Urteil des VerfG Brandenburg vom 02.04.2017

VerfG Brandenburg: fraktion, beweisantrag, minderheit, auflage, unternehmen, erfüllung, geschäftsführer, einsichtnahme, rechtsverletzung, mehrheit

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Gericht:
Verfassungsgericht
des Landes
Brandenburg
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
95/02
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 67 Abs 1 Verf BB, Art 67 Abs
2 Verf BB, Art 72 Abs 1 Verf BB,
Art 72 Abs 2 S 2 Verf BB, Art 72
Abs 3 S 1 Verf BB
(VerfG Potsdam: Ablehnung eines Beweisantrags der
qualifizierten Minderheit eines Untersuchungsausschusses bzw
einer Landtagsfraktion verletzt das Beweiserhebungsrecht iSv
Verf BB Art 72 Abs 3 S 2 - Beweisantragsrecht einer Fraktion im
Untersuchungsausschußverfahren)
Tenor
1. Die Ablehnung des Antrags A 33 durch den 2. Untersuchungsausschuß der 3.
Wahlperiode des Landtages Brandenburg verletzt die Antragsteller zu 1. in ihrem Recht
aus Art. 72 Abs. 2 Satz 2 der Landesverfassung.
Gründe
A.
Die Antragsteller rügen die Verletzung des Beweiserhebungsrechts der Antragsteller zu
1. durch den Antragsgegner.
I.
Der Landtag Brandenburg setzte am 20. September 2001 einen aus acht Abgeordneten
nebst Stellvertretern bestehenden Untersuchungsausschuß „zur Aufklärung der
Verantwortung der Landesregierung und der Landesvertreter in den
Gesellschafterversammlungen und Aufsichtsräten sowie der Geschäftsführer für den
bisherigen Verlauf 1991 bis 2001 der Entwicklung a) der Landesentwicklungsgesellschaft
für Städtebau, Wohnen und Verkehr des Landes Brandenburg (LEG) und b) der LEG-
Gruppe, ihrer Töchter und Beteiligungen" ein. Von Seiten der PDS-Fraktion sind die
Antragsteller zu 1. Mitglieder des Untersuchungsausschusses. In dem
Einsetzungsbeschluß heißt es:
„Im einzelnen sollen zur Entwicklung der LEG und der Unternehmen der LEG-Gruppe
folgende Fragen beantwortet
1. Zusammensetzung und Tätigkeit von Überwachungsorganen und Geschäftsleitung
...
1.3. Welche Niederschriften wurden über Sitzungen der Organe und ihrer Ausschüsse
erstellt?
...
1.7. Welche Themen wurden in den Sitzungen der Überwachungsorgane und ihrer
Ausschüsse ausweislich der Protokolle schwerpunktmäßig behandelt?
...
6. Risikomanagement
...
6.2. Hat die Geschäftsführung der LEG und der Unternehmen der LEG-Gruppe
Maßnahmen zur Risikoabwehr und -begrenzung ergriffen und waren diese geeignet,
ihren Zweck zu erfüllen?
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9. Berichterstattung
9.1. Welche regelmäßigen Berichte erstatteten die Geschäftsführungen der LEG und der
Unternehmen der LEG-Gruppe den Überwachungsorganen?
...
9.3. Wurden die Überwachungsorgane über wesentliche Vorgänge zeitnah unterrichtet?"
Nach seiner Konstituierung im November 2001 beschloß der Untersuchungsausschuß in
seiner 3. Sitzung am 18. Dezember 2001, bestimmte Unterlagen - so insbesondere
Protokolle der Geschäftsführer- und Aufsichtsratssitzungen der LEG und
Kabinettsvorlagen und Beschlüsse der Landesregierung Brandenburg bei der LEG bzw.
der Landesregierung Brandenburg anzufordern (Beweisbeschluß B 2). Nachdem der
Ausschuß in den ersten Monaten des Jahres 2002 die Unterlagen erhalten und gesichtet
hatte, sahen die Antragsteller zu 1. weiteren Aufklärungsbedarf insoweit, als die
Protokolle auf nicht beigefügte Anlagen - insbesondere Tisch- und Sitzungsvorlagen -
Bezug nahmen.
Auf einem Briefbogen der Antragstellerin zu 2. unterzeichneten die Antragsteller zu 1.
unter dem 29. April 2002 einen an den Vorsitzenden des Antragsgegners gerichteten
Antrag, durch „die Vorlage aller Beschluss- und Tischvorlagen zu den
Gesellschafterversammlungen, Aufsichtsratssitzungen und Geschäftsführersitzungen
der LEG und aller ihrer Tochter- und Beteiligungsunternehmen im Zeitraum von 1991 bis
2001 durch die ... LEG ...“die Punkte 1.3, 1.7, 9.1 und 9.3 des Einsetzungsbeschlusses
aufzuklären (Beweisantrag A 31). In der 9. Sitzung des Untersuchungsausschusses am
14. Mai 2002 hieß es mündlich zur Begründung, man könne ohne die in den Protokollen
in Bezug genommenen Unterlagen nicht nachvollziehen, was in den Sitzungen
geschehen sei. Die der SPD- und CDU-Fraktion angehörenden Mitglieder des
Untersuchungsausschusses äußerten Bedenken. Der Antrag müsse überarbeitet und
konkretisiert werden, da er zu unbestimmt sei. Der Antrag wurde sodann in der Sitzung
mehrheitlich abgelehnt.
Unter dem 03. Juni 2002 stellten die Antragsteller zu 1., erneut auf einem Kopfbogen der
Antragstellerin zu 2., folgenden Antrag:
„Es wird Beweis erhoben über die Tatsache, welche Beschluss- und Tischvorlagen den
Aufsichts- und Geschäftsführungsgremien der LEG und ihrer Tochter- und
Beteiligungsunternehmen zu den jeweiligen Gesellschafterversammlungen,
Aufsichtsratssitzungen und Geschäftsführersitzungen vorgelegen haben, durch die
Herausgabe
aller Vorlagen, Sitzungsvorlagen und Tischvorlagen, die zu den
Gesellschafterversammlungen, Aufsichtsratssitzungen und Geschäftsführersitzungen
der LEG und ihrer Tochter- und Beteiligungsunternehmen im Zeitraum von 1991 bis
2001 vorgelegen haben, soweit sie im Protokoll der jeweiligen Sitzung erwähnt werden"
(Beweisantrag A 33).
In dem Antrag werden einige Protokolle beispielhaft genannt, in denen auf
Sitzungsvorlagen verwiesen wird. In der 10. Sitzung des Untersuchungsausschusses am
18. Juni 2002 wurde der Antrag behandelt. Mehrere Ausschußmitglieder äußerten erneut
Bedenken. Über die - erfolgte - Vorlage der Protokolle hinaus könne die Vorlage von
Beschluß- und Tischvorlagen nicht gefordert werden. Bei der folgenden Abstimmung
wurde der Antrag mit vier zu drei Stimmen als unzulässig" abgelehnt .
Im weiteren Verlauf beschloß der Untersuchungsausschuß in seiner 12. Sitzung am 17.
September 2002, daß ihm vorzulegen seien:
„alle Vorlagen, die zu den Gesellschafterversammlungen. und Aufsichtsratssitzungen
der LEG und ihrer Tochter- und Beteiligungsunternehmen vorgelegen haben, soweit sie
im Protokoll der jeweiligen Sitzung erwähnt werden, einschließlich der durch die
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Arthur Andersen erstellten Sitzungsvorlage (Hand Out)
zu der Aufsichtsratssitzung der LEG am 29.08.2001 zum Tagesordnungspunkt 2
Beratung des Jahresabschlusses der LEG“ (Beweisbeschluß B 26).
Mit Schreiben vom 30. Oktober 2002 übersandte die LFG die „bei uns vorliegenden und
gesichteten Unterlagen zum ... Beweisbeschluss" und verband dies mit dem Hinweis,
„dass die bei uns befindlichen Unterlagen sowohl bedingt durch die Rückführung
einzelner Tochterunternehmen wie auch durch die Liquidation der LEG nicht in allen
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einzelner Tochterunternehmen wie auch durch die Liquidation der LEG nicht in allen
Fällen vollständig beigebracht werden können".
II.
Die Antragsteller haben gegen die Ablehnung des Antrag A 33 am 03. September 2002
das Verfassungsgericht angerufen. Die Antragsteller zu l. sehen sich als „qualifizierte
Minderheit" (Art. 72 Abs. 3 Satz 2 LV; § 15 Abs. 2 UAG: ein Fünftel der Mitglieder des
Untersuchungsausschusses) und halten sich dementsprechend für beteiligtenfähig. Der
verfahrensgegenständliche Beweisantrag sei im Untersuchungsausschuß zutreffend als
Antrag der der PDS angehörenden Mitglieder des Untersuchungsausschusses
verstanden worden. Die Antragsbefugnis ergebe sich aus Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Alt. 2 LV
i.V.m. § 15 Abs. 2 Alt. 2 UAG einerseits und Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Alt. 1 LV i.V.m. § 15
Abs. 2 Alt. 1 UAG andererseits.
Der Antragstellerin zu 2. komme gemäß Art. 67 LV eine eigene verfassungsrechtliche
Stellung zu. Sie habe den Antrag auf Einsetzung des Untersuchungsausschusses
gestellt und sei als ständige Gliederung des Parlaments legitimiert, den
Untersuchungsauftrag des Landtages zu sichern und so auch die Verletzung der Rechte
der qualifizierten Minderheit (Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Alt. 2 LV; § 15 Abs. 2 Alt. 2 UAG)
eigenständig geltend zu machen.
Das Rechtsschutzbedürfnis bleibe ungeachtet der zwischenzeitlichen teilweisen Vorlage
der Unterlagen durch die LEG aus der Zurückweisung des Beweisantrags A 33 bestehen.
Andernfalls habe es der Antragsgegner durch nachträgliche Konzessionen in der Hand,
Organstreitanträge aus politischen oder anderen Gründen zu Fall zu bringen.
In der Sache selbst habe der Beweisantrag A 33 nicht zurückgewiesen werden dürfen.
Die Versagungsgründe des § 15 Abs. 3 Untersuchungsausschußgesetz (UAG) hätten
nicht vorgelegen. Die Protokolle ohne in Bezug genommene Anlagen reichten zur
Erfüllung des Untersuchungsauftrags nicht aus. Jedenfalls sei der Beweisantrag zulässig.
Er sei ausweislich Ziffer III. C. des Einsetzungsbeschlusses („... und die Erfüllung der
Aufgaben der jeweiligen Geschäftsführung durch die einzelnen Geschäftsführer in den
Jahren 1991 bis 2001 ...") vom Untersuchungsauftrag gedeckt.
Die Antragsteller beantragen
festzustellen:
„Der 2. Untersuchungsausschuß der 3. Wahlperiode des brandenburgischen Landtages
... hat das Beweiserhebungsrecht der qualifizierten Minderheit im parlamentarischen
Untersuchungsausschuß 3/2 gem. Art. 72 III Bbg Verf und das von der Antragstellerin zu
2. geltend gemachte Recht des brandenburgischen Landtages auf ordnungsgemäße
Erfüllung des Untersuchungsauftrages dadurch verletzt, daß er den Beweisantrag A 33
der Antragsteller zu 1. in seiner 10. Sitzung am 18.06.2002 rechtswidrig 'als unzulässig
abgelehnt hat".
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Den Antragstellern zu 1. fehle bereits die Antragsbefugnis. Der
verfahrensgegenständliche Beweisantrag sei auf einem Briefbogen der Antragstellerin zu
2. erfolgt und dieser zuzurechnen. Daher seien durch eine Ablehnung allenfalls Rechte
der 21 Abgeordneten der PDS betroffen, die den Untersuchungsausschuß beantragt
hatten.
Auch der Antrag der Antragstellerin zu 2. sei mangels Antragsbefugnis unzulässig. Eine
Fraktion besitze als solche kein Antragsrecht im Untersuchungsausschuß, so daß die
Ablehnung eines gleichwohl durch sie gestellten Antrags sie auch nicht in ihren Rechten
verletzen könne. Im Untersuchungsausschuß seien allein die 21 Abgeordneten der PDS
antragsbefugt, die die Einsetzung des Untersuchungsausschusses beantragt hatten
(Art. 72 Abs. 3 Satz 2 LV). Auch aus einer etwaigen Verletzung des Untersuchungsrechts
des Landtags könne die Antragstellerin zu 2. keine Antragsbefugnis herleiten. Die
Ablehnung eines verfahrensrechtlich unzulässigen Beweisantrages könne keine Rechte
des Landtages verletzen.
In der Sache selbst handele es sich bei dem verfahrensgegenständlichen Antrag nicht
um einen Beweisantrag im technischen Sinne, sondern um einen „Antrag, der im
Rahmen der von dem Untersuchungsausschuß vorzunehmenden
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Rahmen der von dem Untersuchungsausschuß vorzunehmenden
Sachverhaltsermittlung die Vorlage von ... Anlagen zu Sitzungsprotokollen bewirken soll".
Ein solcher Antrag sei zunächst an § 16 UAG zu messen. Erst wenn durch die Unterlagen
bestimmte Tatsachen bewiesen werden sollten, könne von einer Vorlage „als
Beweismittel" die Rede sein. Die LEG sei als privatrechtliche Gesellschaft weder gemäß §
16 UAG noch aufgrund von Art. 72 Abs. 2 LV zur Aktenvorlage verpflichtet. Hier sei die
Ablehnung des Antrages schon deshalb veranlasst gewesen, weil die LEG zur Vorlage
von Unterlagen nicht verpflichtet sei und es sich nur um Sachverhaltsermittlung
gehandelt habe. Die LEG habe allenfalls „ersucht" werden können, bestimmte
Unterlagen vorzulegen.
Durch den Beweisbeschluß B 26 vom 17. September 2002 habe sich die Hauptsache
zumindest teilweise erledigt. Soweit noch die Beiziehung der Vorlagen zu den
Geschäftsführersitzungen in Streit stehe, sei eine solche vom Untersuchungsauftrag, wie
Ziffer 1.7 des Einsetzungsbeschlusses zeige, nicht gedeckt; bei den Geschäftsführungen
der LEG und ihrer Tochter- und Beteiligungsunternehmen handele es sich nicht um
„Überwachungsorgane".
III.
Der Präsident des Landtags Brandenburg und die Landesregierung haben Gelegenheit
zur Stellungnahme erhalten. Die den Landtagsfraktionen von SPD und CDU
angehörenden Mitglieder des Untersuchungsausschusses haben sich mit einer
Stellungnahme an den Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners gewandt.
Danach seien sie bereit gewesen, den Beweisantrag A 33 bei einer Neueinbringung
„nunmehr anders zu behandeln". Da dies in Aussicht gestanden habe, sei die
Antragstellerin zu 1. in der Lage gewesen, die in Frage stehende Rechtsverletzung durch
eigenes zumutbares Handeln zu vermeiden, so daß das Organstreitverfahren mangels
Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig sei. Im übrigen dürfe die Mehrheit der Mitglieder im
Untersuchungsausschuß Beweisanträge der qualifizierten Minderheit zurückweisen, wenn
„die Minderheit die ihr zustehenden Rechte sachwidrig" ausübe. In der Sache selbst
ergebe sich der Untersuchungsauftrag ausschließlich aus dem Katalog der insgesamt 89
Einzelfragen des Einsetzungsbeschlusses und decke den Beweisantrag A 33 nicht. Der
Beweisantrag diene der Verfahrensverschleppung. Die LEG könne einem derartigen
Beweisbeschluß nur mit einem „unverhältnismäßig großen Personal- und Sachaufwand"
nachkommen.
B.
Der Antrag sowohl der Antragsteller zu 1. als auch der Antragstellerin zu 2. ist zulässig
(I.) und hat auch in der Sache selbst Erfolg (II.).
I.
Der Antrag der Antragsteller zu 1. und der Antragstellerin zu 2. ist im
Organstreitverfahren gemäß Art. 113 Nr. 1 LV, §§ 12 Nr. 1, 35 ff.
Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) zulässig.
Antragsteller und Antragsgegner sind im Sinne von Art. 113 Nr. 1 LV,. §§ 12 Nr..1, 35
VerfGGBbg im Organstreitverfahren beteiligtenfähig. Für die Antragsteller zu 1. ergibt
sich dies jedenfalls daraus, daß sie ein Fünftel der Mitglieder des
Untersuchungsausschusses ausmachen, auf dessen Antrag der
Untersuchungsausschuß Beweise zu erheben hat (Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Alt. 2 LV). Die
Antragstellerin zu 2. ist als Fraktion im Landtag Brandenburg gemäß Art. 67 Abs.1 LV
mit eigenen Rechten ausgestattet und damit ebenfalls beteiligtenfähig (vgl. zur
Beteiligtenfähigkeit einer Fraktion im Organstreitverfahren: Verfassungsgericht des
Landes Brandenburg, Urteile vom 20. Juni 1996 - VfGBbg 14/96 EA -, LVerfGE 4, 190, 195
sowie vom 21. August 2003 - VfGBbg 4/03 -; Beschluß vom 28. März 2001 - VfGBbg
46/00 -, LVerfGE 12, 92, 99). Es kommt unter diesen Umständen nicht darauf an, ob die
Antragsteller - auch, wie vorgetragen als „Fraktion im Untersuchungsausschuß"
beteiligtenfähig wären (vgl. hierzu auch Knippel, in: Verfassung und
Verfassungsgerichtsbarkeit auf Landesebene, S. 51, 62; zur Beteiligtenfähigkeit einer
„Fraktion im Untersuchungsausschuß" auf Bundesebene mit Blick auf § 60 Abs. 2
Geschäftsordnung
Bundestag: BVerfGE 67, 100; 124; 70; 324, 351; BVerfG NJW 2002, 1936). Die
Beteiligtenfähigkeit des Antragsgegners folgt aus Art. 72 Abs. 3 LV.
2 Die Verfahrensbeteiligten sind prozeßführungsbefugt (vgl. zu diesem Erfordernis im
Organstreitverfahren Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge,
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Organstreitverfahren Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge,
Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Rn. 68 ff. zu § 64).
a) Die Antragsteller zu 1. fühlen sich in ihrem Beweisantrags- und -erhebungsrecht aus
Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Alt. 2 LV verletzt und machen damit ihnen selbst zustehende
Rechte geltend.
b) Die Antragstellerin zu 2. kann als Fraktion und damit als ständige Untergliederung des
Parlaments (vgl. hierzu: BVerfGE 20, 56, 104; 45, 1, 28) grundsätzlich in einer Art
Prozeßstandschaft (vgl. hierzu: BVerfGE 90, 286, 343) vor dem
Landesverfassungsgericht das dem Landtagsplenum zustehende Recht auf
ordnungsgemäße Durchführung des Untersuchungsauftrages durch den von ihm
eingesetzten Untersuchungsausschuß wahrnehmen (vgl. zur Geltendmachung von
Kontrollrechten des Plenums durch eine Fraktion gegenüber einem
Untersuchungsausschuß BVerfGE 45, 1, 28; 105, 197, 220 unter Verweis auf BVerfGE 49,
70, 85; 64, 100, 125; 83, 175, 180). Das Parlament aber als Träger des
Untersuchungsrechts braucht nicht tatenlos zuzusehen, wenn durch eine
verfassungswidrige Ablehnung von Beweisanträgen der Zweck der Untersuchung in
Gefahr gerät. Daher muß auch eine Fraktion als Teil und ständige Gliederung des
Landtages an Stelle oder neben der in Art. 72 Abs. 3 Satz 2 LV genannten Minderheit
befugt sein, in prozeßstandschaftlicher Weise für das Parlament eine Verletzung des
Beweiserhebungsrechts geltend zu machen (Knippel a.a.O., S. 61).
c) Der Antragsgegner ist passiv prozeßführungsbefugt, nachdem eine Rechtsverletzung
durch ihn - durch einen Beschluß im Untersuchungsausschuß - im Raum steht (vgl. im
gleichen Sinne: BVerfGE 105, 197, 220; Niedersächsischer Staatsgerichtshof NVwZ
1986, 827 und 829; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, 3. Auflage 1991, Rn. 36 zu §
7).
3. Die Antragsbefugnis ergibt sich für die Antragsteller zu 1. unmittelbar aus Art. 72 Abs.
3 Satz 2 Alt. 2 LV. Eine Verletzung in sich daraus ergebenden Rechten ist nicht von
vornherein ausgeschlossen (vgl. allgemein: Lechner/Zuck,
Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 4. Auflage 1996, Rn. 4 zu § 64 sowie Rn. 51 ff. zu §
90). Die Antragstellerin zu 2 ist ebenfalls antragsbefugt. Zwar steht ihr als Fraktion kein
eigenes Beweisantragsrecht im Untersuchungsausschuß zu. Jedoch kann sie als
ständige Gliederung des Landtags grundsätzlich die diesem zustehenden Kontrollrechte
prozeßstandschaftlich wahrnehmen (s.o. zu B. I. 2. b)) und ist dann für das
Organstreitverfahren ihrerseits antragsbefugt (vgl. BVerfGE 67, 100, 126; 105, 197, 220).
Das gilt, wie bereits ausgeführt, auch für die hier zugrunde liegende Konstellation einer
möglichen Verletzung des Beweisantragsrechts der qualifizierten Minderheit im
Untersuchungsausschuß durch die Ausschußmehrheit. Neben oder anstelle des
Landtages kann deshalb auch eine Fraktion hierzu das Landesverfassungsgericht
anrufen.
4. Das auch im Organstreitverfahren erforderliche Rechtsschutzbedürfnis (vgl. etwa
Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 20. Februar 2003 - VfGBbg
112/02 m.w.N.) ist gegeben. Es genügt insoweit, daß weitere Fälle dieser Art nicht nur
theoretisch in Betracht kommen (BVerfGE 87, 207, 209; 83, 175, 181; 24, 299, 300;
Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, 3. Auflage 1991, § 7 Rn. 40).
Insbesondere ist hier das Rechtsschutzbedürfnis nicht deshalb entfallen weil im weiteren
Verlauf ein Teil der in Rede stehenden Unterlagen durch den Beweisbeschluß B 26
angefordert und zwischenzeitlich durch die LEG vorgelegt worden ist. Das bloße
nachträgliche Einlenken reicht nicht aus (vgl. Staatsgerichtshof Hessen, LVerfGE 9, 211,
218 f.). Anderes kann dann gelten, wenn zum Ausdruck kommt, man sei sich bewußt,
daß die zunächst eingenommene Haltung verfassungsrechtlich nicht in Ordnung
gewesen sei (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschlüsse vom 28.
März 2001 - VfGBbg 46/00 -, LVerfGE Suppl. Bbg. zu Bd. 12, 9, 19 und vom 16.
November 2000 - VfGBbg 31/00 -, LVerfGE 10, 166, 168). Vorliegend ist dergleichen aber
nicht zum Ausdruck gebracht worden. Seitens des Antragsgegners wird vielmehr
weiterhin der Standpunkt vertreten, daß der Antrag A 33 in dieser Form unzulässig
gewesen sei.
5. Die Frist des § 36 Abs. 3 VerfGGBbg ist gewahrt.
Der Antrag der Antragsteller zu 1. und der Antragstellerin zu 2.: hat auch in der Sache
selbst Erfolg Die Ablehnung des Antrags A 33 verstößt gegen Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Alt. 2
LV.
1. a) Der Antrag A 33 ist, wenn auch auf dem Briefbogen der Antragstellerin zu 2. zu
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1. a) Der Antrag A 33 ist, wenn auch auf dem Briefbogen der Antragstellerin zu 2. zu
Papier gebracht, kein Antrag der Fraktion, sondern allein ein Antrag der Antragsteller zu
1. in ihrer Eigenschaft als eine qualifizierte Minderheit bildende Mitglieder des
Untersuchungsausschusses. Die Benutzung des Briefbogens der Fraktion ist irrelevant.
Wer Antragsteller ist, ist Auslegungsfrage. Die Auslegung ergibt hier, daß die
Antragsteller zu 1. als Mitglieder des Untersuchungsausschusses tätig geworden sind.
Mit ihnen sind in einer den Untersuchungsausschuß betreffenden Angelegenheit eben
die für die PDS in den Untersuchungsausschuß gewählten Landtagsmitglieder in
Erscheinung getreten. Sie sind in diesem Zusammenwirken nicht direkt Vertreter der
Landtagsfraktion. Als Antrag der Landtagsfraktion hätte der Antrag auch nicht zweifach
unterschrieben zu werden brauchen. Letzten Endes liegt ja auch die
Antragsberechtigung der beiden Ausschussmitglieder klar auf der Hand, während die der
Landtagsfraktion - für Anträge im Untersuchungsausschuß - zweifelhaft sein mag. Auch
unter diesem Gesichtspunkt ist von einem Antrag der Antragstellerin zu 1. als der
geltungsichereren Variante auszugehen.
b) Nach Art. 72 Abs. 3 Satz 2 LV ist der Untersuchungsausschuß verpflichtet, Beweise zu
erheben, wenn dies von einem Fünftel der Ausschußmitglieder beantragt wird. Die
Regelung ist Kernstück des Minderheitenschutzes im Untersuchungsausschußrecht (vgl.
Knippel, in: Verfassung und Verfassungsgerichtsbarkeit auf Landesebene, S. 51, 57) und
begründet - ungeachtet der einfachgesetzlichen Ausgestaltung in dem als
Beweiserhebungsnorm allein einschlägigen § 15 UAG - einen verfassungsunmittelbaren
Anspruch auf Beweiserhebung (vgl. zur Frage des Beweisantragsrechts der qualifizierten
Minderheit im Untersuchungsausschuß auf Bundesebene BVerfGE 105, 197;
Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Stark, Bonner Grundgesetz, 4. Auflage 2000,
Rn. 158 ff. zu Art. 4 Abs. 2; Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Stand: Oktober 2002,
Rn. 197 ff. zu Art. 44). Hiernach wäre dem „Beweisantrag A 33" zu entsprechen
gewesen.
Entgegen der Ansicht des Antragsgegners richtet sich der Antrag A 33 auf die Erhebung
von Beweisen im Sinne von Art. 72 Abs. 3 Satz 1 LV. Allerdings zielt dieser
„Beweisantrag" nicht, jedenfalls nicht unmittelbar, auf die Klärung bestimmter
Beweistatsachen; sondern auf die Einsichtnahme in weitere Unterlagen zur Überprüfung
darauf, ob sich daraus etwas Be- oder Entlastendes ergibt. Insofern handelt es sich etwa
bei strafprozessual er Betrachtungsweise um eine Art Beweisermittlungsantrag (vgl.
hierzu - für. den Bereich des Strafprozesses – Meyer-Goßner, Strafprozeßordnung, 46.
Auflage 2003, Rn. 18, 23, 25 zu § 244; Schlüchter, in: SK StPO, Rn. 54 ff. und 68 ff. zu §
244; KMR StPO, Rn. 384 zu § 244). Für das Beweiserzwingungsrecht im
Untersuchungsausschuß sind die Differenzierungen des Strafprozeßrechts indes
unergiebig (in diesem Sinne auch Knippel a.a.O., S. 58). Während im Strafverfahren die
Verwirklichung eines bestimmten fest umrissenen Tatbestandes im Hinblick auf die
persönliche Schuld eines Menschen geprüft wird, geht es im Untersuchungsausschuß
um die Aufklärung eines Sachverhalts unter politischen Gesichtspunkten (so
Schlußbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform, BT-Drs. VII/5924 S. 4 f.).
Was zur Beweiserhebung im Sinne von Art. 72 Abs. 3 LV gehört, ist unter diesen
Umständen nach dem Sinn und Zweck der Regelung und nach dem Rechtsgedanken
ihres Satzes 3 („Die Beweiserhebung ist unzulässig, wenn sie offensichtlich nicht im
Rahmen des Untersuchungsauftrages liegt") an dem durch Beschluß des Landtages
festzulegenden „Gegenstand der Untersuchungen" (Art. 72 Abs. 1 Satz 2 LV), dem
„Untersuchungsauftrag" (Art. 72 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 3 Satz 3 LV), zu messen. Dieser
braucht aber nicht (bloß) auf bestimmte Tatsachen bezogen zu sein. Vielfach wird er
eher darauf abzielen, „Licht ins Dunkel" zu bringen, und auf die Aufklärung - Ermittlung
oder Ausräumung - eines politisch interessierenden und politisch zu bewertenden
Sachverhalts bzw. von politischen Verantwortlichkeiten gerichtet sein. In solchen Fällen
kann es durchaus zum Gegenstand der Untersuchungen gehören, Einblick in Unterlagen
zu nehmen, um „Material" für die politische Bewertung oder zur Einschätzung der
Verantwortlichkeiten erst zu gewinnen. So verhält es sich vorliegend. Gegenstand des
Untersuchungsausschusses ist schon seiner amtlichen Bezeichnung nach die
„Aufklärung" der „Verantwortung" der Landesregierung und der Landesvertreter (noch
ohne namentliche Benennung) für die (negative) Entwicklung der LEG und der LEG-
Gruppe samt Töchtern und Beteiligungen; ähnlich umfassend und auf Rundum-
Aufklärung gerichtet, sind die in den Feststellungsbeschluß aufgenommenen
Einzelfragen gehalten. Bei einem solchen Untersuchungsauftrag dient auch die
Einsichtnahme in die Sitzungsvorlagen der Gremien der Gesellschaft(en) einschließlich
sogenannter Tischvorlagen der Erfüllung des Untersuchungsauftrags und stellt sich
deshalb, gemessen am Untersuchungsauftrag, als „Beweiserhebung" i. S. von Art. 72
Abs. 3 LV dar. Es waren hier - ausweislich der Punkte 6.2 und 9.1 des
Einsetzungsbeschlusses - auch die Geschäftsführersitzungen in den
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Einsetzungsbeschlusses - auch die Geschäftsführersitzungen in den
Untersuchungsauftrag mit aufgenommen. Jedenfalls aber ist es nicht so, daß die
beantragte Beweiserhebung im Sinne von Art. 72 Abs. 3 Satz 3 LV „offensichtlich nicht
im Rahmen des Untersuchungsauftrages" läge. Setzt der Landtag einen allgemein auf
„Aufklärung" gerichteten Untersuchungsausschuß ein, können der qualifizierten
Ausschußminderheit entsprechend allgemein auf Aufklärung, gerichtete Beweisanträge
nicht vorenthalten werden.
Unbeschadet dessen liegt es in der Natur der Sache, daß die Unterlagen, in die Einblick
genommen werden soll, hinreichend substantiiert bezeichnet sein müssen. Das war
jedoch bei dem Beweisantrag A 33 jedenfalls mit der Konkretisierung auf die in den
(vorliegenden) Sitzungsprotokollen erwähnten Vorlagen der Fall. Soweit der
Antragsgegner die Auffassung vertritt, die LEG sei als privatrechtliches Unternehmen
nicht zur Vorlage von Unterlagen an den Untersuchungsausschuß verpflichtet und habe
deshalb hierum allenfalls „ersucht" werden dürfen, wäre dies im Untersuchungsausschuß
für die Fassung des Beweisbeschlusses zu erörtern gewesen, konnte es jedoch nicht
rechtfertigen, eine Beiziehung der betreffenden Unterlagen erst gar nicht zu versuchen.
Der Beweisbeschluß B 2 vom 18. Dezember 2001 und die daraufhin erfolgte
Übersendung von Unterlagen durch die LEG ebenso wie der Beweisbeschluß B 26 vom
17. September 2002 und die
daraufhin erfolgte weitere Übersendung von Unterlagen führen im übrigen vor Augen,
daß nach der eigenen Einschätzung des Untersuchungsausschusses die LEG zur
Überlassung von Unterlagen durchaus bereit war.
2. Aus den nämlichen Gründen hat auch der Antrag der Antragstellerin zu 2. Erfolg. Nicht
entgegen steht, daß ihr selbst – der Fraktion als solcher --das Beweisantragsrecht aus
Art. 72 Abs. 3 Satz 2 LV nicht zusteht. Unbeschadet dessen kann sie, wie ausgeführt
(s.o. zu B. I. 2. b) einer Art Prozeßstandschaft für den Landtag als ganzen ihrerseits
Vorgänge und Verfahrensweisen in einem Untersuchungsausschuß, soweit es um die
Vereinbarkeit mit dem Untersuchungsausschussrecht der Landesverfassung geht, zur
Überprüfung des Landesverfassungsgerichts stellen.
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