als Wohn-, Arbeits- und
Handelsstandorte gestärkt werden, damit funktionsfähige Versorgungsstrukturen erhalten
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bleiben. Die Gesetzesbegründung stellt darauf ab, dass der anhaltende Trend zu immer
größeren Betriebseinheiten und neuartigen Betriebsformen im Einzelhandel die
Entwicklung der Zentren erheblich schwächt. In den Blick genommen hat der Gesetzgeber
weiter die Gesichtspunkte demografischer Wandel, Begrenzung der Inanspruchnahme von
Freiflächen, effektive Auslastung öffentlicher Infrastruktur sowie Vermeidung von Verkehr.
Ferner heben die Gesetzesmaterialien hervor, dass sich Hersteller-Direktverkaufszentren
vom herkömmlichen Einzelhandel durch die Konzeption, ein größeres Einzugsgebiet und
eine höhere Umsatzleistung derart unterscheiden, dass es einer gesonderten
Steuerungsnorm bedarf (vgl. LT NRW-Drs. 14/3451, S. 9 f.). Aus diesen Erwägungen
erschließt sich für sich genommen nicht, welcher sachliche Grund gerade für eine
Festlegung von Schwellenwerten von 5.000 qm Verkaufsfläche und 100.000 Einwohnern
streitet. Zwar entspricht es geläufiger Praxis des Gesetzgebers, insbesondere im Bereich
der Raumordnung und Landesplanung über Schwellenwerte zu steuern. Dafür ist dem
Gesetzgeber auch eine Einschätzungsprärogative zuzubilligen. Die
Einschätzungsprärogative ist größer, wenn der Gesetzgeber Ausnahmen von den
festgesetzten Schwellenwerten zulässt. Je strikter aber Schwellenwerte wirken, desto
höher ist die Begründungslast des Gesetzgebers für den festgelegten Wert.
bb)
Gesetzesmaterialien auch im Übrigen keine hinreichenden Gründe. Es heißt darin
lediglich, damit werde eine Empfehlung der Ministerkonferenz für Raumordnung umgesetzt.
Nach Auffassung der Ministerkonferenz seien Hersteller-Direktverkaufszentren nur in
Großstädten bzw. in Oberzentren an integrierten Standorten und in einer stadtverträglichen
Größenordnung zulässig. Großstädte würden statistisch als Gemeinden mit mindestens
100.000 Einwohnern definiert. In Nordrhein-Westfalen gebe es auch Mittelzentren mit mehr
als 100.000 Einwohnern. Es erscheine daher vertretbar, auch große Mittelzentren als
Standorte für Hersteller-Direktverkaufszentren in Betracht zu ziehen (LT NRW,
Plenarprotokoll 14/64, S. 7238; Ausschuss für Wirtschaft, Mittelstand und Energie,
Ausschussprotokoll 14/436, S. 13; Entschließung der Ministerkonferenz für Raumordnung
vom 3. Juni 1997). Danach bleibt offen, worauf sich die Einschätzung des Gesetzgebers
gründet, bei einer Verkaufsfläche für ein Hersteller-Direktverkaufszentrum von mehr als
5.000 qm handele es sich (im Fall einer Standortgemeinde mit nicht mehr als 100.000
Einwohnern) generell um eine "stadtunverträgliche" Größenordnung. Aber auch für den
Einwohner-Schwellenwert fehlt es an tragfähigen Erwägungen. Es wird nicht deutlich, auf
Grund welcher Gesichtspunkte die Prognose gerechtfertigt ist, dass ein Hersteller-
Direktverkaufszentrum mit beispielsweise 5.500 qm Verkaufsfläche in einer Gemeinde
unterhalb von 100.000 Einwohnern ausnahmslos unverträglich ist, dies bei einer Gemeinde
mit mehr als 100.000 Einwohnern jedoch anders zu bewerten ist. Empirische Daten, die die
gesetzgeberische Prognose stützen könnten, sind in den Gesetzesmaterialien nicht
dokumentiert. Dies gilt auch in Ansehung der dort in Bezug genommenen Empfehlung der
Ministerkonferenz für Raumordnung. Der Text liefert ebenfalls keine nachvollziehbare
Erklärung dafür, Hersteller-Direktverkaufszentren mit mehr als 5.000 qm Verkaufsflächen
nur in "Großstädten" bzw. in Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern zuzulassen. Auf das
Begründungsdefizit ist der Gesetzgeber im Rahmen der Sachverständigen-Anhörung
wiederholt hingewiesen worden (vgl. LT NRW, Ausschuss für Wirtschaft, Mittelstand und
Energie, Ausschussprotokoll 14/387, S. 16, 17; Stellungnahmen 14/969, S. 7; 14/975, S. 4;
14/986, S. 2), ohne dass er die geäußerten Bedenken aufgegriffen hat.
cc)
insbesondere deshalb einem besonderen Rechtfertigungserfordernis, weil die Regelung
die Ansiedlung von Hersteller-Direktverkaufszentren landesweit generell untersagt, ohne
die jeweiligen regionalen Gegebenheiten in den Blick zu nehmen. Indes lassen die
unterschiedlichen im Landesgebiet anzutreffenden Raumstrukturen (Ballungskerne,
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Ballungsrandzonen, solitäre Verdichtungsgebiete, Gebiete mit überwiegend ländlicher
Raumstruktur, vgl. § 21 LEPro) einschließlich der unterschiedlichen Verkehrsinfrastruktur
sowie die Verschiedenartigkeit der Versorgungszentren (Ober-, Mittel- und Grundzentren,
vgl. § 22 LEPro; Entwicklungsschwerpunkte nach § 23 LEPro) nicht ohne Weiteres
erwarten, dass die Ansiedlung eines Hersteller-Direktverkaufszentrums an jedwedem
Standort in Nordrhein-Westfalen mit denselben Auswirkungen einhergeht. Dies wird
besonders augenfällig, wenn man die regionale Verteilung der Städte mit mehr als 100.000
Einwohnern im Land in den Blick nimmt. Während in diesen – im Wesentlichen im
Ruhrgebiet und in der Region Düsseldorf/Wuppertal/Köln konzentrierten – Städten die
Planung eines Hersteller-Direktverkaufszentrums möglich ist, bleiben weite Regionen des
Landes von der Möglichkeit einer solchen Planung ausgeschlossen. Dies hätte nahe
gelegt, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob wegen der ländlichen Struktur dieser
Regionen des Landes andere Abgrenzungskriterien, Schwellenwerte oder
Ausnahmeregelungen gefunden werden müssen, um der Planungshoheit und den
überörtlichen Interessen gerecht zu werden. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass
nicht allein der Standort eines Hersteller-Direktverkaufszentrums und das regionale Umfeld
von Fall zu Fall relevante Unterschiede aufweisen können, sondern ebenso das
Verkaufszentrum selbst im Hinblick auf die jeweilige Sortimentsstruktur.
dd)
Gesichtspunkt einer typisierenden Betrachtung entbehrlich. Die Voraussetzungen für eine
auf diese strikten Schwellenwerte bezogene Typisierung liegen schon deshalb nicht vor,
weil es sich bei der Ansiedlung eines Hersteller-Direktverkaufszentrums nicht um einen
gehäuft vorkommenden Sachverhalt handelt. Im Gegenteil tritt er in einer sehr
überschaubaren Größenordnung auf (vgl. die von der Beschwerdeführerin vorgelegte
Übersicht "Factory Outlet Center in Deutschland", Stand: September 2008, Anlage B 9 zum
Schriftsatz vom 6. April 2009).
b)
24a Abs. 1 Satz 4 LEPro den Belang der gemeindlichen Planungshoheit angemessen
berücksichtigt hat. Auf Grund der Ausgestaltung als strikte Verbotsnorm greift die
Bestimmung nachhaltig in die gemeindliche Planungshoheit nicht nur der
Beschwerdeführerin ein. Sie beschränkt darüber hinaus potentielle Planungen
vergleichbarer Art in anderen Gemeinden des Landes. Der Landesgesetzgeber war
gehalten, diesen Aspekt in seine Entscheidung einzubeziehen und dem kommunalen
Selbstverwaltungsrecht dabei das Gewicht beizumessen, das ihm kraft der
verfassungsrechtlichen Verankerung in Art. 78 Abs. 1 und 2 LV zukommt. Daran fehlt es
hier. Bereits die Gesetzesbegründung geht erkennbar von einer Fehleinschätzung aus,
indem es dort heißt, es ergäben sich keine Auswirkungen für die Selbstverwaltung und
Finanzlage der Gemeinden (vgl. LT NRW-Drs. 14/3451, S. 2). Auch im Übrigen ist nicht
ersichtlich, dass der Eingriff in die gemeindliche Planungshoheit in seiner Dimension
zutreffend erkannt worden ist. Eine Erwähnung der planungsrechtlichen Situation der
Beschwerdeführerin, die über eine Randbemerkung nicht hinausgeht (vgl. LT NRW,
Plenarprotokoll 14/64, S. 7235; 14/50, S. 5731; Ausschuss für Wirtschaft, Mittelstand und
Energie, Ausschussprotokolle 14/353, S. 30; 14/387, S. 30), genügt dazu ebenso wenig wie
die von der Landesregierung angeführten Unterlagen aus Mai 2007 über eine interne
"Auswertung der Stellungnahmen und Anhörung der Experten" durch das Ministerium für
Wirtschaft, Mittelstand und Energie und über einen Vermerk der Fachabteilung über ein mit
Mitgliedern des Landtags geführtes Gespräch über die LEPro-Novelle.
Ebenso wenig kann die erforderliche Befassung mit dem Belang der kommunalen
Selbstverwaltungsgarantie in der parlamentarischen Erörterung der Frage gesehen
werden, ob es einer Überleitungs- oder Stichtagsregelung bedurfte. In diesem
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Zusammenhang ist nicht die Eingriffswirkung von § 24a Abs. 1 Satz 4 LEPro in Bezug auf
die kommunale Planungshoheit in den Blick genommen worden. Es ging vielmehr darum,
dem landesplanerischen Interesse an einer umfassenden Geltung und Umsetzung der
Verbotsregelung Rechnung zu tragen (vgl. LT NRW, Plenarprotokoll 14/64, S. 7237, 7238;
Ausschuss für Wirtschaft, Mittelstand und Energie, Ausschussprotokolle 14/387, S. 30/31;
14/436, S. 11). Auch die parlamentarischen Erwägungen zur Einführung der
Öffnungsklausel in § 24a Abs. 6 LEPro (vgl. LT NRW, Plenarprotokoll 14/64, S. 7232, 7236,
7238; Ausschuss für Wirtschaft, Mittelstand und Energie, Ausschussprotokoll 14/436, S.
10/11) lassen die gebotene Auseinandersetzung mit dem Belang der kommunalen
Selbstverwaltungsgarantie nicht erkennen.
Die nicht nachgelassenen Schriftsätze der Beteiligten geben keinen Anlass zu einer
abweichenden Beurteilung.
E.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 54 Abs. 4 VerfGHG.