Urteil des VerfG Brandenburg vom 02.04.2017

VerfG Brandenburg: wiedereinsetzung in den vorigen stand, verfassungsbeschwerde, faires verfahren, rechtliches gehör, erlass, verfassungsgericht, untätigkeitsklage, genehmigung, rechtswegerschöpfung

1
2
3
4
Gericht:
Verfassungsgericht
des Landes
Brandenburg
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4/10, 6/10 EA
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 45 Abs 2 S 1 VerfGG BB, § 118
Abs 3 StVollzG
Tenor
1. Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.
2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Gründe
A.
I. Der Beschwerdeführer verbüßt - voraussichtlich bis September 2010 - eine
Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt ... . Auf seine Anträge genehmigte der
Anstaltsleiter ihm, das „Computerkabinett“ der Anstalt zur Anfertigung privater
Schriftstücke zu benutzen. Nachdem es aufgrund von Manipulationen zu Störungen im
Computersystem gekommen und ein vom Beschwerdeführer verfasstes Schmähgedicht
entdeckt worden war, widerrief der Anstaltsleiter die Genehmigung am 27. September
2007. Auf Antrag des Beschwerdeführers hob das Landgericht Cottbus mit Beschluss
vom 12. August 2008 (Az.: 21 StVK 813/07) den Widerruf auf und gab der
Justizvollzugsanstalt auf, den Beschwerdeführer hinsichtlich der Benutzung des
„Computerkabinetts“ unter Beachtung der Rechtsauffassung der
Strafvollstreckungskammer neu zu bescheiden. Am 16. Oktober 2008 erhob der
Beschwerdeführer Untätigkeitsklage. Darauf widerrief der Leiter der Justizvollzugsanstalt
die Genehmigung für die Nutzung des „Computerkabinetts“ mit Bescheid vom 29.
November 2008. Die Kosten der – erledigten - Untätigkeitsklage wurden mit Beschluss
des Landgerichts Cottbus vom 30. Dezember 2008 der Staatskasse auferlegt (Az.: 21
StVK 712/08). Den gegen den erneuten Widerruf gerichteten Antrag des
Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung wies das Landgericht Cottbus mit
Beschluss vom 5. November 2009 (Az.: 21 StVK 842/08), dem Beschwerdeführer nach
eigenen Angaben zugestellt am 19. November 2009, zurück. Mit Beschlüssen vom 26.
November 2009 wies das Landgericht Cottbus ebenfalls die zur Sicherung seiner Rechte
im Hauptsacheverfahren 21 StVK 842/08 gestellten Anträge des Beschwerdeführers auf
Erlass einer einstweiligen Anordnung zurück (Az.: 21 StVK 388/09 und 21 StVK 671/09).
II. Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner am 30. Januar 2010 beim
Verfassungsgericht eingegangenen Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidungen
des Landgerichts Cottbus vom 12. August 2008 (Az.: 21 StVK 813/07), vom 30.
Dezember 2008 (Az.: 21 StVK 712/08), vom 5. November 2009 (Az.: 21 StVK 842/08)
sowie vom 26. November 2009 (Az.: 21 StVK 388/09 und 21 StVK 671/09) und beantragt
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Wegen der ihm auferlegten Arbeits- und
Einkaufssperre habe er die Verfassungsbeschwerde nicht fristgemäß erheben können.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seiner Rechte auf rechtliches Gehör sowie
auf ein willkürfreies und faires Verfahren. Er macht weiter geltend, es sei ihm nicht
möglich gewesen, vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde den fachgerichtlichen
Rechtsweg auszuschöpfen. Die Justizvollzugsanstalt habe ihn nicht zur Einlegung von
Rechtsbeschwerden ausgeführt, obwohl er dem allgemeinen Vollzugsdienst
entsprechende Anträge bezogen auf sämtliche ihm im Zeitraum von August 2008 bis
November 2009 zugestellte Beschlüsse des Landgerichts Cottbus übergeben habe. Der
Erlass einer einstweiligen Anordnung sei erforderlich, um weitere Nachteile für die
Verteidigung seiner Rechte abzuwehren.
III. Die Justizvollzugsanstalt ... hat Gelegenheit erhalten, zu dem die Ausführungsanträge
betreffenden Vorbringen des Beschwerdeführers Stellung zu nehmen.
B.
Die Anträge haben keinen Erfolg.
5
6
7
8
9
10
I.
Die Verfassungsbeschwerde ist insgesamt unzulässig.
1. Soweit die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Cottbus
vom 5. November 2009 (Az.: 21 StVK 842/08) gerichtet ist, genügt sie nicht dem
Erfordernis der Rechtswegerschöpfung gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1
Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg). Danach ist eine
Verfassungsbeschwerde grundsätzlich nur zulässig, wenn zuvor der fachgerichtliche
Rechtsweg ausgeschöpft wurde. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Der Beschwerdeführer
hat versäumt, gegen die angegriffene Entscheidung Rechtsbeschwerde gemäß § 116
Abs. 1 Strafvollzugsgesetz (StVollzG) zu erheben. Dieses Rechtsmittel ist unter anderem
zulässig, wenn – wie hier - die Verletzung elementarer Verfahrensgrundsätze gerügt wird
(vgl. Schuler, in: Schwind/Böhm/Jehle, Strafvollzugsgesetz, 4. Aufl., Rn. 7 zu § 116).
a.) Vom Erfordernis der Rechtswegerschöpfung ist nicht im Hinblick auf den Vortrag des
Beschwerdeführers abzusehen, die Justizvollzugsanstalt habe ihm die Möglichkeit
abgeschnitten, Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Cottbus vom
5. November 2009 (Az.: 21 StVK 842/08) zu erheben. Diese Rechtsbeschwerde konnte
er gemäß § 118 Abs. 3 StVollzG nur in einer von einem Rechtsanwalt unterzeichneten
Schrift oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle des Gerichts erheben. Weder aus der
Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt noch aus den Angaben des Beschwerdeführers
oder den von ihm beigebrachten Dokumenten ergeben sich konkrete Anhaltspunkte
dafür, dass ihm die Erhebung der Rechtsbeschwerde tatsächlich unmöglich gemacht
worden sein könnte. Das diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers erschöpft
sich in der allgemeinen Behauptung, er habe Ausführungsanträge bezogen auf
sämtliche ihm im Zeitraum von August 2008 bis November 2009 zugestellte Beschlüsse
des Landgerichts Cottbus gestellt. Nähere Angaben dazu, wann und bei welchem
Vollzugsmitarbeiter etwaige Anträge gestellt wurden, fehlen völlig. Der Beschwerdeführer
hat seinen Vortrag auch nicht in erheblicher Weise ergänzt, nachdem der Leiter der
Justizvollzugsanstalt in seiner Stellungnahme vom 27. April 2010 ausdrücklich erklärt
hat, der Beschwerdeführer habe bezogen auf den Beschluss vom 5. November 2009
keinen Antrag gestellt. Der darauf allein geäußerte Vorwurf des Beschwerdeführers,
seine Anträge seien unterschlagen worden, lässt einen realen Hintergrund nicht im
Ansatz erkennen. Besteht somit kein Anlass zu der Annahme, die fristwahrende
Erhebung der Rechtsbeschwerde sei dem Beschwerdeführer unmöglich gemacht
worden, bedarf es nicht der weiteren Prüfung, ob er seine Rechte zunächst durch
Beantragung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beim Fachgericht zu wahren
gehabt hätte (vgl. dazu im Bundesrecht Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 27.
September 2005 – 2 BvR 172/04 u.a. -, NJW 2005, 3629).
b.) Für eine Entscheidung vor Erschöpfung des Rechtswegs, wie sie nach § 45 Abs. 2
Satz 2 VerfGGBbg möglich ist, besteht keine Veranlassung. Sie kommt nur in Betracht,
sofern eine Grundrechtsverletzung im Raum steht, die auch nur zeitweise hinzunehmen
ganz und gar unerträglich wäre (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg in
ständiger Rechtsprechung seit Beschluss vom 16. November 2000 - VfgBbg 49/00 -,
LVerfGE Suppl. Bbg. zu Bd. 11, 198, 204).Es ist nicht ersichtlich, dass diese Schwelle hier
erreicht sein könnte. Insbesondere wird dem Beschwerdeführer durch die versagte
Nutzung des „Computerkabinetts“ die Rechtsverteidigung gegen die gerügten
Haftbedingungen nicht unzumutbar erschwert. Dagegen sprechen schon Anzahl und
Umfang der vom Beschwerdeführer an die Fachgerichte und das Verfassungsgericht des
Landes Brandenburg gerichteten Schreiben. Die vorliegende Sachlage ist auch nicht mit
derjenigen vergleichbar, die der vom Beschwerdeführer herangezogenen Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 17. Juni 1999 – 2 BvR 1454/98 -, NStZ
1999, 532) zugrunde lag. Während der dortige Beschwerdeführer zur inhaltlichen
Begründung eines Wiederaufnahmeantrags auf die seinem Gewahrsam entzogenen
Akten angewiesen war, steht vorliegend - nur - der versagte Zugang zum „Schreibgerät
Computer“ im Streit.
2. Soweit die Verfassungsbeschwerde sich gegen die Beschlüsse des Landgerichts
Cottbus vom 12. August 2008 (Az.: StVK 813/07), vom 30. Dezember 2008 (Az.: 21 StVK
712/08) und vom 26. November 2009 (Az.: 21 StVK 388/09 und 21 StVK 671/09) wendet,
ist sie schon mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.
a.) Die Entscheidung vom 12. August 2008 (Az.: 21 StVK 813/07) belastet den
Beschwerdeführer nicht, da sie die streitgegenständliche Versagung der privaten
Computernutzung vom 27. September 2007 aufhebt.
11
12
13
14
15
b.) Entsprechendes gilt bezogen auf den Beschluss des Landgerichts Cottbus vom 30.
Dezember 2008 (Az.: 21 StVK 712/08). Auch diese Entscheidung des Landgerichts
Cottbus belastet den Beschwerdeführer nicht, sondern beschwert allein die Staatskasse
mit den Kosten der - erledigten - Untätigkeitsklage.
c.) Schließlich fehlt dem Beschwerdeführer das Rechtsschutzbedürfnis auch insoweit, als
er sich gegen die Beschlüsse des Landgerichts Cottbus vom 26. November 2009 (Az.:
21 StVK 388/09 und 21 StVK 671/09) richtet, mit denen die Anträge des
Beschwerdeführers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt wurden. Die im
Verfassungsbeschwerdeverfahren allein zu erreichende Aufhebung der Entscheidungen
ist nicht geeignet, die prozessuale Situation zu seinen Gunsten zu verändern. Nach der
Entscheidung über das Hauptsacheverfahren 21 StVK 842/08 bestand für das
Landgericht Cottbus kein Raum mehr für eine mit den einstweiligen
Rechtsschutzverfahren erstrebte vorläufige Regelung nach § 114 Abs. 2 StVollzG.
Auf die Frage der Rechtzeitigkeit der Verfassungsbeschwerde und die Möglichkeit einer
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt es danach nicht mehr an.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist abzulehnen. Eine einstweilige
Anordnung kommt nicht in Betracht, wenn das Begehren in der Hauptsache erfolglos ist.
C.
Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum